Bericht aus der Provinz
Hoch im Norden - mitten in Deutschland

von PDS Schleswig / Flensburg
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Wer gedacht hatte, der Tod des Kölners Malte L. am 13. September des Jahres 2000 Jahres durch Schläge und Tritte zweier bekennenden Skinheads in Schleswig, würde eine breite politische Welle des Widerstandes gegen Rechts auslösen, sah sich schnell getäuscht. Dabei standen die Zeichen der Zeit doch allerorts auf Antifaschismus.

Kurz vor dem zehnten Jahrestag der deutschen Vereinigung wurde der Nationalismus debattiert wie nie. Ein Verbotsantrag gegen die NPD nahm zunehmend Formen an. Der Protest gegen faschistische Aufmärsche beschränkte sich nicht mehr auf an Leib und Leben bedrohte Gewerkschafter. Mitten in der hochaktuellen, bundesweiten Diskussion zum Rechtsextremismus war auch in Schleswig gerade erst ein „Bündnis gegen Rechts“ ins Leben gerufen worden. So zynisch es klingen mag: Die beiden Skinheads hätten sich keinen ungünstigeren Rahmen für ihre Tat aussuchen können.

Doch es kam alles anders. Kaum waren die Täter gestellt, verkündeten Staatsanwaltschaft und Kripo unisono, da sei überhaupt kein rechtsextremistisches Verbrechen begangen worden. Schließlich wurde Malte L. ja nicht gezielt gesucht und getötet, sondern im Vollrausch nach einem stinknormalen Streit zu Tode getreten worden. Wen interessiert es dann noch, dass die beiden Täter sich im Verhör selbst der Skinheadszene zugeordnet haben und ein Streit zum Thema Skinheads Grund genug für die tödlichen Tritte war. Der Schleswiger Rathaussprecher setzte dieser Opferverunglimpfung die Krone auf, wusste er doch am selben Tag zu berichten, Malte L. sei im Sozialamt „äußerst unangenehm“ aufgefallen, als er dort ungebührend um Stütze bettelte. Zudem: „Wir haben keine rechte Szene in Schleswig.“ Ach so, dann ist ja (fast) alles gut. Nur tief betroffen sei man schon - na Gott sei dank.

Diese Sicht der Dinge fiel jedoch nicht auf ungeteilte Zustimmung. Viele Bürgerinnen und Bürger äußerten ihren Unmut über diese Tatsachenverdrehung in Leserbriefen oder per Trauerkundgebung, doch niemand reagierte. Da musste etwas geschehnen, also schrieb die PDS Schleswig / Flensburg einen offenen Brief an den Bürgermeister der Stadt und die Pressemitteilung „Rathaussprecher verunglimpft Opfer rechter Gewalt“. Nun kam Bewegung in die Sache. Im Schleswiger Rathaus trudelten Schreiben, Faxe und Mails ein - vom PDS Parteivorstand und anderen Gliederungen, den IG Medien, und Privatpersonen. Dem Bürgermeister gefiel das gar nicht, doch anstatt öffentlich die Sache ins richtige Licht zu schieben, wurde der PDS kurzerhand unterstellt, sie wolle politisches Kapital aus der Tat schlagen. Der Vorwurf gipfelte in einem Artikel unter dem Aufhänger „PDS verunglimpft Rathaussprecher“. Schwupp - schon war die Quadratur des Kreises perfekt.

Nun gab es ja noch das „Bündnis gegen Rechts“, dass vom Bundestagsabgeordneten der CDU, Wolfgang Börnsen, bereits vor der Skinhead-Tat initiiert wurde. Wer nun aber meinte, das Bündnis werde sich nach der Tag schnellstmöglich zusammensetzen, um Flagge zu zeigen, irrte sich erneut. Es geschah nichts. Fast nichts: Die PDS schrieb Herrn Börnsen und bat in den Bündnisverteiler mit aufgenommen zu werden, da die CDU die PDS bei ihrer ersten Bündniseinladung zur Vereinigung aller demokratischen Kräfte wohl leider vergessen hatte. Wer nun einwendet, mit der Leitkultur-Partei könne hier nicht gemeinsam paktiert werden, hat so unrecht nicht. Doch in der Not frisst der Teufel bekanntlich einiges und Kritiker mögen uns verzeihen, dass wir es - angesichts der Hetzjagd der Rechten auf Menschen - auf einen Versuch haben ankommen lassen. Herr Börnsen teilte uns per Brief lediglich mit, dass er den Bündnispartnern unser Anliegen „zur Kenntnis“ auf dem nächsten Treffen vorlegen werde. Schöner kann eine Ohrfeige wohl kaum geschrieben werden. Irgendwie hat die PDS den nächsten Bündnistermin ohne die CDU herausgefunden (acht Wochen nach der Skin-Tat!), nahm in zweiter Reihe teil, bemerkte jedoch nicht die angekündigte Vorlage unseres Schreibens und konnte sich auch sonst nur wenig für die Ein-Mann-Börnsen-Show begeistern. Da auf diesem zweiten Bündnistreffen das Bündnis vom Initiator auf unbestimmt vertagt wurde und das wenige was von Herrn Börnsen beschlossen wurde, sich vornehmlich auf Gewaltprävention unter Kindern und Jugendlichen in Sportvereinen und an Schulen beschränkte, erstellte unsereins die Pressemitteilung „Börnsen-Bündnis eine Luftnummer“. Wahrscheinlich schwoll da jemandem im Berliner Reichstag die Halsschlagader, als ein Journalist daraus einen Artikel verfasste und um Stellungnahme bat. Ob Herr Börnsen demnächst auf den Schleswiger Königswiesen gesichtet wird, um dort die Saufgelage der Skins zu besuchen, ist wohl auszuschließen. Sicher wird sein Konterfei aber wieder in der Presse erscheinen, wenn die angekündigte Ausstellung für Schulen „Für mehr Demokratieverständnis“ des Bundesamt für Verfassungsschutz im Norden eintrifft.

Wo liegt Schleswig? Wo nicht sein kann, was nicht sein darf. Hoch im Norden - mitten in Deutschland. Und so schlummert Schleswig nun wieder den provinziellen Dornröschenschlaf. Die Zeit hilft die Wogen zu glätten. Wenn nicht dieser Prozess wäre, der zwei Skins zu betrunkenen Streithammeln machen soll. Und wenn nicht dieser Polizeivertreter beim „Bündnis gegen Rechts“ diese alltägliche Amtsgeschichte präsentiert hätte: Während der „Wikingertage“ rund um das historische Haithabu musste die Polizei sehr viele gewalttätige Skinheads verhaften, so dass die Haftkapazitäten in Schleswig schließlich erschöpft war und Skins nach Flensburg verlegt werden mussten. Ein Vater aus der Schleswiger Region, der seinen Skin-Sohn aus dem Gewahrsam abholen wollte, war aber nicht über die Gesinnung und das Verhalten seines Sohnes empört, sondern darüber, dass er ihn von Flensburg abholen musste. Daher verlangte der Vater von der Polizei die Erstattung der Taxi-Kosten!

Flensburg, 17.11.00