Vor  100  Jahren
Endlich  Groß-Berlin  (Teil  2)

von 
Annemarie  Lange

11/2020

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Die Vorteile des Zusammenschlusses zeigten sich allmählich: Vereinheitlichung aller kommunalen Dienstleistungen; Vereinfa­chung und Verbilligung des Verwaltungsapparates; Beseitigung einer Menge von Reibungspunkten auf wirtschaftlichem und steuerlichem Gebiet durch Angleichung des Finanz-, Steuer- und Gebührenwesens; Wegfall der Ungleichheit von städtischen Gehältern und Löhnen. Mit einem Schlag wurden auch die zahl­losen schwebenden Prozesse zwischen den Gemeinden wegen Armenunterstützung, Schulen, Kanalisation usw. gegenstands­los.

Viele Probleme ließen sich - soweit überhaupt unter kapitali­stischen Bedingungen - erst nach und nach lösen. Der Zweck­verband hatte getan, was in seiner Macht lag, aber die war be­schränkt. Sein großes Verdienst war, Berlin einen bedeutenden Teil seiner Waldgebiete vor den Zugriffen der Bodenspekulation als »Dauerwald« gerettet und die ersten Schritte zur Vereinheitli­chung des Nahverkehrs getan zu haben. Im Juli 1919 kaufte er die bisher private Große Berliner Straßenbahn AG auf, die dann bei der Auflösung des Zweckverbandes der Stadt Berlin in den Schoß fiel. Doch damit war noch wenig erreicht. Die Profitinter­essen der verschiedenen Verkehrsunternehmen, hinter denen Konzerne und Großbanken standen, die Engstirnigkeit der Be­hörden und die »Kirchturmpolitik« der rivalisierenden Gemein­den, Berlin eingeschlossen, hatten bisher jede planvolle Ver­kehrspolitik verhindert. Es dauerte Jahre, um das Versäumte nachzuholen. Für die Arbeiter und Angestellten, die zumeist weite Wege von der Wohnung zum Arbeitsplatz hatten, war das eine wichtige Frage ihrer alltäglichen Lebensbedingungen.

Die Übernahme der Chausseen ging ziemlich reibungslos von­statten, weil von vornherein für die Auseinandersetzung zwi­schen Stadt, Kreisen und Provinz ein Schiedsgericht vorgesehen war. Die privaten Verkehrsunternehmen mit ihren langfristigen Privilegien und weitgehenden Konzessionen dachten dagegen nicht daran, etwas freiwillig abzutreten, was Profit brachte oder bringen konnte (während Straßen nichts einbrachten). Selbst ein Umsteigeverkehr zwischen Straßenbahn und U-Bahn, wie ihn die Bevölkerung verlangte, kam bis 1927 nicht zustande, solange die Stadt hier nicht als alleiniger Großunternehmer auftreten konnte. Nicht einmal die Übernahme der »Großen Berliner« war eine reine Freude. Gleisanlagen und Wagenpark, mit dem sie 1921 ein Streckennetz von 590 Kilometern bis weit in die Vororte hinein befuhr, waren überaltert und abgenutzt. Die Stadt mußte hier beträchtliche finanzielle Mittel investieren. Bei der Allge­meinen Berliner Omnibus AG (ABOAG) sah es nicht anders aus. Ihre besten Omnibusse und Pferde hatte sie an die Armee abge­ben müssen; im und nach dem Kriege hatte man wieder die älte­sten abgeklapperten Gäule aus dem Stall geholt. 1920 war die Omnibusgesellschaft so weit, daß man sie aus dem Verkehr zie­hen und durch Doppelstockbusse ersetzen konnte. Am 25. August 1923 wurde der letzte Pferdeomnibus in Berlin außer Dienst gestellt. Erst 1926 gelang es der Stadt, die Aktienmehr­heit der ABOAG zu übernehmen. Damit besaß sie endlich - aus­genommen die Stadt- und Ringbahn, die seit Anbeginn der Reichsbahn (RBD Berlin) unterstand - die Kontrolle über einen erheblichen Teil des gesamten städtischen Massenverkehrs und konnte durch ihre Aufsichtsräte wenigstens die Tarifpolitik be­einflussen. Zuschüsse kosteten sie alle und um so höhere, je mehr die Geldentwertung fortschritt. Zum organisatorischen Zu­sammenschluß der städtischen Verkehrsunternehmen kam es vorläufig nicht. Denn da waren vor allem die verschiedenen Ge­sellschaften für elektrische Hoch- und Untergrundbahnen, Toch­tergesellschaften von Siemens & Halske und der AEG, an deren westlichen Linien auch die ehemaligen Gemeinden Schöneberg, Wilmersdorf und Charlottenburg (damals in törichter Konkur­renz) sich finanziell beteiligt hatten. 1924, als die Mark wieder stabil wurde, gelang es der Stadt Berlin dann, sich in die Hoch­bahn-Gesellschaft gegen hohe Entschädigungszahlung an die Pri­vataktionäre einzukaufen, indem sie die von der Stadt betriebe­nen Linien in die Gesellschaft einbrachte. Ein Jahr vorher hatte die AEG-Schnellbahn AG Konkurs gemacht, die die Linie Ge­sundbrunnen-Neukölln baute. Die bis dahin fertigen Bauten gingen in städtisches Eigentum über. Die Hochbahn-Gesell­schaft schluckte noch 1921 beträchtliche Überschüsse, viel hö­here, als bei der Stadt zu Buche standen. An eine dringend not­wendige Verlängerung und Erweiterung des Hoch- und Unter­grundbahnnetzes konnte man in der Nachkriegszeit kaum den­ken, denn die Kosten dafür lagen erheblich höher als bei der Straßenbahn und dem Omnibusverkehr. So baute man zunächst - entgegen besserer Einsicht - den Straßenbahn- und Omnibus­verkehr aus.(9)Weitergebaut wurde nur eine angefangene Strecke, die Nord-Süd-Verbindung zwischen den dichtbevölker­ten Arbeitervierteln Neukölln und Wedding (Seestraße-Berg­straße), die von Anfang an im Besitz der Stadt war. Anfang 1923 wurde die erste Teilstrecke Hallesches Tor-Stettiner Bahnhof eröffnet und im folgenden Jahr bis zur Hasenheide erweitert. Der Verkehr war nur eines der vielen Probleme, die der Zusam­menschluß so vieler Gemeinden aufwarf. Da mußte die Wasser­versorgung zentral geregelt werden. Ein Großteil der übernom­menen kleinen Vorortwerke arbeitete unrentabel, war technisch nicht mehr auf der Höhe und wurde (bis er 1926 außer Betrieb gesetzt werden konnte) entweder der Berliner Städtischen Was­serwerke AG oder der privaten Charlottenburger Wasser- und Industriewerke AG angegliedert, wobei das Rohrnetz auf neue Gebiete ausgedehnt werden mußte, die überhaupt noch nicht oder ungenügend versorgt waren. Der Bau eines einheitlichen Wasserversorgungsnetzes erforderte die großzügige Verlegung neuer, die Erweiterung alter Rohranlagen und Umstellungen der Pumpwerke - eine Arbeit auf Jahre, die teilweise als Not­standsarbeiten ausgeführt wurden und für die der Staat Zu­schüsse zahlte. Die (1922 gegründeten) Berliner Städtischen Wasserwerke, die 1924 in eine städtische Aktiengesellschaft um­gewandelt wurden, versorgten rund drei Viertel, die privat blei­benden Charlottenburger Wasser- und Industriewerke rund ein Viertel der Stadt. Man konnte nun endlich auch die Tarife ver­einheitlichen, die allerdings bei der Charlottenburger Aktienge­sellschaft höher lagen als bei den städtischen Wasserwerken.

Ahnlich sah es mit der Gasversorgung aus. Die englische Con-tinental-Gas-Association vor dem Stralauer Tor, die zusammen mit den städtischen Gasanstalten Berlin bisher beliefert hatte, war als englischer Besitz durch den Krieg der Stadt zugefallen und wurde als Deutsche Gasgesellschaft AG weitergeführt. Die kommunalen Gasbereitungsanstalten Berlins und der Vororte wurden in der Berliner Städtischen Gaswerke AG (Gasag) zu­sammengefaßt. Damit begann schrittweise die Vereinheitli­chung, Modernisierung und Erweiterung der städtischen Gas­versorgung, wobei die kleineren, unrentablen Gasanstalten der Vororte stillgelegt wurden. Wenn auch der Gasverbrauch in der sammengeschlossen werden, deren Anteile sämtlich die Stadt besaß. Die kleineren, unrentablen Werke wurden stillgelegt, und die Stromerzeugung konzentrierte sich in wenigen Großkraft­werken, deren Ausbau und Modernisierung in der Inflationszeit begann. Mit dieser Umstellung war der Aufbau eines einheitli­chen Stromversorgungsnetzes verbunden: die Umstellung auf Wechselstrom mit gleicher Spannung und zu gleichen Tarifen. Neben der BEWAG, die den größten Teil Berlins belieferte, gab es aber noch drei weitere Unternehmen - teils in Privathand, teils im Besitz der Provinz Brandenburg -, die aufgrund langfri­stiger Verträge einen Teil der Außenbezirke mit Strom versorg­ten. Alle diese notwendigen Maßnahmen bewirkten, daß der Anleihebedarf Berlins wuchs und wuchs.

Ein Sorgenkind des Stadtkämmerers waren auch die 33 land­wirtschaftlichen Güter der neuen Stadt Berlin mit ihren über 27 000 Hektar, wovon 10400 Hektar Rieselland waren. Sie wur­den zunächst von einer Magistratsdeputation mehr schlecht als recht verwaltet und brachten nur Defizit. Die Rieselfelder waren angelegt worden, um die städtischen Abwässer möglichst billig durch Pumpstationen an die Peripherie abzuleiten und sie der landwirtschaftlichen Nutzung zuzuführen. Eine intensivere Nut­zung, vor allem durch Gemüseanbau, war aber erst im Kriege angekurbelt worden. Eine rentable Bewirtschaftung wurde je­doch dadurch erschwert, daß das Rieselland aus über 40 000 Einzelstücken von etwa einem Morgen bestand, wo maschinelle Großwirtschaft nicht lohnte und eine arbeitsaufwendige, inten­sive Gartenkultur die beste Bewirtschaftungsform war. Erst als die Stadt in den Nachkriegsjahren dazu überging, etwa die Hälfte des Riesellandes an Bauern, Gemüsegärtner und Molke­reien zu verpachten und die Bewirtschaftung der ertragreichsten Güter einer im April 1923 gegründeten Berliner Stadtgüter GmbH übertrug (sieben unrentable Güter wurden ebenfalls ver­pachtet), kam man aus dem Defizit heraus. 1922/24 konnte die Stadtgüter GmbH über eine halbe Million Goldmark an die Stadtkämmerei abführen. Die landwirtschaftliche Nutzung wurde jetzt intensiviert, nicht zuletzt dank der etwa 5000 Gemüse- und Obstgärtner, Bauern und kleinen Milchproduzenten, die einen erheblichen Teil des Nahrungsmittelbedarfs der Mil­lionenstadt befriedigten.

Mit dem Arbeitslosenproblem vermochte die Stadt Berlin zu kei­ner Zeit fertigzuwerden. Andere Großstädte auch nicht. Doch in der Hauptstadt, wo der Zustrom Arbeitsuchender ständig an­hielt, kam noch eine Besonderheit hinzu: Beim Zusammen­schluß gab es 32 öffentliche Arbeitsämter der ehemaligen Ge­meinden, und jede hatte bisher die Arbeitsvermittlung nach ganz unterschiedlichen, rein lokalen Gesichtspunkten und Bedürfnis­sen gehandhabt. Ja, der Lokalegoismus ging so weit, daß freie Stellen lieber offengehalten als etwa einer Nachbargemeinde an­geboten wurden, und ebenso geschah es mit überschüssigen Ar­beitskräften. Um diesem Neben- und Gegeneinander ein Ende zu setzen, war im Oktober 1918 ein Ausschuß Groß-Berliner Ar­beitsnachweise zustande gekommen, indes ohne gtoße prakti­sche Ergebnisse. Erst die Schaffung der Groß-Berliner Einheits­gemeinde und das Arbeitsnachweis-Gesetz vom 22. Juli 1922, das den kommunalen Arbeitsnachweis zu einer gesetzlichen Pflicht machte, schufen die Grundlage für eine Zentralisierung in Ge­stalt des Landesarbeitsamtes Berlin. Bis 1923 wurde in jedem Stadtbezirk als Filiale ein Bezirksarbeitsamt eingerichtet. Es ent­schied auch nach nun einheitlichen Richtlinien über die Gewäh­rung der Erwerbslosenunterstützung, die in der Novemberrevo­lution (durch Verordnung vom 13. November 1918) generell ein­geführt worden war.

Als die Arbeitslosigkeit infolge der internationalen Wirt­schaftskrise von 1920 immer mehr zunahm, suchte die Stadt, vom Reich durch Zuschüsse ermuntert und von den Erwerbslo­senausschüssen bedrängt, sich durch »produktive Erwerbslosen­fürsorge« ein Ventil zu schaffen, indem sie in wachsendem Maße Notstandsarbeiten in Angriff nahm. Kurz vor Weihnachten 1920 waren zahlreiche Arbeitslose demonstrativ vors Rote Rathaus gezogen. Man mußte wenigstens einen Teil von ihnen von der Straße wegbringen! Als die Arbeitslosigkeit auch 1921 noch an­hielt, beteiligte sich die Stadt über das Landesarbeitsamt an weitreichenden Meliorationsarbeiten in der Umgebung Berlins, die gleichzeitig der Versorgung der Stadt mit Nahrungs- und Futtermitteln zugute kommen sollten - die größten im Roten Luch bei Dahmsdorf/Müncheberg, im Havelländischen und im Wustrauer Rhinluch. Dem (anfangs noch eifrigen, bald immer träger und passiver werdenden) Ministerium für Volkswohlfahrt schwebte bei diesem Projekt ein ganzer »Kulturgürtel« rings um Berlin vor, der die Ödländereien im Bereich der Vorortbahnen für die Versorgung Berlins nutzbar machen sollte.

Die Stadt selbst stellte ab 1920 mehrere Arbeitsbeschaffungs­programme auf. Mit Hilfe von Notstandsarbeitern wurde vor al­lem der 1923 fertiggestellte Westhafen und die Nord-Süd-Unter­grundbahn gebaut. Anfang 1922 projektierte man die Anlage von 59 Parks, Spiel- und Sportanlagen großen Stils - nachdem man festgestellt hatte, daß Berlin hier hinter anderen Weltstäd­ten, etwa in den USA, weit zurücklag. Nötig hatte Berlin es wahrlich, vor allem die Jugend der Arbeiterbezirke. Der Magi­strat schlug der Stadtverordnetenversammlung im März 1922 für den Osten einen Volkspark in der Wuhlheide und eine Sportanlage an der Oberspree (Oberschöneweide) vor, für den Nor­den Wassersportanlagen am Plötzensee, Spiel- und Sportanla­gen am Faulen See, für den Westen den weiteren Ausbau des Volksparks Jungfernheide und einen Spielplatz in Eichkamp, für den Süden die Erweiterung des Schöneberger Dominicusplatzes und Spiel- und Sportanlagen in Neukölln. Dieser Plan wurde so­gar noch erweitert und sollte 20 000 Erwerbslosen Beschäfti­gung geben. Aber schon im Mai 1923 kam das ganze Spielplatz­programm zunächst einmal ins Stocken - das Geld ging aus, und von den Spenden, die Böß für eine Stiftung »Park, Spiel und Sport« bei Banken, Industrie und Handel zusammengeschnorrt hatte, reichte es gerade für einen Zuschuß an Sportvereine, die bereit waren, ihre Spielplätze in Selbsthilfe weiterzubauen. Das waren vor allem die »Fichte«-Arbeitersportler, die sich zum Bei­spiel die Sportanlagen im erweiterten Friedrichshain und einen Sportplatz in Baumschulenweg selbst schufen, wobei sich Arbei­tersportler von Treptow, Neukölln und Kreuzberg, darunter auch der »Fichte«-Sportler Willi Sänger, eifrig am Schaufeln, Planieren und Walzen beteiligten.

Ganz trostlos sah es mit dem Wohnungswesen, der Wohnungs­not aus, denn während des Krieges war kaum gebaut worden; seit 1919 strömten nun wieder nicht nur viele Zuwanderer, dar­unter aus den abgetretenen Gebieten, nach Berlin, auch die zahl­reichen Paare, die im Kriege geheiratet hatten, erforderten Wohnraum. Im Herbst 1921 wandte sich der Magistrat an das Reichswehrministerium und das Reichsfinanzamt wegen Über­lassung einiger Kasernen für obdachlose Familien, was bei der Reduzierung des Heeres leicht zu bewerkstelligen gewesen wäre. Man bedauerte: Sie reichten nicht einmal für die Schutz­polizei aus! Zahlreiche Familien konnten nur notdürftig in Ba­racken und Lauben untergebracht werden. Aber rund 200 000 Wohnungssuchende standen Ende 1923 noch immer auf der Warteliste, und es wurden Jahr für Jahr mehr, da auch in den Nachkriegsjahren wenig gebaut wurde.(10) Die Wohnungsämter waren die unbeliebtesten städtischen Behörden, nicht nur bei den Wartenden, sondern auch bei der Bourgeoisie, da sie bei überflüssigem Wohnraum das Beschlagnahme- und Einwei-sungsrecht hatten (laut amtlicher Anweisung »mit aller Zuvor­kommenheit«). Immer wieder mußte wegen Beamtenbestechung eingegriffen werden, aber nur ein Bruchteil kam überhaupt zur Kenntnis. Man dachte sich die raffiniertesten Kniffe aus, um als »vordringlich« geführt zu werden. So entwickelte sich eine regel­rechte »Bräutebörse«, wo angehende Ehemänner sich eine schwangere »Braut«, gegen Entgelt natürlich, für den Besuch beim Wohnungsamt ausleihen konnten.

Die Mietshäuser verkamen, denn die Hauseigentümer inve­stierten nicht mehr, seit der Staat gesetzliche Mietpreisbindun­gen und einen gewissen Mieterschutz eingeführt hatte.(11) In den langen Straßen der Arbeiterviertel sah man ganze Fensterreihen mit Holz oder Pappe vernagelt. Der Putz bröckelte ab, Nässe drang ein, Schwamm und Ungeziefer gediehen weit besser als die hier aufwachsenden Kinder. Die Rattenplage - begünstigt dadurch, daß viele Mieter sich auf dem Balkon oder im Keller Kaninchen, Hühner, selbst Ziegen hielten - wurde so unerträg­lich, daß endlich 1921 (so lange hatten die Experten sich über das tauglichste Mittel gestritten) der erste »Rattenkampftag« durchgeführt wurde.

Im Kriege hatten Hindenburg und Ludendorff, auch der Reichstag, den Mund gewaltig vollgenommen mit großzügigen Versprechungen, jeder heimkehrende Krieger werde eine eigene Heimstätte erhalten. Unter dem Einfluß der wachsenden Woh­nungsnot und der Rezepte bürgerlicher Siedlungsreformer wurde kurz vor Kriegsende - als Erweiterung des Zweckverban­des - ein Wohnungsverband Groß-Berlin gegründet, dessen Aufgabe es war, Zuschüsse für den Wohnungsbau zu gewähren, billiges Bauland und Baustoffe bereitzustellen sowie den Mieter­schutz und die öffentliche Wohnraumbewirtschaftung zu ge­währleisten. Es gelang, zu günstigen Preisen Ländereien für ei­nige Kleinhaussiedlungen zu erwerben. Aber die Herren Gene­rale verloren bekanntlich ihren Krieg, und aus der Fülle der Anträge konnte der Wohnungsverband, als er 1919 Wohnungs­baukredite zu vergeben begann, nur knapp zwei Prozent befrie­digen. Nach der Gründung der Einheitsgemeinde gingen seine Aufgaben auf städtische Behörden, auf das Zentralwohnungs­amt und die Bezirkswohnungsämter sowie auf das Städtebau-und Siedlungsamt des Magistrats über.

Bis 1914 hatten den Berliner Baumarkt fast ausschließlich pri­vate Bauunternehmer, private Grundstücks- und Baugesellschaf­ten beherrscht. Die Stadt hatte sich um den Wohnungsbau nicht gekümmert. Inzwischen war das Wohnungsproblem so bren­nend geworden, daß man den Wohnungsbau für die Massen nicht mehr dem Selbstlauf überlassen konnte. Nachdem - als ein Ergebnis der Novemberrevolution - neben Mietpreisbegren­zungen und Mieterschutzgesetzen die staatliche Bewirtschaftung des vorhandenen Wohnraums eingeführt worden war, erwartete die Bevölkerung nun von der neuen Stadtgemeinde auch einen sozialen Wohnungsbau, der alle spekulativen Gewinne ausschal­tete, und eine sachverständige städtebauliche Planung.

Ansätze zum gemeinnützigen und genossenschaftlichen Woh­nungsbau gab es bereits ohne städtisches Zutun. Als eine der äl­testen existierte seit 1886 die Berliner Baugenossenschaft GmbH, seit 1892 der Berliner Spar- und Bauverein. Andere wa­ren nur kurzlebig oder hatten, wie die vom Bruder Otto Lilien­thals 1895 gegründete Freie Scholle, Tegel, in stetem Kampf mit den Gemeindeverwaltungen gestanden. Trotz aller behördli­chen Schikanen gab es 1905 im Raum Groß-Berlin bereits 13 ört­liche Baugenossenschaften mit 16 569 Mitgliedern. Jedem Bür­ger (auch dem Arbeiter) sein Eigenheim und einen eigenen Gar­ten wurde zum Schlagwort bürgerlicher Reformprogramme und bestimmte bald auch weitgehend die Vorstellungen der Sozial­demokratie und Gewerkschaften über den Arbeiterwohnungs­bau. Durch Sozialdemokraten wie Paul Kampffmeyer und Al­bert Südekum hatten die ursprünglich bürgerlichen Ideen der Gartenstadt- und Siedlungsreformbewegüng mehr und mehr Eingang in die Arbeiterbewegung gefunden. 1902 hatte die SPD für die Provinz Brandenburg und Berlin die Märkische Heim­stätten GmbH gegründet. Nach dem Krieg gewann der von der Arbeiterbewegung verfochtene Gedanke des gemeinnützigen kommunalen beziehungsweise durch genossenschaftliche Selbst­hilfe betriebenen Wohnungsbaus einen breiten Aufschwung. Im Oktober 1919 wurde die Deutsche Bauhütte GmbH Berlin als ge­werkschaftseigener Baubetrieb gegründet.(12) Neben einigen Be­amten-Baugesellschaften kam 1919 die von der Arbeitsgemein­schaft freier Angestelltenverbände (AfA) geschaffene »Gagfah« (Gemeinnützige Aktien-Gesellschaft für Angestellten-Heimstät­ten) hinzu, die sich indessen - wie auch die anderen Baugenos­senschaften infolge der Inflation - durch Eigenheim-Zweckspa­ren allein nicht halten konnte und nach öffentlichen Zuschüssen schrie. Bei der Bildung der Einheitsgemeinde Berlin gab es in den nunmehrigen Stadtbezirken allein neun annähernd gleich­artig organisierte gemeinnützige Siedlungs- und Baugesellschaf­ten, in die sich die Stadt nun durch Kredite und Bauzuschüsse einkaufte. Auf Initiative der Gewerkschaften wurde als zentrale Finanzierungsgesellschaft für den gemeinnützigen Wohnungs­bau im Frühjahr 1924 die Deutsche Wohnungsfürsorge-AG. für Beamte, Angestellte und Arbeiter (DEWOG) gegründet, die zu einem der größten Bauherrn Berlins wurde. Ihre Berliner Toch­tergesellschaft war die ebenfalls 1924 gegründete Gemeinnüt­zige Heimstätten-Spar- und Bauaktiengesellschaft (Gehag), als deren Aktionäre der Berliner ADGB und AfA-Bund, die Woh­nungsfürsorge-Gesellschaft Berlin, der Verband sozialer Baube­triebe und mehrere Baugesellschaften zeichneten. Ihr Chefarchi­tekt wurde Bruno Taut.

Der genossenschaftliche Wohnungsbau hatte schon vor dem Zusammenschluß Groß-Berlins einige architektonische muster­gültige Beispiele aufzuweisen, so die von 1911 bis 1914 erbaute, damals nicht ganz vollendete, als »Tuschkastensiedlung« be­kanntgewordene Gartenstadt Falkenberg, die, von dem jungen Bruno Taut ideenreich entworfen, heute unter Denkmalschutz steht. Oder die von 1915 bis 1917 fertiggestellte AEG-Reihen-haussiedlung von Peter Behrens an der Wuhlheide in Oberschö­neweide. Hier waren schon moderne Baugedanken verwirklicht, die von einer zweckmäßigen Wohnraumgestaltung ausgingen und nicht mehr vom Repräsentationsbedürfnis und Klassenpre­stige der Bourgeoisie.(13) Vor allem Taut, aber auch die meisten anderen Vertreter eines neuen Bauens zogen sich denn auch prompt die Feindschaft der privaten Hausbesitzer zu, wie der Hausbesitzerverein überhaupt gegen jede Art »Gemeinwirt­schaft«, gegen Mieterschutz und öffentliche Wohnraumbewirt­schaftung auftrat. Bei den Baugenossenschaften war das anders.

Um aber sinnvoll und funktionsgerecht und vor allem in grö­ßeren Komplexen bauen zu können, bedurfte Berlin dringend ei­nes neuen Bebauungsplanes. Der preußische Staatskommissar für Wohnungswesen und spätere Wohlfahrtsminister Adam Stegerwald (ein christlicher Gewerkschafter) hatte bereits durch Erlaß vom 25. April 1919 eine neue Bauordnung für Preußen an­geordnet, die Schluß machen sollte mit der alten, unhygieni­schen Mietskaserne seit der Gründerzeit mit ihren beliebig vie­len Seiten-, Quer- und Hintergebäuden. Künftig sollte bei Neu­bauten nur noch die Randbebauung eines Grundstücks zugelas­sen und so die Wohndichte in den Arbeitervierteln der Innen­stadt allmählich gesenkt werden.(14) Nach Schaffung der Großge­meinde waren zunächst sechs verschiedene Bauordnungen wei­ter in Kraft (darunter in Alt-Berlin eine Baupolizeiordnung von 1897). Die Ausarbeitung einer einheitlichen neuen Bauordnung und eines Generalbebauungsplanes wurde vom Magistrat dem neugeschaffenen Städtebauamt mit dem Stadtbaudirektor an der Spitze übertragen. Es sollte allerdings noch bis zum Jahr 1925 dauern, daß die neue Bauordnung auf dem Tisch lag. Vor­erst begnügte sich das Städtebauamt mit Teilbebauungsplänen, so für den Straßen- und Bahnverkehr und die Freiflächenpla­nung (Park- und Sportanlagen) oder für bestimmte Wirtschafts­projekte und einzelne Wohngebiete. Im Mittelpunkt standen bis 1923 die im Interesse der Berliner Industrie projektierte Errich­tung eines Messezentrums am Kaiserdamm, die Fertigstellung des Westhafens und die Bebauung des dem Fiskus abgekauften Exerziergeländes auf dem Tempelhofer Feld, wo der Berliner Flughafen, Wohnsiedlungen und Kleingartenanlagen errichtet werden sollten.

Wie neue Wohnsiedlungen und vor allem erschwingliche Wohnungen für die Massen gebaut werden sollten, darüber gab es tiefe Meinungsgegensätze zwischen den Haus- und Grundei­gentümern und dem privaten Baukapital auf der einen, der Stadtverwaltung, den Siedlungsreformern und progressiven Ar­chitekten auf der anderen Seite. Im wesentlichen setzten sich die Auffassungen der Reformer durch: keine Mietskasernen mehr, nur Randbebauung, Verminderung der Wohndichte durch Her-abzonung der Gebäude, aufgelockerte Bebauung und möglichst Einzel- beziehungsweise Reihenhausbau. Dahinter standen die verschiedensten sozialreformerischen Illusionen - Hoffnungen etwa, einen Teil der Arbeiterklasse durch Haus- mit Garten-Ei­gentum in die bürgerliche Gesellschaft zu integrieren, den politi­schen und sozialen Zündstoff des proletarischen Wohnungs­elends zu entschärfen, keine neuen geballten Arbeiterviertel mehr entstehen zu lassen, aber auch die Großstadtfeindlichkeit und der Chauvinismus konservativer Kreise, die die Wohnhoch­häuser und Wohntürme als »undeutsches«, als »amerikanisches« Schreckgespenst verteufelten. Da es in den Nachkriegsjahren ohnehin zu keinem nennenswerten Wohnungsneubau kam, stie­ßen sich alle diese Reformrezepte und Utopien kaum an der Pra­xis. Denn die Orientierung auf eine höchstens zwei- oder dreige­schossige Bebauung und vor allem auf den Einzelhausbau hätte - bei aller Verbesserung der Wohnverhältnisse der Massen -die Großstadt nicht nur ins Uferlose ausgedehnt, sie war auch bauökonomisch völlig unrentabel, und die verheerende Woh­nungsnot ließ sich auf diese Weise schon gar nicht beheben. Ein Kleinhaus mit Gärtchen zu besitzen, zu mieten oder zu pachten war sowieso für die große Mehrzahl der Werktätigen bestenfalls ein schöner Traum. Natürlich biß auch das Privatkapital nicht an, solche Siedlungen zu finanzieren, weil das investierte Kapital hierbei keine hohe Verzinsung abwarf. Bei der Gewährung von Beihilfen aus öffentlicher Hand wurden von der Stadt ohnehin gemeinnützige Baugenossenschaften bevorzugt, deren Gewinn laut Statut auf fünf Prozent beschränkt war; sie galten den Be­hörden auch als sicherer. Hinzu kam für die Privatunternehmer, daß die durch Spekulation künstlich hochgetriebenen Preise der Grundstücke empfindlich sanken, wenn sie nicht voll bebaut werden durften. Mit Grundeigentum war kein großes Geschäft mehr zu machen, so daß manche Gesellschaften es vorzogen, ihre Liegenschaften teilweise sogar unter dem Aufkaufpreis ab­zustoßen. Zum Neubau von kleineren und mittelgroßen Miet­wohnungen kam es in den Nachkriegs jähren in der Regel nur mit Hilfe öffentlicher, wenn auch völlig unzureichender und durch die Inflation noch entwerteter Baukostenzuschüsse, die bis 1920 als verlorene, bis 1923 als unverzinsliche, aber rückzahl­bare Darlehen gewährt wurden. So entstanden in Berlin imJahre 1919 und 1920 rund 3700 beziehungsweise 1250 Neubau­wohnungen - gegenüber dem jährlichen Zuwachs vor 1914 von rund 20 000 -, 1921 etwa 2100, 1922 etwa 1250 und 1923 etwa 1000, insgesamt also nur kümmerliche 9000 Neubauwohnungen, was die allgemeine Wohnungsnot nicht aus der Welt schaffen konnte. Fast die gesamte Neubautätigkeit wurde durch gemein­nützige Unternehmen, Siedlungsgenossenschaften und Einzel­siedler geleistet. Neben einigen zerstreuten Beamtensiedlungen vorwiegend in den westlichen Vororten und wenigen Werksied­lungen, so von Borsig in Tegel und der AEG in Hennigsdorf, war das größte Projekt die 1920 begonnene, 1928 vollendete Be­bauung des Westteils des Tempelhofer Feldes durch die Ge­meinnützige Tempelhofer-Feld-Heimstätten GmbH (Architekt: Stadtbaurat Fritz Bräuning), an deren Kapital die Stadt mit 75 Prozent beteiligt war. Hier entstand bis 1924 der erste zusam­menhängende Komplex von rund 500 freistehenden Klein- und Mehrfamilienhäusern mit Gartenland, der durch seine Aufglie­derung beispielgebend wirken sollte.(15) Während die großen Bau­unternehmen wie Boswau & Knauer oder die Philipp Holzmann AG sich unter den ökonomischen und politischen Bedingungen der Nachkriegsjahre lieber Industrie- und Geschäftsbauten zu­wandten (wobei sie ihren umfangreichen Grundstückshandel keineswegs aufgaben) oder versuchten, wie Haberlands Berliner Boden-Gesellschaft, in devisenbringende Auslandsverträge ein­zusteigen, konnte die steigende Zahl neugegründeter gemeinnüt­ziger oder genossenschaftlicher Baugesellschaften noch relativ wenig wirksam werden, weil weder der Fiskus noch die Ge­meinde ausreichend Zuschüsse zahlten. So beschränkte sich der Wohnungsbau in den ersten Jahren auf nur wenige neue Ob­jekte. Zu ihnen gehörte 1921/22 eine Siedlung mit Doppelstock­häusern in Köpenick (Architekt: Rudolf Salvisberg), 1923/24 eine Flachbausiedlung in Staaken (Architekt: Erwin Gutkind), die von der Märkischen Heimstätten GmbH gebaute Siedlung Eich­kamp (Wilmersdorf) und Beamtensiedlungen in Zehlendorf. Das Unvermögen der Behörden jedoch, Kredite für den so dringlichen Wohnungsbau zu beschaffen, verdeutlichte die prinzipiel­len Grenzen des genossenschaftlichen beziehungsweise gemein­nützigen Wohnungsbauprogramms.(16) Der zahlenmäßig größte Teil neuer Wohnungen (rund 20 000) wurde in den Nachkriegs­jahren, besonders in der Innenstadt, mit Hilfe der Wohnungs­ämter durch Teilung, Aufstockung, Ausbau oder Sanierung des vorhandenen Wohn- und Gebäudebestandes geschaffen.

Anmerkungen

9) Noch nach der Stabilisierung der Währung betrug das Anlagekapital für einen Kilometer Hoch- oder Untergrundbahn etwa 6,25 Millionen Mark, für einen Kilometer Straßenbahn rund 0,5 Millionen und beim Omnibus nur 53 000 Mark. Jedoch war schon damals bekannt, daß der Straßenbahnausbau verkehrsökonomisch ungünstig war: gegenüber der U-Bahn beförderte die Straßenbahn weniger Menschen, sie fuhr langsamer und behinderte den zunehmenden Autoverkehr. Siehe Probleme der neuen Stadt Berlin, Berlin 1926, S. 590ff. - Gustav Böß: Berlin von heute, Berlin 1929, S. 80 ff.-

10) Die Zahl der amtlich registrierten Wohnungssuchenden betrug Ende 1921 151 409, Ende 1922 175 578, Ende 1923 196 604 und im März 1924 223 130. Siehe Erster Verwaltungsbericht der neuen Stadtgemeinde Ber­lin Heft 6, S. 79/80.

11)  Nachdem schon während des Krieges die Zwangsräumung be­schränkt und kommunale Mietseinigungsämter eingeführt worden wa­ren, hob das Reichsmieterschutzgesetz vom l.Juni 1923 das Kündigungs­recht praktisch auf; es war nur noch in besonderen Fällen durch Ge­richtsbeschluß möglich. Durch das Reichsmietengesetz vom 24. März 1922 wurden auch Höchstmieten auf der Grundlage der sogenannten Friedensmiete festgelegt. Da die Reallöhne durch die Inflation gegen­über 1914 enorm gesunken waren, mußte jedoch für die Miete immer noch bis zu einem Viertel des Einkommens aufgewendet werden.

12) Ihr Mitbegründer und erster Direktor (von 1920 bis 1925) war der fortschrittliche Architekt und Städteplaner Martin Wagner, ein Sozialde­mokrat, der von 1926 bis 1933 als Stadtbaurat von Groß-Berlin maßgeb­lich die Wohnungsbaupolitik und Städteplanung mitbestimmte.

13) Die von dem Bürgertum bevorzugte Wohnraumaufteilung findet man noch heute in vielen Berliner Altbauten: zur Straße hin liegen die relativ hohen, oft stuckverzierten Repräsentationsräume, ergänzt durch das »Berliner Zimmer«, alle verbunden durch breite Flügeltüren. Zum Hof hin liegen die ohne Aufwand gestalteten Wohnfunktionsräume (Schlaf- und Kinderzimmer, Küche, Bad und Dienstbotenkammern mit dem Dienstboten- und Lieferantenaufgang). Das Vorderhaus mit Reprä­sentationsfassade, und hier war vor allem die Beletage für die Bourgeoi­sie bestimmt. Die kleinen, oft kümmerlichen und gesundheitsgefährden-den Wohnungen in den Hof- und Quergebäuden - ohne Licht und Sonne, natürlich ohne Bad und mit Toilette auf halber Treppe - waren fürs Volk. Der Prolet gehörte ins »Hinterhaus«.

14) So entfielen zum Beispiel Ende 1919 in typischen Arbeiterbezirken der Innenstadt wie Prenzlauer Berg 36,1, im Wedding 26,5, in Fried­richshain 24,5 und in Neukölln 19,4 Haushalte auf je ein bebautes Grundstück, während in einem bürgerlichen Außenbezirk wie Zehlen­dorf 2,6 Haushalte auf ein Grundstück kamen. Siehe Erster Verwal­tungsbericht der neuen Stadtgemeinde Berlin, Heft 1, S. 46.

15) Auch diese für »Minderbemittelte« gebauten Wohnungen wurden nicht ausschließlich nach sozialen Gesichtspunkten vergeben, sondern bevorzugt an Kriegsteilnehmer und Kriegsgeschädigte. Siehe Erster Ver­waltungsbericht der neuen Stadtgemeinde Berlin, Heft 21 (Tempelhof), S. 37.

16) Die von Sozialdemokraten und rechten Gewerkschaftsführern als »sozialistisch« propagierte genossenschaftliche Selbsthilfe der Arbeiter­klasse im Wohnungsbau war für die durch die Inflation verelendete Mehrheit der Arbeiter, Angestellten und kleinen Beamten sowieso nicht gangbar und bedeutete für die wenigen, die eine Wohnung anzusparen in der Lage waren, einen erheblichen Konsumverzicht in anderen Berei­chen. Die bürgerlichen Verfechter des Gemeinnützigen Wohnungsbaus (und ebenso die Stadtverwaltung) hatten natürlich nichts anderes im Auge, als die Tatsache, daß die Bourgeoisie nicht bereit war, Kapital für den Massenwohnungsbau herzugeben, durch Rückgriff auf die Spargro­schen der Arbeiter und Angestellten auszugleichen. Die städtischen Be­hörden wollten darüber hinaus vor allem die kommunalen Angestellten mit billigem Wohnraum versorgen, um so notwendige Gehaltserhöhun­gen zu umgehen.

Quelle:

Annemarie Lange, Berlin in der Weimarer Republik, Berlin 1987; S.307-322 - ocr-scan red. trend
 

Endlich Groß-Berlin (Teil 1)