I.
Dass die offizielle Trauer
der imperialistischen Politiker anlässlich des – wohl
islamistisch begründeten –Massakers von Paris verlogen ist,
ist allzu offensichtlich. Diese Herr- und Damenschaften
haben es regelmäßig unterlassen, öffentlich zu “trauern“,
wenn die Opfer - laut westlichen Schätzungen - über 1
Million irakischer Zivilisten im Zuge des US-Golfkrieges,
afghanische Hochzeitsgesellschaften, Beiruter oder auch
pakistanische und afghanische Schiiten, Gegner
ukraino-chauvinistischer Kräfte wie im Gewerkschaftshaus in
Odessa, russische Zivilisten im Zusammenhang mit
Tschetschenien, etc. etc. etc. waren. Aus den USA hört man
nun bereits die Forderung, die „Hauptstadt“ des IS
(“Islamischer Staat“) im syrischen Raqqa platt zu machen,
das heißt, auch die dortige Zivilbevölkerung auszurotten –
eine Forderung, die von ebensolchen Figuren erhoben wird,
die sich bislang empört zeigten, weil und wenn die syrische
Luftwaffe Wohnviertel bombardiert hatte, in denen sich
bewaffnete Rebellen verschanzt hatten und von denen aus sie
unter Regierungskontrolle befindliche Stadtviertel und
andere Regionen beschossen.
Aber was ist nun mit der
Trauer derer, die – wenn sie denn überhaupt über die
Massaker anderswo informiert sind - für diese weder direkt
noch indirekt nicht verantwortlich sind? Wer von ihnen
kennt irgendeines der Opfer oder gar der zu Recht
trauernden Hinterbliebenen? Praktisch niemand. Warum also
trauern sie in diesem Fall, während sie über die Milliarden
Opfer von direkter und struktureller Gewalt und privaten
und gesellschaftlichen Katastrophen, die die Erde – dieses
“Jammertal“ seit der „Vertreibung Adam und Evas aus dem
Paradies“ - gesehen hat, weitestgehend unberührt geblieben
sind und die das mit den Opfern von Paris gemeinsam haben,
dass sie diese auch nicht kennen. In der Tat muss „der“
Mensch davon weitgehend unberührt bleiben, weil er sonst
sein tägliches Leben nicht meistern könnte, sondern sich
aufhängen müsste. Warum also jetzt? Leider ist die Antwort
recht einfach: 1. Gibt es das Trauern als „Event“, dass
durch die modernen Medien, die moderne Propaganda, in
Windeseile überall organisiert werden kann, 2. „trauern“
vermutlich primär Westeuropäer und Amerikaner, die sich dem
„Opferland“ Frankreich kulturell verbunden fühlen, während
ihnen Iraker, Afghanen oder wie kürzlich Türken und Kurden
in Ankara eher fremd und somit ziemlich egal sind, und die
zudem seit Ende des 2.Weltkrieges unter - weltweit gesehen
– ungewöhnlich friedlichen und privilegierten Bedingungen
aufgewachsen sind; und 3. sind wir vom Massaker in Paris
mehr oder weniger stark ergriffen, weil es sich sichtlich
nicht gegen die wirklichen Verursacher und Hauptnutzträger
des Elends in der Welt richtet (die – wohlbemerkt – die
ökonomischen, politischen, ideologischen und psychischen
Strukturen und Gesetzmäßigkeiten dieser Welt nicht bewusst
geschaffen haben, sondern die selbst nur deren Ausdruck
sind), sondern gegen zufällige Ansammlungen von „normalen“
Zivilisten im Westen, perspektivisch also jeden von uns
treffen kann. Die Verbrecher von Paris können oder wollen
nicht die Organisatoren der Massaker in Afghanisten, im
Irak, in Libyen oder Syrien treffen, sondern eine
Blutgrenze zwischen den Völkern ziehen, zwischen den
Muslimen (soweit es sich dabei um solche handelt, die die
gleiche perverse Vorstellung vom Islam wie sie selbst
haben) und den „Ungläubigen“, den „Kreuzfahrer-Nationen“.
Nichts deutet darauf hin, dass sie so dumm sind, zu
glauben, sie könnten die „Ungläubigen“ auf diese Weise
ernsthaft – z.B. militärisch – schwächen. Vielmehr ist
davon auszugehen, dass sie auch eine mehr oder weniger
rechtsradikale Reaktion der Angegriffenen hoffen, die sich
gegen „die“ Muslime richtet und diese damit zum
Schulterschluss mit dem „Islamischen Staat“ und/oder
anderen takfiristischen (das sind die, die andere Muslime
zu „Ungläubigen“ erklären) und jihadistischen Kräften
zwingen.
Statt in gemeinsamer „Trauer“
und diffuser Angst nun eine Front mit den Organisatoren des
weltweiten Elends zu bilden, ist es notwendig, diesen eine
grundlegende Alternative entgegenzusetzen. Die Jihadisten
(in ihrer heutigen Form der aktuellste Ausdruck der
panislamistischen Ideologie, die Ende des 19.Jh. als
Antwort auf den europäischen Kolonialismus gegenüber den
islamischen Ländern entstanden, in den 20er Jahren durch
die Gründung der „Muslimbruderschaft“ im britisch
beherrschten Ägypten ihren ersten militanten Höhepunkt fand
und nach einer Phase der Schwächung nach dem 2. Weltkrieg
mit den unerfüllten Versprechungen des mehr oder wenige
säkularen nationalistischen Panarabismus nun ihre blutige
Wiederauferstehung feiert) müssen natürlich auch
militärisch bekämpft werden, aber sie werden letztlich
nicht besiegt werden können, wenn die politischen und
sozialen Umstände, die in erster Linie von „unseren“
Herrschenden bestimmt werden, bleiben wie sie sind.
II.
nachgereicht
am 17.11.15
.... Und wir werden sie nicht
besiegen können – sondern höchstens an diesem und jenem Ort
vertreiben, auf dass sie unter diesem oder einem anderen
Namen anderswo wiederauftauchen – wenn man den natürlich
vornehmlich jungen Leuten, die in ihre Reihen strömen, kein
andere sie begeistern könnende Alternative anbieten kann.
Für das Gros ihrer Feinde handelt es sich bei den
Anhängern des IS einfach um (verrückte) Kriminelle, die für
ihre rechten Feinde im „christlichen Abendland“
authentische Repräsentanten „des“ Islams sind und für die
Mehrzahl der Muslime und der liberalen und linken Feinde
aus dem „christlichen Abendland“ die Bezeichnung
„muslimisch“ zu Unrecht beanspruchen und nur für dunkle
politische Zwecke missbrauchen. In der Tat ist der Islam
des IS nicht „der“ Islam, sondern eine ketzerische überaus
minoritäre Verballhornisierung. Das aber bedeutet noch
nicht, dass ihre Anhänger nichts anderes als durchgeknallte
Kriminelle sind – trotz ihrer Untaten. Die terroristischen
Taten, derer sie sich selbst rühmen, gehören seit jeher zu
den traditionellen Mitteln der Politik. „Terrorismus“
bedeutet, dass jenseits rein militärischer Notwendigkeiten
der militärische Feind und seine zivile Basis durch das
Erzeugen von Schrecken („terror“) beeindruckt und gelähmt
wird. Die Bombardierung deutscher Städte wie Dresden im 2.
Weltkrieg durch die RFA, das „shock and awe“ (Schock und
Furcht)-Programm der USA im Irak-Krieg, dem wie gesagt rund
1 Million überwiegend zivile Iraker zum Opfer fielen, die
Ermordung der gesamten Bevölkerung ganzer Ortschaften, die
wirklich oder vermutlich Partisanen Unterschlupf gewährt
hatte, durch deutsche Einsatzkräfte im 2.Weltkrieg, der
“grand terreur“ der Zeit unmittelbar nach der Französischen
Revolution etc. etc., waren ebenso terroristische Taten
wie die des IS oder wie die der Mongolen, die vor den
Städten, die sich nicht freiwillig ergaben, Pyramiden der
Schädel der Einwohner aufschichteten.
Dass sich zum IS oft zuvor
völlig unreligiös in Europa lebende und oft kleinkriminelle
junge Leute hingezogen fühlen, ist auch nicht
verwunderlich. Mao Tse-Tungs „Volksarmee“ hatte im
chinesischen Bürgerkrieg ganze ländliche Banditengruppen
integriert; Malcolm X war Kleinkrimineller bevor er im
Gefängnis „das Licht sah“ als er dort mit einem Mitglied
der „Nation of Islam“ in Kontakt kam. Abgesehen einmal
davon, dass der IS (und ebenso die übrigen jihadistischen
Gruppen in Afghanistan, im Irak und in Syrien) natürlich
mit staatlichen und parastaatlichen Kräften kollaborieren,
die mit ihrem chiliastischen Islamismus im Ernst nichts zu
tun haben, sondern (wie die Herrschenden in Pakistan, Saudi
Arabien, Qatar, der Türkei usw.) durchaus kapitalistische
Herrschaftsinteresse verfolgen, muss davon ausgegangen
werden, dass sich das Gros der Kämpfer aus Leuten
rekrutiert, die nicht in erster Linie für weltlichen Gewinn
oder aus purem Spaß an Abscheulichkeiten kämpfen, auch wenn
sie in Europa vielleicht in Vorstadtghettos leben mussten,
sondern die einen Sinn in ihrem Leben suchen. Wie heißt es
doch in dem indischen Film “Mahabharata“: „Warum lehnen
Menschen sich auf? Um Erfüllung zu finden, entweder im
Leben oder im Tod“. Dass sie das im Fall islamistischer
Jihadisten in der Form tun, in der sie es bekanntlich tun,
mag durchaus auch kulturelle Hintergründe haben, mag
durchaus auch Ergebnis des aus der – rückständigen –
patriarchalischen Gesellschaft herrührenden Kultes um
kriegerische “Männlichkeit“, “Ehre“ udgl. sein. Die
Geschichte des – zu jener Zeit bereits überwiegend
islamischen – Orients kennt aus dem Mittelalter die oft
extrem gewalttätigen Banden der “ ’Ayyarun“ und der
Jungmännerbünde der “Futuwwa“ und als Oberbegriff die “
’Assabiyya“, jenes aus der nomadischen Stammesgesellschaft
herrührende Gruppengefühl mit seinen Verpflichtungen und
seiner absoluten Abgrenzung und Feindschaft zu anderen
Gruppen. Die “ ’Assabiya“, die für den mittelalterlichen
arabischen Historiker Ibn Khaldun der Schlüssel zum
Verständnis des Entstehens und Zerfalls der muslimischen
Staaten war, hat aber an und für sich mit dem Islam nichts
zu tun, sondern mit dem sozio-ökonomischen Charakter der
Gesellschaften, in den der Islam in erster Linie Fuß
gefasst hat. Der Prophet Muhammad soll sich gegen die “
’Assabiyya“ ausgesprochen und sie als barbarisches Relikt
aus der Zeit der “Jahiliyya“ (der vorislamischen Epoche der
Gesellschaft der arabischen Halbinsel) bezeichnet haben.
Selbstverständlich kann das
Alles kein Grund sein, gegenüber dem Treiben dieser Kräfte
„verständnisvoll“ zu sein. Der IS (und andere Gruppen wie
die “Nusra-Front“, mögen sie sich auch mit dem IS wie einst
die “Futuwwa“-Banden untereinander, bekriegen) ist
reaktionär bis auf die Knochen und potentiell eine
Lebensgefahr für jeden – in erster Linie für die Menschen
im Nahen Osten, aber, wie die o.a. Beispiele zeigen, auch
für die Menschen anderenortes. Das „Licht“, das seine
Anhänger zu sehen glauben, ist ein Irrlicht. Sie sind so
„revolutionär“ wie die Mitglieder der SA Hitlers (wodurch
der IS noch keine “faschistische“ Organisation wird) .
Dieses „Licht“ ist - wie bei religiösen Überzeugungen
üblich - nicht rational argumentativ zu verdunkeln, sondern
letztlich nur, indem ihnen eine bessere Alternative geboten
wird. Diese kann nicht in „Mäßigung“, d.h. der faktischen
Akzeptanz des Bestehenden, liegen, sondern muss politische
und kulturell revolutionär sein. Wer könnte, wenn er sich
die weltweite proletarische Bewegung und insbesondere ihre
sich als revolutionär verstehenden Teile ansieht, leugnen,
dass es da seit langem überaus schlecht aussieht und kein
Hoffnungsstreifen ab Horizont zu entdecken ist. Es wird
aber keine Abkürzung geben. Und so lange werden wir in
dieser oder jener Form mit dem Phänomen des terroristischen
Jihadismus leben müssen.
Dass in Syrien die kurdische
YPG sich bisher als die - auf ihrem heimischen Boden! -
erfolgreichste Kraft im Kampf gegen den IS erwiesen hat,
ist nicht zuletzt auch Ergebnis gerade dieses
Sachverhaltes. Die YPG ist nicht besser bewaffnet als die
Kämpfer des IS, sie hat auch keineswegs mehr Kampferfahrung
als der IS, der eine nicht unerhebliche Zahl von Kämpfern
umfasst, die schon in anderen Kriegen (Afghanistan,
Tschetschenien, Irak etc.) ihre "Sporen verdient haben".
Die PYD/YPG ist eine Organisation mit einer zum IS deutlich
alternativen gesellschaftlichen Perspektive. Weil die
Kurden noch immer nicht ihr nationales
Selbstbestimmungsrecht (in welcher Form auch immer)
realisieren konnten, ist der Nationalismus in ihren
Gesellschaft keine durch Erfahrung bereits weitgehend
obsolete Ideologie. Indem sie - wie Mutterpartei, die PKK -
der Emanzipation der Frau in dieser traditionell überaus
patriarchalischen Gesellschaft einen zentralen Stellenwert
einräumt, verbindet sie den Nationalismus mit konkreten
Fortschritten für - wie es einst Mao Tse-Tung ausdrückte-
"die andere Hälfte des Himmels". Kurz: die PYD/YPG steht
für ein anderes "Licht" als der IS mit seiner reaktionären
lebensfeindlichen Utopie. Demgegenüber stehen die
"gemäßigten" -und nicht zuletzt deshalb inzwischen ohnehin
marginalisierten - Gruppen der syrischen Rebellen an und
für sich für nichts Anderes als die Ersetzung der einen
("alawitischen") Diktatur durch eine andere oder durch eine
- im der syrischen sozialen Umgebung ohnehin unglaubwürdige
- "Demokratie" von Gnaden der USA und der Exkolonialmächte
Frankreich und GB mit der BRD als Anhang, des "Sultans"
Erdogan und der Emire aus Qatar und Saudi Arabien.
Quelle: Per Email am
15. und 17.11.2015
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