Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Rechtsterrorismus (und Versuche dazu)

11/2017

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Über das Phänomen von sich bewaffnenden Neofaschisten und Rechtsextremen in Frankreich – welche sich nicht immer äußerst geschickt anstellen.

Nichtwissen/Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“; Informant zu sein, auch nicht immer. Jedenfalls ging der Betreffenden in diesem Falle nicht straffrei aus, obwohl seine V-Mann-Tätigkeit als erwiesen gilt. Am 09. Oktober 17 verurteilte ein Strafgericht im nordfranzösischen Lille, dessen Vorsitz der - dorthin versetzte - frühere Pariser Anti-Terror-Untersuchungsrichter Marc Trevidic und damit ein prominenter Kopf innehatte, den früheren Boxer und Berufsmilitär Claude Hermant zu sieben Jahren Haft und 30.000 Euro Geldstrafe verurteilt. Die Lebensgefährtin des langjährigen rechtsextremen Aktivisten, Aurore J., erhielt fünf Jahre Haft und ebenfalls 30.000 Euro Geldstrafe.

Seit Januar 2015 saß der heute 54jährige Hermant in Untersuchungshaft. Er fiel in die Hände der Strafverfolger, kurz nachdem der Jihadist Amedy Coulibaly am 09. Januar jenes Jahres den jüdischen Supermarkt HyperCacher an der Pariser Stadtgrenze angegriffen hatte - zwei Tage nach dem Massaker der Brüder Kouachi in der Redaktion von Charlie Hebdo. Coulibaly, der bei dem Angriff vier Menschen tötete und am Ende selbst durch eine Polizeikugel ums Leben kam, hatte dabei mehrere Waffen benutzt, die Claude Hermant zuvor verkauft hatte. Sechs Feuerwaffen waren über den Mittelsmann Samir Ladjali an Coulibaly gelangt. Der Zwischenhändler Ladjali wurde jetzt in Lille seinerseits zu fünfjähriger Haft verurteilt, zusätzlich zu 15.000 Euro Geldstrafe.

Es ist nicht nachgewiesen, dass Hermant gewusst hätte, zu welchem Endzweck die Waffen in diesem Falle bestimmt waren. Gestört hätte es ihn aber wahrscheinlich auch nicht, ist doch der gewalttätige Teil der extremen Rechten an einer Strategie der Spannung – um einen 1969 in Italien entstandenen Begriff aufzugreifen – interessiert: In ihren Augen können Jihadisten ruhig Gewalt anwenden. Denn umso härter wird dann die „Rache“ der Kämpfer für die Reinhaltung des Abendlands Muslime treffen können, unterschiedslos.

Unabhängig von solchen politisch-ideologischen Erwägungen war Hermant seit Jahren in einen Handel mit Feuerwaffen – nicht containerweise, aber in Dutzenderpaketen – aus Ost- und Südosteuropa verwickelt. Die Waffen wurden entschärft nach Frankreich transportiert, dort aber umgerüstet und nachträglich wieder für Tötungszwecke brauchbar gemacht. Das Geschäft wurde über die Slowakei abgewickelt.

Hermant bezog ein Einkommen aus diesem illegalen Handel, sein Wissen um Hintergründe in den einschlägigen Milieus wurde jedoch zugleich durch staatliche Dienste abgeschöpft. Von 2013 bis 2015 wurde er nachweislich durch die nachrichtendienstliche Abteilung der Gendarmerie – einer polizeiähnlichen Einheit, die dem französischen Verteidigungsministerium untersteht – bezahlt. Ein einzelner Gendarm, der 41jährige Sébastian L., wurde jetzt übrigens zusammen mit Hermant verurteilt, erhielt jedoch seinerseits nur acht Monate Gefängnisstrafe. Er hatte eine Waffe bei Hermant erworben, angeblich „um ihn zu testen“, war jedoch sichtlich der Faszination für Schusswerkzeuge erlegen und hatte außerhalb jeglicher Dienstvorschriften gehandelt.

Besonders brisant wird diese Stellung Hermants, zwischen der Anbindung an staatliche Dienste und einem in Eigenregie betriebenen Waffenumschlag, durch seine herausgehobene Position im aktivistischen rechtsextremen Milieu. Claude Hermant war einer der Gründer des Vlaams Huis („Flämisches Haus“), einer früheren Zentrale der identitären Bewegung in Lille, sowie Co-Sprecher des Front populaire solidariste („Solidaristische Volksfront“, das Adjektiv ist eine Selbstbezeichnung rechtsextremer Strömungen seit den 1970er Jahren). Bei Letzterem handelte es sich um einen mehrere Jahre lang in Nordfrankreich aktiven Zusammenschluss der Identitären, die sich gerne als eine Art außerparlamentarische Avantgarde einer kulturell erneuerten extremen Rechten sehen, und den ausschließlich brutalen Stiefelfaschisten der Gruppierung Troisième Voie („Dritter Weg“) unter Serge Ayoub. Troisième Voie wurde im Juni 2013 verboten, nachdem eines ihrer Mitglieder, Esteban Morillo, am 5. jenes Monats den 18jährigen Antifaschisten Clément Méric zu Tode geprügelt hatten.

Die Internetzeitung Mediapart behauptete im März 2017 ferner auf einem ihrer Blogs, Hermant sei in der Vergangenheit auch beim Ordnerdienst des FN, dem DPS („Abteilung Schutz und Sicherheit“), tätig gewesen sein. Laut eigenen Angaben habe er dort „Techniken zur Infiltration und Manipulation von Menschenmengen“ unterrichtet.

Auch wenn er mit Anrechnung seiner Untersuchungshaft bereits rund die Hälfte seiner realen Haftzeit abgesessen haben dürfte: Claude Hermant dürfte nunmehr trotzdem einige Zeit zum Nachdenken hinter Gittern aufweisen. Dadurch hat sich jedoch das Problem der sich bewaffnenden extremen Rechten keinesfalls erledigt.

Am 28. Juni dieses Jahres war in Südfrankreich ein rechtsterroristischer Pläne Verdächtiger im Alter von 21 Jahren festgenommen worden (Jungle World 32/2017). Mittlerweile ist auch sein Name bekannt: Logan Alexandre Nisin. Er soll laut seinen Aussagen bei der Polizei geplant haben, „Dealer, Migranten und Jihadisten“ zu töten. Im Internet rief der als Leiharbeiter tätige junge Mann potenzielle Gefolgsleute dazu auf, sich ihm anzuschließen gegen die von ihm benannten Feindgruppen: „Wir haben geschworen, sie zu töten!“

Nisin war in den vergangenen Jahren Mitglied in mehreren politischen Kleingruppen gewesen. Zunächst war er 2012/13 rund ein Jahr lang bei den Jeunesses Nationalistes (JN) unter Alexandre Gabriac aktiv, einer ausgesprochen gewalttätigen Jugendorganisation, deren Chef Gabriac 2010 wegen des Vorzeigens des Hitlergrußes vom Front National ausgeschlossen worden war. Die JN wurden im Juli 2013 mit einem Verbot belegt, wie andere gewaltaffine rechtsextreme Gruppierungen im Kontexts des Todes von Clément Méric.

Daraufhin hatte Nisin für längere Zeit dem Mouvement populaire pour une nouvelle aurore (MPAN, „Volksbewegung für eine neue Morgenröte“) angehört, einer neonazistischen Splittergruppe, welche die griechische Partei „Goldene Morgenröte“ zum Vorbild hatte. In der Öffentlichkeit machte diese Gruppierung vor allem im Januar 2015 von sich reden. Damals fand in Marseille ein Prozess gegen mehrere Mitglieder statt, die ein Monument zum Gedenken an Missak Manouchian – einen 1944 unter der Nazibesatzung hingerichteten französischen Widerstandskämpfer armenischer Herkunft – geschändet hatten. Die überführten Täter wurden zu gemeinnützigen Arbeitsstunden verurteilt. Daraufhin erklärte die Gruppe ihre „Selbstauflösung“.

Am vorigen Dienstag, den 17. Oktober 17 nun fand eine neue Welle von Festnahmen im Zusammenhang mit den Umtrieben des im von Logan Alexande Nisin statt. Dabei wurden im Raum Marseille dieses Mal zehn weitere Personen festgenommen, neun junge Männer im Alter zwischen 17 und 25 Jahren sowie Nisins Mutter. Dabei erwies sich, dass enge Kontakte auch zu der nationalistisch-monarchistischen Organisation Action française (AF) bestehen. Heute handelt es sich bei ihr um eine Splittergruppe – eine Art Reichsbürger auf französisch -, doch AF war in den 1920er und 1930er Jahren unter Charles Maurras (1868-1952) eine Massenorganisation auf der französischen nationalistischen Rechten gewesen, bevor das faschistische „Modell“ sich dort durchzusetzen begann.

Nach der Auflösung der Neonazigruppe MPNA war Nisin anderthalb Jahre lang bei der AF aktiv, die im Raum Marseille gerade in jüngerer Zeit einige Gewaltaktionen gegen politische Gegner vor allem an den Universitäten verübt hat.

Über die AF bestehen wiederum Querverbindungen zum Front National. Mitglieder der AF umgaben den Bezirksbürgermeister des „siebten Sektors“ von Marseille, Stéphane Ravier vom Front National (FN), bei seiner Wahlfeier am Abend des 30. März 2014. Die Sprecherin der AF Provence, die 25jährige Ana Bizu, war früher Mitarbeiterin der ehemaligen FN-Parlamentsabgeordneten Marion-Maréchal Le Pen, Mitglied der Nationalversammlung von 2012 bis 2017. Ana Bizu arbeitete ihr im Regionalparlament für Südostfrankreich (in Marseille), welchem Marion Maréchal Le Pen seit dessen Neuwahl im Dezember 2015 und bis zu ihrem vorläufigen Rückzug aus der aktiven Politik (im Mai 2017) angehörte, zu.

Le Monde berichtete am Donnerstag, den 19. Oktober 17 jedoch auch, Nisin selbst sei noch im März 2017 durch einen (nicht namentlich genannten) Parteifunktionär des Front National angeboten worden, die Leitung einer Jugendgruppe der neofaschistischen Wahlpartei in Marignane zu übernehmen. Marignane – eine Vorstadt von Marseille - hatte von 1995 bis 2008 einen rechtsextremen Bürgermeister, Daniel Simonpieri.

Nisin schlug dieses Angebot aus, engagierte sich jedoch daraufhin zeitweilig im 2017er Wahlkampf von Marine Le Pen. Ihre unerwartet deutliche Niederlage in der Stichwahl am 07. Mai dieses Jahres scheint, Informationen der Zeitung zufolge, einen Beitrag zu seiner verstärkten Radikalisierung geleistet zu haben. Wie sie auch bei anderen gewaltbereiten Rechtsextremen als eine Art Initialzünder wirkte.

Editorischer Hinweis

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe. Eine Kurzfassung dieses Artikels erschien am Donnerstag, den 26. Oktober 17 in der Berliner Wochenzeitung ,Jungle World´.