Stimmen aus dem linken Spektrum zu den Pariser Attentaten

Kriegsgeschrei

von Rudolf Walther

11/2015

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Staatspräsident François Hollande sprach noch in der Nacht zum Samstag von einer „Kriegshandlung, begangen von einer terroristischen Armee“ und antwortete mit einer Kriegserklärung. „Frankreich wird erbarmungslos sein gegenüber den Barbaren“. Über diese würdelos-martialische Diktion kann man sich, bei allem berechtigten Entsetzen über die Täter, nur wundern, wenn man das Ergebnis von George W. Bushs „Krieg gegen den Terror“ betrachtet. Terror mit militärischen Strategien, Taktiken und Mitteln zu bekämpfen, bedeutet in der Regel, dass die staatliche Macht selbst terroristisch wird und nur ihre rechtsstaatliche Basis verlässt und ihre Legitimität aufs Spiel setzt, etwa wenn sie dem Gehirnwäsche-Rezept des FAZ-Autors Rainer Hermann folgte: „Um die Eskalationsstufen abzubauen, gibt es nur zwei Mittel: den Krieg militärisch zu gewinnen und die neue Ideologie des Dschihad aus den Köpfen der Muslime zu beseitigen“. Bush konnte für sich immerhin noch beanspruchen, am 11. September von außen wie von einer feindlichen Armee angegriffen worden zu sein. Das sich die Attentäter von Paris als Teil einer Armee begreifen, ist propagandistische Hybris. Auch wenn wohl nicht alle acht Täter einen französischen Pass besaßen, heißt das noch nicht, dass die Attentate von außen gesteuert wurden.

Die Meldung darüber, was man über den Hergang der Attentate und die Herkunft der Attentäter wirklich weiß, umfasste am Sonntag amtlich bestätigt kaum zehn Sätze (132 Tote, 352Verletzte, 8 tote Attentäter). Die offiziellen Bulletins geben für die Erklärung der Taten sozusagen nichts her. Hypothetisch gesprochen, könnten sich die Täter auf zweierlei Motive berufen: einmal auf die inneren Zustände in Frankreich, die Muslime und Einwanderer sozial benachteiligen und ausgrenzen, d.h. an die Stadtränder verbannen. Zum andern könnten sich die Attentäter auf die französische Außen- und Sicherheitspolitik in Afrika und im Nahen Osten beziehen, wo französische Kampfflugzeuge – ohne völkerrechtliche Legitimation bzw. UN-Mandat in den syrischen Bürgerkrieg eingreifen. Beide Motive taugen jedoch nicht als Rechtfertigung für die skrupellosen Morde, aber beide Motive sind, falls sie zutreffen, ein Indiz für die politische Verwirrtheit, mentale Verbiesterung und moralische Verkommenheit der Täter, aber auch für die sozialen Verhältnisse, in denen solche Dispositionen und Mentalitäten erzeugt werden und gedeihen.

Und weil die Informationslage dürftig ist, um es vorsichtig zu sagen, blühen die Nebengeschäfte, Spekulationen und Instrumentalisierungsversuche. Vom Boulevard angeheizt, findet ein intellektueller Unterbietungswettbewerb durch Überbietung statt: „Attacke auf unsere Kultur“ (FAZ), „Krieg“ (BILD und Joachim Gauck), „Weltkrieg“ (FAZ am Sonntag und Papst Franziskus), „totaler Krieg“ (Nicolas Sarkozy). Besonders perfide ist die Vermengung von Flüchtlingspolitik und Terrorabwehr mit dem Argument, durch die Aufnahme von Flüchtlingen würden Parallelgesellschaften vergrößert und damit die Arbeit „der Werber des islamistischen Terrorismus“ erleichtert (FAZ am Sonntag). Andere versuchen, den NATO-Bündnisfall herbeizureden, um dem bereits verordneten „Notstand“ („état d’urgence“) gleichsam Beine zu machen. Marine Le Pen vom „Front National“ schob die Verantwortung für die Anschläge der sozialistischen Regierung in die Schuhe, und der Stammtischstratege Markus Söder von der bayerischen CSU diagnostizierte messerscharf: „Paris ändert alles“. Solche verbale Trunkenheit ist das Gegenteil dessen, was der norwegische Premierminister nach dem Breivik-Attentat sagte: „Selbstverständlich werden wir an dem, was wir sind, nichts ändern“.

Quelle:  http://www.links-netz.de am 16.11.2015