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Lesetip/Leseauszug

Tanz nicht aus der Reihe!
Die Zweierreihen -in den Blick genommen mit Hilfe der
Werkzeugkiste des Michel Foucault (*)


von Robert Hamm
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Das Phänomen und sein Rahmen

Das Sichtbare

Was ist das eigentlich, was da zu beobachten ist? Läßt es sich in allgemeiner Form als Phänomen beschreiben, ohne noch zu interpretieren, zu werten?

Da bewegen sich mehrere Menschen in eine Richtung, und zwar alle in die gleiche. Der Einfachheit halber sei hier angenommen, sie gehen, wenngleich die Formation natürlich genauso im Laufen, Fahren oder Schwimmen herbeizuführen ist(8): je zwei Menschen gehen nebeneinander. Manchmal fassen sie sich dabei an den Händen, manchmal nicht. Auch gibt es Varianten, bei denen die- beiden durch ein Band, eine Fessel, einen Stab, ein Seil verbunden sind (9).

Während sich die so gebildeten Paare bewegen, bleibt der Abstand zwischen ihnen idealerweise unverändert, und zwar sowohl in Hinsicht auf den Abstand zu den Vorderen und Hinteren als auch in Hinsicht auf den seitlichen Abstand der beiden, die ein Paar bilden.

Ein jeder Mensch hat bei dieser Art der Fortbewegung also einen ihm fest zuge­wiesenen Platz innerhalb einer rasterartigen Formation, der sich derart in einer numerischen Reihenfolge ausdrücken läßt, daß der Platz unverwechselbar zu benennen ist: der Erste links, der Dritte Rechts, die Vierte links, die Erste rechts etc.

Das Phänomen, um das es hier geht, ist jedoch erst dann vollständig beschrieben, wenn diejenigen mit angeführt werden, die die so formierte Gruppe begleiten. Diese Begleiterinnen fügen sich nicht in die rasterartige Formation ein. Sie gehen vorneweg, seitlich oder hinterdrein - alle Varianten tauchen auf: wenn es mehrere sind, die begleiten, zumeist in vorneweg und hinterdrein geteilt. Sie sind diejenigen, die in der Regel die Richtung, in die und das Tempo, mit dem sich die Gruppe bewegt, angeben. Dennoch sind sie unverzichtbarer Bestandteil des Gesamtensembles, das Gegenstand dieser Untersuchung sein soll.

Der Rahmen

Das Zustandekommen der formierten Zweierreihe ist untrennbar verbunden mit der Einbettung in einen bestimmten Handlungs­rahmen. Dieser Rahmen ist dadurch charakterisiert, daß in ihm die Personen, die sich da in der Zweierreihe bewegen, in unterschiedlicher Weise kategorisiert sind. Entsprechend ihrer räumlichen Anordnung entweder in der Reihe oder als Begleiter davor, dahinter, daneben haben die Personen innerhalb des raumzeitlichen Arrangements, in dem sich alle Beteiligten befinden, einen deutlich unterschiedenen Status oder Rang.

Die verschiedenen Situationen, in denen dies geschieht, sind dabei in einem pädagogischen Handlungsrahmen anzusiedeln. (Wenngleich die Pädagogik kein Monopol auf die Zweierreihe hat, schließlich findet sie sich z. B. im Strafvollzug genauso wieder.) Der Prototyp des pädagogischen Handlungsrahmens ist die Schule; die Zweierreihe ist jedoch genauso auch in außerschulischen pädagogischen Veranstaltungen (Kindergarten, Ferienfreizeiten) anzutreffen.

Ein pädagogischer Handlungsrahmen in diesem Sinne ist immer Institutionen gebunden. Dadurch wird aber noch nicht ableitbar, daß in jedem (institutionell gebundenen) pädagogischen Handlungs­rahmen die Zweierreihe anzutreffen ist. Es gibt tatsächlich institutionelle Rahmen, in deren Binnenleben eine Zweierreihe nicht auftaucht, bzw. deren Auftauchen als fremd empfunden werden dürfte.(10)

Im Moment soll es erst einmal genügen, die raumzeitliche Gebundenheit der Zweierreihe an einen spezifischen institutionellen Rahmen zu festzuhalten.

Mit der Beschreibung des Phänomens und des Rahmens, in dem es auftritt, soll der Gegenstand des Interesses eingegrenzt sein. Damit soll gleichzeitig eine vorläufige Abgrenzung vorgenommen werden von ähnlichen Phänomenen, die jedoch nicht den gleichen Rahmen als Hintergrund haben:
Zweierreihen in kirchlichen Prozessionen, bei Tänzen oder bei anderen gesellschaftlichen Anlässen.

Fussnoten
8) siehe dazu auch den Abschnitt 'Bilderbogen' am Ende
9) An Hand oder Fuß ...
10)  Bestes Beispiel sind die Sportvereine - welche E-Jugend eines Fußballvereines bewegt sich wohl in Zweierreihen vom Parkplatz bis zur Umkleidekabine ... - wobei es allerdings eine eigene Erörterung Wert wäre, wieweit Sportvereine 'pädagogische Handlungsrahmen' darstellen.

*) Robert Hamm, Tanz nicht aus der Reihe!, Die Zweierreihen - in den Blick genommen mit Hilfe der
Werkzeugkiste des Michel Foucault. Herausgeber Beniro e. V., Kaplaneigasse 1, 63225 Langen
Vertrieb: Anares Buchversand Postfach 1247 31305 Uetze Tel/Fax 05173 - 6663, 42 S., A4, 6,00 DM

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