Wie viel rechter Diskurs – im
Originalton – tut den Medien gut? Und bis wohin reicht der
Nachrichtenwert, wann endet der Informationsauftrag, wo
beginnt die Beihilfe zur Propaganda? Über diese Frage
zerstreiten sich derzeit in Frankreich oft Medienschaffende
die Köpfe.
Am 06. und
13. Dezember 2015 wählt ganz Frankreich seine
Regionalparlamente. In zweien dieser Regionen, in der neuen
Großregion Nord-Pas de Calais-Picardie (NPDCP) in
Nordostfrankreich sowie in PACA oder Provence-Alpes-Côte
d'Azur im Südosten des Landes, werden dem Front National
hohe Siegeschancen vorausgesagt. In beiden Fällen treten
Parteiprominente, die 47jährige Chefin Marine Le Pen sowie
deren Nichte – die 25jährige Parlamentsabgeordnete Marion
Maréchal-Le Pen -, als Spitzenkandidatinnen an.
Vor diesem
Hintergrund entspann sich in den letzten Tagen eine heftige
Mediendebatte. Am Abend des Donnerstag, 22. Oktober 15
sollte Marine Le Pen in die Talkshow und
Polit-Prominentensendung „Des paroles et des actes“
(ungefähr: „Von Worten und Taten“) des
öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders France-2 eingeladen
werden. Dort ist die FN-Chefin aber äußerst
überproportional vertreten: Von bislang stattgefundenen 23
Ausgaben der Sendung hatte sie an nicht weniger als fünf
teilgenommen, mehr als jede/r andere Politikprominente. Das
hängt einerseits damit zusammen, dass die Chefin der
rechtsextremen Partei für hohe Einschaltquoten sorgt, da
sie polarisierend wirkt, Freund und Feind auf sie achten.
Auf der anderen Seite ist die Medienpräsenz des FN aber
auch wesentlich stärker auf ihre Person konzentriert, als
dies in anderen Parteien wohl der Fall wäre; neben ihrem
Vizevorsitzenden Florian Philippot vertritt sie ihre Partei
fast allein bei Fernseh-Auftritten. Bei den anderen
politischen Kräften ist die Medienpräsenz breiter gestreut,
auf eine größere Anzahl von Personen.
Die
Parteichefs von Sozialdemokratie und Konservativen,
Jean-Christophe Cambadélis und Nicolas Sarkozy, schlugen
wegen dieser Überrepräsentation von Marine Le Pen nun Krach
und kündigten die Einschaltung des CSA, der französischen
Fernseh-Aufsichtsbehörde, an. Daraufhin entschied die
öffentlich-rechtliche Sendeanstalt, neben Marine Le Pen –
weil diese aktuell im Wahlkampf stehe – auch ihre beiden
regionalen Gegenkandidaten von den beiden großen
etablierten Parteien einzuladen. Marine Le Pen erklärte
daraufhin in einem Pressekommuniqué, sie lasse sich dies
nicht bieten, und sagte ihre Teilnahme am Spätnachmittag
ab. Die Sendung wurde daraufhin, zwei Stunden vor ihrer
geplanten (Live-)Ausstrahlung, annulliert. Und die
Schlagzeilen drehten sich einmal mehr um den FN.
Am Abend des
Dienstag, 27. Oktober debattierten die drei regionalen
Spitzenkandidaten – Marine Le Pen, Xavier Betrand und
Pierre de Saintignon – dann aber doch, und zwar im
Radiosender ,Europe 1'. Auch für de Saintignon besteht ein
hohes Interesse, an irgendwie Aufsehen erregenden Debatten
teilzunehmen. Vor kurzem erst strich Wikipedia eine
Webseite, die dem SP-Spitzenkandidaten gewidmet war:
Aufgrund eines „zu geringen Bekanntheitsgrades“ sei er
nicht als Person von öffentlichem Interesse zu betrachten.
Bei der
Sendung konnten einige Propagandasprüche durchgehen. Marine
Le Pen versuchte zunächst, sich relativ konstruktiv zu
profilieren, indem sie sich dafür aussprach, Vertriebswege
für lokale Landwirte sicher zu stellen, damit diese
bevorzgut die Schulkantinen der Region beliefern könnten.
Allerdings griff sie daneben auch tief in die Kiste mit den
Ressentiments. Sie behauptete etwa, Asylbewerber und
Migranten dürften in der Region kostenlos Zug fahren, im
Gegensatz zu den französischen Armen. Was nachweislich
nicht stimm: Eine Nachfrage bei der Bahngesellschaft SNCF
ergibt, dass deren Dokument, das Marine Le Pen in die
Kameras hielt, ausschließlich die Reservierungskosten
betrifft (welche entfallen, falls der Staat Zugplätze für
Asylbewerber reserviert). Bezahlen müssen diese ansonsten
auch für ihre Personenbeförderung. Der konservative
Spitzenkandidat Xavier Bertrand versuchte, Marine Le Pen zu
übertrumpfen; und glaubte, sie durch die Forderung
ausstechen zu können, die Armee gegen die „wilden“
Migrantencamps im Raum Calais (wo Flüchtlinge auf
Möglichkeiten zum Übersetzen des Ärmelkanals warten)
einzusetzen.
Auch
Printmedien zerstritten sich in jüngster Zeit darüber,
wieviel die Rechtsextremen (im Originalton) zu Wort kommen
dürfen. Am 10. Oktober 15 hatte die Sonntagszeitung
JDD mit der dicken Hauptschlagzeile aufgemacht:
„Jeder dritte Franzose
ist bereit, für Marine Le Pen zu stimmen.“ Die groß
aufbereitete Titelstory beruhte auf einer Umfrage, deren
Ergenisse – im Blattinneren mit mehr Details vorgestellt –
allerdings differenzierter ausfielen, als es die
Überschrift ahnen ließ. 31 %, also etwas unter einem
Drittel, betrug demnach der Anteil der befragten
Französinnen und Franzosen, die es „sich vorstellen
können“, für die FN-Chefin zu votieren. Das sind also keine
festen Stimmabsichten (Letztere liegen allerdings auch bei
mindestens 25 Prozent) – es sei „keine Wählerschaft,
sondern Potenzial“, erläuterte das beteffende
Meinungsforschungsinstitut dazu. Vor allem fallen einigen
Antworten der Befragten eher zu Ungunsten von Marine Le Pen
aus: So antworteten
58 Prozent der Befragten mit „Nein“ auf die Frage, ob die
Vorsitzende des FN „demokratischen Werten“ anhänge. Und
70 Prozent verneinten die Frage, ob Le Pen „Lösungen für
das Land“ anzubieten habe. Dies erfährt man auch aus der
Lektüre der Seiten im Inneren der Zeitung. Bleibt man
jedoch an der Überschrift hängen, liest man diese etwa im
Vorbeigehen oder am Zeitungskiosk, drängt sich ein anderer,
stärker eindeutig wirkender Eindruck auf.
Kritik kam
deswegen aus mindestens zwei Ecken. Wie das konservative
Wochenmagazin Le Point am 13. Oktober d.J.
berichtete, hatte der Aktionär und Eigentümer der
Sonntagszeitung, der Medienmogul und Rüstungsunternehmer
Arnaud Lagardère, wutentbrannt zum Telefonhörer gegriffen.
Er rief demnach Denis Olivennes an, den Leiter des mehrere
Zeitungen umfassenden Presseunternehemens Lagardère, um ihm
zu bedeuten, er möge die Zeitungsdirektion anweisen,
künftig „eine anspruchsvollere Blattlinie“ zu
wählen. Und um ihr einen Rüffel zu erteilen, weil die Seite
Eins über Marine Le Pen „zu empathievoll“
gewesen sei, sprich, die rechtsextreme Politikerin faktisch
unterstützt habe. Lagardère spricht dabei keinesfalls als
Linker, für den ihn niemand halten dürfte. Doch seine,
öffentlich bekannten, politischen Sympathien gelten Nicolas
Sarkozy, dem amtierenden Parteichef der französischen
Konservativen und politischen Konkurrenten Marine Le Pens,
den er als Duzfreund behandelt.
Am 16.
Oktober 15 beschloss dann auch eine Vollversammlung von
angestellten JournalistInnen der Zeitung, ihrer Direktion
die gelbe Karte zu zeigen. In einer Resolution, die aus
diesem Anlass verabschiedet wurde, wird zunächst „das
Eingreifen des Aktionärs (Arnaud Lagardère)
in die redaktionelle Arbeit“ kritisiert und als
unzulässige Einmischung in deren Autonomie zurückgewiesen.
Danach folgt jedoch auch scharfe Kritik an der, von
ebendiesem Lagardère frisch zusammengestauchten,
Redaktionsleitung. Diese arbeite stets „ohne Vision
und Strategie“, unter ständigem Druck der aktuellen
Ereignisse „und ohne inhaltliche Vorbereitung“ auf
Themen, und gebe sich ihrer Faszination für
Umfrageergebnisse hin.
An solchen Übeln leidet in
Frankreich jedoch nicht nur das JDD. In diesem Falle, und
im Umgang mit Marine Le Pen, richteten sie aber mutmaßlich
einen größeren politischen Schaden an.
Editorische Hinweise
Den
Artikel bekamen wir vom Autor für diese Ausgabe.
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