Repression gegen soziale Riots in Mali

von Bernard Schmid

11/2018

trend
onlinezeitung

Schier endlos ist die Schlange der Menschen, die um die späte Mittagszeit vor der Haftanstalt defilieren. Eine Person nach der anderen tritt vor die Uniformträger, enthüllt die mitgebrachte Schüssel aus Plastik oder Metall, sagt ein paar Worte dazu und verschwindet dann wieder. Am Eingang zu Fuße der Gefängnismauer stapeln sich die Behältnisse. Es handelt sich hier um Angehörige, die ihre inhaftierten Familienmitglieder oder auch Freunde und Bekannte mit Nahrung versorgen. Wie in vielen afrikanischen Gefängnissen werden auch hier die Insassen maßgeblich durch ihre Familien ernährt. Wer darauf nicht bauen kann, bekommt eine Portion Reis mit Reis und nochmal Reis und magert innerhalb von ein paar Wochen ab.

Die Gruppe von Untersuchungshäftlingen, die wir heute besuchen, wird auf diese Weise durch einen Ehrenamtlichen ernährt, der in der Stadt Kayes eine Art Gemeinschaftsküche eingerichtet hat. Menschen, die aus der selben Region stammen und in der Hauptstadt Malis, Bamako, oder aber in Frankreich – im Haupteinwanderungsland für Migranten aus dem westafrikanischen Land – leben, sorgen für die Finanzierung. Sie haben sich in Kollektiven zusammengeschlossen. Die insgesamt 56 Untersuchungsgefangenen warten auf ihren Prozess, der jedoch erst in einigen Monaten stattfinden dürfte. Ihnen droht dabei die Todesstrafe, auch wenn diese derzeit in Mali nicht real vollstreckt wird, oder mindestens lebenslange Haft. Der Konflikt, der dem ausstehenden Gerichtsverfahren zugrunde liegt, war eine der heftigsten sozialen Auseinandersetzungen in ganz Westafrika in den letzten Monaten.

Die Gegend, aus der die Inhaftierten kommen, ist die um die Kleinstadt Kéniéba im Grenzgebiet von Mali zu den beiden ebenfalls westafrikanischen Staaten Guinea und Senegal. In ihrem Umland liegen, über wenige Dutzend Kilometer verteilt, allein fünf der Goldbergwerke des Landes. Mali ist nach Südafrika der zweit- oder drittgrößte Goldproduzent Afrikas, je nach Periode, und teilt sich diesen Platz mit Ghana. Allerdings bleibt nur relativ wenig vom Ertrag der Goldminen im Lande, der malische Staat kassiert weniger als zwanzig Prozent des Gewinns der Goldbergwerke über Steuern und Abgaben. Gleichzeitig erwirtschaftet diese Branche dennoch die Mehrzahl der Deviseneinnahmen des Staates. Südafrikanische Firmen sind führend beim Goldabbau, teilen sich aber den Sektor mit kanadischen und auch französischen Unternehmen. Mehrere Filialen des französischen Großkonzerns Bouygues sind etwa als Subunternehmen vieler Mineneigentümer im Abbau und bei Schürfarbeiten tätig.

Ab Mitte Mai dieses Jahres eskalierte ein Konflikt in einer der Goldminen in der Nähe von Kéniéba, dem Bergwerk von Gounkoto. Es gehört der auf den britischen Kanalinseln ansässigen Firma Randgold, wobei Bouygues als Subunternehmen am Betrieb beteiligt ist. Viele der Einwohner von Kéniéba haben trotz der intensiven wirtschaftlichen Aktivitäten in ihrer Region keinen Strom und auch kein fließendes Wasser, beklagen sich jedoch über Rückstände von Quecksilber und anderen Chemikalien aus dem Goldbergbau in den Gewässern der Umgebung. Noch bis vor kurzem herrschte dennoch eine relative soziale Stabilität in der Gegend, denn die Verträge zwischen den Bergbaufirmen und dem malischen Staat garantieren – zumindest theoretisch – die Einstellung von Ortsansässigen, mit einer Untergrenze von mindestens zwölf Prozent des Personals. Arbeitskräfte in den Goldminen verdienen im Arbeiterbereich ab umgerechnet 400 Euro monatlich, was bereits einem mehrfachen Durchschnittslohn in anderen Branchen bespricht. Bei qualifizierten Technikern und Ingenieuren aus Mali sind bis zu umgerechnet 2.000 Euro monatlich drin, während beispielsweise australische Fachkräfte an ihrer Seite auch gerne mal das Fünffache verdienen.

In der Mine von Gounkoto warfen jedoch lokale Arbeitskräfte der für Personalpolitik zuständigen Co-Direktorin in zunehmend scharfer Form vor, eine Art Günstlingswirtschaft zugunsten auswärtiger Angestellter zu betreiben. Gerüchten zufolge waren dabei auch Geldzahlungen im Spiel, indem Teile des Anfangslohns abgetreten würden, um eine Anstellung oder Beförderung zu erhalten – was ansonsten jedenfalls im Staatsdienst in Mali zum Teil gängige Praxis ist. Hinzu kam ein Konflikt um ein Kollektivabkommen zur Lohnpolitik: Die Mehrheitsgewerkschaft, die dem Dachverband UNTM (Union nationale des travailleurs du Mali) angegliedert ist, wurde zugunsten einer für die Beschäftigten ungünstigen Vereinbarung mit einer Minderheitsorganisation ausgebootet. Teile der Arbeiterschaft forderten die Rücknahme dieses, an der Belegschaft vorbei ausgehandelten Abkommens sowie eine Änderung der Personalpolitik. Am 18. Mai dieses Jahres endete eine Gesprächsrunde dazu ergebnislos. Ab dem 20. Mai behinderten rund drei Dutzend Beschäftigte daraufhin den Eingang zum Bergwerk mit einer Sitzblockade. Letztere veranlasste einen Teil der Beschäftigten, am Werkstor kehrt zu machen.

Eine Delegation, die im Namen des Präfekten – des Vertreters des Zentralstaats im Bezirk – vor Ort auftauchte, forderte die Aufhebung der Blockade, deren Teilnehmer jedoch erwiderten, dass sie dazu bereit seien, jedoch zuerst Zugeständnisse der Direktion sehen wollten. Am 23. Mai wurde die Sitzblockade dennoch beendet. Zwischenzeitlich hatte der Beisitzer des Präfekten, der an der Delegation teilgenommen hatte, jedoch an seinen Vorgesetzten gemeldet, man sei angeblich „wie Hunde“ behandelt und angeblich verscheucht worden. Bei einer Versammlung in der Stadt Anfang Juni wetterte der Präfekt daraufhin öffentlich, die örtliche Jugend sei schlecht erzogen. Gleichzeitig forderte er die Beschäftigten der Goldmine zu Verhandlungen mit der Direktion auf – und Letztere antwortete ihre Belegschaft, sie wolle gerne verhandeln, verlange aber ein „grünes Licht“ des Präfekten dafür. Beide spielten sich auf diese Weise die Bälle zu. Gleichzeitig aber erhielten dreißig Beschäftigte ihre Entlassungsbriefe. Nachdem nochmals fünfzehn Arbeiter ihre Vorladung zur Arbeitsinspektion – einer staatlichen Behörde – im Vorgriff auf eine geplante Kündigung erhielten, eskalierte die Wut in der Stadt.

Am 11. Juni, einem Montag, versammelten sich mehrere Hundert Menschen auf einem öffentlichen Platz, nachdem sie durch den crieur public (öffentlichen Ausrufer) per Megaphon zur Teilnahme an einer kollektiven Diskussion aufgefordert worden waren. In ein paar Hundert Metern Entfernung, jedoch außer Sichtweite, steckten andere Aufgebrachte unterdessen die Präfektur, das Wohnhaus des Präfekten sowie eines örtlichen Abgeordneten an. Diese Gebäude brannten alsbald. Die Staatsmacht sah diesem Geschehen zunächst nur zu, holte jedoch ab dem folgenden Tag zum Gegenschlag aus. Nachdem Verstärkung von Polizei, Gendarmerie und Armee auf dem Landweg sowie per Helikopter aus der Hauptstadt Bamako herbeigeholt worden war, setzte eine Verhaftungswelle ein. Auch Unbeteiligte, etwa ein Taxifahrer aus der Stadt an der einige Dutzend Kilometer entfernten Grenze zum Senegal, wurden wahllos festgenommen. In der Nacht vom 12. zum 13. Juni wurden Dutzende Menschen in ihren Häusern auf den Boden gezerrt, zum Teil heftig geschlagen und mitgenommen. Zwei Tage später, nachdem das Fest zum Abschluss des Ramadan vorbei war, transportierte man die Festgenommenen auf Lastwagen angekettet in die Regionalhauptstadt Kayes.

Dort vegetieren sie nun in einer Haftanstalt dahin, in welcher ein Großteil der Gruppe mit anderen Straf- und Untersuchungsgefangenen zusammen in einer Gemeinschaftszelle zusammen wohnt, die mit über zweihundert Personen hoffnungslos überbelegt ist. Geschlafen wird abwechselnd, da aufgrund von Platzmangel nicht alle Insassen des größeren Raums gleichzeitig am Boden liegen können: Ein Teil von ihnen belegt Matratzen, jeweils zu dritt oder viert; Andere schlafen im Hocken, eine dritte Gruppe wiederum muss stehen – in der Hoffnung auf einen Wechsel in der darauffolgenden Nacht. Tagsüber allerdings dürfen die Gefangenen in einen Innenhof. Kayes zählt zu den heißesten Städten der Erde, in der Trockenzeit von Ende März bis Anfang Juni klettern die Temperaturen oft auf über 45° C. Nicht auszudenken, welche Raumverhältnisse dann in den Zellen herrschen, während die derzeitige Regenzeit noch vorübergehende Linderung verschafft.

Diejenigen, die am Brand der Präfektur beteiligt waren, dürften kaum in den Zellen einsetzen, denn mehrere Dutzend Personen verließen die Stadt in den Stunden nach den Ereignissen. Viele von ihnen dürften sich im nahen Nachbarland Senegal aufhalten, da dieses kein Auslieferungsabkommen mit den malischen Behörden unterhält. Ähnlich wie bei den Misshandlungen auf dem Transport aus dem 240 Kilometer entfernten Kéniéba in die Haftanstalt in Kayes handelt es offenkundig sich um eine Racheakt von staatlicher Seite an einer als aufsässig betrachteten Bevölkerung.

Editorischer Hinweis

Wir erhielten diesen Artikel vom Autor für diese Ausgabe.