Grunzgesetz: Der Präsident lässt votieren

von Bernard Schmid

 

11/2015

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In der Republik Kongo (oder Congo-Brazzaville) lässt der Autokrat Denis Sassou-Nguesso die Verfassung manipulieren, um sich weiterhin an der Macht zu halten. Die neokoloniale Schutzmacht Frankreich lässt’s gewähren.

Verfassungsmanipulationen, um sich an der Macht zu halten, sind bei den Präsidenten im französischsprachigen Afrika schwer in Mode. Zwar scheiterte Burkina Fasos Autokrat Blaise Compaoré mit dem Versuch, sich ein – verfassungswidriges – zusätzliches Mandat von einem willfährigen Parlament genehmigen zu lassen, und wurde vor bald einem Jahr (am 31. Oktober 2014) gestürzt. Doch der nächste auf der Liste, Burundis Machthaber Pierre Nkurunziza, kam bislang damit durch. Nachdem er Ende April 2015 verkündete, er fühle sich an die bisherige Verfassungsinterpretation nicht gebunden und habe ein Recht auf ein weiteres Mandat, weil das erste von ihm absolvierte nicht zähle, ließ er sich Ende Juli 15 formal durch die Wähler/innen im Amt bestätigen. Die Untransparenz der Wahl lässt keinen Zweifel, und zuvor waren annähernd 100 Menschen auf den Straßen durch Polizeikugeln getötet worden. Am Dienstag, den 20. Oktober 15 kündigten zwei französische Leitmedien, die Agentur AFP und der Radiosender RFI, eine Strafanzeige gegen das burundische Regime an, weil ihr eigener Korrespondent vor Ort gefoltert wurde.

Drei Zahlen sind bekannt, die das verfassungsändernde Referendum vom Sonntag, den 25. Oktober 15 in der afrikanischen Erdölrepublik Congo-Brazzaville (auch: Republik Kongo) beschreiben können.

72 Prozent: Das ist die offizielle Wahlbeteiligung. 93 Prozent: So lautet die offizielle Zustimmungsrate zu den Änderungen am Verfassungstext, die es auf juristischer Ebene erlauben würden, dass der amtierende Staatspräsident Denis Sassou-Nguesso noch bis im Jahr 2031 an der Macht bleibt, sofern er dies wünscht und gesundheitlich dazu in der Lage ist. Und Null, respektive Nullkommanull: Das ist - in einer Ziffer ausgedrückt - die Glaubwürdigkeit, welche man dieser Abstimmungsfarce zuerkennen kann.

Was die Beteiligung an ihr betrifft, so klafft eine breite Lücke zwischen den offiziellen Zahlen und der mutmaßlichen Wirklichkeit. Denn Bürgerrechts- und Oppositionsgruppen sehen sie in Wahrheit zwischen fünf und zehn Prozent stehen. In mehreren Bezirken des Landes, wie Le Pool und Les Plateaux, ließen die zuständigen Behördenleiter – die Präfekten – die Wahllokale nachweislich um 13 respektive 14 Uhr schließen, statt am frühen Abend, weil dort gähnende Leere herrschte. Auch internationale, insbesondere manche französische Zeitungen berichteten über leere Stimmbüros (vgl. http://www.lemonde.fr/ ).

Formal sollten die Stimmberechtigten unter den viereinhalb Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern von Congo-Brazzaville, von denen 70 Prozent jünger als 25 sind und in ihrem bewussten Leben nur einen einzigen Präsidenten an der Macht kannten, die vom Regime Sassou-Nguessos vorgelegte Verfassungsnovelle absegnen.

Hübsch verpackt war das Ansinnen dabei: Die bisherige Präsidialrepublik soll in ein „halbpräsidiales“ Regime umgewandelt werden, der Premierminister mehr Vollmachten erhalten. So weit zur offiziellen Begründung des Vorhabens. Niemand ist sich darüber im Unklaren, worum es in Wirklichkeit geht. Denn die Änderung, die abgesegnet werden soll, hebt auch die bisherige Altersgrenze für eine Präsidentschaftskandidat (70 Jahre) auf, ebenso wie die derzeit geltende Begrenzung der Amtszeiten auf zwei. Staatsoberhaupt Denis Sassou-Ngessou wird in Bälde 72 und hat seit der letzten Verfassungsänderung bereits zwei Amtszeiten hinter sicht.

Dass er nicht genügend Zeit an der Macht verbracht habe, um seine Vorhaben durchzusetzen, lässt sich wahrlich nicht behaupten. Sassou-Ngessou gründete, damals als pro-sowjetischer Marxist-Leninist kostümiert, die damalige Staatspartei „Kongolesische Arbeitspartei“ (PCT) im Jahr 1969. Von 1977 bis 1992 stand er selbst an der Spitze des Staates. Nach dem Wegfall des bisherigen bipolaren Weltsystems wandelte er sich vom Pseudo-Marxisten zum Wirtschaftsliberalen. Nach einem nur kurzem Intermezzo außerhalb des Präsidentenpalasts, von fünfjähriger Dauer, putschte er sich 1997/98 gegen Amtsinhaber Pascal Lissouba an die Macht zurück. Manifeste Unterstützung erhielt er dabei von der Ex-Kolonialmacht Frankreich, insbesondere aber von dem in La Défense bei Paris ansässigen Erdölkonzern ELF - inzwischen TOTAL-, in dessen Hauptquartier ein eigener Krisenstab zu Congo-Brazzaville eingesetzt wurde. (Vgl. dazu einen damaligen Artikel vom Verf. dieser Zeilen: http://jungle-world.com/artikel/1997/43/38319.html ) Der Putsch löste einen blutigen Bürgerkrieg mit bis zu 40.000 Toten aus. 1999 wurde der bisherige Chef des parteieigenen „Sicherheitsdiensts“ des Neofaschisten Jean-Marie Le Pen, des DPS, mit Namen Bernard Courcelle zum Chef der Präsidentengarde von Congo-Brazzaville. Sassou-Ngessou annullierte ein Vorhaben seines Vorgängers, des bürgerlichen Demokraten Lissouba, der die Staatsquote bei den Einnahmen aus dem im Land geförderten Erdöl von 17 auf 35 Prozent hatte erhöhen wollen - was ELF nicht gefiel.

Die Opposition im Land war lange Jahre hindurch terrorisiert und eingeschüchtert. Nun ist sie zu neuem Leben. Am letzten Sonntag im September (27. September 15) demonstrierten 25.000 Menschen in der Hauptstadt Brazzaville dagegen. Die organisierte Opposition, der sich in den Wochen zuvor auch einige Ex-Minister Sassous-Nguessous anschlossen, setzte dem amtierenden Regime daraufhin ein Ultimatum bis zum 20. Oktober d.J., um ihr Vorhaben zurückzuziehen. Zwei Tage zuvor hatte die Polizei in der Hafenstadt Pointe-Noire das Feuer eröffnet, zwei Protestierende wurden getötet und elf verletzt.

An dem Tag, an dem das Ultimatum auslief, kam es auch in der Hauptstadt Brazzaville zu schweren Zusammenstößen zwischen Protestierenden und so genannten Sicherheitskräften. Die Nachrichtenlage dazu ist verworren. Die Angaben reichen von vier Toten – eine Mindestzahl, die den internationalen Nachrichtenagenturen als gesichert gilt – bis zu dreißig. Daraufhin sagte die Opposition ihre für den Freitag vor dem Referendum (den 23. Oktober 15) geplanten Protestmärsche ab, wohl auch aus Furcht vor verstärkter Repression oder gar Massakern. Und berief sich darauf, nun seien erst einmal Trauerfeiern angesagt. (Vgl. Vgl. dazu http://www.lemonde.fr) Inzwischen hat die Opposition, die jedoch unter ihrer eher geringen organisatorischen Festigung leidet und mittlerweile einen „Widerstandsrat“ gebildet hat, zu neuen Mobilisierungsterminen aufgerufen. Seit diesem Montag (02. Nov.) wird zu einer „Operation tote Städten“ – Protestaktionen mit geschlossenen Geschäften und heruntergelassenen Fensterläden – aufgerufen. An diesem Donnerstag, den 05. November 15 will sie erneut demonstrieren.

Unterstützung, wenn auch schwankende, kommt von der Ex-Kolonialmacht, die nach wie vor über viele Abläufe in Congo-Brazzaville bestimmt und seit 1974 eine militärische Kooperation mit dessen Regime unterhält. Die regierende französische Sozialdemokratie hatte den Autokraten Denis Sassou-Nguesso zunächst offiziell aufgefordert, von seinem Vorhaben abzusehen, auch wenn Frankreichs Regierungspolitik ihn de facto in Ruhe lässt. Doch am 21. Oktober 15 empfing der französische Außenminister, Laurent Fabius, dann jedoch seinen Amtskollegen aus Brazzaville und Abgesandten der Diktatur, Jean-Claude Gakosso. Am selben Tag unterstützte Fabius’ Vorgesetzter, der französische Staatspräsident François Hollande, das Vorhaben des Autokraten in Congo-Brazzaville. Anlässlich einer Pressekonferenz am Rande des Besuchs seines malischen Amtskollegen, Ibrahim Boubacar Keïta, erklärte Hollande im Blick auf das Pseudo-Referendum wörtlich: „Der Präsident Sassou kann sein Volk konsultieren, das ist sein Recht, und das Volk muss antworten. Danach, wenn das Volk einmal geantwortet hat, muss man darauf achten, zu sammeln, zu respektieren und für Ruhe zu sorgen.“ Typisch Hollande’sches Gewäsch... Vgl. dazu http://www.elysee.fr/chronologie

Dies wurde als klares Signal seitens der früheren Kolonialmacht gewertet. In einem Pressekommuniqué reagierte die internationale Kampagne Tournons la page („Schlagen wir ein neues Kapitel auf“), die von christlichen NGOs gegründet wurde und gegen Amtszeitverlängerungen und Verfassungsmanipulationen durch afrikanische Autokraten kämpft, mit scharfer Kritik an François Hollande. Und spricht von einem „Messerstich in den Rücken der kongolesischen Bevölkerung“; vgl. dazu http://tournonslapage.com/

Am Donnerstag Abend (22. Oktober) verlautbarte dann aus dem Elysée-Palast, François Hollande fordere den Autokraten dazu auf, es müsse bei dem Pseudo-Referendum „transparent zugehen“, vgl. http://www.lefigaro.fr/ und  http://www.elysee.fr - Treuherzig, treuherzig.

Aufgrund heftiger Reaktionen auch in François Hollandes näherer Umgebung, etwa des viele inoffizielle politische Aufgaben für ihn wahrnehmenden Rechtsanwalts Jean-Pierre Mignard, ruderte die französische Staatsspitze im Endeffekt zurück. Nach Ablauf des Referendums erklärte das Außenministerium in Paris zunächst, man nehme dieses „zur Kenntnis“. Um kurz darauf zu erklären, die Modalitäten seiner Abhaltung erlaubten es „nicht, die Resultate zu verifizieren“, was eine Nichtanerkennung des Ergebnisses bedeutet. (Vgl. http://www.lemonde.fr/)

Die USA, die vor Ort bislang erheblich weniger zu verlieren haben, äußerten sich von offizieller Seite her etwas deutlicher. Sie hatten Sassou-Nguesso unmissverständlich dazu aufgefordert, die Schein-Abstimmung bleiben zu lassen.; vgl. http://congo-liberty.com/?p=13619 . Nachdem diese einmal stattgefunden hatte, äußerte die US-Administration sich in einer Stellungnahme „enttäuscht“. Sie vermied jedoch eine direkte Verurteilung des Regimes und beließ es, so die oppositionelle Webseite Congo-Liberty, bei „homöopathischem Druck“.
 

Editorische Hinweise

Den Artikel bekamen wir vom Autor für diese Ausgabe.