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Erklärung von Andrea Klump 
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Ich war seit 1976/77 in verschiedenen linken Zusammenhängen aktiv.

Ende der 70er / Anfang der 80er Jahre entwickelten sich in Westdeutschland vielfältige und breite politische Bewegungen und Initiativen.

Es gab Widerstand gegen den "NATO-Doppelbeschluss", gegen die ame-rikanische Militärdoktrin, die die Einsetzung von Massenvernichtungsmitteln, von atomaren Erstschlagswaffen als "Verteidigung" propagierte. Es war die Zeit der Friedensbewegung. Viele Menschen trugen ihren Protest gegen den Rüstungswahn und ihre Ängste vor einem Atomkrieg auf die Strassen. Überall in der Bundesrepublik gab es Initiativen gegen die amerikanische Militärpolitik: regionale Initiativen gegen Militärstützpunkte und gegen "Bombentransporte" / Munitionzüge. Im Rhein-Main-Gebiet der Widerstand gegen den geplanten Ausbau der Startbahn West des Frankfurter Flughafens, Sitzblockaden vor Raketenstützpunkten (u.a. Mutlangen), die Demonstration gegen den Berlin-Besuch des damaligen US-Präsidenten Reagan, die große Demonstration der Friedensbewegung in Bonn...

Es war eine Zeit, in der es überall Diskussionskreise und Diskussionszusammenhänge gab. In diesen politischen Zusammenhängen - wie auch in den Medien - fanden öffentliche Diskussionen über Inhalte und Ziele der NATO-Militärpolitik, den NATO-Doppelbeschluss statt. Die Militärdoktrin, wie z. B. das sogenannte Air-Land-Battle Konzept des atomaren Erstschlags wurde in einer breiten Öffentlichkeit diskutiert. Ebenso Inhalte und Ziele von NATO-Übungen / Manövern.

Zur gleichen Zeit entwickelte sich eine breite Solidarität mit der sandinistischen Revolution in Nicaragua und den Kämpfen in El Salvador, die bis in engagierte SPD- und Kirchenkreise hineinreichte. In Solidaritätskomitees und Plenen fanden Diskussionen statt über die konkrete Entwicklung dieser Kämpfe, über emanzipatorische gesellschaftliche Prozesse und Diskussionen über den "neuen Menschen" in Lateinamerika; Es gab politische Auseinandersetzungen über die Zusammenhänge zwischen den Kämpfen in Nicaragua und El Salvador und dem eigenen Widerstand. Ich war politisch in solchen Zusammenhängen engagiert, u. a. in Frauengruppen und begriff mich damals als Teil dieses Widerstandes.

In diese besondere Situation fiel 1981 der Hungerstreik der Gefangenen aus der RAF für die Veränderung ihrer Haftbedingungen. Aus den oben genannten Zusammenhängen entwickelte sich eine breite Solidarität und Unterstützung des Hungerstreiks, um die Abschaffung der Isolationshaftbedingungen der Gefangenen zu erreichen.

Die Haftbedingungen für Gefangene aus der RAF waren in den 70er Jahren immer weiter verschärft worden und lassen sich nur ungenügend mit dem Schlagwort "Isolationshaft" beschreiben. Konkret hieß das z. B. mindestens 23 Stunden täglich auf der Zelle, 1 Stunde - wenn überhaupt - Einzelhofgang, Besuche mit Trennscheibe und Inhaltskontrolle (Verbot über bestimmte Themen, teilweise auch den eigenen Prozess, zu reden), Einschränkungen durch restriktiv gehandhabte Besuchs- und Schreibverbote, kein eigenes Radio und Fernsehen, Beschränkung der zur Verfügung stehenden Zeitungen und Zeitschriften, Beschränkung der Anzahl der zur Verfügung stehenden Bücher (zusätzliche inhaltliche Beschränkung). Diese Bedingungen waren auch Anlass für mich gewesen, mich für deren Abschaffung und für die Rechte der Gefangenen zu engagieren. So schrieb und besuchte ich Gefangene.

Zusammen mit anderen versuchte ich über verschiedene politische Initiativen wie Informations- und Diskussionsveranstaltungen, Öffentlichkeit über die Situation der Gefangenen herzustellen.

1977/78 gab es z. B. Initiativen rund um ein damals geplantes "Russell-Tribunal" in dem Menschenrechtsverletzungen in der damaligen Bundesrepublik thematisiert und "angeklagt" werden sollten: Berufsverbote, Polizeiübergriffe, in dem ich mich auch dafür eingesetzt hatte, dass die Son-derhaftbedingungen gegen politische Gefangene auf diesem Tribunal als Men-schenrechtsverletzungen thematisiert und verhandelt wurden.

Im Hungerstreik 1981 kam es zu einer zugespitzten Situation, viele Gefangene waren in Lebensgefahr, u.a. äußerte sich Amnesty International dazu öffentlich. Sigurd Debus starb nach Durchführung der Zwangsernährung.

In dieser Situation nahm ich an einer "Besetzung" des Schauspielhauses in Frankfurt am Main und an der "Besetzung" einer Aus-stellung über antifaschistischen Widerstand gegen den Nazifaschismus teil, um die damals verhängte Nachrichtensperre über die Situation der Gefangenen und ihren Hungerstreik zu durchbrechen und Diskussionen in Gang zu setzen. Politisch ging es dabei um die Schaffung von Öffentlichkeit und die Unterstützung der Forderung der Gefangenen.

In diesen Jahren, d. h. Anfang der 80er Jahre, wurde die Auseinandersetzung mit den Gefangenen und die Unterstützung ihrer Forderung nach Zusammenlegung kriminalisiert.

Aufgrund meiner politischen Aktivitäten während dem Hungerstreik 1981 liefen auch gegen mich mehrere Ermittlungsverfahren. Andere wurden in dieser Zeit wegen dem Verteilen von Flugblättern, in denen es um die Unterstützung der Gefangenen ging, dem Sprühen von Parolen an der Autobahn und dem Drucken von Flugblättern verhaf-tet und zu Haftstrafen verurteilt. "Werbung" oder "Unterstützung einer terroristi-schen Vereinigung" lauteten damals die jeweiligen Vorwürfe bzw. Beschuldigungen zahlreicher Ermittlungsverfahren.

Meiner Erinnerung nach verschärften im Laufe der Jahre 1983 und 1984 die Ermittlungs- und Verfolgungsbehörden durch zahlreiche Maßnahmen erneut das politische Klima: Von 1983 an leitete die BAW erneut Ermittlungsverfahren ein. Jetzt lauteten die Beschuldigungen jeweils: "Beteiligung" oder "Unterstützung an einem illegalen Informationssystem". Damit standen die, die Gefangenen schrieben oder sie besuchten vor der Kriminalisierung. Konkret bedeutete das: Hausdurchsuchungen, Festnah-men, (verstärkte) Observation durch Polizei und Verfassungsschutz. Die, die kri-minalisiert wurden, waren Menschen, die in meinen Augen nichts kriminelles taten, sondern sich für die Rechte der Gefangenen einsetzten.

Ebenfalls zu dieser Zeit wurde mit Hilfe eines Konstruktes auch ein neuer Straftat-bestand geschaffen, die sogenannte "legale RAF". Das war eine neue Stufe der Kriminalisierung: alle, die sich im sogenannten "Umfeld" der Gefangenen enga-gierten, konnten jetzt auch wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereini-gung" verfolgt werden, bzw. mit einer derartigen Verfolgung rechnen.

Heute weiß ich, dass viele dieser damaligen Ermittlungsverfahren später nach und nach eingestellt wurden. Damals aber entwickelte sich für mich aufgrund der verschärften staatlichen Repressionspolitik im Laufe dieser Zeit ein subjektives Bedrohungsgefühl, das sich für mich immer mehr verstärkte. Ein bevorstehender Hungerstreik der Gefangenen war in Diskussion. Aufgrund meiner Geschichte hielt ich mich deshalb in der Situation eines Hungerstreiks für gefährdet.

Im Sommer 1984 befürchtete ich daher, verhaftet zu werden. Ich wollte nicht freiwillig in den Knast gehen und zog es deshalb vor mich einer möglichen Verhaftung zu entziehen. Das war im Juli 1984.

Ob und wie real meine damaligen Befürchtungen waren, kann man heute vermut-lich mit anderen Augen sehen. Damals waren sie für mich aber Realität. Auf dem oben geschilderten Hintergrund wähnte ich mich im Visier der Fahndungsbehörden.

Mein Weggehen hatte den Zweck, für staatliche Behörden nicht mehr erreichbar zu sein. Es bedeutete unangemeldet bzw. unter falschem Namen zu leben, um für die Behörden nicht auffindbar zu sein. So zu leben war und ist nicht gleichbedeutend damit, Mitglied der RAF zu sein.

Mein Weggehen hatte nie den Zweck oder das Ziel, mich in der RAF zu organisieren. Das war für mich zu keinem Zeitpunkt eine Frage. Für mich war nie vorstellbar, mich zu bewaffnen, bzw. bewaffnet zu kämpfen.

Ich und bewaffnet-sein hat nie zusammengepasst. Meine innere Einstellung gegenüber Waffen kann ich am genauesten vielleicht mit "Berührungsangst" benennen, als eine innere Sperre.

Eine Mitgliedschaft in der RAF wäre bei mir schon an der Frage der Bewaffnung gescheitert. Ich wusste einfach von mir, dass ich keine Waffe einsetzen würde.

Soweit ich mich erinnere, gab es dann schon im Dezember 1984, auf jeden Fall im Winter 1984/85 die ersten Fahndungsplakate, mit denen ich - und andere - als angeblich neue (bzw. als angeblich alte) Mitglieder der RAF gesucht wurden.

Dadurch war sehr schnell eine Situation geschaffen, die das eigene Nachdenken in jeder Hinsicht erschwerte: Ich wurde als jemand gesucht, der ich nicht war. Für mich bedeutete das eine zusätzliche Belastung zu meiner neuen Lebenssituation, von der ich mich nicht befreien konnte.

Mit der öffentlichen Fahndung und diesem Vorwurf "Mitglied der RAF" konfron-tiert zu sein, bedeutete Druck, ein Gefühl, mit dem Rücken an die Wand gedrängt zu werden. Darüber hinaus empfand ich die öffentliche Fahndung mit der Kopf-geldprämie auch als eine sehr direkte und sehr konkrete Bedrohung, die mich belastete.

Nicht nur für mich hatte sich dadurch die Situation total verschärft, sondern auch für diejenigen, die mir bis dahin geholfen hatten. Menschen, die von meiner Situation wussten und mir dabei halfen, wohnen und leben zu können.

In dieser Situation habe ich von mir aus Kontakt zu anderen gesucht, die ebenfalls auf den Fahndungsplakaten abgebildet waren.

Ich wollte Kontakt zu anderen Gesuchten, weil ich davon ausging, dass es vielleicht noch andere geben könnte, die, wie ich, nicht in der RAF waren und sich auch nicht in der RAF organisieren wollten, mit denen ich mich austauschen und über mögliche Lebensperspektiven nachdenken könnte.

Aufgrund meiner eigenen Erfahrung konnte ich nicht wissen, ob und gegen wen die Beschuldigungen möglicherweise genauso falsch waren wie gegen mich, oder ob und auf wen sie möglicherweise zutrafen.

Im Laufe des Jahres 1985 hatte ich dann mehrere Gespräche, zunächst mit Eva Haule und später mit Birgit Hogefeld.

Ich kannte Eva Haule von früher, von sogenannten "Städtetreffen". Das waren unregelmäßig stattfindende Treffen von Leuten, die Gefangenen schrieben und / oder sie besuchten. Die Treffen fanden statt, damit man sich über die Haftbedingungen auseinandersetzen konnte, aber auch um dort Briefe, Referate und Übersetzungen, die Gefangene zu aktuellen Themen aus internationalen Tageszeitungen gemacht hatten und durch die die Gefangenen in aktuelle Diskussionen einbezogen waren, auszutauschen.

Mit Eva Haule habe ich mich ein Mal getroffen. Das war Anfang 1985. Ob das noch während oder nach dem Ende des damaligen Hungerstreiks war, in dem sich die Gefangenen bis Februar 1985 befanden, weiß ich heute nicht mehr.

Getroffen haben wir uns in einem Ausflugsort in Süddeutschland, im Schwarzwald oder am Rande des Schwarzwaldes. Ich weiß das heute nicht mehr konkreter.


Mit Eva Haule sprach ich über die Gründe meines Weggehens und über meine Situation. Wir sprachen auch über die öffentliche Fahndung, die mich in der ersten Zeit auch insofern verunsicherte, weil ich dachte, jeder würde mir sofort ansehen, dass mein Foto auf den Fahndungsplakaten abgebildet war. - Auch die Situation überhaupt war ein Thema.

Im Laufe des Gesprächs bekam ich den Eindruck, dass Eva Haule wohl bei der RAF war. Das blieb allerdings unausgesprochen; es waren Vermutungen und Schlussfolgerungen von mir. - Mich der RAF anzuschließen, war überhaupt kein Gesprächsthema. Es stellte sich auch schon heraus, dass ich mit den ganzen Bedingungen meiner neuen Lebenssituation nicht klar kam.

Eva Haule wollte wissen, ob ich an einem Ort sei, an dem ich mich sicher fühlte, und wir sprachen darüber, dass ich mir Zeit lassen sollte, herauszufinden, was für mich das Richtige sei.

Im weiteren Verlauf des Jahres 1985 hatte ich dann mehrere Gespräche mit Birgit Hogefeld, die ich von früher her besser kannte. In Wiesbaden hatten wir eine Zeit lang zusammen in einer Wohngemeinschaft gelebt.

Schmerzliche Perioden im Leben holt kein Mensch gerne aus der Erinnerung hervor, und deshalb verlieren die Erinnerungen im Laufe der Zeit ihre Konturen. Darüber hinaus habe ich mich in all den Jahren auch nicht darum bemüht, durch häufige Vergegenwärtigungen diesbezügliche Erinnerungen frisch zu behalten. So kann ich heute nicht mehr sicher erinnern, wie viele Gespräche ich mit Birgit Hogefeld hatte und wann und wo sie stattgefunden haben.

Diese Gespräche - ich glaube, dass es insgesamt vielleicht vier oder fünf waren - waren im Grunde alle von meiner Situation bestimmt, d. h. von meinen Unsicherheiten, Ängsten und Schwierigkeiten, den ganzen psychischen Belastungen, die alle in den Bedingungen der neuen Situation, dem Druck, den das für mich bedeutete, wurzelten.

In den Gesprächen mit Birgit Hogefeld ging es darum, herauszufinden, welche Lösung es für mich geben könnte.

Ein Treffen fand in einem Eiscafé statt. Das mag im Frühjahr 1985 gewesen sein. Möglicherweise war es im Raum Mannheim / Heidelberg.

Dann erinnere ich ein Treffen, das im Sommer 1985 im Freien stattgefunden hat, möglicherweise in einem Schwimmbad. Ich nehme an, dass das auch wieder in dieser Region war.

Nach dem Anschlag auf den amerikanischen Luftwaffenstützpunkt in Frankfurt am Main und der Erschießung des Soldaten Pimental wurde u.a. ein Foto von mir als mutmaßlicher Täterin veröffentlicht. Obwohl - wie aus den Akten heute ersichtlich ist - es keinen einzigen stichhaltigen Hinweis auf eine Beteiligung von mir gab.

Ab diesem Zeitpunkt war endgültig klar, dass eine Rückkehr für mich nicht mehr möglich war, wenn ich keine Verhaftung und längere Haft riskieren wollte.

Die Politik der Ermittlungs- und Verfolgungs-Behörden machten mir auch später wieder klar, dass Gedanken an eine Rückkehr undenkbar waren. Über sechs Jahre später, 1992, missbrauchte die BAW Siegfried Nonne, eine psychisch schwer kranken Menschen, als angeblichen Kronzeugen, der Christoph Seidler's und meine Beteiligung am Anschlag gegen Dr. Herrhausen behauptete. Wider besseres Wissen präsentierte die BAW uns beide darüber hinaus damals als "neue Köpfe der RAF".

Im Laufe des Jahres 1985 waren alles Nachdenken und Entscheiden über meine Situation und wie es für mich weitergehen soll, langwierige und schwierige Prozesse.

Diese ganze Zeit war eine sehr schwere Phase in meinem Leben: Ich war nicht in der Lage, mich von den ganzen äußeren Bedingungen, von den auf mich einwirkenden Belastungen zu befreien. Ich war und fühlte mich eingeengt und unfrei. Das machte alles Nachdenken und alle Klärungsprozesse auch so schwer. - Ich durchlebte eine Zeit der Entpolitisierung und Krise: Ich wusste nicht mehr, wer ich war.

Irgendwann im Zeitraum Herbst/Winter 1985 traf ich für mich dann endgültig und unumkehrbar die Entscheidung dafür, aus Deutschland wegzugehen - für einen Neuanfang im Exil.

Die Entscheidung für diese Lösung empfand ich damals als Befreiung aus meiner vertrackten Lage.

Wie sehr die ganzen Erfahrungen dieser Zeit schon vorhandene Verhärtungen in meinem Denken und Fühlen verstärkten und vertieften, wurde mir erst Jahre später bewusst.

Ich teilte meine Entscheidung damals dann Birgit Hogefeld bei einem weiteren Treffen mit. Sie hatte mir bei vorhergehenden Gesprächen gesagt, dass sie sich um eine mögliche Exillösung bemühen wolle. Ich selber habe damals nicht gewusst, wie ich eine solche Lösung realisieren können - ich hatte keine Möglichkeiten dazu.

Während meines Entscheidungsprozesses im Laufe des Jahres 1985 wusste ich auch von anderen, die in einer ähnlichen Situation, waren wie ich, und die ebenfalls an einer Lösung für sich überlegten. Konkret waren das Christoph Seidler und Barbara Meyer - ich kannte sie beide von früher. Mit ihnen hatte ich ebenfalls Kontakt aufgenommen.

Nachdem für jede die Entscheidung feststand, aus Deutschland wegzugehen, beschlossen Barbara Meyer und ich Anfang 1986 als "Zwischenlösung" in ein anderes Land zu gehen, in dem wir uns sicherer fühlen konnten. Dazu kam es dann auch sehr bald.


Ich glaube mich zu erinnern, dass ich im Frühjahr, Ende April/ Anfang Mai 1986, Barbara Meyer traf und wir uns von dort aus auf den Weg nach Norwegen machten. Von diesem Zeitpunkt an bis zu unserer Reise/Fahrt nach Damaskus waren Barbara Meyer und ich ständig zusammen.

Unterwegs kauften wir noch ein kleines Zelt. Wir wollten in Norwegen "wild" zelten. Wir hatten in Erfahrung gebracht, dass das dort möglich war.

Unser Reiseweg nach Norwegen ist bereits "Aktenkundig".

Ich erinnere mich, dass wir vorhatten in Norwegen Arbeit zu suchen. Das gelang uns aber nicht. "Zur Sicherheit" hatten Bärbel und ich uns aber von Anfang an unser Geld eingeteilt. Wir legten ausreichend Geld für Rückfahrt und als "Reserve" zur Seite. - Jede von uns hatte in ihrem Leben gelernt, sparsam zu leben - so fiel uns das nicht besonders schwer.

Unsere Zeltplätze suchten wir so aus, dass sie in der Nähe einer (Klein-) Stadt waren, um unsere täglichen Besorgungen erledigen und uns nach Arbeitsmöglichkeiten umschauen zu können.

Es war eine Zeit der Ungewissheit und des Wartens. - Unsere Gespräche drehten sich immer wieder um die Frage, wohin es gehen und wie es wohl weitergehen würde; um unsere diesbezüglichen Hoffnungen. Wir hofften beide auf ein "Exil" in Lateinamerika. - Über das, was hinter jeder von uns lag, sprachen wir kaum. Keine hatte das Bedürfnis danach. Jede versuchte, das "Beste" aus dieser Situation zu machen. Wir gingen im Meer schwimmen. Und ich nutzte die Zeit auch dafür, meine Englischkenntnisse wieder aufzufrischen. Ich ging davon aus, dass mir diese überall nützlich sein würden. Und darüber hinaus tat es mir gut, mich mit etwas Sinnvollem zu beschäftigen.

Vor unserer Abreise nach Norwegen wurden Ort und Zeit für ein Treffen festgelegt, das einige Monate später, nach unserer Rückkehr aus Norwegen stattfinden sollte. Ich glaube mich zu erinnern, dass ich dies von Birgit Hogefeld erfuhr. Wir hatten uns vor der Fahrt nach Norwegen noch ein letztes Mal gesehen. - Möglicherweise erfuhr ich Ort und Zeitpunkt dieses Treffens aber auch von Barbara Meyer. Das kann ich heute nicht mehr sicher erinnern.

Zum festgelegten Zeitpunkt trafen wir dann Birgit Hogefeld. An den genauen Zeitpunkt des Treffens kann ich mich heute nicht mehr erinnern.

Ich glaube aber mich zu erinnern, dass wir den Hochsommer noch in Norwegen verbrachten.

Als zeitliche Einordnung des Treffens erinnere ich mich daran, dass wir noch in Norwegen im Radio von der Verhaftung Eva Haules gehört hatten. Ebenso Radiomeldungen über das Attentat gegen H. Beckurts und den Anschlag gegen das Gebäude des BfV in Köln.

Das Treffen selbst war sehr kurz. Meine Entscheidung, aus Deutschland wegzugehen in ein mir noch unbekanntes Exilland, um dort neu anzufangen, stand weiterhin fest. (Das gleiche gilt für Barbara Meyer).

Wir erfuhren, dass es noch keine endgültige Lösung gab und dass es für uns beide um eine weitere Zwischenlösung gehen würde.

Konkret ausgemacht und festgelegt wurde Wien. Es wurden auch ein Ort und Uhrzeit als Treffpunkt in Wien festgelegt. Dort sollten wir in regelmäßigen Abständen hingehen, um über diesen Treffpunkt alles weitere zu erfahren.

Wir fuhren noch am selben Tag weiter, um nach Österreich zu gelangen.

In Wien angekommen, suchten wir sofort Wohnung und Arbeit.

Im Januar 1987 kam Bärbel nach einem der festgelegten Treffpunkt-Termine zusammen mit Christoph Seidler, Horst Meyer und Thomas Simon in die von uns gemietete Wohnung.

Am selben Tag, aber erst dort, erfuhren Barbara Meyer und ich, in welches Exilland es nun gehen sollte.

Wir besprachen und diskutierten am gleichen Tag noch die Optionen für die möglichen Reiserouten nach Damaskus. Wir entschieden uns gegen Schiffs- und Flugroute. - Als Ergebnis unserer gemeinsamen Diskussion machten wir uns am nächsten Tag auf den Weg: Wir fuhren von Österreich aus mit dem Zug durch die Türkei und von dort aus weiter nach Syrien.

Anfang Februar kamen wir schließlich in Damaskus an.

Wir hatten die Adresse eines Büros in Damaskus, wo wir uns melden sollten. (Auch diese Adresse erfuhren Barbara Meyer und ich erst in Wien) - dort meldeten wir uns dann auch.

Es ist unzutreffend und entspricht in keinster Weise der Wahrheit, dass ich bzw. Barbara Meyer und ich bei diesem letzten Treffen von Birgit Hogefeld (lt. Anklageschrift) "angewiesen" worden wären, uns über "Wien/Österreich", Bulgarien und die Türkei nach Damaskus/Syrien zu begeben, um dort eine etwa zweimonatige Militärausbildung zu erhalten. Davon war noch nicht einmal die Rede.

Wien wurde als weitere Zwischenstation festgelegt, weil es noch keine Lösung und d.h. noch kein Exilland gab. Diese Zwischenstation hatte - wie auch unser Aufenthalt in Norwegen - für mich und Barbara Meyer den Zweck, dass wir uns bis zum Finden einer Lösung in einem Land aufhalten konnten, wo wir uns subjektiv sicherer vor den Fahndungsmaßnahmen fühlen konnten. Dass es so lange dauerte, lag auch daran, dass es nicht einfach war, für uns eine solche Lösung zu finden. Und die, die sich darum für uns bemühten, hatten selbst ebenfalls das Problem, dass nach ihnen gefahndet wurde und die Dinge unter erschwerten Bedingungen abklären mussten.

Dass das "Exilland" der Libanon sein sollte, erfuhren wir beide erst im Januar 1987 in Wien.

Wir kamen in Damaskus an und wurden von Palästinensern aufgenommen. Noch in Damaskus erfuhren wir von ihnen, dass wir eine militärische Grundausbildung zur Selbstverteidigung durchlaufen sollten: dies war Voraussetzung für ein Leben mit ihnen im Libanon. Und das musste jeder machen, den sie aufnahmen.

Die Lebensmöglichkeiten, die Palästinenser uns bieten konnten, waren bestimmt von ihren eigenen Lebensbedingungen im Libanon. Dort herrschte damals Krieg. Und die Bedingungen palästinensischer Existenz im Libanon war Selbstverteidigung.

Diese Ausbildung war auch an den tatsächlichen Gefahrensituationen dort orientiert und diente der Selbstverteidigung. Es war die Ausbildung an einer "AK 47", einer Kalaschnikow. Jeder musste mit einem solchen Gewehr umgehen können.

Ich habe diese Grundausbildung nur gemacht, weil ich, um Exil gewährt zu bekommen, keine andere Wahl hatte und sie durchlaufen musste. - Ich hatte damit Probleme. Dort machte ich konkrete Erfahrungen mit dem, was ich vorhin im Zusammenhang mit Waffen Berührungsangst genannt habe.

Die Ausbildung veränderte jedoch nicht meine subjektive Haltung, keine Waffe zu benutzen und einzusetzen. Eine weitere militärische Ausbildung habe ich nie erhalten.

Sehr bald nach dieser Grundausbildung wurde unsere Gruppe (B. Meyer, H. Meyer, C. Seidler, T. Simon und ich) dann aus Sicherheitsgründen getrennt. Und aus den gleichen Gründen mussten wir jeweils nach einiger Zeit die Orte wechseln.

1987 war im Libanon ein ziemlich ruhiges Jahr. - An den Orten, an denen ich mich aufhielt, kam es nicht zu Kämpfen. Nur ganz im Süden, an der Grenze zu Israel, gab es immer wieder "Zwischenfälle", nach denen man mit Angriffen der israelischen Luftwaffe rechnen musste. Als Vergeltung bombardierten sie die ihnen bekannten Militärstützpunkte (oder sonstigen Einrichtungen) der verschiedenen palästinensischen und libanesischen Organisationen, und wiederholt auch zivile Einrichtungen im Libanon. - Aus diesem Grund musste man sich tagsüber immer von den eigentlichen Stützpunkten zurückziehen.

Weitere Angaben und Details zu meinem Aufenthalt im Libanon werde ich nicht machen.

Ich möchte hier noch einmal ausdrücklich festgehalten wissen: Ich war nie in der RAF organisiert. Weder in der Zeit von meinem Weggehen im Juli 1984 bis 1986 - noch und erst recht nicht zu irgendeinem späteren Zeitpunkt.

Da ich nie in der RAF organisiert war, war ich auch nie beteiligt an deren Diskussionsprozessen; ich war auch nie integriert in deren Strukturen, Planungen, Vorbereitungen, Durchführung ihrer Aktionen; - noch habe ich für die RAF logistische oder andere Hilfeleistungen getätigt.

Deutschland habe ich im Frühjahr 1986 mit der Fahrt nach Norwegen verlassen - bzw. nach einem erneuten kurzen Zwischenstopp/Aufenthalt für das Treffen mit Birgit Hogefeld.

Seit diesem Zeitpunkt im Spätsommer 1986 bis zum 23.Dezember 1999 - dem Tag meiner Auslieferung aus Österreich - war ich nie mehr in Deutschland. Auch nicht für kurze Zeit.

Die BAW will sich nicht damit abfinden, dass sie bis heute Anschläge der RAF aus den 80er Jahren nicht personell zuordnen und noch offene Akten nicht schließen kann.

Um diesem Ziel politisch dennoch näher zu kommen, will die BAW mich wider besseres Wissen als Mitglied der RAF verurteilt sehen.

Die ganze Anklageschrift ist voller unzutreffender Konstruktionen und Spekulationen der Anklagebehörde.

Dagegen werde ich mich mit allen juristischen Mitteln wehren.


28.11.2000