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aus: www.wsws.org

Rindfleisch-Krieg zwischen Großbritannien und Frankreich

Von Chris Marsden

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Die ökonomischen Konflikte zwischen Großbritannien und Frankreich haben sich im Oktober bis an den Rand eines offenen Handelskrieges zugespitzt.

Die Auseinandersetzung begann damit, dass die französische Regierung am 1. Oktober bekannt gab, sie werde die sechs Tage zuvor getroffene Entscheidung der Europäischen Kommission, das Einfuhrverbot für britisches Rindfleisch aufzuheben, anfechten. Frankreich stützte seine Entscheidung auf einen Bericht seiner Behörde für Nahrungsmittelsicherheit (FFSA), der besagt, dass britisches Rindfleisch nicht zum menschlichen Verzehr geeignet und noch immer nicht frei von BSE bzw. "Rinderwahnsinn" sei. Die EU hatte 1996 britisches Rindfleisch verboten, nachdem ein Zusammenhang zwischen dem Konsum von BSE-infiziertem Fleisch und einer neuen Variante der tödlichen menschlichen Hirnkrankheit Creutzfeldt-Jakob nachgewiesen worden war, an der über 40 Menschen gestorben sind.

Der französische Entschluss rief sofort wütende Proteste von britischen Bauern und Boulevard-Zeitungen hervor. Am nächsten Tag forderte die Regierung Blair die Europäische Kommission auf, etwas gegen Frankreich zu unternehmen. EU-Präsident Romano Prodi sicherte zu, rechtliche Schritte einzuleiten, aber nur, falls wissenschaftliche Berater keine Beweise für die Position Frankreichs finden würden.

Frankreich sagte zu, dass britisches Rindfleisch über seine Grenzen transportiert, aber nicht dort verkauft werden dürfe. Britische Bauern begannen eine anti-französische Kampagne zu organisieren. Die Presse schloss sich umgehend an und überzog Frankreich mit wütenden Beschuldigungen, die bis zur Schlacht von Agincourt im Jahr 1415 zurückreichten. Selbstverständlich durften auch die üblichen nationalistischen Hinweise auf die Niederlage Frankreichs gegen die Nazis im Zweiten Weltkrieg nicht fehlen.

Die Lage verschlimmerte sich am 8. Oktober, als Deutschland eine Entscheidung über die Einfuhr von britischem Rindfleisch bis zu einer wissenschaftlichen Untersuchung des Berichts der FFSA verschob.

Der britische Landwirtschaftsminister Nick Brown gelobte, persönlich alle französischen Produkte zu boykottieren. Andere Labour-Abgeordnete riefen zu einem Boykott aller französischen und deutschen Produkte auf, und die konservative Opposition wie die Boulevard-Presse erhoben dies zur Forderung an die Regierung. Die folgenden zwei Wochen organisierten britische und französische Farmer Proteste, Gegen-Proteste und Blockaden von Lastwagen an den Häfen beiderseits des Kanals.

Am 13. Oktober kam die Europäische Kommission zum Ergebnis, der FFSA-Bericht beruhe auf einer Fehlinterpretation wissenschaftlicher Erkenntnisse vor allem hinsichtlich des Alters von BSE-infiziertem Vieh, reichte ihn aber zu einer weiteren Überprüfung ein. Während des EU-Gipfels vom 15. Oktober in Finnland weigerte sich Blair ostentativ, dem französischen Premierminister Lionel Jospin die Hand zu schütteln. Er drohte außerdem mit rechtlichen Maßnahmen gegen das Verbot. Viele britische Supermarkt-Ketten begannen mit einem teilweisen Boykott französischer Produkte, und in einigen konservativ dominierten Gemeinden folgten selbst Schulen diesem Beispiel.

Am 23. Oktober wurde ein EU-Bericht veröffentlicht, wonach in der französischen Industrie menschliche und tierische Abfälle in der Produktion von Tierfutter verwendet würden. Die Untersuchung war im August eingeleitet worden, nachdem ein deutscher Fernsehbericht enthüllt hatte, dass Futter mit gefährlichen Pestiziden, Schwermetallen und Klärschlamm verseucht war. Seitdem kamen zu dem verbalen Schlagabtausch zwischen den beiden Ländern noch Vorwürfe der "Heuchelei" gegen Frankreich und Warnungen, dass der Verzehr französischer Produkte zu Lebensmittelvergiftung führen könne.

Nick Brown versicherte umgehend, dass die Kennzeichnungspflicht für Nahrungsmittel verschärft würde, um den Verbrauchern "informierte Entscheidungen" zu ermöglichen. Der Nationale Bauernverband kündigte an, auf einer Konferenz im nächsten Monat, bei der auch Brown sprechen würde, einen Plan für ein "Großes Markenzeichen für britische Nahrungsmittel" zu verabschieden. Der Hinweis eines wissenschaftlichen Beratungs-Komitees der Blair-Regierung, für ein Verbot französischer Produkte gebe es keinen Grund, stieß auf Verachtung.

Der französische Landwirtschaftsminister Jean Glavany sagte ein geplantes Treffen mit Brown ab. Der Vorsitzende des größten Bauernverbandes in Frankreich, Luc Guyau von der FDSEA, drohte mit einer Blockade Großbritanniens: "England ist eine Insel. Eine Insel ist leichter zu blockieren als ein Kontinent", erklärte er.

Blair sah sich gezwungen, Jospin anzurufen und zu versuchen, das Problem zu lösen, während er gleichzeitig in der Öffentlichkeit sagte: "Ein illegaler Handelskrieg mit anderen europäischen Ländern, Auge um Auge, liegt nicht in unserem Interesse." Jean Glavany sagte später, ein "ruhiger Dialog" habe keine Chance.

Wissenschaftler der EU legten ihre Erkenntnisse am 29. Oktober in einem 600 Seiten umfassenden französischen Bericht vor, in dem sie einstimmig zum Ergebnis kamen, dass es keinen Grund gebe, die frühere Entscheidung zu britischem Rindfleisch rückgängig zu machen. Früheren Berichten zufolge war die Untersuchungskommission gespalten. Der Bericht geht jetzt an das Europaparlament. Sollte Frankreich jedoch seine Position aufrechterhalten, könnten rechtliche Schritte Monate dauern.

Frankreich behauptet, der Rückgang von BSE-Fällen in Großbritannien sei weniger schnell vonstatten gegangen, als die Blair-Regierung angebe. Es weist darauf hin, dass dort auf eine Million Rinder 650 BSE-Fälle kommen, während es in Frankreich pro Million weniger als zwei seien, was die Behauptung eines einwandfreien nationalen Viehbestandes widerlege. Großbritannien bestreitet dies und erklärt, die meisten Fälle beträfen heute die über 30 Monate alten Rinder, also die Tiere, die nicht in die Nahrungskette kommen und erst recht nicht ausgeführt werden.

Was die gesundheitliche Unbedenklichkeit von Rindfleisch angeht, so steht offensichtlich weder Großbritannien noch Frankreich im besten Licht da. Es gibt ernstzunehmende Hinweise, dass das britische Programm gegen BSE auf der Annahme beruht, Vieh unter zwei Jahren sei sicher, obwohl sich die Symptome auch erst nach mehr als zwei Jahren zeigen können. Auf der anderen Seite hat der Leiter einer regionalen Veterinär-Behörde in Frankreich, die mit der Bekämpfung von BSE betraut ist, zugegeben, dass die Prüfer in diesem Jahrzehnt gerade 28 von 700.000 Kühen auf die Krankheit untersucht hätten. Davon seien fünf Tests positiv gewesen. Dazu kommt, dass die französischen Bauern von Erkrankungen in ihren Herden selbst berichten müssen. Tun sie es, können sie jedoch ihren gesamten Viehbestand verlieren - nicht gerade ein Anreiz. Frankreich ist außerhalb Großbritanniens das einzige Land, in dem jemand an der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit gestorben ist.

Keines der zwei Länder wird von einem Bericht erbaut sein, wonach Schweizer Wissenschaftler eine Diagnose-Technik entwickelt haben, die BSE schon vor den äußerlichen Symptomen erkennt. In beiden Ländern haben in der BSE-Krise die Profite der Industrie Vorrang vor gesundheitlichen Erwägungen erhalten. Ähnliche wirtschaftliche Überlegungen liegen auch den wachsenden Spannungen zwischen beiden Ländern zu Grunde.

Einerseits schadet der Konflikt Großbritannien ebenso wie Frankreich. Großbritannien hat 1998 Nahrungsmittel und Agrarprodukte aus Frankreich im Wert von 25 Milliarden Francs gekauft, mehr als ein Zehntel von dessen gesamtem Export im Umfang von 230 Milliarden Francs. Umgekehrt hat Großbritannien letztes Jahr landwirtschaftliche Produkte im Wert von 13 Milliarden Francs an Frankreich verkauft.

Im Oktober haben sich jedoch nach Angaben von Großbritannien die Profite in der Rindfleischindustrie halbiert, größtenteils wegen der BSE-Krise. Die Viehbauern sind dementsprechend verzweifelt. Dagegen haben die französischen Hersteller ihren Anteil am heimischen Fleisch-Markt von 75 auf 90 Prozent erhöhen können, vor allem wegen fehlender britischer Konkurrenz.

Es geht jedoch um weit mehr als das Schicksal der Fleischindustrien zweier Länder. Der "Fleischkrieg" ist in Großbritannien zum Sammelpunkt für eine größere anti-europäische Kampagne geworden. Hier treffen sich Landwirtschaftskonzerne mit der Konservativen Partei und Teilen der Medien wie der Daily Mail und dem Daily Telegraph.

Das Thema kochte gerade ein paar Tage hoch, nachdem Blair eine größere parteiübergreifende Kampagne für engere Beziehungen zwischen Großbritannien und Europa angekündigt hatte, für der er schon führende pro-Europa-Konservative wie Kenneth Clarke und Michael Heseltine gewonnen hatte.

Seit der Streit begonnen hat, musste er als Knüppel herhalten, mit dem Blair von den Elementen in der herrschenden Klasse geprügelt wurde, die gegen eine engere wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit mit Europa sind. Blair hat seinerseits alles getan, um seine rechten Kritiker bei der Stange zu halten. Seine pro-Europa-Kampagne sollte ursprünglich den britischen Beitritt zur Währungsunion erleichtern. Angesichts nationalistischer Forderungen, das Pfund als Symbol nationalen Stolzes und nationaler Unabhängigkeit beizubehalten, wurde dies stillschweigend fallen gelassen. Im September setzte der Bauernverband Blair unter Druck, wegen der fallenden Profite größere Subventionen zu verlangen, obwohl dieselbe Regierung, die sonst jede Forderung nach mehr Staatsausgaben zurückweist, vorher schon eine halbe Million zusätzliche Pfund versprochen hatte.

Als Blair dann am 15. Oktober zum EU-Gipfel kam, war er, in die Defensive geraten, ein Gefangener der politischen Linie seiner Gegner. Die Gespräche auf dem Gipfel konzentrierten sich auf Pläne für eine einheitliche europäische Polizei und Einwanderungspolitik. Blair war nicht in der Lage, auf guten Beziehungen zu Frankreich und Deutschland aufzubauen, den zwei wichtigsten sozialdemokratischen Regierungen auf dem Kontinent. Statt dessen musste er sich auf pathetische Gesten beschränken.

Auch Jospin hat nicht zuletzt wegen der Stimmung der französischen Wähler innenpolitische Probleme, die ihm ein Nachgeben in der Fleischfrage erschweren. Schließlich gibt es auch in Frankreich eine lautstarke protektionistische Lobby. Diese besteht aus Kleinbauern, der Nationalen Front, der Kommunistischen Partei, Gewerkschaftsführern und grünen Aktivisten. Diese Lobby hat bis jetzt einen stark anti-amerikanischen Standpunkt eingenommen und sich auf amerikanische Sanktionen gegen französische Nahrungsmittel-Importe konzentriert, welche die USA als Vergeltung für das europäische Verbot von hormonbehandeltem US-Rind verhängt hatte. In der Lobby gibt es jedoch auch Kräfte, die gegen die EU und besonders gegen Großbritannien sind, wegen dessen offenkundiger Rolle als amerikanischer Verbündeter.

Jospin wetteifert mit seinen gaullistischen Rivalen darum, diese Kräfte im Vorfeld der Verhandlungen zur Welthandelsorganisation (WTO) am 30. November auf seine Seite zu ziehen. Er hat versichert, "unsere nationalen Interessen und die der europäischen Gemeinschaft extrem fest" zu verteidigen und "sicherzustellen, dass die WTO sich der neuen Probleme der Nahrungssicherheit und des Umweltschutzes annimmt". In dieser Situation würde ein Nachgeben in der BSE-Frage seine Glaubwürdigkeit empfindlich schwächen.

Beide Regierungen machen den Eindruck, von den Ereignissen überrascht zu sein und der Entwicklung hilflos gegenüber zu stehen. Zum Beispiel haben die Außenminister beider Länder ihrer Besorgnis Ausdruck verliehen, dass der Streit über das Rindfleisch die Pläne für den Aufbau einer gemeinsamen europäischen Verteidigungskapazität unterhöhlen könnte. Frankreich und Großbritannien spielen als Europas wichtigste nukleare und Militärmächte eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Militärpolitik. Ein anglo-französischer Gipfel zu dieser Frage ist für den 25. November in London vorgesehen. Ein französischer Diplomat erklärte jedoch der Financial Times gegenüber: "Wenn dieses Problem nicht gelöst wird, wird dieser Gipfel für beide Parteien wirklich sehr schwierig."

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