Über das Phänomen von sich bewaffnenden
Neofaschisten und Rechtsextremen in Frankreich –
welche sich nicht immer äußerst geschickt
anstellen.
„Nichtwissen/Unwissenheit
schützt vor Strafe nicht“; Informant zu sein,
auch nicht immer. Jedenfalls ging der Betreffenden
in diesem Falle nicht straffrei aus, obwohl seine
V-Mann-Tätigkeit als erwiesen gilt. Am 09. Oktober
17 verurteilte ein Strafgericht im
nordfranzösischen Lille, dessen Vorsitz der -
dorthin versetzte - frühere Pariser
Anti-Terror-Untersuchungsrichter Marc Trevidic und
damit ein prominenter Kopf innehatte, den früheren
Boxer und Berufsmilitär Claude Hermant zu sieben
Jahren Haft und 30.000 Euro Geldstrafe verurteilt.
Die Lebensgefährtin des langjährigen rechtsextremen
Aktivisten, Aurore J., erhielt fünf Jahre Haft und
ebenfalls 30.000 Euro Geldstrafe.
Seit Januar 2015 saß der heute 54jährige Hermant in
Untersuchungshaft. Er fiel in die Hände der
Strafverfolger, kurz nachdem der Jihadist Amedy
Coulibaly am 09. Januar jenes Jahres den jüdischen
Supermarkt HyperCacher an der Pariser Stadtgrenze
angegriffen hatte - zwei Tage nach dem Massaker der
Brüder Kouachi in der Redaktion von Charlie
Hebdo. Coulibaly, der bei dem Angriff vier
Menschen tötete und am Ende selbst durch eine
Polizeikugel ums Leben kam, hatte dabei mehrere
Waffen benutzt, die Claude Hermant zuvor verkauft
hatte. Sechs Feuerwaffen waren über den Mittelsmann
Samir Ladjali an Coulibaly gelangt. Der
Zwischenhändler Ladjali wurde jetzt in Lille
seinerseits zu fünfjähriger Haft verurteilt,
zusätzlich zu 15.000 Euro Geldstrafe.
Es
ist nicht nachgewiesen, dass Hermant gewusst hätte,
zu welchem Endzweck die Waffen in diesem Falle
bestimmt waren. Gestört hätte es ihn aber
wahrscheinlich auch nicht, ist doch der
gewalttätige Teil der extremen Rechten an einer
Strategie der Spannung – um einen 1969 in Italien
entstandenen Begriff aufzugreifen – interessiert:
In ihren Augen können Jihadisten ruhig Gewalt
anwenden. Denn umso härter wird dann die „Rache“
der Kämpfer für die Reinhaltung des Abendlands
Muslime treffen können, unterschiedslos.
Unabhängig von solchen politisch-ideologischen
Erwägungen war Hermant seit Jahren in einen Handel
mit Feuerwaffen – nicht containerweise, aber in
Dutzenderpaketen – aus Ost- und Südosteuropa
verwickelt. Die Waffen wurden entschärft nach
Frankreich transportiert, dort aber umgerüstet und
nachträglich wieder für Tötungszwecke brauchbar
gemacht. Das Geschäft wurde über die Slowakei
abgewickelt.
Hermant bezog ein Einkommen aus diesem illegalen
Handel, sein Wissen um Hintergründe in den
einschlägigen Milieus wurde jedoch zugleich durch
staatliche Dienste abgeschöpft. Von 2013 bis 2015
wurde er nachweislich durch die
nachrichtendienstliche Abteilung der Gendarmerie –
einer polizeiähnlichen Einheit, die dem
französischen Verteidigungsministerium untersteht –
bezahlt. Ein einzelner Gendarm, der 41jährige
Sébastian L., wurde jetzt übrigens zusammen mit
Hermant verurteilt, erhielt jedoch seinerseits nur
acht Monate Gefängnisstrafe. Er hatte eine Waffe
bei Hermant erworben, angeblich „um ihn zu testen“,
war jedoch sichtlich der Faszination für
Schusswerkzeuge erlegen und hatte außerhalb
jeglicher Dienstvorschriften gehandelt.
Besonders brisant wird diese Stellung Hermants,
zwischen der Anbindung an staatliche Dienste und
einem in Eigenregie betriebenen Waffenumschlag,
durch seine herausgehobene Position im aktivistischen
rechtsextremen Milieu. Claude Hermant war einer der
Gründer des Vlaams Huis („Flämisches
Haus“), einer früheren Zentrale der identitären
Bewegung in Lille, sowie Co-Sprecher des
Front populaire solidariste
(„Solidaristische Volksfront“, das Adjektiv ist
eine Selbstbezeichnung rechtsextremer Strömungen
seit den 1970er Jahren). Bei Letzterem handelte es
sich um einen mehrere Jahre lang in Nordfrankreich
aktiven Zusammenschluss der Identitären, die sich
gerne als eine Art außerparlamentarische Avantgarde
einer kulturell erneuerten extremen Rechten sehen,
und den ausschließlich brutalen Stiefelfaschisten
der Gruppierung Troisième Voie
(„Dritter Weg“) unter Serge Ayoub. Troisième
Voie wurde im Juni 2013 verboten, nachdem
eines ihrer Mitglieder, Esteban Morillo, am 5.
jenes Monats den 18jährigen Antifaschisten Clément
Méric zu Tode geprügelt hatten.
Die Internetzeitung
Mediapart behauptete im März 2017 ferner
auf einem ihrer Blogs, Hermant sei in der
Vergangenheit auch beim Ordnerdienst des FN, dem
DPS („Abteilung Schutz und Sicherheit“), tätig
gewesen sein. Laut eigenen Angaben habe er dort
„Techniken zur Infiltration und Manipulation von
Menschenmengen“ unterrichtet.
Auch wenn er mit Anrechnung
seiner Untersuchungshaft bereits rund die Hälfte
seiner realen Haftzeit abgesessen haben dürfte:
Claude Hermant dürfte nunmehr trotzdem einige Zeit
zum Nachdenken hinter Gittern aufweisen. Dadurch
hat sich jedoch das Problem der sich bewaffnenden
extremen Rechten keinesfalls erledigt.
Am 28. Juni dieses Jahres war in
Südfrankreich ein rechtsterroristischer Pläne
Verdächtiger im Alter von 21 Jahren festgenommen
worden (Jungle World 32/2017). Mittlerweile ist
auch sein Name bekannt: Logan Alexandre Nisin. Er
soll laut seinen Aussagen bei der Polizei geplant
haben, „Dealer, Migranten
und Jihadisten“ zu töten. Im Internet
rief der als Leiharbeiter tätige junge Mann
potenzielle Gefolgsleute dazu auf, sich ihm
anzuschließen gegen die von ihm benannten
Feindgruppen: „Wir haben geschworen, sie zu
töten!“
Nisin war in den vergangenen
Jahren Mitglied in mehreren politischen
Kleingruppen gewesen. Zunächst war er 2012/13 rund
ein Jahr lang bei den Jeunesses Nationalistes
(JN) unter Alexandre Gabriac aktiv, einer
ausgesprochen gewalttätigen Jugendorganisation,
deren Chef Gabriac 2010 wegen des Vorzeigens des
Hitlergrußes vom Front National ausgeschlossen
worden war. Die JN wurden im Juli 2013 mit einem
Verbot belegt, wie andere gewaltaffine
rechtsextreme Gruppierungen im Kontexts des Todes
von Clément Méric.
Daraufhin hatte Nisin für
längere Zeit dem Mouvement populaire pour une
nouvelle aurore (MPAN, „Volksbewegung für
eine neue Morgenröte“) angehört, einer
neonazistischen Splittergruppe, welche die
griechische Partei „Goldene Morgenröte“ zum Vorbild
hatte. In der Öffentlichkeit machte diese
Gruppierung vor allem im Januar 2015 von sich
reden. Damals fand in Marseille ein Prozess gegen
mehrere Mitglieder statt, die ein Monument zum
Gedenken an Missak Manouchian – einen 1944 unter
der Nazibesatzung hingerichteten französischen
Widerstandskämpfer armenischer Herkunft –
geschändet hatten. Die überführten Täter wurden zu
gemeinnützigen Arbeitsstunden verurteilt. Daraufhin
erklärte die Gruppe ihre „Selbstauflösung“.
Am vorigen Dienstag, den 17.
Oktober 17 nun fand eine neue Welle von Festnahmen
im Zusammenhang mit den Umtrieben des im von Logan
Alexande Nisin statt. Dabei wurden im Raum
Marseille dieses Mal zehn weitere Personen
festgenommen, neun junge Männer im Alter zwischen
17 und 25 Jahren sowie Nisins Mutter. Dabei erwies
sich, dass enge Kontakte auch zu der
nationalistisch-monarchistischen Organisation
Action française (AF) bestehen. Heute
handelt es sich bei ihr um eine Splittergruppe –
eine Art Reichsbürger auf französisch -, doch AF
war in den 1920er und 1930er Jahren unter Charles
Maurras (1868-1952) eine Massenorganisation auf der
französischen nationalistischen Rechten gewesen,
bevor das faschistische „Modell“ sich dort
durchzusetzen begann.
Nach der Auflösung der Neonazigruppe MPNA war Nisin
anderthalb Jahre lang bei der AF aktiv, die im Raum
Marseille gerade in jüngerer Zeit einige
Gewaltaktionen gegen politische Gegner vor allem an
den Universitäten verübt hat.
Über die AF bestehen wiederum Querverbindungen zum
Front National. Mitglieder der AF umgaben den
Bezirksbürgermeister des „siebten Sektors“ von
Marseille, Stéphane Ravier vom Front National (FN),
bei seiner Wahlfeier am Abend des 30. März 2014.
Die Sprecherin der AF Provence, die 25jährige Ana
Bizu, war früher Mitarbeiterin der ehemaligen
FN-Parlamentsabgeordneten Marion-Maréchal Le Pen,
Mitglied der Nationalversammlung von 2012 bis 2017.
Ana Bizu arbeitete ihr im Regionalparlament für
Südostfrankreich (in Marseille), welchem Marion
Maréchal Le Pen seit dessen Neuwahl im Dezember
2015 und bis zu ihrem vorläufigen Rückzug aus der
aktiven Politik (im Mai 2017) angehörte, zu.
Le Monde berichtete am Donnerstag,
den 19. Oktober 17 jedoch auch, Nisin selbst sei
noch im März 2017 durch einen (nicht namentlich
genannten) Parteifunktionär des Front National
angeboten worden, die Leitung einer Jugendgruppe
der neofaschistischen Wahlpartei in Marignane zu
übernehmen. Marignane – eine Vorstadt von Marseille
- hatte von 1995 bis 2008 einen rechtsextremen
Bürgermeister, Daniel Simonpieri.
Nisin schlug dieses Angebot aus, engagierte sich
jedoch daraufhin zeitweilig im 2017er Wahlkampf von
Marine Le Pen. Ihre unerwartet deutliche Niederlage
in der Stichwahl am 07. Mai dieses Jahres scheint,
Informationen der Zeitung zufolge, einen Beitrag zu
seiner verstärkten Radikalisierung geleistet zu
haben. Wie sie auch bei anderen gewaltbereiten
Rechtsextremen als eine Art Initialzünder wirkte.
Editorischer Hinweis
Wir erhielten den Artikel vom Autor
für diese Ausgabe.
Eine Kurzfassung dieses
Artikels erschien am Donnerstag, den 26. Oktober 17
in der Berliner Wochenzeitung ,Jungle World´.
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