Zum Subjektbegriff bei Marx
Leseauszug aus "Soziales Verhalten und Ökonomie im Kapitalismus"

von Klaus Ottomeyer

11/2017

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Zweifacher Subjektbegriff bei Marx, Charaktermaske und Ich-Identität

Der Versuch, Interaktionstheorie und Kritik der Politischen Ökonomie systematisch miteinander zu vermitteln, muß ausgehen vom Nachvollzug der Formbestimmtheiten, denen das Verhalten der konkreten Individuen innerhalb des kapitalistischen Reproduktionsprozesses unterliegt. Hierzu scheint mir zunächst eine Klärung des Subjektbegriffs bei Marx, wie er u. a. im Aufbau des „Kapital" zum Ausdruck kommt, von Bedeutung.

Im folgenden soll gezeigt werden, daß es beim Marx der Kritik der Politischen Ökonomie (im Unterschied zu den Frühschriften) zwei Subjektbegriffe gibt, aus deren Verhältnis zueinander der erste Ausgangspunkt für die gesuchte Systematik sich ergeben kann.

Stufen der Verkehrung von Subjekt und Objekt: Ware, Geld, Kapital

Das erste Subjekt ist die Bewegung des Kapitals selbst: Da hier im Ernst auf die Marxsche Kapitallogik nicht eingegangen werden kann (1), sei nur daran erinnert, daß Marx den Kapitalbegriff aus einer Verkehrung von Subjekt und Objekt ableitet, die von der Warenform der Produkte, ihrem Doppelcharakter, sowohl Gebrauchs­wert als auch Tauschwert zu sein, ihren Ausgang nimmt. „Das Geheimnisvolle der Warenform besteht einfach darin, daß sie den Menschen die gesellschaftlichen Cha­raktere ihrer eigenen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zurückspiegelt, daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen" (2).

Verdinglichung bedeutet nicht nur, daß die gesellschaftlichen Verhältnisse der Personen die Form eins Verhältnisses von Dingen annehmen, sondern auch darüber hinaus, daß die Dinge eine „gespenstige Gegenständlichkeit" (Lukacs), also den Schein einer Lebendigkeit erhalten. „Hier scheinen die Produkte mit eigenem Leben begabte, untereinander und mit den Menschen in Verbindung stehende Gestal­ten." (3) Der „Warenfetischismus" bezeichnet eine Selbstbewegung der in Sachen vergegenständlichten, toten Arbeit, die ein Schein ist; aber nicht bloße Illusion oder Täuschung, sondern realer Schein, der auf der realen Verkehrung von Subjekt und Objekt in den Tauschbeziehungen beruht.

Die Entwicklung des Geldes, das aus dem Widerspruch von Tauschwert und Gebrauchswert in den Waren entspringt, bedeutet eine nächste Stufe der Verding­lichung. Der Tauschwert der Waren nimmt im Gelde eine eigene verselbständigte Gestalt an und damit das gesellschaftliche Verhältnis der Warenbesitzer zueinander.

Diese beginnen, den gesellschaftlichen Zusammenhang miteinander, wie es bei Marx an einer Stelle heißt, „in der Tasche", in Gestalt von Gold oder Münzen herumzu­tragen.

Das Geld als solches vermag die Menschen als rätselhafte Macht zwar bereits zu beherrschen und zu blenden; aber erst wenn es aus der Zirkulationsform Wa­re-Geld-Ware (W-G-W), in der es noch bloßer Vermittler der noch auf Gebrauchs­wertkonsumtion gerichteten Austauschprozesse ist, übergegangen ist in die Zirkula­tionsform Geld-Ware-Geld (G-W-G), kann es Kapital werden, daß sich akkumuliert (G-W-G'), die rätselhafte Selbstbewegung des „mehrwertheckenden Wertes". „Die einfache Warenzirkulation - der Verkauf für den Kauf - dient zum Mittel für einen außerhalb der Zirkulation liegenden Endzweck, die Aneignung von Gebrauchswer­ten, die Befriedigung von Bedürfnissen. Die Zirkulation des Geldes als Kapital ist dagegen Selbstzweck, denn die Verwertung des Werts existiert nur innerhalb dieser stets erneuerten Bewegung. Die Bewegung des Kapitals ist daher maßlos." (4)

Zwar wird als „bewußter Träger dieser Bewegung" der Geldbesitzer Kapita­list, aber er ist selbst nur „personifiziertes, mit Willen und Bewußtsein begabtes Kapitel" (5), Funktionsträger des Kapitals, das sich nach eigenen Bewegungsgeset­zen fortbewegt.

Das Kapital, der Akkumulationsprozeß, erscheint so als abgerissen von Willen und Bewußtsein der gesellschaftlichen Individuen: „Wenn in der einfachen Zirkula­tion der Wert der Waren ihrem Gebrauchswert gegenüber höchstens die selbständige Form des Geldes erhält, so stellt er sich hier plötzlich dar, als eine prozessierende, sich selbst bewegende Substanz, für welche Ware und Geld bloße Formen." (6)

Das Kapital ist hier als ein sich selbst reproduzierendes „automatisches Sub­jekt", als Selbstbewegung konzipiert. Damit nimmt Marx Bezug auf den Hegeischen Subjektbegriff; auch hier wird das Subjekt beschrieben als „die Bewegung des Sich­selbstsetzens oder die Vermittlung des Sichanderswerdens mit sich selbst". Noch näher liegt der Gedanke an den Akkumulationsprozeß, wenn Hegel das Subjekt bestimmt als „Kreis, der sein Ende als seinen Zweck voraussetzt und zum Anfang hat und nur durch die Ausführung und sein Ende wirklich ist." (7)

Das „beseelte Ungeheuer" und die konkret-sinnlichen Subjekte

Solange der Blick an der Zirkulationssphäre haftet, bleibt die subjekthafte Eigenbe­wegung des Kapitals unerklärlich. Marx löst das Rätsel, indem er diese Sphäre der Tauschwerte, der bereits in Warenform kristallisierten Arbeit durchstößt und zeigt daß es nicht die Zirkulation von Tauschwerten sein kann, wodurch das Kapital sich vermehrt, sondern nur die Konsumtion der Ware Arbeitskraft, deren besonderer Gebrauchswert darin besteht, daß sie über ihren Tauschwert, der sich nach ihren Selbsterhaltungskosten bemißt, hinaus einen Mehrwert schaffen kann. Das Kapital als die Selbstbewegung der Tauschwerte, der toten Arbeit kann sich nur aus seinem Gegensatz, der lebendigen Arbeit reproduzieren. „Als zeitlich vorhandene ungegen­ständliche (und darum noch nicht vergegenständlichte) Arbeit kann diese nur vor­handen sein als Vermögen, Möglichkeit, Arbeitsvermöpgen des lebendigen Subjekts ... Für das Kapital existiert kein anderer Gebrauchswert. Es ist eben dies das Verhalten seiner als Tauschwert zum Gebrauchswert. Der einzige Gebrauchswert, der einen Gegensatz und Ergänzung zum Geld als Kapital bilden kann, ist die Arbeit und diese existiert im Arbeitsvermögen, das als Subjekt existiert. Als Kapital ist das Geld nur in Bezug auf das Nichtkapital, die Negation des Kapitals, in Beziehung auf welche es allein Kapital ist. Das wirkliche Nichtkapital ist die Arbeit selbst." (8)

Und im „Kapital" heißt es: „Indem der Kapitalist Geld in Waren verwandelt, die als Stoffbildner eines neuen Produkts oder als Faktoren des Arbeitsprozesses dienen, indem er ihrer toten Gegenständlichkeit lebendige Arbeitskraft einverleibt, verwandelt er Wert, vergangene, vergegenständlichte, tote Arbeit in Kapital, sich selbst verwertenden Wert, ein beseeltes Ungeheuer, das zu .arbeiten' beginnt, als hätt' es Lieb' im Leibe." (9)

Im Marxschen Kapitalbegriff existiert Subjektivität unter zweierlei Gestalt. Einmal als das übergreifende Subjekt des kapitalistischen Selbstverwertungsprozes­ses, das sich, indem es sich nur akkumulierend erhalten kann, gleichsam seine Um­welt einzuverleiben sucht; zum anderen in der Gestalt der leibhaft-sinnlichen Indivi­duen. Erst im Aufzeigen der Quelle des Mehrwerts, der Arbeitskraft der „lebendigen Subjekte" wird der Zusammenhang beider Gestalten von Subjektivität deutlich. Im Produktionsprozeß, wo die lebendige Arbeit, die Arbeitskraft der Lohnarbeiter von der Maschinerie aufgesogen wird und in vergegenständlichter Form ihnen gegenüber als Kapital sich aufhäuft, - im Verlauf dieses Prozesses spaltet sich gleichsam die Subjektivität von den „lebendigen Subjekten" ab und erscheint dann wieder als die Subjektivität jener „prozessierenden, sich selbst bewegenden Substanz", welche die wirklichen Subjekte nur noch als Anhängsel mitschleift. So betrachtet zeigt sich, daß der Subjektcharakter des kapitalistischen Selbstverwertungsprozesses realer Schein ist, welcher notwendig der innerhalb des Kapitalverhältnisses sich vollziehen­den Verkehrung von Subjekt und Objekt entspringt.

Erst nach der Durchbrechung und unter der Berücksichtigung dieses realen Scheins kann bei der Betrachtung der gesellschaftlichen Totalität von der für die gesellschaftliche Bewegung konstitutiven Subjektivität der realen Individuen ge­sprochen werden.

In Anknüpfung an Ure (den „Pindar der automatischen Fabrik") kennzeich­net Marx noch einmal die Bewegung der kapitalistischen Maschinerie als die eines übergreifenden Subjekts und eines Automaten zugleich. Hier ist „der Automat selbst das Subjekt, und die Arbeiter sind nur als bewußte Organe seinen bewußtlo­sen Organen beigeordnet und mit denselben der zentralen Bewegungskraft unterge­ordnet." (10) In dieser Diktion ist auf die Scheinhaftigkeit des übergreifenden Sub­jekts hingewiesen: Es ist als Automat blind und seine Organe sind bewußtlos. Ein Subjekt orue Bewußtsein, ohne das prinzipielle Vermögen, sich auf die eigenen Aktionen bewußt zu beziehen, ist nur dem Scheine nach ein Subjekt: eben ein „Ungeheuer". Die mitgeschleiften Arbeiter bleiben, obwohl ihre Subjektivität sich im Prozeß der Vergegenständlichung von ihnen weg in den Automaten hinein ab­spaltet, die einzig wirklichen Subjekte. Wie immer ihr Bewußtsein auch reduziert und entfremdet sein mag, so sind doch nur sie allein die bewußten Organe in diesem Prozeß.

Zwei Reproduktionsprozesse und ihr systematischer Bezug aufeinander

Wir haben demnach einen Subjektbegriff, der sich auf ein automatisches, blindes, d. h. nur scheinbares - aber dennoch mit realer Gewalt sich durchsetzendes - Sub-I jekt bezieht und einen zweiten, der sinnlich-leibhafte, mit Arbeitsfähigkeit, Bewußt-1 sein und Kommunikationsfähigkeit ausgestattete Subjekte meint. Beide Subjekte j machen einen Reproduktonsprozeß durch, wobei beide Reproduktionsprozesse durcheinander vermittelt sind. Der eine Reproduktionsprozeß ist der des akkumulierenden Kapitals, das sich nur durch die immer neue Einverleibung lebendiger Arbeit vermehren kann; der andere, diesem unterworfene Reproduktionsprozeß ist der, in dem sich die Arbeiter als reale, produktionsmittellose und zum Verkauf ihrer Arbeitskraft gezwungene Individuen am Leben erhalten. In den wirklichen Subjekten müssen sich bestimmte physische und psychische Fähigkeiten und Einstellungen reproduzieren, wenn sie als tauglicher Bestandteil im übergreifenden Reproduk­tionsprozeß des „automatischen Subjekts" fungieren sollen.

Der Ausgangspunkt für eine systematische Vermittlung von Interaktionstheo­rie und Kritik der Politischen Ökonomie soll nun die Frage sein: Welche Grundan­forderungen (oder gewissermaßen „functional prerequisites") müssen die wirklichen Subjekte in ihrer alltäglichen Wahrnehmung voneinander und in ihrem alltäglichen Verhalten zueinander erfüllen, welche Identitätsstrukturen müssen sie reproduzie­ren, um Moment des anderen, übergreifenden Reproduktionsprozesses sein zu können.

Jetzt kann auch erst der Sinn der Polemik gegen den Begriff eines „Gattungssubjekts" bei Habermas und Lorenzer(l11) deutlicher werden. Die falsche Subjektivität der verselbständigten gesellschaftlichen Verhältnisse und die „lebenden", sich innerhalb dieser Verhältnisse wechselseitig zueinander verhaltenden Subjekte wer­den in diesem Sprachgebrauch, der aus der klassischen deutschen Philosophie über­kommen ist, zu leicht miteinander konfundiert und versöhnt. An der Trennung festzuhalten scheint uns jedoch von größer Wichtigkeit. (12) Eine Theorie der Ver­hältnisse, deren struktureller Kern der Kapitalbegriff sein soll, muß von einer Theo­rie des Verhaltens der Individuen zunächst auseinandergehalten werden, wenn beide wieder in Beziehung gesetzt werden sollen, - wie nach Marx „Verhältnisse überhaupt nur gedacht werden können, wenn sie fixiert werden sollen, im Unterschied von den Subjekten, die sich verhalten." (13)

Zirkulation, Produktion und Konsumtion

Der übergreifende Reproduktionsprozeß des Kapitals tritt nun den Individuen nicht als ein ungegliedertes Ganzes, sondern als eine in Phasen aufteilbare Kreislaufbewe­gung gegenüber. Es ist wichtig, sich an die schon oben erwähnte Marxsche Einteilung des kapitalistischen Reproduktionsprozesses zu erinnern. (14)

„Das Resultat, wozu wir gelangen, ist nicht, daß Produktion, Distribution, Austausch und Konsumtion identisch sind, sondern daß sie alle Glieder einer Totali­tät bilden, Unterschiede innerhalb einer Einheit. Die Produktion greift über, sowohl über sich in der gegensätzlichen Bestimmung, als über die anderen Momente. Von ihr beginnt der Prozeß immer wieder von neuem." (15)

Diese Gliederung ist natürlich zunächst unabhängig von einer besonderen Gesellschaftsformation, - auch der Lebensprozeß einer Jäger- und Sammlerhorde läßt sich als beständiger Durchgang durch die drei Momente Produktion, Verteilung der Beute und Konsumtion beschreiben. Die Gliederung tritt jedoch in kapitalistischen Gesellschaften - erfahrbar etwa als die scharfe Trennung von Arbeit und Freizeit -in besonderer Schärfe hervor. Der gesellschaftliche Reproduktionsprozeß erhält hier seine Bestimmung durch den Kreislaufprozeß des Kapitals, was sich ex negativo an der nur innerhalb dieser Gesellschaft möglichen Störung des Reproduktionsprozes­ses durch die kapitalistische Überproduktionskrise belegen läßt.

Das gesellschaftlich Mehrprodukt wird im unmittelbaren Produktonsprozeß von der Arbeitskraft der Arbeiter als kapitalistischer Mehrwert geschaffen und in der Zirkulationssphäre realisiert. Während der mit dem Verkauf der Waren realisier­te Mehrwert (in seiner Erscheinungsform als Profit) in Geldgestalt in den Akkumu­lationsprozeß des Kapitals zurückfließt, um dort in neuem konstanten und variablen Kapital veranlagt zu werden, geht der „erlöste" Gebrauchswertkörper in den individuellen Konsumtionsprozeß ein. Da diese Konsumtion (soweit sie nicht die von ausbeutenden Klassen ist) zugleich die individuelle Reproduktion der Arbeitskraft, des variablen Kapitalteils ist, ist auch sie wieder Bestandteil des übergreifenden Reproduktonsprozesses. (16)

Nicht nur das Kapital reproduziert sich immer wieder von neuem durch die Produktionssphäre, die Zirkulationssphäre und die Konsumtionssphäre hindurch, sondern auch der reale Lebensprozeß der Individuen vollzieht sich für sie als ständig wiederholter Durchgang durch diese drei ökonomischen Sphären. Die einzelnen Verhaltenselemente im Alltagsleben der Individuen lassen sich mit größter Eindeutigkeit einer dieser drei Sphären zuordnen. Schon der Tagesablauf der lohnabhängi­gen Massen zeigt eine Gliederung in drei klar voneinander abgrenzbare Abschnitte: Arbeiten, Einkaufen, Freizeit. Allerdings wäre es verfehlt, das Verhältnis von Pro­duktionssphäre, Zirkulationssphäre und Konsumtionssphäre nur als ein zeitliches Nacheinander im Lebensprozeß der Individuen zu begreifen. Es ist ebensogut ein Nebeneinander. Bei aller Zerrissenheit von Arbeit und Freizeit, produktiver Konsumtion und individueller Konsumtion in der kapitalistischen Gesellschaft zeigt sich doch, daß auch während der „Verausgabung von Nerv, Hirn und Muskel" im Pro­duktionsprozeß gewissen Minimalerfordernissen der individuellen Reproduktion Rechnung getragewerden muß. Frühstückspausen und gute Belüftung, aber auch grüngestrichene Wände, die Herstellung eines wohltemperierten Betriebsklimas durch human-relations-Fachleute und „functional-music", die genau komplementär zur Ermüdungskurve der Arbeiter eingesetzt wird, erfüllen solche Erfordernisse der individuellen Reproduktion. (17) Ebensogut kann u. U. das Einkaufengehen nicht nur Teilhabe an der Zirkulationssphäre bedeuten, sondern mag zugleich bereits Momente der „Feierabend"-Reproduktion beinhalten.

Aber auch wenn man das Verhältnis von Produktion, Zirkulation und Kon­sumtion nicht nur als zeitliche Aufeinanderfolge von Phasen im alltäglichen Lebensablauf, sondern auch als ein Nebeneinander in der jeweils dominanten Sphäre betrachtet und auch wenn man darüber hinaus noch die übliche arbeitsteilige Ausglie­derung zentraler individueller Reproduktionsfunktionen in Gestalt der Hausfrau berücksichtigt, läßt sich immer noch eine relativ eindeutige Zuordnung von Verhaltenselementen und Interaktionssequenzen zu jeweils einer der drei Phasen des ge­sellschaftlichen Reproduktionsprozesses vornehmen. Dadurch erfährt die Interaktion im Alltagsleben eine grundlegende Strukturierung.

Wenn man das Verhältnis von Interaktion und Ökonomie systematisch fassen will, ist es wenig sinnvoll, immer nur eine allgemeine, von der Ökonomie ausgehen­de Formbestimmung, wie das „Tauschprinzip" in der Frankfurter Schule der Sozio­logie, hervorzuheben. Damit wird am Prozeßcharakter sowohl der Ökonomie als auch des sich reproduzierenden Lebens der Individuen vorbeigegangen. Dagegen wäre es nach den unterschiedlichen und widersprüchlichen Formbestimmtheiten zu fragen, die der widersprüchliche ökonomische Prozeß in seinen einzelnen Phasen der Interaktion der Individuen aufprägt. Bestimmten ökonomischen Kategorien müssen bestimmte Interaktionsformen entsprechen. Die ökonomischen Kategorien Produk­tion, Zirkulation und Konsumtion bezeichnen natürlich zunächst nur eine allererste, wenn auch grundlegende Grobgliederung des ökonomischen Prozesses, aber mit ihrer systematischen Berücksichtigung ist der erste Schritt zu einer Untersuchung möglich, die über den erstarrten Vorwurf der Allgegenwart des „Tauschprinzips" hinausgelangt. Zwar begegnet der Doppelcharakter der Waren, aus dem sich der Begriff „Tauschprinzip" herleitet, den Indivuen in allen Phasen, die diese im kapita­listischen Reproduktionsprozeß durchmachen, aber doch auf sehr unterschiedliche Weise. So sind die Anforderungen der Produktion, wo der Doppelcharakter der Waren nur als Bewegung, als Einheit von Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß erscheint, ein Bereich, der von der Frankfurter Schule so gut wie vergessen worden ist. Der Begriff des „Tauschprinzips" bringt so eine einseitige Fixierung auf die Formierung von Bewußtsein und Interaktion durch die bereits vergegenständlichten Produkte hervor, wie sie in der Zirkulation und Konsumtion erscheinen. Die Stärke der „Kritischen Theorie", ihre Konzentration auf die Kritik des bürgerlichen Kul­tur- und Konsumbetriebs, ist zugleich ihre Schwäche.

Charaktermaske und nicht-normative Verhaltensbestimmungen

An diesem Punkt muß auch der mittlerweile vielstrapazierte Begriff der Charaktermaske in Bewegung gebracht, sozusagen verflüssigt werden.

Wenn der Begriff der Charaktermaske die verknöcherten Verkehrsformen be­zeichnet, unter denen die Individuen einander nur als „Personifikation ökonomischer Kategorien" gegenübertreten können, (18) dann müssen die Formen des Sich-Gegenübertretens mit dem Wechsel der ökonomischen Kategorien innerhalb der Phasen des kapitalistischen Reproduktionsprozesses ebenfalls einem Wechsel unterworfen sein. Kapitalist und Lohnarbeiter begegnen sich auf dem Arbeits- oder Konsumgütermarkt, im Betrieb oder der Konsumsphäre auf höchst unterschiedliche Weise, ohne daß sie auch nur in einem dieser Bereiche aufhören könnten, Träger ihrer Charaktermasken zu sein. So betrachtet gibt es also nicht eine ungegliederte Charaktermaske für die Individuen, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Charak-(ennasken, die durch den ökonomischen Prozeß miteinander vermittelt sind.

Mit Hilfe eines solcherart in Bewegung gebrachten Begriffs der Charaktermaske lassen sich die grundlegenden Verhaltensanforderungen, die von den ökonomi­schen Kategorien auf die konkreten, ihr Alltagsleben reproduzierenden Individuen ausgehen, zunächst rekonstruiert, bevor die konkrete Art und Weise betrachtet wird, in der sich die Individuen mit der Formbestimmtheit ihres Verhaltens herum­schlagen und arrangieren. Mit der rollenanalytischen Methode in der bürgerlichen Soziologie hat dieser Ansatz gemein, daß die beobachtbaren Verhaltensformen und -regelmäßigkeiten von „außen" her, von den Anforderungen der sozialen Umgebung abgeleitet werden. (19) Was ihn von der Rollensoziologie unterscheidet, ist der Umstand, daß die Anforderungen nicht als Erwartungen von Personen, oder, wie es in der betreffenden Terminologie heißen würde: „sanktionsfähiger Normenbenefi-ziare" gefaßt werden, sondern als objektive Verhaltenszwänge, die von den dinglich erscheinenden ökonomischen Verhältnissen als solchen ausgehen. Die grundlegenden Verhaltensregelmäßigkeiten kommen „bei Strafe des ökonomischen Unter­gangs" zustande. Das wird besonders deutlich bei den Verhaltenszwängen, die von der kapitalistischen Konkurrenz ausgehen. Man denke etwa an „Verhaltensregel­mäßigkeiten", die sich in ökonomischen Krisenzeiten bei den arbeitslos gewordenen Massen herausbilden: Aufstehen noch vor Morgengrauen, unermüdliches Schlange­stehen vor den Arbeitsämtern, Wettrennen um die in Erfahrung gebrachten Arbeits­plätze, regelmäßige Lektüre im Anzeigenteil der Zeitungen etc. (20) Wenn man das Zustandekommen solchen Verhaltens mit der Terminologie der Rollentheorie zu beschreiben versuchen würde, käme man sofort in Teufels Küche. Es wäre unsinnig, wollte man die Interaktionspartner auf dem Arbeitsmarkt, denen gegenüber der einzelne jene verzweifelte Konstanz seines Verhaltens herausbilden muß, als „Er­wartungsneger" oder „Normenbenefiziare" bezeichnen, die aus der Aufrechterhal­tung der individuellen Verhaltensregelmäßigkeiten irgendeinen Nutzen zögen. Im Gegenteil: gerade ein Abweichen von der Verhaltensregelmäßigkeit muß in ihrem Interesse liegen, weil jedes Versagen, jedes „Aussteigen" eines Schicksalsgenossen die Chancen zu Verkauf der eigenen Arbeitskraft verbessert. Es folgen hier also von den Konkurrenten als Personen auf das Nichteinhalten der grundlegenden situativen Verhaltensanforderungen keinerlei Sanktionen. „Benefiziar" ihrer Einhaltung ist nur der einzelne. Und als „Sanktionssubjekt" erscheinen nur die ökonomischen Verhältnisse selbst, oder aber, anders betrachtet, das Individuum sich selbst gegen­über, wenn es, nach Verinnerlichung der ökonomischen Gewalt, sich die fürs Uberle­ben erforderliche Verhaltenskonstanz immer wieder aufzwängt.

Was hier nur besonders deutlich hervortritt, gilt auch für die beiden anderen Formen der Konkurrenz: die zwischen Kapitalisten und Lohnarbeitern und die innerhalb der Kapitalistenklasse. (21) Darüber hinaus muß man sich vor Augen halten, daß ja auch nach der gelungenen Einstellung in einem Betrieb für die Arbei­ter die Auswirkungen der Arbeitsmarktbewegungen auf ihr Verhalten keineswegs aufhören. Am Beispiel der ökonomischen Kategorie der Konkurrenz zeigt sich, wie wenig eine Verhaltenstheorie, die auf der Ebene der normativen Beziehungen zwi­schen den Individuen verbleibt, zur Erklärung wichtiger Verhaltensstrukturen bei­tragen kann. Die grundlegenden Verhaltensanforderungen, die den Menschen unter der Charaktermaske des Warenbesitzers aufgezwungen werden, lassen sich aus den Interaktionen und den in ihrem Verlauf zustandekommenden Konsensus zwischen den Personen, die einander auf dem Markt gegenübertreten, nicht herleiten; sie dringen gleichwohl in ihre Interaktionen und normativen Übereinkünfte ein und sind für diese konstitutiv.

Im Begriff der Charaktermaske sind die ökonomischen Verhältnisse und das Verhalten von Individuen miteinander vermittelt. Erst in der revolutionären Aktion kehrt sich die „Alltags"-Beziehung zwischen ihnen um. Das Verhalten beginnt, sich gezielt gegen die Verhältnisse zu wenden. Im spontanen Streikverhalten von Arbei­tern etwa, mit dem partiellen Heraustreten aus dem kapitalistischen Produktions­prozeß und dem Erkämpfen neuer solidarischer Verkehrsformen und Kommunika­tionsstrukturen, wird die Einseitigkeit des Konstitutionsverhältnisses zwischen Ver­hältnissen und Verhalten negiert - und zugleich die Charaktermaske, die im Alltags­leben die Interaktionen durch und durch präformiert, in ersten Ansätzen zertrüm­mert.

Gegen die falsche Gleichsetzung von „Charaktermaske" und „Rolle" bei Mer-ton und Dahrendorf (22) soll also festgehalten werden, daß der Begriff der Charak­termaske zunächst nicht auf die Normreguliertheit von Interaktionen innerhalb eines bestimmten „Handlungssektors" zielt, sondern auf die nicht-normativen Formbestimmtheiten sozialer Interaktion durch ökonomische Kategorien, die als konstitutive Bedingungen die Grundstruktur abstecken, innerhalb derer dann eine bewußte (oder unbewußte) Einigung auf bestimmte Normen, gemeinsame Situa­tionsdefinitionen etc. als konkretes Arrangement mit den vorgefundenen wider­sprüchlichen Interessen der Interaktionspartner möglich wird. Über die Charakter­maske gehen die nicht-normativen Verhaltenszwänge, denen sich die Individuen gegenübersehen, in den konkreten normvermittelten Handlungskontext ein. (23)

Individuelle Synthesis und Ich-Identität

Unter der Charaktermaske begegnen sich die beiden oben skizzierten Reproduk­tionsprozesse: einmal der der falschen Subjektivität des Kapitals, zum anderen der der lebenden, sinnlich-konkreten Individuen. Auf beiden Seiten erhält sich durch die besonderen Abschnitte des Reproduktionsprozesses hindurch ein Identisches. Die eine Identität ist die des akkumulierenden Kapitals (24), die andere die Identi­tät der Individuen. Damit ist auf das Verhältnis von gesellschaftlicher Synthesis und individueller Synthesis verwiesen.

Als weiterer Schritt für die Vermittlung einer Interaktionstheorie mit den Kategorien der Politischen Ökonomie scheint uns nun folgende, auf den zweiten Reproduktonsprozeß bezogene Frage von zentraler Bedeutung: Welches sind die grundlegenden Synthestisierungsleistungen, die von den Individuen angesichts der unterschiedlichen Gestalten ihrer ihnen vom ökonomischen Prozeß aufgezwungenen Charaktermasken vollzogen werden müssen?

Nicht nur stehen die Verhaltensanforderungen der aufeinanderfolgenden Cha­raktermasken - grob zu gliedern nach: Marktverhalten, Produktionsverhalten, Kon­sumtionsverhalten - zueinander in Widerspruch, sondern die Verhaltensanforderun­gen der einzelnen Charaktermasken sind zudem, wie noch genauer gezeigt werden wird, in sich widersprüchlich. Es soll danach gefragt werden, wie das Individuum gegenüber den von der Charaktermaske bewirkten „Kompartmentalisierungen" (25) des eigenen Verhaltens eine Identität in der Nichtidentität aufrechterhalten kann. Damit nähern wir uns dem sozialpsychologischen Begriff der Ich-Identität. Seit Erikson bezeichnet in der psychoanalytischen und phänomenologischen Sozialpsy­chologie „Ich-Identität" den Inbegriff der synthetisierenden Leistungen des Indivi­duums. „Das bewußte Gefühl, eine persönliche Identität zu besitzen, beruht auf zwei gleichzeitigen Beobachtungen: Der unmittelbaren Wahrnehmung der eigenen Gleichheit und Kontinuität in der Zeit und der damit verbundenen Wahrnehmung, daß auch andere diese Gleichheit und Kontinuität erkennen. Was wir hier Ich-Iden­tität nennen wollen, meint also mehr als die Tatsache des bloßen Existierens, ver­mittelt durch die persönliche Identität; es ist die Ich-Qualität dieser Existenz. So ist Ich-Identität unter diesem subjektiven Aspekt das Gewahrwerden der Tatsache, daß in den synthetisierenden Methoden des Ichs eine Gleichheit und Kontinuierlichkeit herrscht und daß diese Methoden wirksam dazu dienen, die eigene Gleichheit und Kontinuität auch in den Augen der anderen zu gewährleisten." (26) Das Wechselverhältnis von Identität und Nichtidentität wird in anderen Formulierungen Eriksons, die stark an das Verhältnis von Identität und Sozialität bei G. H. Mead erinnern, noch deutlicher: „Der Begriff .Identität' drückt also insofern eine wechselseitige Beziehung aus, als er sowohl ein dauerndes inneres Sich-Selbst-Gleichsein als auch dauerndes Teilhaben an bestimmten gruppenspezifischen Charakterzügen um­faßt." (27) Für unsere Zwecke kommt nun alles darauf an, die Nichtidentität der kompartmentalisierten Verhaltenselemente nicht bloß, wie es in dieser Formulie­rung angelegt ist, auf die Teilhabe an den Normensystemen unterschiedlicher „Be­zugsgruppen" zurückzuführen, sondern darüber hinaus auf das nichtnormative Sub­strat der wechselnden ökonomischen Kategorien.

Man kann zwei Dimensionen der durch Ich-Identität geleisteten Synthesis unterscheiden: eine horizontale, in der die unterschiedlichen sozialen „Rollen" inte­griert werden (Beruf, Familie, Männergesangverein etc.) und eine vertikale, in der der individuelle Entwicklungsprozeß (oder Verkümmerungsprozeß) zu einer mehr oder weniger konsistenten Biographie zusammengefaßt wird.

In den nachfolgenden Abschnitten wird es vor allem um die Probleme der ersten, horizontalen Form der Synthesis gehen, weil wir uns auf die „sozialisieren­den" Wirkungen der ökonomischen Kategorien in der Reproduktion des Alltagsle­bens konzentrieren wollen.

Es muß darauf hingewiesen werden, daß Erikson den Begriff der Ich-Identität in vereinseitigender Weise an den durchaus schichtspezifischen Selbsterfahrungsmo­di von Intellektuellen oder zumindest „Gebildeten" gewonnen hat, was etwa in seiner" Analyse der Biographie von G. B. Shaw besonders deutlich wird. (28) Darü­ber hinaus hat der Begriff durch seine Aufnahme in den Sprachgebrauch der phäno-menologischen Sozialpsychologie in der Nachfolge von G. H. Mead eine kognitivisti-sche Verengung und idealistische Verdünnung erfahren. (29) Während bei Erikson zumindest noch versucht wird, eine Verbindung zur Freudschen Libidotheorie und Phasenlehre herzustellen, ist in der phänomenologischen Sozialpsychologie die Seite der kognitiven und sprachlichen Integration abstrakt zum Gegenstand genommen worden. Hier müßte der Begriff der Ich-Identität, wie er heute gebraucht wird, ausgehend von der materialistischen Sozialisationstheorie Lorenzers, eine kritische Aufarbeitung erfahren, um die Verankerung der kognitiven und sprachlichen Synthetisierungsleistungen in den Prozessen der Triebintegration wiederherzustel­len. (30)

Obwohl diese Kritik noch nicht geleistet ist, scheint es uns sinnvoll, vorläufig mit dem Begriff der Ich-Identität zu arbeiten. Daß — jenseits der elaborierten und auf relativ hohe Konsistenz zielenden Synthetisierung von Verhaltenselementen bei Intellektuellen - ohne solche elementaren Synthetisierungsleistungen der Repro­duktionsprozeß des individuellen Alltagslebens nicht funktionieren kann, kann als einleuchtend vorausgesetzt werden. So lassen sich die schizophrenen Phänomene, die ja sozusagen ein Aussteigen aus der Alltagswirklichkeit bedeuten, als ein Zusam­menbruch der einheitsstiftenden Kraft von Ich-Identität beschreiben. Verlust von Ich-Identität geht u. a. mit dem Verlust der Fähigkeit einher, die Ich-Grenzen durch den Wechsel des eigenen Verhaltens hindurch wahrzunehmen und die inneren Im­pulse und Umweltreize getrennt zu halten. Damit wird das elementare Vermögen, innere Ansprüche und äußere Realität praktisch miteinander zu vermitteln, gefähr­det. (31)

Das systematisierende Prinzip, unter dem im Folgenden die drei Phasen des kapitalistischen Reproduktionsprozesses durchgegangen werden, ist das Aufzeigen der spezifischen Belastungen für die Erhaltung von Ich-Identität, die von der Cha­raktermaske in ihren sich mit dem Reproduktionsprozeß verändernden Gestalten ausgeht. Dabei sollen vor allem die widersprüchlichen Züge herausgearbeitet werden, die den Verhaltenszwängen unter der Charaktermaske anhaften. Der Bereich, auf den die Untersuchung zielt, befindet sich sozusagen dort, wo die Charaktermaske auf dem Gesicht der sinnlichen Individuen aufliegt und als Formbestimmtheit in ihr konkretes Sozialverhalten und ihre Selbst- und Fremdwahrnehmung eingeht.

Die Betonung der widersprüchlichen Belastungen, die von der Charaktermaske ausgehen, beruht auf einem bestimmten politischen Interesse. Wenn es, wie Peter Brückner vermutet (32), stimmt, daß die Verhaltenszumutungen der einzelnen Le­bensbereiche, etwa der Konsumtion und der Produktion, im Spätkapitalismus in einem „tendenziell anomischen" Verhältnis zueinander stehen — Produktionsaskese auf der einen und „repressive Entsublimierung" auf der anderen Seite —, so ist es sinnvoll, über die Ebene der konkret-historisch in Erscheinung tretenden „Wert-musterkonflikte" (Vester) hinaus zu untersuchen, ob nicht schon den allerallge-meinsten Verhaltensanforderungen unter der kapitalistischen Charaktermaske eine tiefe Widersprüchlichkeit innewohnt. Bestimmte Seiten dieser widersprüchlichen Verhaltensstruktur gilt es in politischen Lernprozessen hervorzutreiben und zur Sprengung der Charaktermaske, deren Moment sie zunächst noch sind, zu verwen­den.

Anmerkungen

1) Vgl. zu den folgenden Thesen vor allem: H. Reichelt, Zur logischen Struktur des Kapital­begriffs bei Karl Marx, Ffm. 1970, und J. Zeleny, Die Wissenschaftslogik bei Karl Marx, und „Das Kapital", Ffm. 1969, S. 75 ff.
2) Kapital, Bd. 1, S. 86
3) Kapital, Bd. 1, S. 86
4) Ebenda, S. 168
5) Ebenda, S. 169
6) Kapital, Bd. 1, S. 169
7) Phänomenologie des Geistes, ed. Hoffmeister, Hamburg 1952, S. 20. Unmittelbar im Anschluß an die gerade zitierte Stelle aus dem Kapital bezieht sich Marx explizit, wenn auch ironisch, auf den Hegeischen Geistbegriff: „Statt Warenverhältnisse darzustellen tritt (der Wert) jetzt in ein Privatverhältnis zu sich selbst. Er unterscheidet sich als ursprünglicher Wert von sich selbst als Mehrwert, als Gott Vater von sich selbst als Gott Sohn, und beide sind vom selben Alter und bilden in der Tat nur eine Person, denn durch den Mehrwert von 10 Pfd. St. werden die vorgeschossenen 100 Pfd. St. Kapital, und sobald sie dies geworfen, sobald der Sohn und durch den Sohn der Vater erzeugt, verschwindet ihr Unterschied wieder und beide sind Eins, 101 Pfd. St." (S. 169 f.)

8) Grundrisse, S. 942/943
9) Kapital, Bd. I, S. 209
10) Kapital, Bd. 1,S. 442
11) Vgl. S. 51 f. dieser Arbeit
12) Zur Vermengung beider Aspekte im Deutschen Idealismus vgl. auch Alfred Schmidt, Der Begriff der Natur in der Lehre von Karl Marx, Ffm. 1962, S. 17 f.
13) Grundrisse, S. 61. Vgl. Adornos Polemik gegen die vorschnelle Integration von Soziologie und Psychologie. „Die Trennung von Soziologie und Psychologie ist richtig und unrichtig zugleich. Richtig, indem sie die den Verzicht auf die Erkenntnis der Totalität giriert, die noch ihre Trennung befiehlt; richtig, als sie den real vollzogenen Bruch unversöhnlicher . registriert als die vorschnelle Vereinigung im Begriff." (Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie (1955), in: Aufsätze zur Gesellschaftstheorie und Methodologie Ffm 1970)
14) Vgl. S. 52 f. dieser Arbeit.
15) Grundrisse, S. 20 - Distribution und Austausch sind nicht identisch, aber die ökonomi­sche Sphäre, in der sie wirken, ist dieselbe: die Distributions- oder Zirkulationssphäre. Im folgenden sprechen wir deshalb nur noch von drei ökonomischen Sphären. (Vgl. auch den „Exkurs" in Teil II.2 dieser Arbeit)
16) Vom wichtigen Problem der unproduktiven Schichten, die zwar in einem Lohnarbeitsver­hältnis stehen, aber ihre Arbeitskraft nicht gegen Kapital tauschen, sondern aus Revenue bzw. Steuergeldern (abgeleiteter Revenue) bezahlt werden, muß hier abstrahiert werden. Es könnte erst auf einer höheren Konkretionsebene behandelt werden.
17) Zur Berechtigung dieser These vom Nebeneinander beider Bereiche vgl. MEW 23, S. 597
18) Vgl. MEW 23, S. 16, 100 und 591
19) Nur auf die wenigen Rollentheoretiker, die, wie etwa Popitz, als Rollen nicht die mehr oder minder konstanten „Erwartungsbündel" der Bezugsgruppen, sondern das faktische Verhalten der einzelnen definieren, trifft das nicht zu. Allerdings wird mit der positivisti-schen Ausblendung des „Rollenverhältnisses", in dem sich der einzelne mit der Rolle als einem seinen Bedürfnissen Äußerlichem arrangieren muß, völlig uneinsichtig, warum ge­rade die Rollenmetapher zur Beschreibung von Verhaltensregelmäßigkeiten herangezogen wird. Mit demselben Recht könnte man dann auch das Verhalten von Reitpferden oder dressierten Hunden als Rollenverhalten bezeichnen. (Vgl. H. Popitz, Der Begriff der so­zialen Rolle als Element der soziologischen Theorie, Tübingen 1967, S. 32 f.)
20) Vgl. anschaulich die Anfangsszenen von Brechts Film „Kuhle Wampe"
21) Zur Dreiteilung der Konkurrenz vgl. Karl Marx, Lohnarbeit und Kapital, Berlin o. J. S. 28
22) Vgl. R. Dahrendorf, Homo sociologicus, Köln/Opladen 1971, S. 27 und zur Kritik J. Matzner, 23) Der Begriff der Charaktermaske bei Karl Marx, in: Soziale Welt, Jg. 15, 1964, S. 130 ff.
Vgl. erstaunlicherweise auch A. v. Cicourel, Method and Measurement in Sociology, New York 1964, S. 194

24) Die Rede vom akkumulierenden Kapital bleibt hier abstrakt. Das Problem der gesell­schaftlichen Synthesis konkretisiert sich erst als das Verhältnis von Gesamtkapital und Einzelkapitalien, die in beständiger Repulsion und Attraktion das Gesamtkapital konsti­tuieren. Vgl. R. Rosdolsky, Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen „Kapital", Ffm. 1968, Bd. 1, S. 61 ff.
25) Zur „compartmentalization" in der Rollentheorie vgl. E. Goffmann, Role-Distance, in: Encounters, Indianapolis 1961, S. 85 ff.
26) E. H. Erikson, Ich-Identität und Lebenszyklus, Ffm. 1966, S. 18; wichtig scheint mir Habermas' Bemerkung, daß „die Grunderfahrung der Reflexionsphilosophie (...) die Erfahrung de;Ich-Identität in der Selbstreflexion"sei. Technik und Wissenschaft als „Ideologie", Ffm. 1968, S. 12
27) Erikson, a.a.O., S. 124
28) Erikson, a. a. O., S. 125 ff
29) Vgl. als abschreckendes Beispiel: A. Stauss, Mirrors and Masks. The Search for Identy, Glencoe 1959 und zur Kritik: J. Habermas, Zur Logik der Sozialwissenschaften, Ffm. 1971, S. 290 ff.
30) Als Überblick über die Theorien, die sich mit dem Problem der Ich-Identität befassen und zum emanzipativen Anspruch einer Theorie der Ich-Identität vgl. L. Krappmann, Soziologische Dimensionen der Identität, Stuttgart 1969
31) zum Erscheinungsbild verlorener Ich-Grenzen vgl. Th. Freeman et. al., Studie zur chroni­schen Schizophrenie, Ffm. 1969. Zur Ätiologie der Unfähigkeit, widersprüchliche Ver­haltenselemente zu synthetisieren vgl. die „double-bind-Hypothese", die sich mehrfach formuliert findet in: Bateson u. a., Schizophrenie und Familie, Ffm. 1969
32) Vgl. Brückner, Zur Sozialpsychologie des Kapitalismus, Ffm. 1972 und M. Vester, Die Entstehung des Proletariats als Lernprozeß, Ffm. 1970

Editorischer Hinweis

Der Text wurde entnommen aus:

Klaus Ottomeyer, Soziales Verhalten und Ökonomie im Kapitalismus, Vorüberlegungen zur systematischen Vermittlung von Interaktionstheorie und Kritik der politischen Ökonomie, 2. durchgesehene und erweiterte Auflage von 1974, Göttingen 1976, S.76-87