Kommentare zum Zeitgeschehen
Vollbeschäftigung oder was sonst?


Kurzkommentar von Richard Albrecht

11/2018

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1. Definitorisches

1.1. Gabler

Vollbeschäftigung bezeichnet den Zustand in einer Volkswirtschaft, bei dem alle Produktionsfaktoren eingesetzt und auch ausgelastet sind. In der praktischen Wirtschaftspolitik liegt das Augenmerk zumeist auf dem Faktor Arbeit.

Begriff: Grundsätzlich sollte Vollbeschäftigung (Vollauslastung) im Sinne einer optimalen Beschäftigung für alle Produktionsfaktoren (gesamtwirtschaftliches Produktionspotenzial) definiert werden. In der praktischen Wirtschaftspolitik wird sie allerdings häufig nur auf den Faktor Arbeit bezogen. Vollbeschäftigung liegt demnach vor, wenn alle für eine Beschäftigung geeigneten Personen, die Beschäftigung zum herrschenden Lohnsatz suchen, diese ohne längere Wartezeiten finden können. Unter Berücksichtigung nicht-konjunktureller Arbeitslosigkeit kann deshalb auch schon ein Wert unter 100 Prozent als Vollbeschäftigung angesehen werden.[1]

1.2. Wikipedia

Die Vollbeschäftigung ist die komplette Auslastung aller Produktionsfaktoren in der Volkswirtschaftslehre in einem allgemeinen Sinn. Im engeren Sinn, auf den Produktionsfaktor Arbeit bezogen, steht sie für die Beschäftigung aller arbeitswilligen Erwerbspersonen und ein Gleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt

Definition In der politischen Diskussion wird Vollbeschäftigung meist im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gesehen. Sie wird hier definiert als Nichtüberschreitung eines bestimmten Prozentsatzes der Arbeitslosenquote, z. B. weniger als zwei Prozent. In Regionen mit einem extrem hohen Beschäftigungsgrad können tatsächlich Arbeitslosenquoten von unter zwei Prozent beobachtet werden.

William Henry Beveridge definierte 1945 in seinem Werk Vollbeschäftigung in einer freien Gesellschaft Vollbeschäftigung als einen Zustand, in dem die Zahl der offenen Stellen die der Arbeitslosen übersteigt, wobei er dies bei einem Satz von drei Prozent (friktioneller, d. h. kurzzeitig während eines Arbeitsplatzwechsels bestehender) Arbeitslosigkeit als gegeben ansah.

1.3. Bundeszentrale für politische Bildung

Wirtschaftliche Situation, in der das Produktionspotenzial einer Volkswirtschaft ausreichend genutzt wird. Für den Arbeitsmarkt bedeutet dies z. B., dass der Beschäftigungsgrad hoch ist. Die Zahl der offenen Stellen in der Volkswirtschaft stimmt mit der Zahl der Arbeitssuchenden überein, d. h., alle arbeitswilligen Arbeitnehmer können einen zumutbaren Arbeitsplatz finden. In der Praxis wird davon ausgegangen, dass immer eine bestimmte Menge an Arbeitnehmern den Arbeitsplatz gerade wechselt (friktionelle Arbeitslosigkeit), sodass Vollbeschäftigung nicht erst bei einer Arbeitslosenquote von 0 % vorliegt, sondern bereits bei 2 %. Vollbeschäftigung zählt zu den wichtigsten wirtschaftspolitischen Zielen.[3]

2. Datenlage

Das heißt: Vollbeschäftigung könnte es im strengen Sinn erst dann geben, wenn es auch diese Millionen Menschen, die amtlich arbeitslos gemeldet, unterbeschäftigt oder offiziell unsichtbar / gar nicht existent sind, nicht mehr gäbe. Methodisch wichtig ist das auch zahlenmäßig bestimmbare Verhältnis: die amtlich erfaßte und öffentlich mitgeteilte Arbeitslosigkeit macht etwa 35 Prozent der realempirischen oder wirklichen Arbeitslosigkeit aus.

2.1. Ungenutzes Arbeitskräftepotential

Das ungenutzte Arbeitskräftepotenzial [lag] in der BRD 2014 bei etwa 6 Millionen Personen (2,1 Mio. Erwerbslose, 2,9 Mio. Unterbeschäftigte, 1,0 Mio. stille Reserve): Klaus Dörre (2018)[4]

2.2. Aktuelle Arbeitslosigkeit Oktober 2018

Nach den letztveröffentlichten amtlichen Daten soll es eine offizielle Arbeitslosenquote auf Basis aller zivilen Erwerbspersonen im Oktober 2018 in Höhe von 4,9 Prozent gegeben haben, genauer: "Im Zuge der sich fortsetzenden Herbstbelebung ist die Arbeitslosigkeit von September auf Oktober um 53.000 auf 2.204.000 gesunken. Bereinigt um die saisonalen Einflüsse wird für den Oktober ein Rückgang um 11.000 im Vergleich zum Vormonat errechnet. Gegenüber dem Vorjahr waren 185.000 weniger Menschen arbeitslos gemeldet. Die Unterbeschäftigung, die auch Personen in entlastenden arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und in kurzfristiger Arbeitsunfähigkeit berücksichtigt, ist saisonbereinigt gegenüber dem Vormonat um 9.000 gesunken. Insgesamt lag die Unterbeschäftigung im Oktober 2018 bei 3.142.000 Personen. Das waren 223.000 weniger als vor einem Jahr. Die nach dem ILO-Erwerbskonzept vom Statistischen Bundesamt ermittelte Erwerbslosigkeit belief sich im September auf 1,43 Millionen und die Erwerbslosenquote auf 3,3 Prozent.[5]

2.3. Aktuelles ungenutztes Arbeitskräftepotential

Offiziell werden als Arbeitslose und Unterbeschäftigte 5.346 Millionen Menschen erfaßt und mitgeteilt. Was bei geschätzter "stiller Reserve" von etwa 0.95 Mio. insgesamt auf etwa 6,3 Millionen Menschen als realempirisch arbeitslos verweist. Darin sind die besonders 2015/16 in die BRD gekommenen, nicht erfaßten und hier auch illegal verbliebenen Geflüchteten nicht einbezogen. Mit diesen könnte es sich um einen gesellschaftlichen Exklusionszusammenhang von etwa sieben Millionen Menschen handeln. Damit läge die wirkliche Arbeitslosenquote bei knapp 16 Prozent.

3. Abschlußfrage

Wenn auf Grundlage von amtlichen Daten eine Annäherung an die Vollbeschäftigung (so die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 29. Juni 2018[6]) behauptet wird, bleibt als offene oder Preisfrage, wie denn diese Merkwürdigkeit zu bezeichnen ist: Auf keinen Fall benützbar jedenfalls wäre das Stichwort Lügenpresse. Dieses gilt inzwischen als verfassungsfeindlich ... handelt es sich also schlicht um nachhaltigen Wirklichkeitsverlust da oben – oder um was sonst und um sonst gar nichts?

Anmerkungen

[1] https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/vollbeschaeftigung-48770

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Vollbeschäftigung

[3] http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/21068/vollbeschaeftigung

[4] https://link.springer.com/article/10.1007/s11609-018-0352-z

[5] https://www.arbeitsagentur.de/presse/der-arbeitsmarkt-im-oktober-2018

[6] http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/deutschland-naehert-sich-der-vollbeschaeftigung-15665744.html

Wir erhielten den Kommentar vom Autor für diese Ausgabe.
Dr. Richard Albrecht, PhD. (*1945). Kultur- und Sozialwissenschaftler. Kolumnist des Linzer Fachmagazins
soziologie heute. Leitkonzept The Utopian Paradigm (1991). Letzte Buchveröffentlichung HELDENTOD. Kurze Texte aus Langen Jahren (2011). Korrespondenzadresse eingreifendes.denken@gmx.net

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