Flucht, Migration und Kapitalismus
Der Klassenkampf ist die Basis für die Solidarität der Arbeiter/innen aller Nationen!

von
Eric Wegner

11/2015

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onlinezeitung

Massenmigration hat als Hauptursache die wirtschaftliche Zerstörung ganzer Regionen durch den kapitalistischen „freien Weltmarkt“. Dazu kommen imperialistische Kriege, die regelrechte Fluchtbewegungen auslösen. Ein Hintergrundtext zu aktuellen Fragestellungen.

Der Kampf um ökonomische Einflusssphären, imperialistische Interventionen sowie der Weltmarkt für Arbeitskraft ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Kapitalismus. In der vorliegenden Analyse wollen wir diesen Faden nachzeichnen und die Entwicklung mit zahlreichen Beispielen belegen. Dabei haben wir keinen Anspruch auf Vollständigkeit; unter anderem haben wir etliche Beispiele in Afrika und Lateinamerika und die von bürokratischen Planwirtschaften gesteuerten Migrationen in der Sowjetunion und der VR China nicht berücksichtigt.

Kolonialismus und Arbeitskräfte

Mit dem frühen Kapitalismus entstanden rasch Kolonien, insbesondere in den verschiedenen Teilen Amerikas. Die dortige europäische Herrschaft führte zur weitgehenden Ausrottung der „Indianer/innen“. Ihre Zahl wurde im Zeitraum zwischen 1492 und 1700 durch Massaker, eingeschleppte Krankheiten, vor allem aber durch Umsiedlungen und Zwangsarbeit von 90 auf 7 Millionen reduziert. Hauptverantwortlich dafür waren die spanischen Kolonialisten, denn die überwiegende Mehrheit der Eingeborenen befand sich in spanischen Kolonien (nicht dass England zimperlicher gewesen wäre, aber im Gebiet von USA und Kanada dürfte es bei Ankunft der Weißen nur etwa 2-3 Millionen „Indianer/innen“ gegeben haben und ihre Zahl wurde durch die Briten auf 1 Million gesenkt).

Als den Kolonialist/inn/en die einheimischen Arbeitskräfte ausgingen, holten sie Nachschub aus Afrika. Zwischen 1700 und dem frühen 19. Jahrhundert wurden 15-20 Millionen Afrikaner/innen als Sklav/inn/en nach Amerika gebracht. 60 bis 80 Millionen starben bei diesem Unterfangen – bei der „Rekrutierung“, den Transporten zur Küste oder auf den Sklavenschiffen. Hauptverantwortlich war das damals bereits die Weltmeere beherrschende Großbritannien (41% des Sklavenhandels) sowie sein Verbündeter Portugal (29%), während Spanien aus diesem Geschäft draußen gehalten wurde. Im 18. Jahrhundert betrug die Überlebenszeit der Sklav/inn/en aufgrund brutaler Arbeitsbedingungen auch in den USA nur wenige Jahre. Mit dem Verbot des Sklavenhandels (nicht der Sklaverei!) im Jahr 1807 und dem nun fehlenden Nachschub änderte sich das: Zustände und Lebenserwartung besserten sich und die Sklavenhalter setzten nun regelrecht auf „Zucht“ – statt den bisherigen Zwangsabtreibungen gab es nun ein Abtreibungsverbot.

Ab dem frühen 19. Jahrhundert betrieben Kolonialist/inn/en und Kapitalist/inn/en die sogenannte „Kuliarbeit“, in der 25 Millionen Menschen (fast ausschließlich Männer) tätig waren. Diese Mischung aus Zwangsarbeit, Schuldknechtschaft und Lohnarbeit bestand etwa zwischen 1830 und 1920. Der Lohn reichte meist nicht für die Schuldentilgung, oft starben die Kulis schon vor Vertragsablauf; allein am Transport in die Zielgebiete kamen schon 17% um. Rekrutiert wurden die Kulis durch Gewalt, Täuschung und ökonomischen Druck in Gebieten, in denen der Kolonialismus die Existenzgrundlagen für große Teile der Bevölkerung zerstört hatte. Eingesetzt wurden sie besonders im Bergbau, auf Plantagen sowie im Straßen- und Eisenbahnbau. Die meisten Kulis waren Inder, die nach Afrika, Malaysia oder Indonesien gebracht wurden. Dazu kamen viele Chinesen, die etwa beim Eisenbahnbau im Westen der USA eingesetzt wurden. Zusätzlich kontrolliert wurden die Kulis durch eine Art Mafia, die sich im Fall der Flucht eines Kulis in seinem Heimatdorf an der Familie rächte.

Europäische Migration

In derselben Periode gab es auch eine massive europäische Auswanderung. Zwischen 1820 und 1914 sind 26 Millionen Europäer/innen in die USA gegangen, mit gut 6 Millionen waren die Deutschen (inklusive denen des Habsburgerstaates) dabei die größte Gruppe. Diese Migration fand überwiegend aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen statt, besonders in den Jahren nach der niedergeschlagenen Revolution von 1848 auch aus politischen. Die Hauptwelle der Auswanderung aus europäischen Ländern ereignete sich in der Regel vor dem Höhepunkt der Industrialisierung in einer Region. Das bedeutete, dass zuerst Brit/inn/en und Ir/inn/en, dann Deutsche, Niederländer/innen und Skandinavier/innen und zuletzt Italiener/innen und Osteuropäer/innen in die USA gingen. Dementsprechend entstand in den USA eine Hierarchie nach Herkunft: ganz oben angelsächsische Protestant/inn/en, dann die Einwanderer/innen aus den Niederlanden, Deutschland, Skandinavien und Irland, dann Süd- und Osteuropäer/innen und ganz unten die schwarzen (ehemaligen) Sklaven. Viele europäische Auswanderer/innen waren in Schuldknechtschaft und mussten nach der Ankunft erst einmal einige Jahre die Kosten für die Überfahrt über den Atlantik abarbeiten.

Aber auch in Europa gab es im 19. und frühen 20. Jahrhundert massive Migrationsbewegungen. Sie fanden stets von rückständigen Gebieten in die Industriezentren statt, also etwa von Irland nach England, von Spanien und Italien nach Frankreich. Im deutschsprachigen Raum sind besonders die Migration von Pol/inn/en ins Ruhrgebiet und die von Tschech/inn/en in den Raum Wien zu nennen. Am Arbeitsmarkt und in der allgemeinen gesellschaftlichen Hierarchie waren diese Zuwanderer/innen zuerst ganz unten angesiedelt. Innerhalb weniger Jahrzehnte wurden sie aber weitestgehend in die Arbeiter/inn/enklasse und die Arbeiter/innen/bewegung der jeweiligen Region integriert.

Völkermorde in Afrika und im Osmanischen Reich

In dem von europäischen Kolonialmächten aufgeteilten Afrika fand zeitgleich ein Massenmord durch Zwangsarbeit statt. Je nach Ausbeutungsinteressen wurden Gebiete entvölkert, Völkerschaften vertrieben oder umgesiedelt und große Teile der Bevölkerung zu brutalster Zwangsarbeit in Bergwerken und Plantagen gezwungen. Die Menschen wurden regelrecht zu Tode geschunden und dann durch neue ersetzt. Durch diese Vernichtungspolitik wurde die Bevölkerung von Belgisch-Kongo (einer Kolonie, die privat dem belgischen König gehörte) zwischen 1880 und 1920 von 20 Millionen auf 10 Millionen reduziert. Noch schlimmer war es in der französischen Kolonie Elfenbeinküste, wo nach den Jahren 1900 bis 1910 von 10 Millionen Einwohner/innen nur noch 1,5 Millionen übrig waren. In der britischen Kolonie Sudan wurde die Bevölkerungszahl zwischen 1882 und 1903 von 8 auf 2 Millionen gesenkt. Und in den anderen afrikanischen Kolonien sah es ähnlich aus.

Im Gebiet der heutigen Türkei lebten 1914 etwa 8 Millionen Türk/inn/en, 1,8 Millionen Griech/inn/en und 1,7 Millionen Armenier/innen. Am Beginn des 1. Weltkrieges setzten führende Kräfte des türkischen Nationalismus auf eine systematische Vernichtungspolitik gegenüber den zwei genannten Minderheiten. Koordiniert von staatlichen Stellen und unterstützt vom türkischen Militär führten halbstaatliche und paramilitärische Einheiten brutale Massaker durch, setzten Ortschaften in Brand, vertrieben und deportierten große Teile der Griech/inn/en und Armenier/innen, ließ Menschenmassen gezielt verdursten. Dazu kamen Zwangsarbeit, Massenvergewaltigungen, die Zwangsverheiratung von jungen Töchtern der Ermordeten mit den Mördern und die Zwangsadoption von Kindern der Ermordeten in türkische Familien oder kurdische Stämme, die sich teilweise an den Massakern beteiligt haben. Am Ende dieser Ereignisse waren etwa 600.000 Griech/inn/en tot und 1,1 Millionen vertrieben und 1,2 Millionen Armenier/innen tot und 400.000 vertrieben. Der Geist dieser Völkermorde lebt bis heute in der türkischen Gesellschaft weiter, werden sie doch bis heute vom türkischen Nationalismus beschönigt, bestritten und gerechtfertigt.

Vernichtungskriege der Nazis und Japans

Einen neuen Höhepunkt imperialistischer und rassistischer Vernichtungspolitik stellt das deutsche NS-Regime dar. Neu daran war erstens die Übertragung der Kolonialmethoden auf „zivilisierte" europäische Völker. Die Naziführung sprach das offen aus: Adolf Hitler orientierte sich bei der Besatzungspolitik in Osteuropa am britischen Kolonialismus und sprach von der Schaffung eines „deutschen Indiens bis zum Ural". In Bezug auf die „Germanisierung" der Ukraine forderte er, „die Ureinwohner als Indianer zu betrachten". Und Erich Koch, der berüchtigte Reichskommissar für die Ukraine, sagte, er habe einen Kolonialkrieg „wie unter Negern" geführt. Der zweite neue Aspekt des Massenmordes der Nazis war seine Industrialisierung. Was das Vernichtungsprogramm der SS und der mit ihr kooperierenden Wehrmacht, Polizei, Ministerien, Konzerne etc. beispielsweise vom beschrieben Völkermord des türkischen Nationalismus unterschied, war nicht die Vernichtungsabsicht, sondern der zu guten Teilen durchindustrialisierte Charakter, der den Möglichkeiten eines hochindustrialisierten kapitalistischen Landes entsprach. Millionen Menschen wurden in eigens angelegten riesigen Vernichtungslagern ermordet. Gleichzeitig wurden in Osteuropa und am Balkan vom Besatzungsregime Nazideutschlands und seiner Verbündeten Millionen Menschen mit herkömmlichen Kolonialmethoden ums Leben gebracht: Vertreibungen, Entvölkerungen, Massaker, Zwangsarbeit, Entziehung von Lebensmitteln etc. Insgesamt wurden zwischen 1941 und 1945 unter anderem etwa 22 Millionen Slaw/inn/en und etwa 6 Millionen Juden/Jüdinnen von den Faschisten ermordet. Gleichzeitig gab es im „Reichsgebiet“ 1944 etwa 8 Millionen Zwangsarbeiter/innen (davon 1/3 aus der Sowjetunion, 1,5 Millionen Frauen), was 25% der Arbeitskräfte in Deutschland entsprach; sie waren oft Hunger und meist brutaler Behandlung ausgesetzt.

Japan hatte seine imperialistische Expansionspolitik bereits 1937 begonnen. Gerechtfertigt mit rassistischen Theorien über die Höherwertigkeit der japanischen Nation wurde insbesondere gegen die Chines/inn/en ein regelrechter Vernichtungskrieg geführt. In China wurden dabei an die 20 Millionen Menschen (hauptsächlich Zivilist/inn/en) ermordet. Dazu kamen 5-10 Millionen Tote in anderen von Japan besetzten Ländern (Korea, Indochina, Indonesien, Burma, Malaysia), die zu guten Teilen auch ethnische Chines/inn/en waren. Es gab Massenvertreibungen und gezieltes Verhungernlassen. 10 Millionen Menschen wurden bei oft tödlicher Zwangsarbeit eingesetzt. An bestialischen Menschenversuchen in den besetzten Gebieten waren etwa 20.000 japanische Ärzte beteiligt. Über 300.000 chinesische und koreanische Mädchen wurden als sogenannte „Trostfrauen“ versklavt. Und teilweise wurden auch großangelegte Massaker durchgeführt, etwa im chinesischen Nanking, wo 1937 sechs Wochen lang über 200.000 Zivilist/inn/en und Kriegsgefangene ermordet, mindestens 20.000 Frauen und Mädchen vergewaltigt, Menschen lebendig gehäutet, Kinder lebendig an Wände genagelt oder gebraten wurden.

Alliierte Kriegsverbrechen

Das Ergebnis des 2. Weltkrieges war eine Neuaufteilung der Welt. Der US-Imperialismus hatte nicht nur seine Konkurrenten Deutschland und Japan aus dem Feld geschlagen, sondern auch seine Verbündeten Großbritannien und Frankreich zu zweitrangigen Mächten degradiert. Gleichzeitig war über den heroischen Widerstand der Bevölkerung gegen die NS-Besatzung die stalinistische Sowjetunion zu einer bedeutenden Großmacht geworden. Ihre Ausbreitung einzudämmen war ein wesentliches Ziel des westlichen Imperialismus. Zur Machtdemonstration und Abschreckung gegenüber der Sowjetunion wurden schließlich im Sommer 1945 die militärisch längst sinnlosen Atombomben über Japan abgeworfen, die dort unmittelbar 92.000 Zivilist/inn/en (und Zwangsarbeiter/inn/n) das Leben kosteten und bis Ende 1945 weiteren 130.000.

Um Deutschland zu verkleinern, haben die Alliierten vereinbart, die deutsche Bevölkerung aus Ostmitteleuropa zu vertreiben. Hauptsächlich davon betroffen waren die Bewohner/innen des deutschen Staatsgebietes östlich von Oder und Neiße, aber auch 3 Millionen Deutsche aus der CSR und anderer Gebiete. Insgesamt wurden bei und nach Kriegsende etwa 14 Millionen Deutsche unterschiedslos vertrieben – egal ob sie Nazis waren oder nicht. Da die allermeisten Männer zwischen 18 und 40 in der Armee waren und sich die Kapitalist/inn/en und Nazi-Bonzen rechtzeitig in den Westen abgesetzt hatten, trafen die Vertreibungen unmittelbar vor allem Frauen, Kinder und alte Leute aus der Arbeiter/innen/klasse, der Bauernschaft und dem Kleinbürgertum. Das zeigt, dass sich der Stalinismus von einem proletarischen Internationalismus längst verabschiedet hatte und dass Nationalismus und Großmachtinteressen seine Politik bestimmten. Bei den Vertreibungen der deutschen Bevölkerung kamen wohl etwa 1,2 Millionen Menschen durch Massaker, Übergriffe und Strapazen ums Leben. Nach verschiedenen Schätzungen wurden von alliierten Soldaten 1-2 Millionen deutsche Frauen und Mädchen vergewaltigt; darunter (nach neueren Forschungen und entgegen alter Klischees) auch etwa 190.000 von US-Soldaten. Die Vertriebenen wurden in den verschiedenen Besatzungszonen zuerst in Lagern untergebracht und anfänglich teilweise auch angefeindet, nach einigen Jahren – angesichts von Wirtschaftsaufschwung und gleicher Sprache – aber sowohl in der BRD als auch der DDR rasch in den Arbeitsprozess und die Gesellschaft integriert.

Dass auch die britische Politik nichts mit Demokratie, Menschenrechten und anderen schönen Dingen zu tun hatte, zeigt die große „bengalische Hungersnot“. In dieser Region Ostindiens sind 1943/44 etwa 4 Millionen Menschen verhungert. Das wurde vom britischen Regierungschef Winston Churchill (aufgrund seiner offen rassistischen Geringschätzung für Inder/innen) ganz gezielt betrieben: Anfragen der britischen Kolonialverwaltung, Getreidespeicher in anderen Landesteilen für die Hungernden zu öffnen, wurden von ihm untersagt. Stattdessen wurden weiter Nahrungsmittel aus Indien exportiert. An Indien vorbeifahrende Frachter durften ihr Getreide nicht in Bengalen entladen – um die mit Millionen Tonnen übervollen Getreidespeicher in England weiter aufzufüllen. Sogar US-Hilfsangebote wurden abgelehnt.

Entkolonialisierung

Angesichts der indischen Unabhängigkeitsbewegung setzte der britische Imperialismus auf Spaltung der Bevölkerung und hetzte Hindus und Moslems gegeneinander auf. Das Ergebnis war die Teilung der britischen Kolonie in zwei unabhängige Staaten 1947: Indien und Pakistan. Im Zuge der Trennung kam es zu gegenseitigen Massakern mit etwa 800.000 Toten und 20 Millionen Vertriebenen. Mindestens 500.000 Frauen und Mädchen wurden entführt und vergewaltigt (diejenigen, die wieder entkommen konnten, wurden in der Regel von ihren Familien nicht mehr angenommen, weil sie als „unrein“ galten).

In der Kolonie Palästina hatte der britische Imperialismus lange Zeit Araber/innen und Juden/Jüdinnen gegeneinander ausgespielt. 1947 standen 600.000 jüdische Einwohner/innen etwa 1,3 Millionen arabischen Palästinenser/innen gegenüber. Die vom US-Imperialismus betriebene Gründung Israels 1948 führte zum Krieg mit den arabischen Nachbarstaaten und schließlich zur (mit Massakern gezielt ausgelösten) Flucht von 750.000 Araber/innen, die dann in den darauf folgenden fünf Jahren von zusätzlichen 650.000 jüdischen Einwanderer/inne/n ersetzt wurden. Die Voraussetzung der Stabilisierung von Israel als jüdischem Staat war die Errichtung eines weitgehend rein jüdischen Arbeitsmarktes. Mit dem Sechs-Tage-Krieg 1967 wurden weitere 250.000 Palästinenser/innen vertrieben.

Der geschwächte französische Kolonialismus klammerte sich mit Zähnen und Klauen an einige seiner Kolonien. Sein brutaler Kolonialkrieg in Indochina von 1946 bis 1954 kostete 500.000 Menschen (vor allem Zivilist/inn/en) das Leben. Es kam zu einer erheblichen Zerstörung der Infrastruktur und zu einer massiven Binnenflucht. Im französischen Algerienkrieg 1954-1962 wurden ebenfalls etwa 500.000 Einheimische getötet (in Kampfhandlungen, Massakern, durch Folter…) und sogar 3 Millionen binnenvertrieben. Mit der französischen Niederlage 1962 sind etwa 1 Million Französischstämmige geflüchtet und wurden überwiegend in Südfrankreich angesiedelt.

Antikommunistische Massenmorde der USA

Mit dem Koreakrieg 1950-53 arbeitete der US-Imperialismus daran, den Einfluss der Sowjetunion und der Volksrepublik China in Asien einzudämmen. Etwa 4 Millionen Menschen, darunter 3 Millionen Zivilist/inn/en kamen dabei ums Leben – besonders durch die Flächenbombardements der US-Air-Force, durch die in Nordkorea bis 1953 nicht nur sämtliche Infrastrukturanlagen wir Staumauern, sondern auch 18 der 22 größte Städte zu mehr als der Hälfte zerstört wurden. Dazu kam der Abwurf von über 32.000 Tonnen Napalm. Besonders hoch war die Zahl der Opfer von Massakern in Südkorea, wo von Armeeeinheiten in einer antikommunistischen Hysterie Massenhinrichtungen an tatsächlichen oder mutmaßlichen Kommunist/inn/en durchgeführt wurden. Zugleich wurden unzählige Zivilist/inn/en (oft mit Kindern und alten Leuten) von US-Truppen ermordet, weil sie angeblich mit dem kommunistischen Nordkorea zusammengearbeitet hatten; selbst nach offiziellen US-Angaben beläuft sich die Zahl der Ermordeten auf etwa 300.000 Personen. Millionen Menschen wurde durch den Krieg vertrieben.

In Indonesien wurde die 3,5 Millionen starke (stalinistische) Kommunistische Partei durch einen regelrechten Massenmord ausgeschalten. Mit der erfundenen Behauptung, dass die KP einen Putsch geplant habe, wurden in monatelangen Massakern etwa 2 Millionen tatsächliche oder angebliche KP-Mitglieder ermordet. Angeführt von General Haji Mohamed Suharto und gestützt von den USA wurden die Massaker von Armeeeinheiten, Paramilitärs und islamischen Organisationen durchgeführt. Überlebende KP-Mitglieder oder Sympathisant/inn/en wurden in Konzentrationslager gesperrt und mussten Zwangsarbeit leisten. Später waren sie mit Berufsverboten belegt und es wurden ihnen Bürgerrechte vorweigert. Der mit den Massakern an die Macht gelangte Suharto regierte bis 1998 diktatorisch. Die Ausschaltung der indonesischen KP wurde von offiziellen Stellen der USA und Großbritanniens begrüßt, das Regime Suharto jahrzehntelang unterstützt.

Beim US-Krieg gegen Vietnam wurden etwa 5 Millionen Einheimische ums Leben gebracht; davon etwa 80% Zivilist/inn/en. Die meisten Opfer waren auf massive Bombardements durchzuführen: Die US-Luftwaffe warf auf das kleine Land mit 7 Millionen Tonnen die dreifache Menge an Bomben ab, wie im gesamten 2. Weltkrieg. Dazu kamen Napalm und das berüchtigte chemische Gift „Agent Orange“, dessen Dioxine bis heute bei hunderttausenden Menschen zu Krebserkrankungen, Immunschwächen und durch Eindringen ins Erbgut zu schweren Fehlbildungen bei mindestens 100.000 Kindern führten. Millionen Vietnames/inn/en wurden durch den Krieg verstümmelt, tagtäglich im jahrelangen Krieg kam es zu Massakern, Folterungen und anderen Kriegsverbrechen von US-Soldaten an der Bevölkerung. Millionen Menschen flohen innerhalb des Landes vor den Kriegshandlungen. Nach dem Krieg waren große Teile des Landes verwüstet und bis heute sind landwirtschaftliche Flächen vergiftet und unbenutzbar.

Drei Zentren der Arbeitsmigration

In Westeuropa setzte das Kapital angesichts von Wirtschaftsboom und Arbeitskräftemangel ab Mitte der 1950er Jahre auf die gezielte Anwerbung von Industriearbeitern, Bauarbeitern, Krankenschwestern etc. aus rückständigeren Ländern (meist aus ehemaligen Kolonien oder Einflusszonen). Den Kapitalist/inn/en ging es dabei um billige Arbeitskräfte, Lohndruck auf die einheimischen Arbeiter/innen und die Spaltung der Klasse. Durch vergleichsweise Rechtlosigkeit sollte eine flexible Regulierung des Arbeitsmarktes ermöglicht werden.

Bis 1973 waren in die BRD 2,6 Millionen „Gastarbeiter“ eingewandert (vor allem aus der Türkei und aus Südeuropa), nach Frankreich 1,8 Millionen (vor allem aus Südeuropa und Nordafrika), nach Britannien 1,8 Millionen (Indien, Pakistan, Irland und Afrika). Ab der Weltwirtschaftskrise 1973 wurde die Anwerbung weitgehend eingestellt. Trotzdem stieg durch verlangsamte Zuwanderung, Familiennachzug und Flüchtlinge die ausländische Bevölkerung in Westeuropa weiter an – bis 2014 in Frankreich auf 6,3%, in Britannien auf 7,8%, in Österreich auf 12,4% und in Deutschland von 7,5% 1988 über 9% 2000 auf 10% 2014 (= 8,3 Millionen Menschen); die unterschiedlichen Prozentsätze erklären sich im Wesentlichen aus dem unterschiedlichen Zugang zur Staatsbürgerschaft. Bei Fluchtbewegungen nach Europa gab und gibt es klar erkennbare Schübe, etwa durch die Balkankriege in den 1990er Jahren, durch die von US-Interventionen ausgelösten anhaltenden Bürgerkriege in Afghanistan, dem Irak, in Syrien und Libyen. Dazu kommt die wirtschaftliche Zerrüttung vieler afrikanischer Länder durch Landwirtschafts- und Fischereipolitik der EU.

Zuwanderung von der Peripherie ins imperialistische Zentrum fand natürlich auch in die USA statt. Allein die Zahl der Latinos (besonders aus Mexiko) in den USA stieg von 6 Millionen 1960 auf 15 Millionen 1980 und 50 Millionen 2010. Die Politik der USA bewegte sich zwischen Abschottung durch einen Grenzzaun zu Mexiko einerseits und dem Wunsch nach billigen Arbeitskräften durch das Kapital andererseits. Aufgrund des insgesamt schwach ausgeprägten Sozialsystems in den USA war die soziale Absicherung der Einwanderer/innen schlechter als in Europa.

Das dritte globale Zielgebiet der Arbeitsmigration sind seit den 1980er Jahren die arabischen Golfstaaten. 1985 arbeiteten dort 4,4 Millionen Ausländer/innen, 1995 waren es bereits 9,4 Millionen und 2010 sogar 23 Millionen. Bis 1990 kamen die allermeisten von ihnen aus anderen arabischen Ländern. Ab dem ersten Golfkrieg, als sich die überwiegend palästinensischen Lohnabhängigen in Kuwait mit dem irakischen Einmarsch gegen das kuwaitische Regime solidarisierten, setzten die Emire und Scheichs auf Arbeitskräfte, die die einheimische Sprache nicht sprechen. Heute kommen 80% der ausländischen Arbeitenden in den Golfstaaten aus nicht-arabischen asiatischen Ländern, besonders aus Pakistan und Bangladesch. Ihr Aufenthalt ist in der Regel an den Arbeitsvertrag gebunden und auf dem Bau und bei Haushaltsbediensteten herrschen oft sklavenartige Verhältnisse (keine Bewegungsfreiheit außerhalb der Arbeitszeit, Misshandlungen…).

Aktuelle Gesamtsituation

Schätzungen gehen davon aus, dass es im Jahr 2010 weltweit etwa 215 Millionen Migrant/inn/en in andere Länder gab. Dazu kommt noch die Binnenmigration (vor allem vom Land in Städte), die allein in China 220 Millionen Menschen ausmacht. Die Zahl der Flüchtlinge betrug 2014 nach UN-Angaben etwa 50-60 Millionen. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Binnenflucht oder um Flucht in Nachbarländer von etwa Afghanistan, Syrien, dem Sudan oder dem Kongo. Die Flucht in weiter entfernte, reichere Staaten ist aufgrund der erheblichen Kosten (für Schlepper, Schutzgelder, Bestechungen…) in der Regel nur für Angehörige der Mittel- und Oberschicht möglich. Grenzen zwischen Kriegsflucht und Wirtschaftsmigration sind kaum zu ziehen, denn Kriege sind oft mit ökonomischer Verwüstung verbunden und ein Tod durch Gefechte ist nicht schlimmer als einer durch Elend. Jedenfalls haben Flucht und Migration wirtschaftliche Folgen: Für die Herkunftsländer den Abfluss von qualifizierten jungen Arbeitskräften und für die Zielländer Veränderungen für den Arbeitsmarkt und die Zusammensetzung der Bevölkerung.

Nach Angaben der „Internationalen Arbeitsorganisation“ (ILO) sind heute weltweit 21 Millionen Menschen Opfer von Zwangsarbeit. Sie werden entweder durch Gewalt zur Arbeit gezwungen oder durch angebliche Schulden oder den Entzug von Ausweispapieren zu Jobs gefügig gemacht, die sie nicht mehr verlassen können. Betroffen davon sind vor allem Asien und der Pazifik-Raum, aber auch westliche Länder. 90%, also 18,7 Millionen Menschen werden in der Privatwirtschaft ausgebeutet, sei es durch Individuen oder Unternehmen. Von diesen sind 4,5 Millionen Opfer sexueller Ausbeutung und 14,2 Millionen werden in der Landwirtschaft, dem Baugewerbe, bei Haushaltsarbeit und der Güterproduktion ausgebeutet. 2,2 Millionen Menschen sind Opfer von staatlichen Formen der Zwangsarbeit, zum Beispiel in Gefängnissen. 5,5 Millionen der Opfer von Zwangsarbeit sind jünger als 18 Jahre

Bilanz und grundlegende Antworten

Aus dem vorliegenden Überblick wird klar, dass Kapitalismus und Imperialismus immer wieder Fluchtbewegungen und Massenmigrationen ausgelöst haben und das auch weiter tun werden. Die ökonomische Expansion des Kapitals zerstört in vielen Ländern die Existenzgrundlagen von zahllosen Menschen; Teile von ihnen werden auch weiter versuchen, dem durch Migration in reichere Länder zu entgehen. Politische und militärische Interventionen der USA und anderer imperialistischer Mächte werden, egal wie sich die aktuelle Flüchtlingskrise um Syrien entwickelt, weiterhin Staaten in Bürgerkriege und Elend stürzen und massive Fluchtbewegungen auslösen.

Das Ziel von antikapitalistischen Revolutionär/inn/en ist es, überall auf der Welt Lebensbedingungen zu schaffen, dass niemand mehr aus Angst vor Krieg und Elend irgendwohin flüchten und seine Familie und Freunde zurücklassen muss. Das ist im Kapitalismus nicht möglich, weil die Profit- und Großmachtsinteressen anderes diktieren. Deshalb ist der Kampf für globale sozialistische Gesellschaft die einzige nachhaltige Lösung sämtlicher Flüchtlingskrisen. Aber auch vor einer internationalen Revolution der Arbeiter/innen/klasse gilt es beispielsweise gegen die zerstörerische Agrarpolitik der EU in Afrika einzutreten, gegen die US-Interventionen in diversen Ländern und gegen Kreaturen wie das von Saudi-Arabien, Katar und der Türkei (mit dem OK von den USA) geschaffene Regime des IS, das mittelalterliche und faschistische Züge gleichzeitig hat.

In der aktuellen Flüchtlingskrise sollten sich Arbeiter/innen mit den Geflohenen solidarisieren, aus allgemeiner Menschlichkeit mit Leuten in Not, aber auch, weil die meisten Flüchtlinge in Europa Lohnabhängige sein werden und sie für gemeinsame Interessen gewonnen werden können. Dabei müssen auch die Interessen des Kapitals entlarvt werden: Der österreichischen Wirtschaftskammer geht es bei den Syrern offensichtlich um gut qualifizierte Lohndrücker und in Deutschland sprechen konservative Politiker und Kapitalist/inn/en schon von einer Aufhebung des Mindestlohns für Flüchtlinge. Bei der Solidarisierung mit den Flüchtlingen sollte ihre Kultur nicht pauschalisierend als bereichernde Vielfalt beschönigt werden, sondern reaktionäre Elemente (Religiösität, konservative Frauenbilder…) bekämpft und fortschrittliche Teile der Migrant/inn/engemeinden unterstützt werden. Eine Grundlinie ist jedenfalls die Kombination mit der sozialen Frage, das Eintreten für höhere Mindestlöhne, für Arbeitszeitverkürzung zur Aufteilung der Arbeit auf alle und ähnliches. Der Klassenkampf ist die Basis für die Solidarität der Arbeiter/innen aller Nationen! Dadurch kann eine gemeinsame kommunistische Organisation für die revolutionäre Überwindung des kapitalistischen Ausbeutungssystems geschaffen werden.

Editorische Hinweise

Der Artikel wurde erstveröffentlicht auf der Website von Organisation arbeiter.innen.kampf (ARKA). Er wurde uns von ARKA zur Zweitveröffentlichung empfohlen.