Stimmen aus dem linken Spektrum zu den Pariser Attentaten
Mitteilung des ZK der KKE über die Anschläge in Paris

11/2015

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I.

Dass die offizielle Trauer der imperialistischen Politiker anlässlich des – wohl islamistisch begründeten –Massakers von Paris verlogen ist, ist allzu offensichtlich. Diese Herr- und Damenschaften haben es regelmäßig unterlassen, öffentlich zu “trauern“, wenn die Opfer - laut westlichen Schätzungen - über 1 Million irakischer Zivilisten im Zuge des US-Golfkrieges, afghanische Hochzeitsgesellschaften, Beiruter oder auch pakistanische und afghanische Schiiten, Gegner ukraino-chauvinistischer Kräfte wie im Gewerkschaftshaus in Odessa, russische Zivilisten im Zusammenhang mit Tschetschenien, etc. etc. etc. waren. Aus den USA hört man nun bereits die Forderung, die „Hauptstadt“ des IS (“Islamischer Staat“) im syrischen Raqqa platt zu machen, das heißt, auch die dortige Zivilbevölkerung auszurotten – eine Forderung, die von ebensolchen Figuren erhoben wird, die sich bislang empört zeigten, weil und wenn die syrische Luftwaffe Wohnviertel bombardiert hatte, in denen sich bewaffnete Rebellen verschanzt hatten und von denen aus sie unter Regierungskontrolle befindliche Stadtviertel und andere Regionen beschossen.

Aber was ist nun mit der Trauer derer, die – wenn sie denn überhaupt über die Massaker anderswo informiert sind - für diese weder direkt noch indirekt nicht verantwortlich sind? Wer von ihnen kennt irgendeines der Opfer oder gar der zu Recht trauernden Hinterbliebenen? Praktisch niemand. Warum also trauern sie in diesem Fall, während sie über die Milliarden Opfer von direkter und struktureller Gewalt und privaten und gesellschaftlichen Katastrophen, die die Erde – dieses “Jammertal“ seit der „Vertreibung Adam und Evas aus dem Paradies“ - gesehen hat, weitestgehend unberührt geblieben sind und die das mit den Opfern von Paris gemeinsam haben, dass sie diese auch nicht kennen. In der Tat muss „der“ Mensch davon weitgehend unberührt bleiben, weil er sonst sein tägliches Leben nicht meistern könnte, sondern sich aufhängen müsste. Warum also jetzt? Leider ist die Antwort recht einfach: 1. Gibt es das Trauern als „Event“, dass durch die modernen Medien, die moderne Propaganda, in Windeseile überall organisiert werden kann, 2. „trauern“ vermutlich primär Westeuropäer und Amerikaner, die sich dem „Opferland“ Frankreich kulturell verbunden fühlen, während ihnen Iraker, Afghanen oder wie kürzlich Türken und Kurden in Ankara eher fremd und somit ziemlich egal sind, und die zudem seit Ende des 2.Weltkrieges unter - weltweit gesehen – ungewöhnlich friedlichen und privilegierten Bedingungen aufgewachsen sind; und 3. sind wir vom Massaker in Paris mehr oder weniger stark ergriffen, weil es sich sichtlich nicht gegen die wirklichen Verursacher und Hauptnutzträger des Elends in der Welt richtet (die – wohlbemerkt – die ökonomischen, politischen, ideologischen und psychischen Strukturen und Gesetzmäßigkeiten dieser Welt nicht bewusst geschaffen haben, sondern die selbst nur deren Ausdruck sind), sondern gegen zufällige Ansammlungen von „normalen“ Zivilisten im Westen, perspektivisch also jeden von uns treffen kann. Die Verbrecher von Paris können oder wollen nicht die Organisatoren der Massaker in Afghanisten, im Irak, in Libyen oder Syrien treffen, sondern eine Blutgrenze zwischen den Völkern ziehen, zwischen den Muslimen (soweit es sich dabei um solche handelt, die die gleiche perverse Vorstellung vom Islam wie sie selbst haben) und den „Ungläubigen“, den „Kreuzfahrer-Nationen“. Nichts deutet darauf hin, dass sie so dumm sind, zu glauben, sie könnten die „Ungläubigen“ auf diese Weise ernsthaft – z.B. militärisch – schwächen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sie auch eine mehr oder weniger rechtsradikale Reaktion der Angegriffenen hoffen, die sich gegen „die“ Muslime richtet und diese damit zum Schulterschluss mit dem „Islamischen Staat“ und/oder anderen takfiristischen (das sind die, die andere Muslime zu „Ungläubigen“ erklären) und jihadistischen Kräften zwingen.

Statt in gemeinsamer „Trauer“ und diffuser Angst nun eine Front mit den Organisatoren des weltweiten Elends zu bilden, ist es notwendig, diesen eine grundlegende Alternative entgegenzusetzen. Die Jihadisten (in ihrer heutigen Form der aktuellste Ausdruck der panislamistischen Ideologie, die Ende des 19.Jh. als Antwort auf den europäischen Kolonialismus gegenüber den islamischen Ländern entstanden, in den 20er Jahren durch die Gründung der „Muslimbruderschaft“ im britisch beherrschten Ägypten ihren ersten militanten Höhepunkt fand und nach einer Phase der Schwächung nach dem 2. Weltkrieg mit den unerfüllten Versprechungen des mehr oder wenige säkularen nationalistischen Panarabismus nun ihre blutige Wiederauferstehung feiert) müssen natürlich auch militärisch bekämpft werden, aber sie werden letztlich nicht besiegt werden können, wenn die politischen und sozialen Umstände, die in erster Linie von „unseren“ Herrschenden bestimmt werden, bleiben wie sie sind.

II. nachgereicht am 17.11.15

.... Und wir werden sie nicht besiegen können – sondern höchstens an diesem und jenem Ort vertreiben, auf dass sie unter diesem oder einem anderen Namen anderswo wiederauftauchen – wenn man den natürlich vornehmlich jungen Leuten, die in ihre Reihen strömen, kein andere sie begeistern könnende Alternative anbieten kann. Für das Gros ihrer  Feinde handelt es sich bei den Anhängern des IS einfach um (verrückte) Kriminelle, die für ihre rechten Feinde im „christlichen Abendland“ authentische Repräsentanten „des“ Islams sind und für die Mehrzahl der Muslime und der liberalen und linken Feinde aus dem „christlichen Abendland“ die Bezeichnung „muslimisch“ zu Unrecht beanspruchen und nur für dunkle politische Zwecke missbrauchen. In der Tat ist der Islam des IS nicht „der“ Islam, sondern eine ketzerische überaus minoritäre Verballhornisierung. Das aber bedeutet noch nicht, dass ihre Anhänger nichts anderes als durchgeknallte Kriminelle sind – trotz ihrer Untaten. Die terroristischen Taten, derer sie sich selbst rühmen, gehören seit jeher zu den  traditionellen Mitteln der Politik. „Terrorismus“ bedeutet, dass jenseits rein militärischer Notwendigkeiten der militärische Feind und  seine zivile Basis durch das Erzeugen von Schrecken („terror“) beeindruckt und gelähmt wird. Die Bombardierung deutscher Städte wie Dresden im 2. Weltkrieg durch die RFA, das „shock and awe“ (Schock und Furcht)-Programm der USA im Irak-Krieg, dem wie gesagt rund 1 Million überwiegend zivile Iraker zum Opfer fielen, die Ermordung der gesamten Bevölkerung ganzer Ortschaften, die wirklich oder vermutlich Partisanen Unterschlupf gewährt hatte, durch deutsche Einsatzkräfte im 2.Weltkrieg, der “grand terreur“ der Zeit unmittelbar nach der Französischen Revolution  etc. etc., waren ebenso terroristische Taten wie die des IS oder wie die der Mongolen, die vor den Städten, die sich nicht freiwillig ergaben, Pyramiden der Schädel der Einwohner aufschichteten.

Dass sich zum IS oft zuvor völlig unreligiös in Europa lebende und oft kleinkriminelle junge Leute hingezogen fühlen, ist auch nicht verwunderlich. Mao Tse-Tungs „Volksarmee“ hatte im chinesischen Bürgerkrieg ganze ländliche Banditengruppen integriert; Malcolm X war Kleinkrimineller bevor er im Gefängnis „das Licht sah“ als er dort mit einem Mitglied der „Nation of Islam“ in Kontakt kam. Abgesehen einmal davon, dass der IS (und ebenso die übrigen jihadistischen Gruppen in Afghanistan, im Irak und in Syrien) natürlich mit staatlichen und parastaatlichen Kräften kollaborieren, die mit ihrem chiliastischen Islamismus im Ernst nichts zu tun haben, sondern (wie die Herrschenden in Pakistan, Saudi Arabien, Qatar, der Türkei usw.) durchaus kapitalistische Herrschaftsinteresse verfolgen, muss davon ausgegangen werden, dass sich das Gros der Kämpfer aus Leuten rekrutiert, die nicht in erster Linie für weltlichen Gewinn oder aus purem Spaß an Abscheulichkeiten kämpfen, auch wenn sie in Europa vielleicht in Vorstadtghettos leben mussten, sondern die einen Sinn in ihrem Leben suchen. Wie heißt es doch in dem indischen Film “Mahabharata“: „Warum lehnen Menschen sich auf? Um Erfüllung zu finden, entweder im Leben oder im Tod“. Dass sie das im Fall islamistischer Jihadisten in der Form tun, in der sie es bekanntlich tun, mag durchaus auch kulturelle Hintergründe haben, mag durchaus auch Ergebnis des aus der – rückständigen – patriarchalischen Gesellschaft herrührenden Kultes um kriegerische “Männlichkeit“, “Ehre“ udgl. sein. Die Geschichte des – zu jener Zeit bereits überwiegend islamischen – Orients kennt aus dem Mittelalter die oft extrem gewalttätigen Banden der “ ’Ayyarun“ und der Jungmännerbünde der “Futuwwa“ und als Oberbegriff die “ ’Assabiyya“, jenes aus der nomadischen Stammesgesellschaft herrührende Gruppengefühl mit seinen Verpflichtungen und seiner absoluten Abgrenzung und Feindschaft zu anderen Gruppen. Die “ ’Assabiya“, die für den mittelalterlichen arabischen Historiker Ibn Khaldun der Schlüssel zum Verständnis des Entstehens und Zerfalls der muslimischen Staaten war, hat aber an und für sich mit dem Islam nichts zu tun, sondern mit dem sozio-ökonomischen Charakter der Gesellschaften, in den der Islam in erster Linie Fuß gefasst hat. Der Prophet Muhammad soll sich gegen die “ ’Assabiyya“ ausgesprochen und sie als barbarisches Relikt aus der Zeit der “Jahiliyya“ (der vorislamischen Epoche der Gesellschaft der arabischen Halbinsel) bezeichnet haben.

Selbstverständlich kann das Alles kein Grund sein, gegenüber dem Treiben dieser Kräfte „verständnisvoll“ zu sein. Der IS (und andere Gruppen wie die “Nusra-Front“, mögen sie sich auch mit dem IS wie einst die “Futuwwa“-Banden untereinander, bekriegen) ist reaktionär bis auf die Knochen und potentiell eine Lebensgefahr für jeden – in erster Linie für die Menschen im Nahen Osten, aber, wie die o.a. Beispiele zeigen, auch für die Menschen anderenortes. Das „Licht“, das seine Anhänger zu sehen glauben, ist ein Irrlicht. Sie sind so „revolutionär“ wie die Mitglieder der SA Hitlers (wodurch der IS noch keine “faschistische“ Organisation wird) . Dieses „Licht“ ist -  wie bei religiösen Überzeugungen üblich - nicht rational argumentativ zu verdunkeln, sondern letztlich nur, indem ihnen eine bessere Alternative geboten wird. Diese kann nicht in „Mäßigung“, d.h. der faktischen Akzeptanz des Bestehenden, liegen, sondern muss politische und kulturell revolutionär sein. Wer könnte, wenn er sich die weltweite proletarische Bewegung und insbesondere ihre sich als revolutionär verstehenden Teile ansieht, leugnen, dass es da seit langem überaus schlecht aussieht und kein Hoffnungsstreifen ab Horizont zu entdecken ist. Es wird aber keine Abkürzung geben. Und so lange werden wir in dieser oder jener Form mit dem Phänomen des terroristischen Jihadismus leben müssen.

Dass in Syrien die kurdische YPG sich bisher als die - auf ihrem heimischen Boden! - erfolgreichste Kraft im Kampf gegen den IS erwiesen hat, ist nicht zuletzt auch Ergebnis gerade dieses Sachverhaltes. Die YPG ist nicht besser bewaffnet als die Kämpfer des IS, sie hat auch keineswegs mehr Kampferfahrung als der IS, der eine nicht unerhebliche Zahl von Kämpfern umfasst, die schon in anderen Kriegen (Afghanistan, Tschetschenien, Irak etc.) ihre "Sporen verdient haben". Die PYD/YPG ist eine Organisation mit einer zum IS deutlich alternativen gesellschaftlichen Perspektive. Weil die Kurden noch immer nicht ihr nationales Selbstbestimmungsrecht (in welcher Form auch immer) realisieren konnten, ist der Nationalismus in ihren Gesellschaft keine durch Erfahrung bereits weitgehend obsolete Ideologie. Indem sie - wie Mutterpartei, die PKK - der Emanzipation der Frau in dieser traditionell überaus patriarchalischen Gesellschaft einen zentralen Stellenwert einräumt, verbindet sie den Nationalismus mit konkreten Fortschritten für - wie es einst Mao Tse-Tung ausdrückte- "die andere Hälfte des Himmels". Kurz: die PYD/YPG steht für ein anderes "Licht" als der IS mit seiner reaktionären lebensfeindlichen Utopie. Demgegenüber stehen die "gemäßigten" -und nicht zuletzt deshalb inzwischen ohnehin marginalisierten - Gruppen der syrischen Rebellen an und für sich für nichts Anderes als die Ersetzung der einen ("alawitischen") Diktatur durch eine andere oder durch eine - im der syrischen sozialen Umgebung ohnehin unglaubwürdige - "Demokratie" von Gnaden der USA und der Exkolonialmächte Frankreich und GB mit der BRD als Anhang, des "Sultans" Erdogan und der Emire aus Qatar und Saudi Arabien.

 

 

Quelle: Per Email am 15. und 17.11.2015