Bernard Schmid  berichtet aus Frankreich

Kacke bleibt Kacke
Front National wurde Rassemblement National

11/2018

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Artikel vom 04. Oktober 18; vgl. auch den Artikel über den Beginn des Europaparlaments-Wahlkampfs von Marine Le Pen & Matteo Salvini

Ein solches Herangehen nennt man mit einem französischen Ausdruck „die Birne in zwei Hälften schneiden“. Im Deutschen hat die Redewendung keine direkte Entsprechung, am ehesten würde man es eine „salomonische Lösung“ nennen. Diese klingt allerdings grundsätzlich positiv, während der französische Begriff neben einem positiven auch einen ausgesprochen faulen Kompromiss bezeichnen kann.

Antifaschist/inn/en dürften die Lösung, die das Pariser Berufungsgericht am vorigen Mittwoch, den 26. September 18 fand, vielleicht nicht optimal finden. Fakt ist, dass die Richter die Summe, an deren Zugang der Rassemblement national (RN, „Nationale Sammlung“) bis dahin gehindert worden war, vergangene Woche genau halbierten. Seit dem 28. Juni dieses Jahres waren infolge einer richterlichen Einstweiligen Verfügung zwei Millionen Euro an staatlicher Parteienfinanzierung, die der neofaschistischen Partei zustanden, eingefroren worden. Seit diesem 26. September d.J. wird nun die Hälfte davon wieder freigegeben – mit der Begründung, eine zugelassen Partei nicht über Gebühr in ihrer Funktionsfähigkeit zu belasten -, die andere Hälfte bleibt durch die Justizbehörden blockiert.

Die Grundlage für die staatlichen Mittelzuflüsse stellt eine Gesetzgebung aus den Jahren 1990 und 1995 dar, welche Subventionen der öffentlichen Hand an alle als relevant geltenden politischen Parteien vorsieht und dafür ihrer Finanzierung durch Privatpersonen und –unternehmen in enge Grenzen verweist, nachdem die frühere Praxis zu Korruptionsskandalen und einer Reihe von Verurteilungen geführt hatte. Ihre Bemessungsgrundlage bilden die Wahlergebnisse der jeweils letzten Parlamentswahlen, im vorliegenden Falle jener vom Juni 2017. Auf dieser Basis stehen dem früheren Front National (FN), der seit dem 1. Juni dieses Jahres in RN umbenannt wurde, jährlich 4,5 Millionen Euro an Zuschüssen zu. Doch die rechtsextreme Partei schuldet dem Europaparlament über sieben Millionen Euro; dies behauptet jeweils die Parlamentsverwaltung sowie das Europäische Amt für Korruptionsbekämpfung OLAF.

Diese werfen dem früheren Front National vor, seit 2009 jahrelang Gelder für die vorgebliche Bezahlung von Fraktionsmitarbeitern und Kostenabrechnungen eingestrichen zu haben, die in Wirklichkeit ausschließlich für inländische Funktionskosten der Partei Verwendung fanden. Insbesondere für die Bezahlung hauptamtlicher Mitarbeiter. Die französische Justiz ermittelt deswegen wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder, im Auftrag der EU-Stellen. Praktischerweise setzte die Partei in ihrer Zentrale Stechuhren für die Erfassung der Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter ein – Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser -, und die Ermittlungsbehörden brauchten die erhobenen Daten bei einer Durchsuchung nur mitzunehmen. Es scheint wahrscheinlich, dass die Partei und ihre Chefin Marine Le Pen an juristischen Konsequenzen nicht vorbeikommen werden. Le Pen hat im diesem Oktober einen neuen Termin bei den zuständigen Untersuchungsrichtern.

Um die Rückerstattung der aus dieser Affäre resultierenden Schulden zu gewährleisten, griff die Justiz direkt bei der staatlichen Verwaltung zu, bevor die Subvention an den FN respektive RN ausgeschüttet wurde. Diese Maßnahme zog alsbald Konsequenzen nach sich: Am 07. September berichteten der Rundfunksender Radio France Inter sowie die Boulevardzeitung Le Parisien ungefähr zeitgleich, der RN habe ein Drittel seiner insgesamt 100 Bezirksbüros in den Départements (Verwaltungsbezirken) des Landes vorläufig dichtmachen müssen, mangels Geld. Auch die geplante Sommeruniversität der Rechtsextremen in Fréjus – einer Stadt an der Côte d’Azur, deren seit 2014 amtierender dreißigjähriger Bürgermeister David Rachline der Partei angehört – musste aus Kostengründen gestrichen werden. Stattdessen fand am selben Ort lediglich eine Fraktionsschulung statt, dieses Mal der Mitarbeiter in der französischen Nationalversammlung, die aus Staatsmitteln bezahlt werden konnte.

Gleichzeitig rief Marine Le Pen seit Juli 18 die Öffentlichkeit in melodramatischen Tönen dazu auf, ihre „vom Verschwinden bedrohte“ Partei zu retten – und ihre Mitglieder sowie Sympathisanten, doch bitte für das Bestreiten der laufenden Kosten Spenden abzudrücken. Am 20. August dJ.. gab die Parteispitze bekannt, von den angestrebten zwei Millionen angeblich 600.000 Euro auf diesem Wege eingenommen zu haben, innerhalb von knapp zwei Monaten. Offensichtlich funktioniert der Appell an die Spendierfreudigkeit nicht ganz so gut wie bei den Konservativen: Ihr damaliger Vorsitzender Nicolas Sarkozy musste im Juli 2013 innerhalb von weniger als einem Monat elf Millionen Euro eintreiben, nachdem die Erstattung seiner Wahlkampfkosten - als Präsidentschaftskandidat aus dem Vorjahr - aufgrund illegaler Praktiken abgelehnt worden war und kurz darauf ein Kredit fällig wurde. Über acht Millionen davon wurden innerhalb von drei Wochen allein über Spenden eingetrieben; der Rest dank einer Bank.

Die extreme Rechte weist offenkundig kein so dichtes Netz aus Sympathisant/inn/en auf, als dass sie zu einer außerstaatlichen Finanzierung in solcher Höhe auch nur halbwegs in der Lage wäre. Zugleich berichtete Radio France Inter, die reale Mitgliederzahl des RN betrage derzeit rund 30.000, während sie im Vorjahr mit 51.487 Mitgliedern ohne Beitragsrückstand angegeben worden sei.

Die Gründe für diesen Rückgang dürften im, aus Sicht der Sympathisanten doch enttäuschenden Abschneiden Marine Le Pens bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2017 – mit 33,4 % in der Stichwahl – liegen, aber auch in den Austritten auf beiden auseinanderstrebenden Parteiflügeln. Noch vor anderthalb Jahren standen sich zwei Positionen diametral gegenüber: Auf der einen Seite propagierte der Partei-Chefideologe Florian Philippot die Position, man dürfe „weder links noch rechts“ stehen, sondern müsse eine Äquidistanz zu beiden Polen des Establishments aufweisen und mittels sozialer Demagogie auch enttäuschte Linkswähler anziehen. Auf dem gegenüberliegenden Pol warb Marion Maréchal-Le Pen um eine Annäherung an den konservativsten und reaktionärsten Teil der bürgerlichen Rechten und um stärker wirtschaftsliberale Positionen. Beide Protagonisten kehrten der Partei jedoch den Rücken: Philippot trat im September 2017 aus und gründete eine eigene, bislang erfolglose Kleinpartei unter dem Namen Les Patriotes. Marion Maréchal-Le Pen zog sich bereits im Mai 2017 aus der aktiven Politik zurück – vielleicht nur vorläufig -, und eröffnete im vergangenen Monat eine in Lyon ansässige Privatuniversität, die für die Ausbildung konservativer und rechter Kader künftig noch eine wichtige Rolle spielen könnte.

Auch Parteichefin Marine Le Pen gesteht heute mindestens indirekt ein, ihr katastrophaler Auftritt beim TV-Duell mit ihrem Gegenkandidaten Emmanuel Macron am 03. Mai 2017 – also vier Tage vor der entscheidenden Stichwahl – habe zu ihrem relativen, doch realen Wahldebakel beigetragen. Am vorigen Donnerstag (27.09.18) schlug sie Macron öffentlich eine erneute gemeinsame Fernsehdebatte vor, im Hinblick auf die im kommenden Mai stattfindenden Europaparlamentswahlen. Und fügte hinzu: „Ich bin nicht traumatisiert“, eine Äußerung, die ungefähr das Gegenteil erkennen lässt. Marine Le Pen möchte bei diesen Wahlen die „erfolgreichen Ideen“ einer Achse Matteo Salvini – Viktor Orban – Wladimir Putin gegen den „Euroglobalismus“ Macrons verkörpern.

Nichtsdestotrotz behält die Partei, trotz bröckelnden Aktivistenstamms, offenkundig eine solide Wählerbasis. Umfragen sagen ihr derzeit, geschlossene Büros hin oder her, 21 Prozent der Stimmen bei der Europaparlamentswahl vorher. Dies würde dem zweiten Platz entsprechen, knapp hinter der Präsidentenpartei LREM (La République en marche) mit derzeit prognostizierten 21,5 Prozent.

Editorischer Hinweis

Wir erhielten diesen Artikel vom Autor für diese Ausgabe.