zurück

Quelle: www.freitag.de  

Den Krawall gibt's nur noch auf Video 
Zehn Jahre nach dem subkulturellen Aufbruch in Ostberlin
Wie sich die ehemaligen Hausbesetzer heute als Mieter und Eigentümer schlagen

von Velten Schäfer

11/99
trdbook.gif (1270 Byte)
trend
online
zeitung
Briefe oder Artikel:
info@trend.partisan.net
  
ODER per Snail:
Anti-Quariat
Oranienstr. 45
D-10969 Berlin
Der Vermieter hat den Prozess um die Interpretation der Mietverträge gewonnen: Es gibt kein Belegungsrecht für die BewohnerInnen des Hinterhauses der Niederbarnimstraße 24. Kaum eine ist im Besitz des Mietvertrages für die Räume, die sie bewohnt. Damit bewahrheitet sich das, was die Vertragsgeneration beim Abschluss der Einzel-Mietverträge für das bis dahin besetzte Haus befürchtet hatte: es ist als Wohnprojekt nicht mehr zu halten.

Zur großen Abschlussparty bin auch ich geladen. Im Hof stehen ein paar Bänke. Auf einer von ihnen sitzt Klaus, der sich gerade eine "Zigarette würzt". Er hatte nur am Rande mit der Sache zu tun. Der Mittdreißiger ist Selfmade-Informatiker, spielt aber eigentlich lieber Gitarre oder fährt Skateboard. "Ja, auch in meinem Alter noch". Als es ihn aus einer süddeutschen Kleinstadt nach Berlin verschlug, war er völlig abgebrannt und fand über Ecken Anschluss und Unterschlupf in der Niederbarnimstraße. Der Community stellte er im Gegenzug sein technisches Wissen zur Verfügung und brachte die Verstärkeranlage in der Besetzerbar "S.E.K." auf Vordermann. Inzwischen hat er einen Programmierer-Job bekommen: "Haudegen-Kapitalismus. Systeme für Süd ostasien. Sechs Tage Arbeit die Woche, und schon ..." Klaus grinst ein wenig, "... der erste Pauschalurlaub. Tunesien, zwei Wochen Vollpension. So geht das also."

Auf der Kellertür klebt noch immer das Marx-Poster mit dem rosa Kussmund. Daneben lehnt Immo, ebenfalls Mitte Dreißig, der tatsächlich so aussieht wie die, vor denen mich meine Eltern immer gewarnt haben: Hüftlanges Haar im Zopf, runde Brille, Dreitagebart, Lederjacke. Er geriet Anfang der Achtziger über die Spandauer Punk-Szene in die großen Haig- und Reagan-Demos. Rollenbewusst ironisch erzählt er später am Abend von der "Schlacht am Nollendorfplatz". Als nach dem Mauerfall die Hausbesetzungen im Osten der Stadt begannen, gehörte seine Neuköllner WG zu den Gruppen, die sich in Friedrichshain nach geeigneten Objekten umsahen. Das Hinterhaus der Niederbarnimstraße war gut erhalten, klein, und leicht zu verteidigen. Am 29. Juni 1990 stellte sich ein Pärchen mit Mietwunsch dem kommissarischen Hausmeister vor, besichtigte das Hinterhaus und ließ im Erdgeschoß ein Fenster offen.

In Ostberlin sei es damals drunter und drüber gegangen. Die Volkspolizei ahnte ihr Ende und blieb weitgehend untätig, gewohnt war man solch wilde Horden ohnehin nicht. Die DDR-Stadtplanung hatte auf große Neubauzentren vor den Toren der Städte gesetzt, in den Innenräumen entstanden schwarze Löcher. So auch in den Ostberliner Bezirken Mitte, Prenzlauer Berg und Fried richshain. Hier standen ganze Straßenzüge leer und warteten auf ihren Abriss. Nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen größeren Städten wie Leipzig oder Potsdam wurden in der Wendezeit aus diesen schwarzen Löchern bunte Inseln. In Berlin mit besonderer Dynamik, denn auf der anderen Seite der Mauer hatte sich in den siebziger und achtziger Jahren eine umstürzlerisch-subkulturelle "Szene" festgesetzt, die sich um 1989 auf einem ihrer Höhepunkte befand. Zu Kommunalwahlen plakatierten die Kreuzberger "Unregierbaren": Wir versprechen nix - Organisiert euch selbst!

So waren es überwiegend Westberliner, die im Herbst 1989 und im Frühjahr 1990 nach Ostberlin kamen, um die dortige "Unregierbarkeit" zu nutzen.

"Die ersten zwei Jahre brachten für mich die Erfahrung, dass man ein Vakuum an Staat und Macht von unten füllen kann", bilanziert Immo. Bis 1991 wurden nahezu hundert Häuser im Ostberliner Innenstadtbereich besetzt, die meisten davon organisierten sich im "BesetzerInnen-Rat" und versuchten, nach dem Motto "Alle oder Keiner" eine pauschale Legalisierung durchzusetzen. In den Stadtteilen versuchten "Kiez-Plena", einen systematischen Austausch zwischen den Häusern herzustellen. Regelmäßige Haus- und Straßenplena sollten den Kern der autonomen Selbstorganisation bilden. Dieses Organisationsprinzip lebte de facto jedoch von Euphorie und großem persönlichen Einsatz einzelner. Einen ersten Knacks bekam die Euphorie, als der rotgrüne Senat kurz nach dem Beitritt der DDR ein gutes Dutzend besetzte Häuser in der Mainzer Straße räumen ließ und dabei tatsächlich "bürgerkriegsähnliche" Auseinandersetzungen in Kauf nahm. "Das hat gesessen", erinnert sich Immo. "Es wurde klar, dass außerhalb des formalen Weges nichts durchzusetzen war."

Nach diesem druckreifen Statement gehen wir zur Tanzfläche. Es fallen die Plakate auf, mit denen der Flur tapeziert ist: Wenn sie von Frieden reden, meinen sie Krieg, Den reißenden Strom nennen sie gewalttätig, nicht das Flussbett, das ihn einsperrt, Frauen hört ihr Frauen schrei'n, schlagt dem Typ die Fresse ein, und natürlich: Nazi-Aufmarsch in Xy verhindern. Je neuer die Parole, desto zurückhaltender Sprache und Ziel. In der Ecke lehnt die "Hauschronik", eine Infotafel in Punk-Layout, die man 1994 zu Zwecken der "Bürgerarbeit" auf Straßenfesten angefertigt hatte: "Spekulanten ins Weltall!" heißt das politische Fazit.

Hinter dem Plattenspieler im "Wohnzimmer" steht Bea und legt schräge Popmusik auf. Melancholie will nicht aufkommen. Bea kam mit Anfang Zwanzig vor vier Jahren aus Niedersachsen nach Berlin. Zusammen mit zwei Freundinnen suchte sie nach einem Wohnprojekt und landete schließlich in der Niederbarnimstraße. Für sie war das ein Befreiungsschlag in jeder Hinsicht, sie tauschte die Enge einer kleinstädtischen westfälischen Offiziersfamilie mit dem abenteuerlichen Friedrichshainer Kiez, organisierte sich in Frauengruppen und entdeckte die lesbische Liebe. Den "Häuserkampf" hat die 24-jährige von einer ganz anderen Seite kennengelernt als der zehn Jahre ältere Immo. Große Demonstrationen, hitzige Debatten auf überfüllten "Plena" kennt sie aus Erzählungen. Ihre Erfahrungen bestehen eher aus Anhörungen, Gutachten, Anwaltsterminen und Mietrechtsprozessen. Inzwischen jobbt sie als Schreibkraft in einem Anwaltsbüro.

Bei der letzten Umzugswelle "übernahmen" sie und ihre Freundinnen das Haus. Als der Kleinkrieg gegen den Hausbesitzer aussichtslos wurde, ließen sie sich gegen eine fünfstellige Summe aus den Verträgen kaufen. Ein komisches Gefühl ist es schon, dem Hausbesitzer freie Bahn für teure Wohnklos zu geben. Andererseits, so die Hoffnung, werde das Leben ohne den Prozess leichter werden.

Der Schwerpunkt der heutigen "Hausbesetzerszene" ist die Rigaer Straße im nördlichen Friedrichshain. Während im südlichen Teil des Viertels eine explosive Gentrifizierung eingesetzt hat - die Simon-Dach- Straße gilt mittlerweile als der Tip - rufen hier die Plakate noch öfter zum Demonstrieren als zum Tanzen. Noch sind die Kneipen obskur und halblegal, noch überwiegen politische Parolen Tags und Pieces. Im Unterschied zu den Kreuzberger Autonomen scheint der späte Friedrichshainer Ableger nicht vom subkulturellen Mehrwert profitieren zu können. Imposant sehen die bemalten, mit Transparenten bewehrten Häuser noch immer aus, "besetzt" ist jedoch keines mehr.

Ein klassisches Exemplar ist das Eckhaus Rigaer/Liebigstraße, von dessen Fassade die Solidarität mit Kurdistan und die Freiheit der politischen Gefangenen gleich neben Janosch-Figuren auf die Kreuzung grüßen. Klassisch ist auch die Nutzung des Erdgeschosses: ein "Infoladen", der linke Literatur gegen Pfand verleiht und Buskarten zu Antifa- Demonstrationen verkauft, und eine kollektiv betriebene Kneipe: Bier 2,50 DM und der Gewinn für politische Zwecke. An den Wänden der Kneipe hat ein unbekannter Künstler seine Einschätzung zum "Stand der Bewegung" festgehalten: Ein Monitor-Männchen zeigt das unvermeidliche Che-Konterfei und den Kommentar "Big Money. Big issue". Schräg gegenüber hält sich Fidel Castro an einer überdimensionalen Bierflasche fest - "Das Ende des Kampfes" heißt sein Motto. Zwei Etagen höher ist die Frauengruppe aus der Niederbarnimstraße eingezogen. Dank der hohen Ablöse konnten sie eine Etage ausbauen, und die Südbalkone sind gegenüber dem alten düsteren Hinterhof ein Traum. "Wenn nur die Kneipe etwas leiser wäre". Aber es gibt noch mehr Probleme: "Der Kleinkrieg geht weiter", faßt Bea zusammen. Die Hausverwaltung "Optima", der die meisten exbesetzten Häuser gehören, will so schnell wie möglich verkaufen und drängt auf klar separierte Wohnungen, auf ein ganz normales Mietshaus. In nahezu neun Jahren wechselnden Gruppenlebens wurden im Haus viele Umbauten gemacht. Heute kann jedes "unbefugte" Badezimmer, jeder "nicht vorgesehene" Durchbruch, jede ausgehängte Tür ein juristisches Nachspiel haben. Der Ärger ist noch latent, aber absehbar.

Um unter anderen solche Probleme zu vermeiden, haben sich die zwanzig Bewohner Innen des ebenfalls exbesetzten Hauses Kinzigstraße 9 für einen anderen Weg entschieden. "Besitzen statt besetzen", kehrt Immo, der sich nach dem Ende "seiner" Niederbarnimstraße zum Kaufprojekt entschloss, eine alte Parole der Autonomen um. Der gelernte Gärtner möchte nun etwas zur Ruhe kommen und doch noch Landschaftsplaner werden. "Unter den gegebenen Umständen ist leider nichts sicher - außer dem Eigentum" erläutert Jörn, der mit Immo aus der Niederbarnimstraße gekommen war und jetzt als Bauleiter die Anfänge der Sanierung in Selbsthilfe organisiert, seine Entscheidung.

Vor einem Jahr entschloss man sich in der Kinzigstraße zum "kaufen lassen": In Absprache und unter finanzieller Beteiligung der BewohnerInnen erwarb eine Genossenschaft das Haus, die Bewohner wurden Mitglieder eines Vereins, der als Pächter auftritt und traten gleichzeitig der Genossenschaft bei, so dass sie ihre eigenen Verpächter sind.

Der neue Besitz macht einen behaglichen Eindruck, wenn man in der Dämmerung auf dem Hof sitzt und grillt. Die Rückseite des Vorderhauses hat das eigentümliche Flair eines alten Gemäuers mit neuen Fenstern. Das Hinterhaus, ein Fabrikrest, verspricht helle große Räume. Ein Seitenflügel ist schon saniert, die vierte Seite des Hofes schließt eine einstöckige, efeubewachsene Remise, die hochfahrende Heimwerkerphantasien weckt. Das Vorderhaus beginnt nach Jahren des Leerstands wieder zu leben: zwei "Externe" bauen das Erdgeschoss zu einem Klub aus. Sie haben gerade das Problem mit dem Estrich gelöst und sind dabei, aus Mülltonnen einen Tresen zu dengeln. Ein kunstvoller Blechdrache kaschiert die Löcher im Fußboden - vielleicht bald ein weiterer "Geheimtipp" in Friedrichshain.

"Ihr seid nichts als linke Spießer ..." textete die autonome Gesinnungskapelle "Slime" schon vor 16 Jahren über derlei Projekte. Ein gewisser Verdacht gegen sich selbst scheint bei der Konzeption des Projektes auch im Spiel gewesen zu sein: "Richtiges Privateigentum" habe man durch das Finanzierungsmodell bewusst vermieden. Stattdessen hat sich die Gruppe schon in den Bauplänen auf ein "politisches" Projekt verpflichtet: Ein beträchtlicher Teil des Hauses ist als "öffentlicher Raum", als Platz für Initiativen und Veranstaltungen vorgesehen. "Wir wollten sichergehen, dass dies hier kein bloßes Wohnprojekt wird", sagt Jörn.

Der blonde 30-jährige mit dem freundlichen Gesicht wohnt seit fünf Jahren in besetzten oder exbesetzten Häusern in Friedrichshain. Jahrelang nahm er die Arbeit an der autonomen Infrastruktur - zum Beispiel in "Volksküchen" - wichtiger als sein Physikstudium. Unverzichtbar war er immer dann, wenn es etwas zu reparieren gab - und das war nicht zu selten. Der lasermedizinische Apparat zur Krebsfrüherkennung, den er als Diplomand entwickeln half, funktioniert "im Prinzip" trotzdem. Technisches Wissen ganz anderer Art ist in Zukunft von ihm gefordert. Denn schon kurz nach den Unterschriften kam der Pferdefuß: Das Hinterhaus drohe auseinander zu brechen und müsse sofort verlassen werden, erfuhren die stolzen Neueigner nach einer baupolizeilichen Prüfung. Die dort gerade fertiggestellten Veranstaltungsräume und Wohnetagen gehen vorerst verloren. Das bedeutet doppelte Arbeit: Gute drei Jahre werden die Bauarbeiten in Anspruch nehmen. Für Ärger ist also auch ohne Vermieter gesorgt. Gerade deswegen brennt Jörn darauf, endlich anzufangen. "Ich will raus aus der Warteschleife."

Und der Krawall? Den gibt's nur noch auf Video. Zum Beispiel in dem über die Mainzer Straße. Allen heimlichen Freunden der tragischen Revolutionsromantik sei die Szene empfohlen, in der die Behelmten den letzten Balkon der Straße erstürmen, von dem bis zuletzt Rio Reisers Gänsehaut-Hit auf das Schlachtfeld schallte: Der Traum ist aus ...Der Traum ist aus ...Aber ich werde alles geben, dass er Wirklichkeit wird ...

nach oben