Buchvorstellung
Hannes Hofbauer:
Kritik der Migration

von Richard Albrecht

11/2018

trend
onlinezeitung

Wenn zutrifft, daß sowohl eine radikale und geschichtliche Kritik an aktuellen Migrationsprozessen als auch an ihren Befürwortern und Unterstützern so nötig wie überfällig ist, dann ist das im Herbst 2018 erschienene Buch des Wiener Osteuropahistorikers und Publizisten Dr. Hannes Hofbauer richtig und wichtig. Hofbauers Buch ist im besten Sinn eine politische Streitschrift. Keine geschichts-, kultur oder sozialwissenschaftliche Studie. Und doch historisch und kultural fundiert.

Im Kern geht es in von Vorwort und Quellen(anhang) umrahmten zehn Kapiteln: Begrifflichkeit, Migrationsursachen, europäische Migrationsgeschichte, Arbeitsmigration, EU-Osterweiterung, muslimische Massenwanderung 2015, (dreifache) gesellschaftliche Auswirkungen der Migration, Kritik des Mythos Mobilität, um ein Doppelanliegen: Einmal wendet sich der Autor gegen die derzeit in westeuropäischen Medien dominante Kernthese der positiven Bewertung und Begrüßung von aus Not entstandenen Fernwanderungen als Zwangsmobilität. Der alle Willkommenskultur begründenden Grundthese vom Recht auf Migration und gutes Leben in der Fremde widerspricht Hofbauer mit seiner antagonistischen Grundthese vom Recht aufs Überleben in der Heimat als Norm(alität). Jede postmodernische Umkehrung ist nicht nur historisch falsch. Sondern auch ihre aktuelle Verkehrung. So daß im gegenwärtig veröffentlichten Mediendiskurs zur Migration aus einer Ausnahme die Regel wird. Die Universalität von Migration ist jedoch nicht ihre Majorität: 2005-2010 gab es "41,5 Millionen Wanderungsbewegungen" bei "7 Milliarden Menschen, die dieses Schicksal nicht teilten. Die Norm ist der Seßhafte, Migration weicht davon ab."(18) Zum anderen stellt der Autor historisch wie aktuell zum dialektischen Zusammenhang von braindrain und braingain als selektiver Migration – Wissensflucht durch Abwanderung professionell Qualifizierter und Wissenszuwachs durch Zuwanderung dieser – so bündig wie zutreffend fest: Massenwanderungen haben sowohl in den Herkunftsländern als auch den Zielländern der Migranten negative Effekte.[1]

Innerhalb dieses Rahmens bewegt sich Hofbauers Argumentation des durch Migration hervorgebrachten Mythos Mobilität. Und freilich benennt Hofbauer immer wieder durchgängig geschichtlich und aktuell die weltwelt wirksamen kapital(istisch)en und imperial(istisch)en Grundstrukturen und Globalverhältnisse mit ihren Kriegen als Migrationsursachen weltweiter Wanderungsbewegungen und Migrationsprozesse.

Auch wenn Hofbauers Kritik der Migration zur auch kapitelbezogenen Lektüre empfohlen werden kann, so seien, abgesehen von bei dieser Materialfülle unvermeidlichen Einzelfehlern und trotz der Materialfülle durchaus vorhandener Leerstellen, abschließend zwei Kritikpunkte angesprochen: Erstens folgt aus Hofbauers Ideologiekritik der "positiven Konnotation menschlicher Mobilität, wie sie medial, politisch und wissenschaftlich in den Zenrumsländern transportiert wird" und der Tabuisierung "mobilitätsferner Vorstellungen" keineswegs das Lob realsozialistischer "Ortsgebun-denheit" und ihrer immobilen "Behäbigkeit" (253ff.). Und zweitens gilt bei aller Historizität das in einer soziologischen Wanderungstheorie herausgearbeitete simmelkritische Konflikttheorem aller (sub)proletarischen internationaler Fernwanderungen und ihrer interessensbezogenen widersprüchlichen Haltungen: "In dem Maße, wie Fernwanderer an dem Zustrom beteiligt sind, wird die kulturelle Heterogenität der Bevölkerung zunehmen – in großen Städten mehr als in kleinen, bei Einwanderung mehr als bei Binnenwanderung. Unterscheiden sich die Zuwanderer physisch oder kulturell stark von den Einheimischen, so können große soziale Distanz, Status-Unterschiede, Spannungen und sogar Konflikte zwischen den beiden Bevölkerungselementen entstehen [...] Die Xenophobie [fremdenfeindliche Haltung] ist aber z.T. eine Funktion der Quantität der Zuwanderung: während der vereinzelte Fremdling als interessantes Phänomen oder als Bringer technischen Fortschritts gastlich aufgenommen wird, ruft Masseneinwanderung einer bestimmten ethnischen oder regionalen Herkunft feindselige Haltungen hervor, besonders wenn die Fremden mit den Einheimischen in wirtschaftliche (Arbeitsplätze, Wohnungen) oder sexuelle Konkurrenz geraten."[2]

Anmerkungen

[1] Telepolis-Interview mit dem Autor 30. 10. 2018 https://heise.de/-4205760; s. auch seine Interviews vom 14. 10. 2018 https://deutsch.rt.com/programme/der-fehlende-part/77539-kritik-migration-oesterreichischer-historiker-hannes-hofbauer-im-gespraech/ und vom 1. 11. 2018 https://www.nachdenkseiten.de/?p=46839

[2] Rudolf Heberle, Theorie der Wanderungen. Soziologische Betrachtungen; in: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, 75 (1955) I: 1-23

 

Hannes Hofbauer
Kritik der Migration
Wer profitiert und wer verliert
.

Wien: Promedia, 2018

271 p., 19.90 €

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.