Zum 100. Geburtstag von Peter Weiss
Biografisches, ein Text über Che Guevara & ein lokaler Veranstaltungstipp

zusammengestellt von red. trend

11/2016

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Peter Weiss 1916-1982
Leben und Werk
von Hans Höller
 

Der Schriftsteller, Maler und Filmemacher Peter Weiss wird am 8. November 1916 in Nowawes bei Berlin geboren. Wegen seiner jüdischen Abstammung muss er 1934 Deutschland verlassen. Vor der Auswanderung stirbt seine Schwester Margit nach einem Verkehrsunfall. Weiss geht zunächst mit seinen Eltern und Geschwistern nach England, dann in die Tschechoslowakei, nach Warnsdorf. Er schreibt, malt, Hesse wird für ihn wichtig, nach einem Besuch bei diesem in Montagnola geht er nach Prag auf die Kunstakademie. 1939 folgt er den Eltern, die nach der Besetzung des Sudetenlandes nach Schweden emigriert sind. Nun "ganz ins Exil" verschlagen, beginnt der schwierige Prozess der Ablösung von den Eltern, der Versuch, sich als Maler zu behaupten, die Notwendigkeit, sich mit Brotarbeit durchzuschlagen.

Zu neuen Schreibversuchen führt erst die kulturelle Öffnung nach dem Krieg, ein erster Band schwedischer Prosagedichte "Från ö till ö" ("Von Insel zu Insel"), Reportagen über eine Reise ins zerstörte Berlin (1947) werden für eine Stockholmer Zeitung verfasst und unter dem Titel "De besegrade" in einen Prosamonolog umgeformt: "Die Besiegten", ein Text, der viele spätere Motive vorwegnimmt. Ein erstes Drama entsteht, "Rotundan" ("Der Turm"), ein "alptraumartiges Stück" über die Befreiung aus den Fesseln der eigenen Vergangenheit, als Hörspiel konzipiert, 1950 als Einakter in Stockholm uraufgeführt, 1963 erst auf deutsch herausgebracht. Auch der Prosatext "Duellen" ("Das Duell") ist ein Versuch, im Medium der künstlerischen Sprache die Verschlossenheit in sich selbst zu überwinden. Der Surrealismus und die Psychoanalyse helfen nun, die verschlossenen Bilder in Bewegung zu setzen und mit der Verwandlung in Sprache sich im Exil einen Ort zu erobern, der Identität ermöglichen könnte.

Der Avantgardefilm wird in den fünfziger Jahren für die künstlerische Arbeit und Selbstverständigung wichtig.

Fast ein Dutzend surrealistische und dokumentarische Filme dreht Peter Weiss bis zum Anfang der sechziger Jahre, Filme, deren experimentelle Bildsequenzen (wie schon die Malerei) immer wieder den menschlichen Körper und die Grundformen von Gewalt und Kampf andeuten. Mit seinem sozialkritischen Film über ein Jugendgefängnis in Schweden, "Im Namen des Gesetzes", gerät Weiss mit seiner Dokumentation der "nackten Wirklichkeit im Gefängnis" in Konflikt mit der staatlichen Filmzensur, eine publizistische Diskussion über die Zensur schließt sich an, Gewerkschaften und Arbeiterparteien demonstrieren gegen die staatlichen Eingriffe in die künstlerische Arbeit (Mai 1958).

Ein Kapitel ist der Zensur auch in Weiss' Monographie über den "Avantgardefilm" gewidmet, die 1956 erscheint. Peter Weiss ist mehr als vierzig Jahre alt, als 1960 zum erstenmal ein Buch von ihm in Deutschland erscheint: "Der Schatten des Körpers des Kutschers", ein sprachexperimenteller und zugleich sensualistischer Prosatext, schon Anfang der fünfziger Jahre geschrieben, wird in der Bundesrepublik wie eine neue, avantgardistische Poetik rezipiert.

Die obsessiven Grundmuster der Wirklichkeitserfahrung, Unzugehörigkeit, körperliche Gewalt, eine bedrohliche Gegenständlichkeit der Beziehungsformeln werden kaum wahrgenommen.
Die Radikalität der autobiographischen Prosa, "Abschied von den Eltern" (1961) und "Fluchtpunkt" (1962), die Unbedingtheit in der Erkundung seines Ichs und seiner Verklammerung mit der Familie, die unerbittlichen Erkenntnisse, dem zufälligen Überleben im Exil einen Sinn zu geben, treffen in der literarischen Öffentlichkeit kaum auf Verständnis.

Die großen politischen Dramen, die von 1964 bis 1971, von "Marat/Sade" über "Die Ermittlung", den "Gesang vom lusitanischen Popanz", den "Vietnam-Diskurs", "Trotzki im Exil" bis "Hölderlin" dem zeitgenössischen Theater eine neue gesellschaftliche Brisanz und künstlerische Ausdruckskraft erobern, verschaffen Peter Weiss eine weltweite Geltung.

Die dramatische Arbeit wird jetzt begleitet durch eine politische und ästhetische Selbstverständigung in den theoretischen Schriften ("Rapporte" und "Rapporte 2").
Eine zentrale Bedeutung dürfte dabei den Dante-Texten und der Laokoon-Rede zukommen, in der die lebensgeschichtlich gravierend empfundene Spannung von Bild und Wort nicht nur auf dem Hintergrund der alten ästhetischen Debatte diskutiert, sondern auch die "jüngste Vergangenheit" in die Fragen nach dem Verhältnis von Bild und Wort einbezogen wird.
Aber selbst im kulturtheoretischen Diskurs ist das lebendige Künstler-Ich mit seiner Verstrickung in das Vergangene unmittelbar gegenwärtig.

Gerade darin dürfte die ungewöhnliche Intensität der theoretischen und literarischen Arbeiten von Peter Weiss liegen, die Einsicht von Sade, dass jede Revolution scheitern wird, solange nicht die "Gefängnisse des Innern" geöffnet werden, entspringt einer tiefgreifenden lebensgeschichtlichen Erfahrung, deren spannungsvolle Dynamik in den scheinbar widersprüchlichen Komponenten von poetischer Vision und historischer Recherche, Surrealismus und marxistischer Analyse, Hölderlin und Marx usw. auszumachen ist.

Die ganzen 1970er Jahre hindurch arbeitet Peter Weiss an der "Ästhetik des Widerstands", einem trilogischen Romanwerk über den kommunistischen Widerstand gegen den Faschismus, über die Arbeiterbewegung und ihren widersprüchlichen, zerrissenen Verlauf von 1918 bis zum Ende von Krieg und Faschismus, ein Roman geschichtlicher Trauer- und Erinnerungsarbeit, der vor allem auch den Verbrechen des Stalinismus und ihren verheerenden Auswirkungen gilt.
Aber dieser Roman ist zugleich eine Ästhetik des Widerstands, es gehört zum Schönsten, was je über Kunstwerke geschrieben wurde, mit dem Bewegendsten, was über den Widerstand zu schreiben war. Mehr als acht Jahre hat sich der Autor "mit diesem Roman-Leben", dessen Mühen die "Notizbücher" dokumentieren, "aufrecht" gehalten.

Nach der Fertigstellung des Romans nimmt Peter Weiss noch einmal die Bearbeitung von Kafkas "Prozess" vor.

"Der neue Prozess" wird 1982 in Stockholm uraufgeführt, in einer Inszenierung, in der wie bei früheren Stücken Peter Weiss und seine Frau Gunilla Palmstierna-Weiss zusammengearbeitet haben. Zwei Monate später, am 10. Mai 1982, stirbt Peter Weiss in Stockholm.

Quelle:  Internationale Peter Weiss-Gesellschaft e. V.


Peter Weiss
Che Guevara!

Als wir vom Tode Ches erfuhren, war unser erster Gedanke: Mußte er sterben, gerade jetzt, wo er unentbehrlicher geworden war denn je? War da keine Hilfe und kein Entsatz? Er war ein kranker Mann, er litt an Asthma und Rheumatismus. Hätte man ihn nicht in Sicherheit bringen können? Gab es nirgends einen Platz für ihn, an dem er als der pla­nende Kopf, der Führer der Revolution hätte arbeiten können? Es er­hob sich die Frage: hat er sich geopfert? Hat er das Los eines Märtyrers gewählt?

Wir können keine Heiligen brauchen. Wir lehnen die mystische Verehrung ab, die den Opfertod mit einem Glorienschein umgibt. Wir weisen das Christusbild zurück, die Kreuzesabnahme, das Warten auf die Aufer­stehung. Was bleibt, ist Ches Tod, der Verrat an ihm, der Hinterhalt, ein zerfetzter Leichnam.

Sind wir mitschuldig an diesem Tod? Sind wir die Verräter? Oder waren wir nur in unserm Alltag Befangene, Gleichgültige, getrost und unbe­kümmert um jene ferne Revolution? Haben wir es vermieden, Stellung zu nehmen? Und warum haben wir es vermieden? Vielleicht, weil das Feld, auf dem er sich schlug, so weit entfernt liegt?

Wenn das so ist, dann haben wir an seinem Tod etwas zu lernen. Er, der unentbehrlicher war als jeder andere, zeigt uns, was er für das einzig Richtige hielt. Er zeigte mit seinem eigenen Leib: Wenn ihr andern es nicht tut, dann tue ich es. Er hielt nicht viel von seiner eigenen Unentbehrlich-keit. Ein bolivianischer Grubenarbeiter, der sich der Guerilla anschloß, schien ihm nicht weniger zu bedeuten. Er zeigte: Das einzig Richtige ist, ein Gewehr zu nehmen und zu kämpfen.

Wie wir die Frage nach seinem Tod auch wenden, die Antwort bleibt, und sie ist einfach. Es ist eine Antwort, die auf unsere Niederlage und unsere Feigheit deutet.

Wir wissen, es geht ein großer Streit über die Frage, wie der revolutionäre Kampf in Lateinamerika geführt werden soll. Wir wissen, die Zentral­komitees vieler kommunistischer Parteien dort sind gegen den Guerilla-Kampf. Sie sind der Ansicht, die Zeit sei noch nicht reif dafür. Sie fordern eine vorsichtige, diplomatische Taktik; sie kalkulieren, daß es möglich sei, durch geduldige Arbeit die Bevölkerung auf dem Lande von den Städten aus zu politisieren. Sie geben sich einer Illusion hin: der Illusion der fried­lichen Koexistenz. Als wäre es möglich, mit dem bis an die Zähne bewaff­neten Ausbeuter zu koexistieren!

Auf der OLAS-Konferenz in Havana sind wir zu Zeugen dieser bitteren Auseinandersetzung geworden. Aber wir haben auch gesehen, daß über die absolute Forderung des Proletariats Einigkeit herrscht: die Forderung nach der endlichen Befreiung. Ungeachtet der verschiedenen Auffassun­gen über die richtige Strategie sprach die Deklaration von Havana ein klares Ja zur Revolution aus.

Che Guevara und mit ihm die Guerillaführer Lateinamerikas halten die direkte und unverzügliche Aktion für den einzig gangbaren Weg. Sie wis­sen, daß ihrem Feind gegenüber nichts anderes verschlägt als der bewaff­nete Kampf. Nur die Gewalt kann helfen. Und sie wissen, daß es nötig ist, zu ihr zu greifen, auch wenn dies zu Niederlagen und schweren Ver­lusten führt. Sie wissen: jede Atempause, die dem Feind gewährt wird, macht ihn stärker. Sie wissen auch: wenn sie selber niedergekämpft wer­den, so werden andere ihnen folgen und den Kampf weiterführen. Für diese Leute ist das nicht Heroismus; es ist für sie eine kühle Tatsache, das tägliche Brot der Hungernden. Die Parteiführer mögen planen, was sie wollen; in den Bergen sammeln sich immer wieder von neuem die Guerilleros, um die Revolution in der Revolution fortzusetzen. Die soge­nannte Sprache der Vernunft vermag gegen diese Handlungen nichts. Es gibt nur eine einzige Möglichkeit: zu kämpfen statt zu hungern, statt wie ein Sklave zu leben.

Cuba, Vietnam, Nordkorea: drei armen unterentwickelten Ländern ist es gelungen, aufzubauen, was jenem Feind am verhaßtesten ist: eine sozia­listische Gesellschaft. Jener Feind sieht sich nun, von seinem eigenen System her, einem Zwang ausgesetzt. Er muß die Grundlagen jeder Revo­lution zerstören, er muß demonstrieren, daß sein eigenes System das stärkere ist, er muß beweisen, daß es in seiner Macht liegt, diese vermes­senen Befreiungsversuche auszuradieren. Das einzige Mittel hierzu ist der Krieg.

Aber selbst, wenn es ihm gelänge, Vietnam in Asche zu legen (und er würde diesen Sieg unserer Trägheit, unserer Feigheit, unserem Unvermö­gen zu handeln verdanken), so hätte der Befreiungskrieg dennoch kein Ende. Denn wenn jener Feind vom Frieden spricht, so ist das in jedem Fall ein leeres Wort. Wir wissen, kein Frieden kann die Ursachen aus der Welt schaffen, aus denen er angreift, angreifen muß.

Wir, die wir das selbstverständliche Recht in Anspruch nehmen, in jener der drei Welten zu leben, die wir die erste nennen; die wir es hinnehmen, daß unsere Politiker, unsere Geschäftsleute und unsere Soziologen zwi­schen unserer und jener fernen, armen Dritten Welt eine ebenso selbst­verständliche Grenze ziehen, wir werden es erleben, daß der Krieg weiter­geht. Wir werden kleine und vielleicht größere Kriege erleben, isolierte Kampfhandlungen zuerst, im Busch, im Gebirge, im Dschungel. Immer wieder wird man uns hinweisen auf die Sinnlosigkeit, die tödliche Ver­geblichkeit dessen, was diese fernen aufständischen Gruppen tun; immer wieder werden wir in unseren Zeitungen von Ubergriffen und Terror­aktionen lesen, von verzweifelten Sabotageakten, in Lateinamerika, Afrika und Asien; und immer wieder werden wir uns sagen: das ist für uns nicht unmittelbar aktuell, und uns sicher fühlen in unserer, dieser Ersten der Welten.

Und eben hierin liegt unser Verrat. Solange wir dieser scheinheiligen Auf­teilung der Welt kein Ende machen, solange wir an dem, was wir haben, festhalten, als verstünde sich das von selbst, und es denen dort draußen verweigern, solange sind wir mitschuldig an jedem Mord, der in der Ferne begangen wird an denen, die den Kampf gegen das Unrecht führen.

Nennen wir die Welt, für deren Zukunft Che Guevara gefallen ist, bei ihrem richten Namen, nennen wir sie die Erste Welt, denn sie ist größer als jede andere. Oder nennen wir sie die revolutionäre Welt, denn sie ist es, die heute die Revolution trägt. Was hat die unsere dagegen zu bieten? Technische Überlegenheit, ökonomische Macht, Massenmedien zur Manipulation. Unsere erste Welt ist eine Welt Erster Klasse, und klassenbe­wußt, wie wir sind, teilen wir Almosen aus und nennen sie Entwicklungs­hilfe. Das einzige, was hilft, das einzige, was unsere Zivilisation wirklich zu geben hat, den Gedanken der Freiheit, exportieren wir weniger gerne; und dennoch entfaltet sich dieser Gedanke gewaltig und gewaltsam in der armen Welt.

Unterentwickelte Länder, so nennen wir sie. Das ist die Terminologie von Unterdrückern. Diese Länder sind höher entwickelt als wir. Ausgeplün­dert von Kolonialismus und Imperialismus, haben diese Länder einen Ge­danken weiter entwickelt, den die meisten von uns nicht zu Ende zu den­ken wagen: den Gedanken der Revolution. Diese Länder sind weiter als wir; denn sie haben beschlossen, die Klassenherrschaft zu stürzen und die Ausbeutung des Menschen abzuschaffen.

Ich habe in Vietnam gesehen, wie die Bauern nach einem Luftangriff Dämme und Straßen mit Lehm und Steinen flickten, ich habe sie gesehen, bis zu den Knien im Schlamm, in schlammdurchtränkten Kleidern, mit großen Lehmklumpen in der Hand; und die Frage, wer da der höher Entwickelte, der Überlegene, der Würdige war, diese Frage war für mich entschieden - der da unten im Dreck, oder der da oben in seinem millio­nenschweren Waffensystem.

Denen, die den bewaffneten Kampf Vietnams heute an anderen Fronten weiterführen, wird nachgesagt, sie seien romantische Verschwörer, ihr Aufstand sei weltfremd, es fehle an objektiven Voraussetzungen für je­den Erfolg. Diese Nachrede ist niedrig und erniedrigend für den Arbeiter­staat der Oktober-Revolution, in dem sie laut wird. Neu ist sie nicht. Schon in der Mitte der zwanziger Jahre zwang die Kommunistische Inter­nationale die chinesischen Revolutionäre, vor Chiang Kai-Shek die Waf­fen zu strecken. Die Revolutionäre wurden zu Zehntausenden umgebracht, Chiang Kai-Shek wurde Ehrenmitglied der Komintern. Auch damals hieß es, die Zeit sei noch nicht reif, und niemand wollte an die These glauben, daß die Revolution vom Land in die Städte getragen werden müsse.

Eben weil Vietnam allein kämpft; weil keine Freiwilligen aus den soziali­stischen Bruderländern ihm beistehen; weil die Arbeiter in den sogenann­ten hochentwickelten Ländern stillschweigend zusehen, wie die Arbeiter und Bauern von Vietnam getötet werden; weil keine Arbeiterpartei der westlichen Welt ihnen zu Hilfe kommt mit der stärksten Waffe, die sie hat, dem Generalstreik - nicht zuletzt aus diesen Gründen ging Che Gue­vara nach Bolivien und schloß sich der Guerilla an. Seine These, es gelte, zwei, drei, viele Vietnam zu schaffen, war nicht der Einfall eines Romantikers, sondern die Einsicht eines Realpolitikers in die strategischen Not­wendigkeiten des Kampfes gegen den amerikanischen Imperialismus. Indem er die lateinamerikanische Revolution unterstützte, drückte er seine Solidarität mit Vietnam aus. Und wenn es wahr ist, daß er ab ein enttäuschter Mann unter den Kugeln bezahlter Mörder starb, so galt seine Enttäuschung nicht der Revolution in Lateinamerika, die er nie verloren gab; sie galt einer gleichgültigen Welt. Die Revolution ist verlassen, und verlassen ist Vietnam, nämlich von uns. Auch das ist eine Lehre seines Todes.

Was können wir tun? Unsere Aktionen gegen den Angriffskrieg der USA in Vietnam, unser Widerspruch gegen die gewaltsamen Eingriffe der USA in Lateinamerika und überall auf der Welt, wo das amerikanische Kapi­tal seine Positionen verteidigt, haben nun die Grenzen des friedlichen Protestes erreicht. Dieser Protest hat zugenommen, aber mit ihm die Ver­nichtung. Hunderttausende sind durch die Straßen der Metropolen ge­zogen und haben ihre Verurteilung der Barbarei kundgetan. Sie haben die Barbarei nicht aufgehalten. Wir müssen zu anderen Mitteln greifen. Die internationale Opposition muß sich politisieren. Es hat keinen Zweck, den Krieg zu verurteilen, weil er unschuldige Menschen verbrennt und ver­gast; es hat keinen Zweck, gegen völkerrechtswidrige Waffen, gegen die Folter, gegen den Bruch internationaler Abkommen zu protestieren. Wir wissen längst, daß der ganze Krieg gegen das vietnamesische Volk von Anfang an ein einziges Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewesen ist. Jetzt kommt es darauf an, diesen Krieg und alle seine Nachkommen in Lateinamerika, in Afrika und im Nahen Osten genauer zu kennzeichnen und zu brandmarken als das, was sie sind: moderne Plünderungs- und Eroberungskriege mit den gigantischen Mitteln der Technologie. Was können wir tun? Wir müssen diejenigen auf unsere Seite bringen, auf die es in allen Klassenkämpfen ankommt. Das sind die Arbeiter. Der Krieg in Vietnam, im übrigen Asien, in Lateinamerika und Afrika ist ein Krieg der Klassen. Er ist der Krieg der Satten gegen die Hungernden. Er ist der Kampf der Schwerbewaffneten gegen die, deren Waffen die bloßen Hände sind.

Vor seinem Tod sagte Che Guevara: »Das Land, das ich mit meinem Blut tränke, ist das einzige Stück Erde, das mir gehört.« Was wollte er damit sagen? Er wußte: die Erde gehört dir nicht mehr, wenn du tot bist. Aber er wußte auch: die Erde gehört dir nicht, wenn du dein Leben nicht aufs Spiel setzt- Die Gefahr, auf die er sich einließ, das Risiko, das er einging — auch dies sind Zeichen für alle, die ihm nachfolgen werden. Welche Risiken gehen wir ein? Was kann uns geschehen, wenn wir uns weigern, auf die Verdrehungen, Fälschungen und Lügen zu hören, welche die Medien der herrschenden Klasse täglich über uns ausgießen? Was ris­kieren Publizisten, Schriftsteller, Gewerkschaftler, Beamte, wenn sie for­dern, daß die Wahrheit gesagt werde, und wenn sie die Wahrheit ver­breiten?

Wir sind Optimisten. Wir glauben an die eingeborene Kraft, die den Men­schen dazu befähigt, seine Unterdrücker zu stürzen. Der Tag, an dem wir uns Kenntnisse genug verschafft haben, um zu begreifen, daß der Kampf auch uns betrifft, daß er nicht nur in fernen Gegenden, sondern auch in unserer eigenen Gesellschaft geführt wird; der Tag, an dem Millionen Arbeiter die Fabriken und Werkstätten verlassen und fordern werden: Schluß mit der Schlächterei - dieser Tag wird der Anfang vom Ende sein, vom Ende des Imperialismus.

Aus dem Schwedischen von Andreas Thaimayr

Quelle:
Kursbuch 11
Herausgegeben von Hans Magnus Enzensberger
Frankfurt am Main, Januar 1968
S.1-6

Weitere Hinweise: Einen Monat nach Erscheinen dieses Textes nahm Peter Weiss am "Vietnamkongress" in Westberlin als Redner teil, wo er frenetisch gefeiert wurde.

Von 1966 - 1968 entstand sein Theaterstück:

Diskurs über die Vorgeschichte und den Verlauf des lang andauernden Befreiungskrieges in Viet Nam als Beispiel für die Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes der Unterdrückten gegen ihre Unterdrücker sowie über die Versuche der Vereinigten Staaten von Amerika die Grundlagen der Revolution zu vernichten

das am 20. März 1968  auf den "Städtischen Bühnen Frankfurt/Main" unter dem Titel "Viet Nam Diskurs" uraufgeführt wurde.


Hausprojekt Kinzigstr. 9 | 10247 Berlin

Sonntag, 13.11.2016 – 20.00 h – Größenwahn
combatiente zeigt: revolution - politischer filmabend


„Peter Weiss 1916 - 1982: Leben und Werk“

DER UNZUGEHÖRIGE. PETER WEISS - LEBEN IN GEGENSÄTZEN
Ullrich Kasten zeichnet ein einfühlsames Porträt- Dokumentarfilm 2003, 60 Min.


Wegen seiner jüdischen Abstammung muss Peter Weiss 1934 Deutschland verlassen,  erst nach England, dann in die Tschechoslowakei, 1939 nach Schweden. Er schreibt, malt, gibt von 1964 bis 1971 dem zeitgenössischen Theater eine neue gesellschaftliche Brisanz und künstlerische Ausdruckskraft mit politischen Dramen von "Marat/Sade" über "Die Ermittlung", den "Gesang vom lusitanischen Popanz", "Vietnam-Diskurs", "Trotzki im Exil" bis "Hölderlin" und erreichte weltweiten Erfolg.

Die Ästhetik des Widerstands, das von 1971 bis 1981 entstandene erzählerische Hauptwerk
gehört zu den wichtigsten deutschsprachigen Romanen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts was einen umfassenden Rückblick auf die jüngere Vergangenheit wagt - aus der Perspektive eines jungen kommunistischen Arbeiters, der sich in die politischen Brennpunkte seiner Zeit begibt: antifaschistischer Widerstand in Nazideutschland, Kampf in den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg, Emigration nach und politische Arbeit in Schweden.

Peter Weiss wäre am 8. November 100 geworden.


combatiente zeigt :
* revolution - politische filmabende
* filme aus aktivem widerstand und revolutionären kämpfen
* gelebte geschichte des widerstands


Wer den Film nicht in Berlin sehen oder keine Zeit hat,
der findet ihn bei youtube unter:

https://www.youtube.com/watch?v=yjhouCX0RL4