Iran im Zoff mit Frankreich, Belgien und Deutschland

von Bernard Schmid

11/2018

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Iranische Regimeagenten sollen sich wie die Saudi-Schweine benommen – und Regimegegner im Ausland mit tödlicher Gewalt bedroht haben. Ein Anschlag im Umland von Paris soll vereitelt worden sein. Unten stehender Artikel stammt als Manuskript vom 11. Oktober 18. Seitdem erhebt auch Dänemark Vorwürfe gegen die iranische Diktatur, Attentatspläne gegen Oppositionelle auf dänischem Boden geschoben zu haben ( vgl. https://www.eurotopics.net/de/209150/daenemark-wirft-iran-anschlagsplaene-vor ). Nun ist zwar die von Rechtsextremen in Gestalt der Partei DF ( Dansk Folteparti ) tolerierte, eine migranten- und muslimfeindliche Politik betreibende Koalition in Kopenhagen nicht wirklich vertrauenswürdig; die konkreten Vorwürfe könnten dennoch zutreffen oder müssen zumindest überprüfen werden. Auf den folgenden Seiten nun ein Überblick über die parallel dazu verlaufende Staatsaffäre zwischen Paris, Brüssel, Berlin und Teheran

Damit hätten die Herrschaften wohl nicht gerechnet: Die Guthaben eines iranischen Vizeministers, der für die Nachrichtendienste zuständig ist, und eines weiteren Diplomaten der Islamischen Republik werden in einem zentralen EU-Land eingefroren. Hintergrund ist ein mutmaßlich geplantes Verbrechen gegen politische Widersacher des Regimes. Ein zweites „Gründerland“ der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, (Ur-)Vorläuferin der EU, hatte strafrechtliche Ermittlungen gegen ihn in die Wege geleitet. Ein dritter Gründerstaat genehmigt die Auslieferung eines der betreffenden Diplomaten an den zweiten.

Bei dem dritten genannten EU-Land handelt es sich um die Bundesrepublik Deutschland; die Genehmigung einer Auslieferung des iranischen Diplomaten Assadolah Assadi an Belgien erfolgte kürzlich, am 27. September dieses Jahres, durch das Oberlandesgericht Bamberg. Und in Frankreich entschieden die Behörden am 02. Oktober 18 im Zusammenhang mit denselben von Brüssel ausgehenden Ermittlungen, Guthaben Assadis sowie des iranischen Vizeministers Sayed Haschemi Moghadam auf dem Territorium des Landes einzufrieren. Die Maßnahme gilt vorläufig für sechs Monate. Eine solche vorübergehende Beschlagnahmung von Geldern bildet eine klassische diplomatische Sanktion im Umgang zwischen Staaten. Zwar dürfte sie unmittelbar nur geringen Einfluss auf die Regierungsgeschäfte des Adressaten haben, sie bildet jedoch einen eindeutig verständlichen diplomatischen Warnhinweis. Die iranische Regierung protestierte offiziell gegen die Sanktion und behauptete, ihre französischen Amtskollegen seien falsch informiert, aufgrund eines „Komplotts des amerikanischen Regimes und des zionistischen Regimes“.

Iranische Diplomaten und Geheimdienstminister wurden besonders in der Bundesrepublik in der Vergangenheit mitunter sehr viel zuvorkommender behandelt. Genau ein Vierteljahrhundert ist es her, dass im Oktober 1993 der damalige iranische Nachrichtendienstminister Ali Fallahian in Bonn – seinerzeit noch Bundeshauptstadt – durch den Kanzleramtsminister und Geheimdienstkoordinator unter Bundeskanzler Helmut Kohl, Bernd Schmidbauer, empfangen wurde. Die beiden Herren besichtigten gemeinsam den Kölner Dom, während die oppositionellen Grünen und iranische Exiloppositionelle protestieren. Die Minister vereinbarten zu jener Zeit eine offizielle behördliche Zusammenarbeit, offiziell ging es um unverfänglich klingende Themen wie die Bekämpfung von Umweltverbrechen. Die öffentliche Meinung dachte unterdessen bei einer Erwähnung der Islamischen Republik Iran eher an andere Verbrechen wie die Ermordung von Opponenten im Ausland. In den Jahren 1990 bis 1992 hatte es eine Welle von Anschlägen in diesem Zusammenhang mit teilweise tödlichem Ausgang gegeben, etwa auf die Übersetzer von Werken Salman Rushdies in Norwegen und Japan, oder die Ermordung des iranischen Ex-Premierministers Schahpur Bakhtiar im Sommer 1991 in Paris. Den bitteren Höhepunkt bildete wohl die Ermordung vierer iranisch-kurdischer Politiker am 17. September 1992 im Berliner Restaurant „Mykonos“.

Die repressive politische Natur der Islamischen Republik Iran hat sich seitdem nicht grundlegend verändert, auch wenn möglicherweise die Bindung eines Teils ihrer Herrschaftsträger an Ideologie zugunsten nackter Machterhaltungsinteressen abgenommen haben mag – der Staat bleibt jedoch qua Verfassung auf ideologische Grundlagen verpflichtet. Unmittelbare Mordhandlungen an Exil- und Oppositionsvertretern sind seltener geworden als vor 25 Jahren, allerdings wird eine Urheberschaft des iranischen Regimes an Todesfällen auf deutschem und niederländischem Boden in den Jahren 2015 und 2016 zumindest vermutet. Seit dem 30. Juni dieses Jahres ist jedoch eine größere Affäre ins Rollen gekommen.

An jenem Tag wurden in Woluwe-Saint-Lambert, einem Vorort von Brüssel, ein Iraner und eine Iranerin im Alter von 38 und 33 Jahre festgenommen. Das Paar mit Wohnsitz in Antwerpen befand sich im Besitz eines halben Kilogramms des Sprengstoffs TATP. Bei Verhören behaupteten beide, sie seien iranische Oppositionelle. Auf Kontakte zu Regimevertretern angesprochen, behaupteten beide, durch das Regime in Teheran unter Druck gesetzt worden zu sein, das auch ihre im Iran lebenden Familien bedroht habe. Solche Methoden sind zwar wirklich gang und gäbe – die belgischen Ermittlungsbehörden halten die beiden jedoch weniger für Oppositionelle, sondern vielmehr für iranischen Geheimdienstmitarbeiter.

Die Spur der Untersuchung führte daraufhin unter anderem zu dem in Österreich als Botschaftsmitarbeiter akkreditierten Assadollah Assadi, der den Sprengstoff in Luxemburg übergeben haben soll. Zu seinem Pech wurde er nicht in Österreich – wo er aufgrund seines Diplomatenstatus geschützt ist - , sondern im deutschen Unterfranken aufgegriffen. Dies ermöglichte die nun jüngst erfolgte Entscheidung seiner Auslieferung an Belgien. Die Behörden halten ihn für einen hochrangigen Mitarbeiter des Nachrichtendienstministeriums, das in der staatlichen Hierarchie des Iran wiederum direkt dem nicht gewählten klerikal-politischen Oberhaupt Ali Khamenei unterstellt ist. Eine weitere Spur führte auf französischen Boden, wo kurz darauf der iranische Staatsbürger Mehrdad Arefani festgenommen und an Belgien überstellt wurde.

An den Ermittlungen sollen einer „diplomatischen Quelle“ in Frankreich, die sich gegenüber den Agenturen AFP und Reuters sowie der Pariser Abendzeitung Le Monde äußerte, sowohl belgische und deutsche als auch israelische und albanische Nachrichtendienste beteiligt gewesen sein. Die Rolle Albaniens ist darauf zurückzuführen, dass eine iranische Exilorganisation dort ihren faktischen Rückzugsort bezogen hat, wenn auch unfreiwillig. Es handelt sich um die sogenannten Volksmudschahedin oder mudschahedin-e khalq (ungefähr „Glaubenskämpfer des Volkes“). Rund 4.000 ihrer Kämpfer wurden im Iraq ( o. eingedeutscht Irak, was jedoch auf einer falschen Transkription aus dem Arabischen beruht ), wo sie unter der bis 2003 regierenden Diktatur der Ba‘ath-Partei unter Saddam Hussein ihren Sitz hatte, nach dem Einmarsch der USA festgesetzt. Später suchten die US-amerikanischen und iraqischen Behörden einen Exilort für diese Kämpfer, wofür sich zunächst kein Land bereit erklärte, bis Albanien eine Aufnahme akzeptierte.

Die Volksmudschahedin spielten vor und kurz der Revolution im Iran von 1979 vorübergehend eine wichtige Rolle, verloren dann jedoch im Machtkampf gegen die Fraktion des schiitischen politischen Islam unter Ayatollah Ruhollah Khomeini, die sich mittels Propaganda, Strategie und Gewalt durchsetzen konnte. Die Spezialität der Volksmudschahedin bestand ursprünglich darin, zu behaupten, sie hätten erfolgreich die „Synthese aus Marximus und Islam“ bewerkstelligt. Die Wirklichkeit sieht jedoch weitaus profaner aus: Es handelt sich weder um Linke noch um Islamisten im klassischen Sinne, sondern um eine auf die Personen des Führerehepaars Massud und Maryam Radschawi zentrierte Politsekte, die einen Leitungsstil ähnlich dem in Nordkorea üblichen pflegt. Im Laufe der Jahre wurde die Sekte, die stets einen militärischen Arm unterhielt, in der Auswahl ihrer Bündnispartner immer wahlloser. Diese reichten von Saddam Hussein bis hin zu, aktuell, einigen Persönlichkeiten im Umfeld Donald Trumps, was eine gewisse Skrupellosigkeit auf beiden Seiten belegt.

Auf dem diesjährigen internationalen „Widerstandskongress“ der Organisation, den sie alljährlich in Villepinte im Pariser Umland veranstaltet, nahmen am 30. Juni 18 etwa Sicherheitsberater John Bolton und Trumps Anwalt Rudy Guliani – ein vormaliger New Yorker Bürgermeister – teil. Auf ebendiesen Kongress sollen die Anschlagsvorbereitungen gezielt haben. Dies ist, vorbehaltlich einer juristischen Bestätigung der durch die Behörden präsentierten Ermittlungsergebnisse, durchaus denkbar. Zwar spielen die Volksmudschahedin im Iran nun wirklich keinerlei reale Rolle, denn zwar lehnt die dortige Bevölkerung das amtierende Regime mehrheitlich ab – die Organisation von Massud Radschawi, die im Iran-Iraq-Krieg bis 1988 in den Reihen der Armee Saddam Husseins kämpfte, wird jedoch überwiegend als mindestens genauso übel betrachtet. Doch in den Augen des Regimes handelt es sich aus ideologischen Gründen um besonders gefährliche „Ketzer“, da die Volksmudschadehin sich anders als linke oder monarchistische Oppositionelle selbst als muslimische Glaubenskrieger darstellen. Im Iran werden die Mudschadehin in der offiziellen Terminologie als munafeqin, also „Heuchler“ mit einem gefährlichen falschen Religionsbekenntnis, bezeichnet.

Zeitgleich zur Veröffentlichung der Regierungsdekrete zur Einfrierung der Guthaben der beiden iranischen Protagonisten wurde am 02. Oktober 18 ein schiitisches Sektenzentrum im nordfranzösischen Grande-Synthe durchsucht, das Centre Zarah. Diese seit 2005 bestehende Einrichtung stach bisher vor allem durch kruden Missionseifer hervor. Einer seiner Vertreter, der vom Sunniten- zum Schiitentum konvertierte Franzose algerischer Herkunft Yahia Gouasmi, kandidierte 2009 auf der – mit einem Prozent weitgehend erfolglosen - „Antizionistischen Liste“ der französischen Antisemiten Dieudonné M’bala M’bala und Alain Soral zum Europaparlament. Gouasmi, ein nicht eben heller Verschwörungstheoretiker, sorgte damals mit dem Ausspruch für Aufmerksamkeit: „Hinter jeder Scheidung in Frankreich steht ein Zionist.“ (Vgl. TREND 05/2009: "Französische Antisemiten) Im selben Jahr besuchte Dieudonné M’bala M’bala den damaligen Präsident Mahmud Ahmedinedschad in Teheran; vgl. http://www.slate.fr

Die Durchsuchung richtete sich gegen zwölf Personen, von denen elf die französische Staatsangehörigkeit sowie eine die syrische besitzen, insbesondere wegen ungenehmigten Besitzes von Schusswaffen. Zwei von ihnen wurden im Anschluss der Staatsanwaltschaft vorgeführt. Ausgelöst wurde die Durchsuchung offiziell wegen Veröffentlichung, die Gewalt im Namen des Jihad rechtfertigen. (AKTUALISIERUNG : Inzwischen wurde publik, dass das Zentrum auf behördliche Anordnung hin – sei es vorläufig oder endgültig – die Pforten erst einmal schließen muss; vgl. https://www.lci.fr/ Unsere Trauer hält sich in eng überschaubaren Grenzen!)

Offenkundig handelte es sich um ein Warnsignal an die Adresse des Iran, der das Zentrum unterstützt, auch wenn kein direkter Zusammenhang zu den Vorwürfen bezüglich tatsächlichen oder behaupteten Anschlagsplänen am 30. Juni 18 besteht. Dass die militanten Schiiten Attentate gegen Zivilisten auf französischem Boden durchführten könnten wie die sunnitischen Jihadisten vom „Islamischen Staat“ (IS), schien in der jüngsten Periode eher unwahrscheinlich. Ähnliches kam jedoch in der Vergangenheit auf französischem Boden vor, in einem Kontext, in dem der iranische Staatsapparat seine Interessen auf dem Spiel stehen wähnte. 1985/86 kam es zu Anschlägen auf französische Kaufhäuser, mutmaßlich im Zusammenhang mit dem damaligen engen Bündnis der Pariser Regierung mit Saddam Hussein im Iran-Iraq-Krieg. Im seinerzeitigen Kontext wird eine iranische Urheberschaft allgemein für höchst wahrscheinlich erachtet.

Zugleich macht sich die französische Regierung auf internationaler Ebene für eine Rettung oder Neuverhandlung des Atomabkommens mit dem Iran vom Juli 2015 stark, aus dem die US-Administration im Mai 18 ausstieg. Bei der UN-Vollversammlung Ende September dieses Jahres erklärte Emmanuel Macron, der Weg über diese Vereinbarung sei seit 2015 das bessere Mittel gewesen, um den Iran vom „Weg zur militärischen Atomnutzung“ abzuhalten. Offensichtlich versucht Frankreich, dem iranischen Regime zugleich rote Linien zu markieren, um die französische Position nicht als Blankoscheck zu seiner Unterstützung erscheinen zu lassen.

Editorischer Hinweis

Wir erhielten diesen Artikel vom Autor für diese Ausgabe.