Positives Denken und pseudoreligiöse Stimmung im politischen Aktivismus
Am Beispiel von Friederike Habermann: UmCARE zum Miteinander. Sulzbach 2016

von Beate Iseltwald

11/2019

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„Reif ist, wer auf sich selbst nicht mehr hereinfällt“ (Heimito von Doderer).

Friederike Habermann ist eine Vortragsreisende und Autorin für „feministisch-ökologisch und solidarisch ausgerichtete Ökonomie“ (Klappentext). Der Klappentext teilt mit, wo „die Aktivistin und freie Akademikerin“ sich engagiert: Sie sei „aktiv im globalen Widerstand“ (Ebd.).

Habermann pflichtet Harald Welzers These bei, dass das, „was im Moment Realpolitik ist“, „Illusionspolitik ist“ (44). (Seitenangaben ohne weiteren Zusatz beziehen sich auf ihr Buch von 2016.) Sie hält ein grundlegend anderes Wirtschaften für notwendig. Der Grund dafür liege nicht allein in den öffentlich präsenten Mega-Problemen (ökologische Krise, Verhältnis der Metropolen zum globalen Süden). Im Klappentext heißt es: „Eine Ecommony (im Wortspiel mit Economy) befreit unsere Lust und unser Bedürfnis, uns in dieser Welt vielfältig zu betätigen“ und zu ihr beizutragen.

Die Autorin hat das begrüßenswerte Anliegen zu zeigen, dass „Prinzipien für ein neues Wirtschaftssystem zu erfinden keine reine Frage der Theorie (ist), denn sie zeichnen sich bereits ab in den praktischen Ansätzen anderen Wirtschaftens, bei sozialen Bewegungen, in technischen Entwicklungen und im Alltag von immer mehr Menschen“ (Klappentext). Gewiss suchen alle, die für eine Überwindung der kapitalistischen Art des Wirtschaftens werben wollen, nach Beispielen, die zeigen, was in dieser Richtung bereits unterwegs und möglich ist. Allerdings wäre es ratsam, dass die Beispiele überzeugend ausfallen und nicht selbst massive Pferdefüße enthalten.

An Habermanns Buch fällt auf, dass sie häufig gesellschaftliche Probleme herunterbricht auf Lösungsvorschläge, die für kleine Gemeinschaften sinnvoll sein können. Die Autorin „textet“ ihre Leser zu. Eventuelle Zweifel werden mit einem Wust von Beispielen und Zitaten erstickt. Kaum kommt die Frage nach Besitz ohne Privateigentum auf, schon prasseln auf den Leser Informationen über Repaircafés, eine Rentnerinitiative zur gegenseitigen Hilfe bei kleinen Reparaturen im Alltag und Umsonstläden ein. Die Frage, ob diese gewiss unterstützenswerten Praktiken nicht Randphänomene bleiben, die das Privateigentum, auf das es gesellschaftlich ankommt und das wirklich zählt, gar nicht tangieren, fehlt vor lauter bunten Einzelheiten. Eine Auseinandersetzung mit den Grenzen, die – um nur ein Beispiel zu nennen – schon das car-sharing hat, findet nicht statt.

Die oppositionellen Zusammenkünfte auf dem Istanbuler Taksim-Platz im Jahre 2013 gelten der Autorin als Beispiel dafür, „‚dass Menschen tatsächlich zusammenkommen und ein ‚common life’ ohne herrschende Macht, Hegemonie oder ein Monopol leben können’ (Mem Aslan)“ (86). Eine Ausnahmesituation wird bemüht, wo es um „die Mühen der Ebene“ (Brecht) ginge, also um die Frage, wie eine Gesellschaft nicht nur am Sonntag, sondern auch am Werktag dauerhaft „ganz anders“ sein kann.

Habermann sieht eine hoffnungsvolle Tendenz darin, dass viele Bürger „zunehmend zu ‚Dr. Google’“ oder ähnlichen Netzseiten greifen. „Diese sind zwar bekannt dafür, dass sie insbesondere zu Hypochondrie führen, und sicherlich ist es gefährlich, sich auf sie zu verlassen, doch zugleich ermöglichen sie eine neue Form der Autonomie. Nicht für jede Kleinigkeit muss erst bangend stundenlang in überfüllten Warteräumen die Zeit totgeschlagen werden. Und mit der Zeit ist das Phänomen eines patientengeführten Gesundheitswesens immer ernster zu nehmen. Rifkin erinnert in dem Zusammenhang daran, dass auch beim Start von Wikipedia davor gewarnt wurde, die Demokratisierung wissenschaftlicher Forschung könne die hohen akademischen Standards kompromittieren“ (58f.). Diese Passage ist leider typisch für das Buch. Es wird allerhand zusammengerührt, das nicht zueinander passt. Wer rennt denn „für jede Kleinigkeit“ zum Arzt? Und wer will politisch glauben machen, das sei so? Lange bevor das Internet aufkam, existierte beim Durchschnittsmitbürger ein Alltagswissen über Erkältung, Verdauungsprobleme, Wunden u. ä. Und wenn es auch sonst kaum Bücher im Haushalt gab, so war doch mit hoher Wahrscheinlichkeit neben dem Kochbuch ein Titel wie „Das große Gesundheitsbuch“ anzutreffen. Wikipedia präsentiert bestenfalls bestimmte Resultate der Wissenschaft mehr oder minder angemessen und selektiv – was hat das mit der „Demokratisierung wissenschaftlicher Forschung“ zu tun? Welchen Einfluss hat wikipedia auf die Prioritäten der Forschung? Wie kommt Habermann darauf, vom Lob des Laienwissens und der Laientheorien bei Patienten überzugehen zur These, das „Phänomen eines patientengeführten Gesundheitswesens“ sei „immer ernster zu nehmen“? Wo sie „Phänomen“ schreibt, müsste „Phantom“ stehen – so unklar bleibt das, was Habermann unter „patientengeführtes Gesundheitswesen“ meint. Sie erläutert es auch nach dem wiedergegebenen Zitat nicht, schnell ist sie schon wieder bei etwas ganz anderem. Durchdacht hat sie ihren Einfall nicht, Wissensportale im Netz würden das Wissensgefälle zwischen Experte und Laie in der Medizin schon irgendwie auflösen. „Stimmt es, dass wir dank Internet und immer reichhaltigerer Gesundheitsaufklärung zunehmend zu einem Volk von mündigen, gutinformierten Patienten werden? Schön wär’s! Der Overkill an halbgaren, widersprüchlichen und schlecht aufbereiteten medizinischen Informationen hinterlässt weniger kompetente denn verängstigte Bürger“ (Gerd Marstedt: Die Mär vom ‚informierten Patienten’. In: Psychologie Heute, Mai 2008, S. 65).

Das Unangenehme an Arbeiten weginterpretieren

Als Grund dafür, dass Arbeiten und Tätigkeiten nicht nur wegen ihres Nutzeffekts für Menschen wichtig sein können, nennt Habermann: „Reproduktive Tätigkeiten können eine Form von Arbeitsmeditation darstellen, wenn sie nicht ausschließlich, sondern immer wieder mal zwischendurch stattfinden“ (61). Das bezieht sich im günstigen Fall auf Tätigkeiten wie z. B. das Abwaschen, das Putzen u.ä. Wie verhält es sich aber z. B. mit der Müllabfuhr? Habermann zitiert (auf S. 79) die Frage „‚Wenn alle immer nur noch machen, worauf sie Lust haben, wer macht dann die Drecksarbeit?’“. Habermann antwortet darauf, indem sie wieder zitiert: „Es gelte, unschöne Tätigkeiten schön zu gestalten – das ist sinngemäß der zweite Teil von Van Bo Le-Mentzels Antwort. Und entspricht auch einem der Aspekte, mit denen Christian Siefke auf diesen Standardeinwand reagiert: Vieles sei nur im Kapitalismus so organisiert, dass es unangenehm sei. Die Müllabfuhr schlägt er als eine Art Computerspiel vor. Doch Kratzwald wendet zu Recht ein, dass es besser praktisch keine Müllerzeugung mehr geben solle“ (79). Habermann zitiert zustimmend Autoren, die anlässlich eines ernsten Problems in eine Sektlaune geraten. In ihr kommt die soziale Realität nur noch im Modus von Späßchen vor, die sich über solch spröde Themen erheben und mit ihnen nichts zu tun haben wollen: Das Problem der Müllabfuhr – warum nicht als Computerspiel praktizieren? Der Müll selbst – der wäre doch gar kein Problem, wenn es ihn nicht gäbe. Das lässt sich mühelos von so ziemlich allem behaupten.

Auch über den Bergbau, eine weitere typische Stätte harter und schmutziger Arbeit, hat Habermann so ihre Gedanken bzw. referiert Gedanken anderer. Ich zitiere die Passage komplett und füge Ziffern ein: „(1)Von Männern werden meist als erstes das Reinigen der Toilette oder Reinigungsarbeiten allgemein als unangenehme Tätigkeiten genannt – aber haben die alle eine Putzkraft zu Hause, dass sie das im Kapitalismus nicht auch tun? (2) Frauen, so Brigitte Kratzwalds Wahrnehmung, führten oft die Arbeit im Bergwerk an. (3) Doch erstens erlaube heutige Technik, Menschen sicher auf den Mond und wieder zurück zu fliegen, warum also nicht auch sicher ins Bergwerk rein und wieder raus, und (4) zweitens stiegen Menschen auch freiwillig in Höhlen, um sie zu erforschen; warum sollten nicht welche einige Zeit in einer Mine tätig werden wollen, wenn die Bedingungen entsprechend seien“ (81). In Satz 4 folgert Habermann aus der Tatsache, dass manche Mitmenschen gern Höhlen erforschen und deshalb in sie einsteigen, dass etwas ganz anderes – nämlich Arbeit im Bergwerk – doch durchaus attraktiv sein könne. Habermann macht dann den tautologischen Zusatz: „wenn die Bedingungen entsprechend seien“. Die Autorin erläutert dies in Satz 3 mit einem Vergleich zwischen Raumfahrt und Bergbau und pflichtet einem Technikoptimismus bei. Dieser bezieht sich auf die „Sicherheit“, mit der Menschen zum Mond und ins Bergwerk kämen. Diese „Sicherheit“ sagt aber rein gar nichts aus über die Lebensqualität der Arbeit in der Raumfahrt oder im Bergwerk. Im Gegenteil: Gerade die zu erfüllenden Sicherheitsauflagen in einer menschenfeindlichen Umwelt sind es, die den Raumfahrern Bedingungen auferlegen (Strahlung, Raumfahreranzug, Astronautenkost), die alles andere als attraktiv sind. Satz 1 enthält einen bei vielen Feministinnen verbreiteten Blick auf „unangenehme Tätigkeiten“ von Männern. Tatsache ist, dass die gefährlichsten, gesundheitlich abträglichsten und körperlich anstrengendsten Arbeiten Männern zugewiesen werden. Vor diesem Hintergrund wirkt es schon etwas speziell, dass die Autorin ihren Lesern mitteilt, wenn Männer an unangenehme Arbeiten dächten, so dächten sie ans Kloputzen. Verständlich wäre diese Mitteilung vielleicht, würde das Zitat in einen Kontext eingebettet sein, in der die Arbeitsverteilung im Haushalt zwischen Mann und Frau das Thema bildet. Das ist aber nicht der Fall.

Gegensätze ignorieren

Gegensätze zwischen Teilzielen der grundlegenden Veränderung sind für Habermann kein Thema.

Einerseits zitiert sie zustimmend die Meinung, „viele Arbeiten, ja, ganze Berufe“ seien „schlichtweg überflüssig, denn es gibt sie nur, weil es Geld gibt.“ (80). Einsparen könne und solle die Gesellschaft z. B. „industrielle Kernsektoren (Hochbau, Tiefbau, Maschinenbau), was wiederum zur Folge habe, dass weniger Energie verbraucht werden müsste“ (80). Andererseits zitiert Habermann gleich im nächsten Absatz beipflichtend den Gedanken, „viele langweilige Routinetätigkeiten könnten automatisiert werden“ (80). Der Widerspruch, sich einerseits für das Verschwinden des „Maschinenbaus“ auszusprechen, andererseits für die Automatisierung „langweiliger Routinetätigkeiten“, kümmert die Autorin nicht.

Einerseits hält die Autorin es hofferisch für bare Münze, wenn ein Vortragsreisender über die Praxis im selbstverwalteten Betrieb Vio.Me in Thessaloniki feststellt: „The factory ist a place of fun now“ (73). Andererseits bezieht sich Habermann positiv auf ein „‚Gesetz’“, „dessen Wahrheit sich immer wieder erstaunlich bestätigt findet“. Es laute: „‚Given enough people you will find a nerd for every task hat has to be done’“ (81). Habermann vergisst mit diesem „Gesetz“ die Perspektive, die Arbeiten so umzugestalten, dass sie die Subjektivität der Menschen positiv entfalten, und geht über zum Lösungsvorschlag, jeweils die Person ausfindig zu machen, die mit ihrer problematischen Subjektivität („nerd“) zur problematischen Arbeit passe.

Einerseits ist „Gegenseitigkeit“ ein hoher Wert für Habermann. Das Problem des Wissensgefälles zwischen Experten und Laien ignoriert sie beflissentlich. Die Autorin schwärmt davon, „dass sich Wissen durch das laterale, also sich gegenseitige Beibringen vervielfacht“ (58). Was aber bringt der Zahnpatient dem Zahnarzt auf dem Zahnarztstuhl bei? Das von Habermann favorisierte Prinzip „Beitragen statt Tauschen“ sei nicht mit „Wohltätigkeit“ zu verwechseln, „sondern es basiert auf dem Gedanken der Gegenseitigkeit; dem Vertrauen, dass die andere Person für sich schaut, wie sie beitragen kann“ (65). Zugleich betreffen Caretätigkeiten gerade Relationen zwischen Menschen, in denen es ein Gefälle gibt zwischen dem, was sie „beitragen“, handelt es sich doch häufig um den Kontakt zwischen Gesunden und Kranken, Jungen und Alten, Eltern und Kindern. Bei solchen „asymmetrischen Beziehungen“ steht „die Abhängigkeit im Zentrum“ (31).

In Sonntagsreden werden alle Ecken rund

Das Stillen eines Babies zeigt Habermann zufolge, wie wenig Freiheit und Lust (26) sowie Abhängigkeit, Freiheit und Notwendigkeit (149) Gegensätze sind. Die Autorin stilisiert im letzten Teil ihres Buches die gesellschaftliche Wirklichkeit zu Anwendungsfällen für dünnste pseudophilosophische Abstraktionen. Ihr Vorschlag lautet: CAREt ab vom binären Denken! Lasst ab davon, diese Abstraktionen einander entgegenzusetzen, sondern versteht sie richtig – als sich gegenseitig positiv steigernd oder positiv miteinander rückgekoppelt (wie Beuger und Strecker)!

Insbesondere der letzte Teil des Buches (ab S.141) ergeht sich im „Jargon der Eigentlichkeit“. Er „beschirmt“ seinen Anhänger „vor der Unannehmlichkeit, ernsthaft zur Sache sich zu äußern, von der er nichts versteht, und erlaubt ihm doch, womöglich übersachliche Beziehungen zu ihr vorzutäuschen. Dazu eignet der Jargon sich so gut, weil er stets von sich aus den Schein eines abwesenden Konkreten mit dessen Veredelung vereint“ (Theodor W. Adorno: Jargon der Eigentlichkeit. Frankfurt M. 1969, S. 69). Habermann bietet Sinnsprüche in Serie an. Lohnabhängige werden sich erfreuen an der Weisheit „‚Jedes Geben ist in Wirklichkeit ein Weitergeben dessen, was man bekommen hat’“ (155). Auch angesichts der Knappheit von Ressourcen, die bei der Verwendung für einen Zweck oder für das Interesse einer Gruppe einer anderen Gruppe oder einer anderen Region nicht zur Verfügung stehen, weiß Habermann zu trösten – wieder mit dem Zitieren eines blumigen Kalenderblattverses: „Ein wichtiger Schritt zu einem guten Leben ist der, den Blick für die in Wirklichkeit vorhandene Fülle zu richten (sic!): die Fülle, die die Erde schenkt … die Fülle an Gaben, die die meisten Menschen täglich erhalten“ (162). Knappheit gilt Habermann als Missverständnis der Realität, die von Fülle charakterisiert sei. Angesichts von Problemen in Gruppen weiß HabermannRat zu erteilen, indem sie Autorinnen zitiert, die „eine neue Form von Kollektivität“ empfehlen. Sie „basiert auf einer Wertschätzung vielfältiger Individualität, bei der die Einzelnen sich nicht dem großen Ganzen unterordnen, sondern darin einen selbst gewählten, ihnen angenehmen Platz finden“ (151). Solche Redensarten, die „das Herz erheben, aber die Vernunft leer lassen“ (Hegel), bietet Habermann mit vielen weiteren Zitaten seitenlang an. Ich schwelge, also bin ich. All das grenzt an Realsatire. Habermann meint es völlig ernst.

Bewusstsein und Selbstbewusstsein

Die Unterschätzung von Care-Tätigkeiten zu revidieren ist erforderlich. Habermann schreibt dazu: „Care-Logik erlaubt einen anderen Blick auf das gesamte Wirtschaften: Denn wenn es Care ist, einer Kranken Essen zu verabreichen – warum sollte es nicht Care sein, das Essen anzubauen? Wenn es Care ist, ein Kind ins Bett zu bringen – warum sollte es nicht Care sein, das Bett zu produzieren?“ (67). Manche verstehen unter Arbeit nur Erwerbsarbeit. Die Autorin antwortet auf diesen Fehler mit einer niveaugleichen Retourkutsche: Alle Arbeit ist Care-Tätigkeit. Die grenzenlose Ausweitung des Care-Begriffs macht ihn inhaltlich leer. Wenn Care alles „sein soll“, was ist dann Care?

Wer eine ernsthafte Denkarbeit an Problemen einer nachkapitalistischen Lebensweise und Weise des Wirtschaftens erwartet, wird von Habermanns Buch enttäuscht sein. Ihre Gedankengänge sind oft sprunghaft. Sie wechselt Ebenen und Themen auf abenteuerliche Weise und schließt sie miteinander kurz. Da Habermanns „Begriffe so unscharf“ sind „wie Gestalten in einer Waschküche“, kann die Autorin „von keiner ihrer Idee eine Weile sprechen, ohne unversehens schon in die nächste zu geraten“ (Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. Reinbek bei Hamburg 1981, S. 458).

Habermanns Buch wirkt wie das Spiel einer Jongleurin, die alle Bälle nur ganz kurz anfassen kann und viele Bälle gleichzeitig hochwirbelt. Damit lässt sich zuverlässig vermeiden, irgendeinem einzelnen Thema nachzugehen. „Das ideenflüchtige Denken wird nicht mehr von einer Zielvorstellung straff geführt, sondern wechselt oft das Ziel oder verliert es. Das Denken wird dauernd von dazwischenkommenden anderen Einfällen abgelenkt“ (Christian Scharfetter: Allgemeine Psychopathologie. Stuttgart 1996, S. 151f.). Da aber immer gleich schon von etwas anderem die Rede ist, fehlt jeweils die Zeit dafür einzuhaken. Wie der Lahme dem Blinden, so soll der eine nicht durchdachte Gedanke dem anderen halbgaren Einfall beistehen und umgekehrt.

Die Autorin erklärt nebenbei auch schnell mal die Ess-Sucht: „Erst Diäten machen esssüchtig, da durch den Gedanken, es gäbe nicht genug, oder aber durch das schlechte Gewissen beim Genießen die Befriedigung verdorben wird“ (160). Schade nur, dass Habermann nicht auch noch die Krebskrankheiten in einem Satz … bespricht. Einige Zeilen später dann die Mitteilung der Autorin, die selbst elfenschlank ist: Habermann sagt in Ich-Form, es sei "meine Überzeugung, dass zum relaxt schlank bleiben gehört, immer genau das zu essen, worauf mensch Lust hat“ (Ebd. 161). Care in Großbuchstaben zu schreiben koexistiert bei Habermann damit, sich unempathisch und ignorant zu Mitmenschen zu verhalten, für die Übergewicht ein Problem ist. „UmCARE zum Miteinander“ – so der Untertitel des Buches – zu predigen koexistiert mit einer Unsensibilität aus Mangel an Einsicht in die eigene Inkompetenz. Ihre Stellungnahme zeigt: Sie weiß nicht nur nichts über Essprobleme, sondern ihr ist auch nicht bewusst, dass sie nichts weiß. Deshalb schwatzt sie Phrasen daher und bietet Patentrezepte und Leerformeln feil: „immer genau das essen, worauf mensch Lust hat“. Und erachtet dieses Gerede als ein weiteres Beispiel dafür, wie sie zu „Care“ und „Miteinander“ „beiträgt“. Auf das Bewusstsein von dem, was sie tun, kommt es solchen „Aktivisten“ weniger an als auf das „Selbstbewusstsein“, mit ihrer Praxis und ihrer Existenz ganz & ganzheitlich immer busy „dem Positiven Raum zu geben“ (9). Ebenso massive wie komplexe gesundheitliche Probleme wollen sie mit einfältigen Sprüchen von sich fern halten und reden sich und anderen die entsprechende Kälte vollmundig als Zuwendung schön.

Die Selbstdarstellung, es handele sich bei der Autorin um eine „neoliberal geschulte und marxistisch belesene Ökonomin“ (16), ist überraschend. Wer wäre aus der Lektüre des Buches darauf gekommen? In ihm macht sich weder das eine noch das andere bemerkbar. Habermann malt sich in ihrer social fiction die Welt, wie sie ihr gefällt. So begrüßenswert ihr vermeintliches Anliegen ist, nach einer Wirtschaft jenseits von Markt und Staat (84) zu suchen, so entnervend wirken die Eigentore, die das Buch in Serie enthält.

Das Verlangen nach pseudoreligiöser Gestimmtheit

Die Autorin prüft ihre Gedanken nicht inhaltlich. Die Wohlfühlwirkung ist der Maßstab ihres affektiven Denkens. Sie überzeugt ihre Leser nicht, sie vereinnahmt sie. Das schließt home-stories ein über Habermanns „Lieblingsschoki“ (Schokolade) (161) und ihren „Compi“ (PC) (61). Alle sollen sich einig fühlen mit ihrem Vorhaben, „dem Positiven Raum zu geben“ (9). Ihr Buch gleicht trotz aller Zitate eher dem Monolog eines fast manischen „Zweckoptimismus“ (128). Die Grenzen, Probleme und Widersprüche der herbeizitierten „positiven“ Praxen sind nicht nur kein Thema, sie sollen es auch bloß nicht werden.

Habermanns Parole „UmCARE zum Miteinander“ klingt nicht nur wie eine Mischung aus Kirchentag und Berliner Stadtreinigung (BSR). Letztere war ja bereits 1999 mit dem Reklameslogan „we kehr for you“ aufgetreten. Welche Rolle die Müllabfuhr bei der Autorin spielt, haben wir bereits erfahren. Wenden wir uns nun ihren religiösen Erweckungserlebnissen zu. Habermann muss unbedingt ihre Empfindungen bei einer Demonstration anlässlich eines Klimagipfels in Paris mitteilen: „Nun spannen wir von einer nahen Brücke ein rotes Tuch über die ganze Breite der Seine: Es folgt eine Multitude aus Zeremonien, authentisch und queer zugleich: die traditionellen Lieder, Farben und Sagen – von Maoris aus Aotearoa, Sammi aus Sápmi oder Kuna aus Kuna Yala – werden gemischt und mit uns Nicht-Indigenen geteilt: Trachten sind zum Teil aus alten Bannern genäht. ‚Wir sind gekommen, Euch Medizin zu bringen’, sagt eine ältere Lummi. Sie lehrt uns ein Lied ‚gegen jede Art von Sucht’: Auch CO2-Sucht, Öl- und Kohle-Sucht. Kapitalismus-Sucht.’ Gemeinsam singen wir. Dann brechen wir auf zum Arc de Triomphe“ (175). Der „Kampf“ als inneres Erlebnis. Pseudoreligiöser Kitsch, Lummi-Romantik und aufgesetzte Bezugnahme auf modische Vokabeln wie „Multitude“ werden zusammengerührt. Habermann lässt nichts aus. Fern davon, „authentisch“ zu sein, macht die zitierte Passage den Eindruck einer verzweifelten Alleinunterhalterin, die auf möglichst viele Stimmungs- und Reklameknöpfchen drücken will – „authentisch und queer zugleich“.

Ein Buch an einem inhaltlichen Anliegen zu messen (und insofern „Eigentore“ festzustellen) ist ihm nur dann angemessen, wenn dieses Anliegen das Buch ausmacht. Anders verhält es sich dort, wo es, wie in Habermanns Text, zwar nicht ausschließlich, aber doch durchgängig um einen pseudoreligiösen Drang geht. Also um das Verlangen, eine „negative“ oder dysphorische affektive Gestimmtheit zugunsten von „positivem“ Denken und Fühlen zurückzudrängen. Vorgegangen wird so, als würde sich ein Zahnarzt nur dem Zahnschmerz widmen und nicht dem ihm zugrundeliegenden Problem (Günter Anders: Die Antiquiertheit des Menschen. Bd. 2. München 1988, S. 365). Angestrebt wird der „Sieg des Glaubens als seelischer Tätigkeit über den Glauben als inhaltliches Credo“ (Ebd., 371). Dann „ist alles schon in Ordnung, wenn nur überhaupt geglaubt wird, gleich ob die Dogmen ‚Trinität’ oder ‚klassenlose Gesellschaft’ heißen“ (Ebd.). Um einen „Glauben an bestimmte Inhalte“ geht es dieser (insofern pseudoreligiösen) Orientierung nicht. Vielmehr bejaht sie „den Glauben an den Glauben. Nämlich den Glauben an dessen Überleben fördernde Leistung“ (Ebd.). Im Zentrum stehen die positiven Effekte auf die affektive Stimmung, die sich ihre Veranstalter versprechen.

So auch bei Habermann. Ihr Buch gehört zu einer recht speziellen Sorte von Literatur. Ihr dienen die Probleme der gesellschaftlichen Realität faktisch vorwiegend als Anlass und Gelegenheit dazu, eine inhaltlich konfuse, aber irgendwie „positiv“ stimmende Kreativität und Phantasie zu entfalten und auszustellen. Das Wunschdenken will bei sich bleiben und sich nicht auseinandersetzen mit dem, was ihm entgegensteht. Habermann bedient den Drang, die eigene Bedürftigkeit nach „Positivem“ mit Luftschlössern und mit die Realität verniedlichenden Einfällen zu befriedigen. Das Buch präsentiert ein Paralleluniversum. Wie in einer Echokammer sollen sich die Belege für das „Positive“ gegenseitig bestätigen. Das entspricht dem Motto, das die Autorin ihrem Buch voranstellt: „Glaube nie eine Vorhersage, die dich nicht stärkt“ (Sean Stephenson) (5). Es bleibt nicht beim positiven Denken. Habermann zitiert zustimmend den Satz „With this hand I heal myself and with this hand I heal the world“ (155). Ohne Realitätsfluchtvokabeln, Konfusion und die Denkfehler, die wir an ihrem Buch herausgearbeitet haben, funktioniert solch esoterischer Größenwahn nicht. Habermann will gleich die ganze Welt heilen („‚Wir sind gekommen, Euch Medizin zu bringen.’“ (175)). Hätte es fürs erste nicht völlig gereicht, die eigene Verwirrung zu überwinden, statt aus ihr ein Poesiealbum zu formen und es zu veröffentlichen?

Mein Artikel zeigt, zu welchen negativen Botschaften es führt, wenn Habermann sich und anderen die uneingestandene eigene politische Depression mit einem fast schon manischen positiven Denken wegreden will. Das wäre für sich genommen uninteressant, wenn es sich bei diesem Vorgehen um einen Einzelfall handeln würde.

Editorischer Hinweis: Wir erhielten den Beitrag von der Autorin für diese Ausgabe.