Frauenpolitischer Ratschlag
Drei Tage intensiver Beratung, solidarischer Streitkultur und breiter überparteilicher Zusammenarbeit

von "ms" (RF-News)

11/2019

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Der 12. Frauenpolitische Ratschlag in Erfurt ging heute (3.11.19) mit der Nationalen Frauenversammlung der Weltfrauen, der Rechenschaftslegung des bisherigen und der erfolgreichen Wahl eines neuen Kämpferischen Frauenrats zu Ende.

Der diesjährige Ratschlag stand unter dem Motto: "Couragierte Frauen kämpfen gegen rechte Regierungen – weltweit!" Vertreterinnen und Vertreter des Landes Thüringen hießen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausdrücklich willkommen. Der Ratschlag in Erfurt signalisierte aber auch, wie wichtig die weitere Stärkung der frauenpolitischen Strukturen und Organisationen in Thüringen ist. 

Drei Tage intensiver Beratung, schöpferischer Arbeit unter anderem in sieben Foren, solidarischer Streitkultur, breiter überparteilicher Zusammenarbeit, erhebender Gefühle, kultureller Highlights und selbstlosen Einsatzes für das Gelingen des Ganzen fanden heute ihren Höhepunkt. Über 800 Teilnehmerinnen und Teilnehmer trugen dazu bei. Der Ratschlag stand aber auch im Zeichen bedeutender Lehren und Signale, was es noch höherzuentwickeln gilt.

Außergewöhnliche Bandbreite

Der Frauenpolitische Ratschlag startete am Freitag bereits mit einer außergewöhnlichen Bandbreite von Teilnehmerinnen und Grüßen (mehr dazu). Eine ver.di-Betriebsrätin aus Dortmund war beeindruckt: „Ich finde es ganz großartig hier. Die Rede der Landesbeauftragten für die Gleichstellung, Katrin Christ-Eisenwinder, war großartig. Ich hatte echt Gänsehaut, als die Gastfrauen aus aller Herren Länder auf der Bühne versammelt waren.“ 

Eine türkische Migrantin aus Köln: "Ich bin zum ersten Mal beim Ratschlag dabei. Eigentlich wollte ich von dem reichhaltigen Programm noch viel mehr mitbekommen. Mich beeindruckt vor allem der gemeinsame Kampfgeist. Deutlich wurde: Wir Frauen müssen kämpfen."

Aufsehenerregende Frauendemo

Das bewiesen die Frauen auch mit ihrer kämpferischen Frauendemonstration am Samstag Vormittag durch Erfurt. Diese Demonstration hat schon Tradition. Sie trägt dazu bei, die Anliegen des Ratschlags und der teilnehmenden Frauen, ihre Kraft, ihren Zusammenhalt sowie ihren Stolz auf die Straße zu tragen und sich mit der Bevölkerung der gastgebenden Stadt zu verbinden. 

Während der Demo wandten sich die Moderatorinnen und Rednerinnen immer wieder an Passanten, Einkaufsbummler, Ladenbeschäftigte und Anwohner, um den Frauenpolitischen Ratschlag vorzustellen.

Erfolgsgeschichte des Ratschlags

Monika Gärtner-Engel, Ideengeberin des Frauenpolitischen Ratschlags und der Weltkonferenz der Basisfauen, ließ bei der Abschlusskundgebung die Entwicklung nochmals kurz Revue passieren: Von 33 Leuten bei einem frauenpolitischen Seminar 1997 erweiterte sich der Ratschlag bald zu über Tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmern bis zum heutigen breiten Zusammenschluss mit weltweiter Beteiligung. Nachdem die UNO die UN-Weltfrauenkonferenzen aufgegeben hatte, entstand auch die Initiative zu einer Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen. 

Jose M. Paca, stellvertretender Vorsitzender des Bundeszuwanderungs- und Integrationsrats, Vorsitzender des Ausländerbeirats Erfurt und Sprecher des Migranetz Thüringen, grüßte die Kundgebung: "Das Ergebnis der Landtagswahlen hier in Thüringen hat uns erschreckt. Aber wir sind nicht mit dem Hinterkopf auf den Boden gefallen, sondern nur auf die Knie. Wir machen weiter, wir kämpfen weiter. Ihr gebt uns Hoffnung. ... Ihr seid die Besten der Besten." (Mehr dazu)

Produktive Foren

In sieben Foren erarbeiteten am Freitag und Samstag hunderte Frauen schöpferische Analysen und Schlussfolgerungen. Im Forum "Weil es ums Ganze geht" berichteten Arbeiterinnen und Gewerkschafterinnen aus mehreren Ländern über vielfältige kämpferische Aktivitäten, aber auch von Auseinandersetzungen mit Erscheinungen der Beschränkung auf den gewerkschaftlichen Rahmen oder Forderungen nach Gleichberechtigung. 

Im Forum "Jugend und Bildung" wurde deutlich, dass weltweit der Wunsch nach Bildung wächst. Es gibt vielfätige Initiativen, eine das Frauenbewusstsein stärkende Bildungsarbeit in die eigene Hand zu nehmen. Das muss auch fester Teil einer breiten antifaschistischen Einheitsfront werden.

Das Forum "Migration ist die Mutter gesellschaftlichen Fortschritts" diskutierte anhand vieler Beispiele die Bedeutung gesellschaftlicher Veränderungen zur Überwindung der Fluchtursachen und der Selbstorganisation der Massen für die Stärkung der Solidarität zwischen Flüchtlingen und Einheimischen.

 

Eine Kernauseinandersetzung im Forum "Frauen und Umwelt" war: Soll jeder bei sich selbst anfangen oder lenkt das vom Kampf gegen die Hauptverursacher der Umweltzerstörung ab? Dafür wurden wichtige Argumente vorgebracht.

 

Im Forum "Die Rechtsentwicklung der Regierungen hat direkte Auswirkungen auf die Familien und andere Lebensformen" wurde streitbar geklärt, dass der Kampf dagegen keineswegs "sinnlos" ist, weil die Herrschenden vermeintlich "stärker" sind. Dass dagegen durchaus Erfolge möglich sind, es zugleich aber darauf ankommt, all diese Auseinandersetzungen zur Schule eines gesellschaftsverändernden Kampfs zu machen.

 

Das Forum „Zukunftsperspektiven – vom Traum zur Wissenschaft! Perspektiven und Visionen für die Befreiung der Frau“ setzte sich insbesondere mit den Schlussfolgerungen für die Zukunft aus den Erfahrungen im Kampf um die Befreiung der Frau in der ehemaligen DDR und in Rojava auseinander. Kontrovers diskutiert wurde, ob die Wurzeln der besonderen Ausbeutung und Unterdrückung der Masse der Frauen vor allem im Kapitalismus oder im Patriarchat liegen. Alle waren sich einig: Unsere volle Solidarität gehört den mutigen Menschen in Rojava, besonders den Frauen.

 

Beim Forum "Imperialismus – Würger der Frauen weltweit" machten die verschiedenen Berichte - sei es vom mutigen Kampf der Frauen in Afghanistan oder auch in den imperialistischen Metropolen - deutlich: Der Imperialismus hat in den verschiedenen Ländern unterschiedliche Gesichter und Erscheinungsformen: das Wesen ist gleich. Monika Gärtner-Engel, die das Forum gemeinsam mit Zaman Masudi leitete, zog erste Schlussfolgerungen für die notwendige Bildungs- und Organisationsarbeit, die Bedeutung der verstärkten Umweltarbeit, aber auch die weltanschauliche Auseinandersetzung in der Frauenbewegung. Die Ergebnisse der Foren werden in Kürze auf der Webseite des Frauenpolitischen Ratschlags veröffentlicht.

Nationale Frauenversammlung tagt

Am heutigen Sonntag ging es los mit der Nationalen Frauenversammlung für die Weltfrauenkonferenz. Susanne Bader und Zaman Mazudi, Europokoordinatorinnen der Weltfrauenkonferenz, begrüßten die Versammlung. Sie berichteten von einer Vielzahl an Aktivitäten im Weltfrauenprozess: 

Von zwei Europakonferenzen; vom aktiven Mitwirken an einer neuen Friedensbewegung, die sich gegen alle imperialistischen Kräfte richtet - unter anderem gegen den völkerrechtswidrigen Einmarsch von Erdogan in Nordostsyrien; von der neuen Entwicklung der Frauenstreiktage ausgehend von Argentinien; von zahlreichen verlässlichen internationalen Kontakten; vom theoretischen Seminar in Bangalore (Indien), von Kongressteilnahmen und Reisen in andere Länder; von der Solidaritätsarbeit gegen faschistische Angriffe und vielem mehr ... 

Es gab viel Beifall für dieses Resümee, aber auch einzelne Kritiken. Monika Gärtner-Engel vermisste die "Kontroversen": "Es gab zum Teil auch richtig Zoff. Es ist doch wunderbar und klärt die Sachen, wenn man Konflikte aufs Tablett bringt, diskutiert und austrägt."

Ergreifende Videobotschaft

Das Abschlussplenum begann mit einer ergreifenden Videobotschaft von Seda aus Gelsenkirchen. Die junge Alleinerziehende wurde von einem Stalker mit 21 Messerstichen niedergestochen. 

Seda: "Er wollte mich umbringen, aber er hat es nicht geschafft. Weil ich leben wollte und für mein Leben und das meiner Kinder kämpfe. Das schafft man aber nicht alleine, sondern nur durch die Solidarität und den Zusammenhalt mit anderen. ... Die ganze Welt sollte wissen, dass wir Frauen nicht unterwürfig sind. Keine Gewalt an Frauen - jede einzelne ist zuviel!"

Erklärung setzt Zeichen

Es folgte der Vorschlag einer gemeinsamen Erklärung von Vertreterinnen verschiedener beteiligter Parteien zum Kampf gegen die Rechtsentwicklung vieler Regierungen und gegen die wachsende faschistische Gefahr. 

Symbolisch erklärten Frauen unter anderem von drei Parteien aus Deutschland - Linkspartei, MLPD und SPD -, von zwei Gewerkschaften und mehreren Migrantenorganisationen, dass sie diese Erklärung unterzeichnen. Sie erhielten großen Beifall und forderten auf, diese Erklärung in alle Bewegungen zu tragen. 

Eine Teilnehmerin aus Köln hob denn auch hervor, dass der Frauenpolitische Ratschlag dieses Mal noch politischer als bisher war: "Bei allen vielfältigen Diskussionen stand der gemeinsame Kampf gegen die Rechtsentwicklung der Regierungen und die faschistische Gefahr im Vordergrund. Wenn wir hier gemeinsam an einem Strang ziehen wollen, müssen wir dem unsere unterschiedlichen Meinungen unterordnen."

Demokratische Rechenschaft

14 Frauen unterschiedlichen Alters und verschiedener Nationalität des Kämpferischen Frauenrats legten anschließend Rechenschaft ab. Sie wurden vor fünf Jahren gewählt und haben zuletzt diesen 12. Ratschlag vorbereitet. “Der Kampf der Frauen weltweit muss unsere Herzen und Seelen erreichen und das hat er auf diesem Ratschlag“, so Anne Wilhelm, die den Rechenschaftsbericht im Namen des Frauenrats vortrug. Sie berichtete von zahlreichen nationalen und internationale Aktivitäten. Jetzt nehmen die Frauen Kurs auf die 3. Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen in Tunesien 2021. Sie schlug vor, den Frauenpolitischen Ratschlag zukünftig alle drei Jahre durchzuführen. 

Einige ausscheidende Frauen wurden herzlich verabschiedet, bevor der Finanz- und Revisionsbericht vorgetragen wurde. Fehlerfrei, lückenlos und akribisch waren die wichtigsten Attribute. “Wir Frauen können eben mit Geld umgehen“, so die selbstbewusste Kassenverantwortliche aus Rostock. “Die finanzielle Unabhängigkeit ist schließlich einer unserer Trümpfe." Einstimmig wurde anschließend die Kassiererin und der gesamte Kämpferische Frauenrat entlastet.

Höhepunkt: Wahl des Kämpferischen Frauenrats

Die Neuwahlen waren zweifelsohne ein Höhepunkt des gesamten Ratschlags. Kandidieren konnten alle, die von ihren Orten oder Organisationen eine Empfehlung hatten und nachweislich in der Vorbereitung des Ratschlags aktiv waren. Mit 76 Jahren verabschiedete sich nach 22 Jahren Renate Voß aus Rostock in die "Frauenratsrente". Die Mitbegründerin des Kämpferischen Frauenrats bot unter großem Beifall an, den jüngeren Frauen weiter mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. 

Gewählt wurden Frauen aus der Jugend- und Arbeiterbewegung, Gewerkschafterinnen, Antifaschistinnen und Umweltschützerinnen unterschiedlicher nationaler Herkunft und verschiedensten Alters. Für jede von ihnen wurde eine kurze Empfehlung der Basisfrauen vorgetragen. So wusste jede Teilnehmerin, wen sie vor sich hat und wählt. Der Jugendverband REBELL stellte gleich sechs junge neue Frauen zur Verfügung. Die jüngste mit 13 Jahren. 

Eine der Jüngeren betonte, dass sie sich vor allem gegen die abstoßende "Schönheits-Konkurrenz" unter jungen Frauen und Mädchen einsetzen wolle. Eine andere Kandidatin rief: "Die Herrschenden behandeln die Welt, als ob sie ihnen gehört. Das sehe ich nicht ein. Die Welt gehört uns allen!" 

Dieses ganze Spektrum aus knapp 30 Frauen wurde nach der Möglichkeit der Befragung und kurzer Diskussion schließlich einstimmig mit zwei Enthaltungen gewählt. Sie feierten es mit einer Laola-Welle.

Dank an alle Helferinnen und Helfer

Der ganze Ratschlag war dieses Jahr deutlich mehr geprägt von der internationalistischen Zusammensetzung der Teilnehmerinnen sowie jungen Frauen und Mädchen. 

Einen großen Dank gab es noch für alle Helferinnen und Helfer bei der Essens- und Getränkeverpflegung, der Übersetzung, der Technik und der Kinderbetreuung. 

Anne Wilhelm würdigte in ihrem Schlusswort die Rolle der Jugend, die zeigte, was in ihr steckt, die große gesellschaftliche Bandbreite des Frauenpolitischen Ratschlags und den gemeinsamen Lernprozess in der Streitkultur. Mit dem gemeinsamen Singen des Lieds "Brot und Rosen" endete der 12. Frauenpolitische Ratschlag.

Quelle: https://www.rf-news.de/2019/kw44/ein-starkes-signal-gegen-rechtsentwicklung-der-regierungen-und-faschistische-gefahr