trend spezial: Berichte aus Kosova redigiert von Max Brym

Schlägt in Kosova die Stunde der Opposition ? Einige grundsätzliche Bemerkungen

von Max Brym

11/2015

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Am 15. Oktober titelte die „Neue Züricher Zeitung“- „Die Stunde des Oppositionsführers naht“. Gemeint war damit Albin Kurti und die „Bewegung für Selbstbestimmung“ . Die „Neue Züricher Zeitung“ ging davon aus, dass Kosova sich in einem extrem unruhigen Zustand befindet und speziell, die Person Albin Kurti immer mehr Zustimmung erhält.

In der Tat, das Abkommen mit Serbien vom 25. August dieses Jahres führt in Kosova zu großen politischen Verwerfungen. Der Widerstand gegen dieses Abkommen hat eine enorme Breite und Tiefe in der kosovarischen Gesellschaft erreicht. Das Abkommen billig Serbien faktisch die Herrschaft über 30 % des Territoriums von Kosova zu. Ein spezieller gebildeter „Serbischer Kommunalverband“ soll über einen eigenen Haushalt, neben dem Staatshaushalt verfügen. In den Gebieten dürfen weiterhin 5000 von Serbien bezahlte Beamte arbeiten. Selbstverständlich nehmen diese Leute nicht nur ihr Geld aus Belgrad, sondern sie setzen die politischen Vorgaben Belgrads um. In wirtschaftlicher Hinsicht ist das Abkommen für die Perspektiven Kosovas katastrophal. Die ethnisch gesäuberten Gebiete verfügen über entscheidende Wasservorkommen, Zugänge zu Minen, Kohlevorkommen und fertig gestellte Wintersporteinrichtungen im Süden des Landes. Die offizielle serbische Politik beruht darauf Kosova nicht anzuerkennen. Heute zitiert die „Süddeutsche Zeitung“ den serbischen Präsidenten Nikolic. Dieser erklärte:“ Wir werden Kosovo niemals hergeben denn Kosovo ist unser Kind.“ Darauf beruht die Politik der herrschenden Klasse in Serbien. Die serbischen Strukturen in Kosova sind nicht einfach kommunale Strukturen oder Selbstverwaltungsinstanzen, sondern sie sind ein direkter Ableger des serbischen Staates. Diese Strukturen verhindern den Kontakt zwischen den verschiedenen Nationalitäten, welche in Kosova leben. Der Norden Kosovas wurde seit dem Jahr 2000 systematisch durch serbischen Faschisten ethnisch gesäubert. Im Januar 2000 wurden über 11.000 Menschen mit albanischer Nationalität aus dem Norden Kosovos vertrieben. Dabei wurden neun Menschen getötet. Die serbischen Gemeinden im Kosovo als Ableger des serbischen Staates legen darauf Wert, sich von den anderen Menschen im Kosova zu distanzieren. Der Autor dieser Zeilen traf vor einigen Jahren einen Roma aus Graçanica  in Prishtina. Unter Tränen berichtete mir der Roma im Büro der -Bewegung für Selbstbestimmung-: „Der serbische Bürgermeister hat mich bedroht. Ich solle nicht mehr mit meinem albanischen Nachbarn sprechen. Ich müsse mich entscheiden zwischen ihm und den Albanern.“ Auf diesem Trennungsgrundsatz basiert die serbische Politik in Kosova . Diese Politik geht nicht von den einfachen serbischen Menschen aus, sondern von staatlichen und kriminellen serbischen Strukturen. In Deutschland wird so getan als ob Serben in Kosova einer latenten Bedrohung ausgesetzt sind. Dies ist nichts anderes als miese Propaganda. Der Autor kennt in der Landeshauptstadt Prishtina mehrere Cafés in denen hauptsächlich Serben verkehren. Zum Glück wird niemand in Prishtina angegriffen, aufgrund seiner Nationalität. Die in der deutschen Presse als nationalistisch verleumdete „Bewegung für Selbstbestimmung“ fordert für Kosova die Gleichheit aller Bürger und den lehnt jede nationale Diskriminierung entschieden ab. Die nationalistische Diskriminierung geht von den serbischen Parallelstrukturen in Kosova aus. In dem so genannten „Serbischen Gemeindeverband“ gibt es keine Rechte für Albaner, Roma, Türken, oder Ägypter. Die Debatte um das Abkommen in Brüssel hat auch nichts mit der Ablehnung kommunaler Kompetenzen zu tun. Allerdings hat es etwas damit zu tun, dass durch das Abkommen faktisch auf 30 % des Territoriums von Kosova parallele und eigenständige Strukturen in Justiz, Polizei, Gerichten und Etats geschaffen werden. Letztendlich ist die serbische Politik nur dazu da, die Menschen aufgrund ihrer nationalen Herkunft zu spalten und letztendlich zu diskriminieren. Ein Beispielen dafür ist die Entwicklung in dem zu Serbien gehörenden Presehvo Tal. Bis vor einigen Jahren lebten dort rund 100.000 Albaner. Gegenwärtig nur noch 50.000. Die serbische Politik diskriminiert die dort lebenden Albaner und zwingt viele von ihnen zur Flucht. Sich gegen das Abkommen von Brüssel, 25. August dieses Jahres zu wehren ist in Wirklichkeit eine internationalistische Tat. Das Abkommen kam ohne Mitwirkung des Parlaments in Prishtina zu Stande. Auf Druck der EU unterzeichneten Hashim Thaci und Isa Mustafa den Vertrag mit Serbien. Albin Kurti erklärte dazu kürzlich: „ Politiker wie Aussenminister Hashim Thaci sind erpressbar, deshalb hätten sie den fatalen Deal akzeptiert. Erpressbar seien sie, weil die «Internationalen», also die westlichen Schutzherren des jungen Staates, Beweise für ihre korrupten Herrschaftsmethoden hätten. Aber weshalb unterstützt Brüssel Serbien?“ Zu dieser Frage gab Kurti vor kurzem folgende Antwort: “ Die EU füttert die kleine Krake Serbien, um sie von der grossen Krake Russland fernzuhalten. Aber die Tentakel der kleinen Krake greifen schon tief in unser Kosova hinein.“

Faschistoid Methoden

Kosovo steht kurz vor einem Bürgerkrieg. Die Repression gegen Aktivisten der „Bewegung für Selbstbestimmung“ nimmt immer neue und brutalere Formen an. Die von VV initiierte Unterschriftenkampagne gegen das Abkommen mit Serbien, wird auf den Straßen brutal behindert und des Öfteren polizeilich angegriffen. Flugblattverteiler werden willkürlich festgenommen und von Polizisten geschlagen. Dennoch konnten bereits knapp 180.000 Unterschriften für ein Referendum gegen das Abkommen vom Brüssel gesammelt werden. Angeblich verhalten sich jetzt Abgeordnete der „Bewegung für Selbstbestimmung“ im Parlament undemokratisch. Die Realität sieht so aus, dass ein Abgeordneter wie Albin Kurti im Parlament Tränengas zündete. Damit sollte symbolisiert werden wie die Situation im Lande ist. Auf den Straßen wird ständig Tränengas gegen den linken Widerstand von VV, durch Polizisten abgefeuert. Dazu kommen massive Knüppeleinsätze der Polizei. In der Nacht zum vergangenen Dienstag wurde Albin Kurti für einige Zeit festgenommen. Spontan sammelten sich viele Bürger vor der Polizeistation im Prishtina um dagegen zu protestieren. Dabei gingen einige Fensterscheiben der Polizeistation zu Bruch. Rechte reaktionäre Ideologen vor Ort, sowie so genannte Analytiker bringen zunehmend die „Bewegung für Selbstbestimmung“ mit den ehemaligen „Roten Brigaden“ in Italien im Verbindung. Rechte Zeitungen wie Bota Sot bezichtigen VV des Enverismus. Andere „Experten“ nennen Albin Kurti den Che Guevara Kosovas. All dies ist die mediale reaktionäre Begleitmusik zum Terror gegen die Opposition in Kosova. Dennoch erweitert die „Bewegung für Selbstbestimmung“ ihren Einfluss zunehmend. Dies hat nicht nur mit ihrer Opposition gegen den Vertrag von Brüssel zu tun. Nur die Bewegung für Selbstbestimmung lehnt den neoliberalen Privatisierungsprozess in Kosova ab. Nur die „Bewegung für Selbstbestimmung“ prangert die Bereicherung der örtlichen politischen Kaste an. Nur die „Bewegung für Selbstbestimmung“ fordert ein progressives Steuersystem mit Mehrbelastungen für die Reichen und finanzieller Entlastung für die unteren Einkommensschichten. Nur die „Bewegung für Selbstbestimmung“ fordert umgehend die Errichtung eines öffentlichen Gesundheitswesens. Es existiert in Kosova keinerlei kostenlose medizinische Versorgung. Der Privatisierungsprozess hat das Land extrem arm gemacht. Nur die „Bewegung für Selbstbestimmung“ hat ein Programm welches die extreme Massenarmut im Kosova beseitigen soll. Nur die „Bewegung für Selbstbestimmung“ nimmt es nicht hin, dass 18 % der Bevölkerung unter Kalorienmangel leiden und 36 % der Bevölkerung von weniger als zwei Euro pro Tag leben müssen. Der Euro ist im Kosova Landeswährung und die Preise lassen sich mit den Preisen in Mitteleuropa vergleichen. Die „Neue Züricher Zeitung“ schreibt in ihrem Artikel über die Opposition: „ Charismatisch und rhetorisch begabt, geniesst Kurti so etwas wie einen Märtyrerstatus. Während des Kosovokriegs wurde er von den Serben verhaftet und kam erst nach zweieinhalb Jahren wieder frei. Die Ideologie seiner Partei Vetevendosje, was übersetzt «Selbstbestimmung» bedeutet, orientiert sich an den antikolonialistischen Bewegungen der Dritten Welt. Sie ist zugleich nationalistisch und antikapitalistisch. In einem Umfeld, in dem eine kleine, rasch reich gewordene Clique die Privatisierungen und die Aufteilung von Märkten in der Hand hat und manche westliche Botschafter sich wie römische Prokonsuln aufführen, findet Kurtis Propaganda grossen Anklang. Er weiss das und zitiert Gandhi: «Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich – und dann gewinnst du.“ Bis auf die Bezeichnung nationalistisch liegt der Autor der „NZZ“ ziemlich richtig. Wenn sich die Situation im Kosova nicht ändert besteht die Möglichkeit einer Massenerhebung. Immer wieder weist VV auf die Notwendigkeit dieser Erhebung hin. Es wird immer wieder betont, dass es für die Menschen im Kosovo nur zwei Möglichkeiten gibt, entweder die Regierung zu stürzen, oder das Land zu verlassen. VV orientiert auf die erste Möglichkeit. Nationalistisch sind im übrigen die herrschenden kosovarischen und serbischen Parteien. Der Brüssler Teilungsplan läuft auf ein zweites Bosnien am Balkan hinaus. Das bosnische Beispiel zeigt, dass durch die Teilung die Menschen gespalten werden. Dadurch können sich Mafia- Parteien unter Verweis auf die jeweils andere nationalistische Clique an der Macht halten.

Warum es Kosovo für Serbien so wichtig

Serbien ist EU Beitrittskandidat. Die EU versucht auch in Serbien ihre Prinzipien der angeblich alternativlosen neoliberalen Politik durchzusetzen. Dabei kommt die serbische Regierung der EU weit entgegen. Im Juli trat in Serbien ein Arbeitsmarktgesetz in Kraft welches den sicheren Arbeitsmarktbereich weit gehend dereguliert. Dies führte bereits zu massiven Lohnsenkungen, für die serbischen Arbeiter und Arbeiterinnen. Die Arbeitslosigkeit welche im Frühjahr 2015 bei 25 % lag steigt rapide an. Im kommenden Jahr sollen in Serbien 100.000 Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut werden. Die mickrigen serbischen Renten wurden bereits das zweite Mal hintereinander gekürzt. In den kommenden Monaten werden in Serbien aufgrund der Vereinbarungen mit der EU, 500 Unternehmen privatisiert . Darunter auch rentable Unternehmen wie die serbische Telekom. Das neoliberale Regierungspaket wird zu weiteren Massenentlassungen führen. Premierminister Vucic sagte zu diesem Programm:“ Wir müssen und werden durch die Hölle gehen“. Der serbische Höllenritt soll nach Angaben des Premierministers 2-3 Jahre dauern, um ausländische Investoren anzulocken. Damit diese neoliberale Höllenritt durchgezogen werden kann- benötigt die serbische Bourgeoisie nationalistische Mythen- speziell den Anspruch auf Kosova. Diese alte Masche der serbischen Politik soll verhindern, dass sich die Arbeiter und Arbeiterinnen zusammen mit der Jugend in Serbien gegen das Regime erheben. In Wahrheit ist der Kampf für die Souveränität Kosovas im Interessen der serbischen Arbeiterklasse. Denn Letztere kann sich nur gegen die neoliberalen Grausamkeiten erheben, wenn sie das gemeinsame ideologische Boot mit der serbischen Bourgeoisie verlässt. Der wesentliche Hebel für dieses Unterfangen ist die Akzeptanz des Selbstbestimmungsrechtes von Kosova, durch die einfachen Menschen in Serbien selbst.