Virtuelle Schützengräben
Journalisten an Frontlinien

Von Gaston Kirsche (gruppe demontage)

12/00
trdbook.gif (1270 Byte)
 
trend
online
zeitung
Briefe oder Artikel: info@trend.partisan.net  ODER per Snail: Anti-Quariat 
Oranienstr. 45
D-10969 Berlin
Aurora Intxausti und Juan Palomo waren mal wieder spät dran am 10. November. Beide waren auf dem Weg in ihre Redaktionsbüros, aber davor wollten sie noch mit ihrem 18monatigen Sohn beim Kindergarten vorbei. Als sie um 9.15 Uhr ihre Wohnung in der Altstadt von San Sebastián verliessen, hörten sie einen Knall. Wieder zurück, Tür zu und die baskische Polizei Ertzaintza angerufen: Die stellte fest, dass Intxausti, Palomo und ihr Kind Glück hatten, weil sie in der morgendlichen Eile ihre Wohnungstür heftig geöffnet hatten. Dadurch ging der mit der Tür verbundene Zünder einer Bombe kaputt und explodierte, ohne die wenige Meter weiter in einem Pflanzenkübel versteckte Bombe zu zünden. Die dort deponierte Sprengladung hätte ausgereicht, um die Wohnung und einiges drumherum hochzujagen.

Der Innensenator der Regionalregierung des spanischen Baskenlandes, Javier Balza, erklärte später, es sei eine intelligent gebaute und massive Bombe gewesen - ausreichend, um alle Menschen im näheren Umkreis zu töten. Balza meinte, er zweifle nicht daran, dass dies eine Bombe von ETA gewesen sei: „Keine Aktion des kale borroka (baskisch für Straßenkampf), sondern ein Anschlag, der tödlich sein sollte.“

Das hier ein Kommando von ETA aktiv war, ist sehr wahrscheinlich - ETA verübt aber derzeit so viele Anschläge, dass nicht jeder Aktion gleich ein Bekennerschreiben folgt: In der Regel werden mehrere in einem Kommuniqué aufgelistet. Aber bei ihren wöchentlichen Anschlägen hat ETA zunehmend PolitikerInnen und JournalistInnen im Visier. Typisch für die Auswahl der Anschlagsziele von Eta seit dem Ende ihrer Waffenruhe ist auch der unbedingte Wille zur ebenso nationalen wie militaristischen Polarisierung. Durch die Bombe vor der Wohnung von Intxausti, die für El Pais schreibt, und Palomo, der für Antenne 3 arbeitet, fanden die staatstreuen Medien und spanisch-nationalen Politikerinnen im Gegenzug einen Adressaten, dem sie die geballte Staatsgewalt an den Hals wünschen: Die abertzale (baskisch-linksnationale) Zeitschrift Ardi Beltza und ihren Chefredakteur Pepe Rei. Ardi Beltza bedeutet Schwarzes Schaf - es gehörte auch 1998, als die Zeitschrift entstand, wenig Fantasie dazu, eine mögliche Stigmatisierung und Kriminalisierung seitens des spanischen Staates vorherzusehen.

Zumal sich Ardi Beltza selbst auch bewußt in die nationale Polarisierung einordnet - nur eben auf der baskischen Seite. Im August erschien in Ardi Beltza ein Artikel ihres Chefredakteurs Pepe Rei: „Madrid: Die Schlüsselstellung der baskischen ‚Lobby‘ in der politischen Information“. Der komplette Artikel, der ähnlich lang wie dieser ist, besteht aus einer Auflistung, wer wo in welchem Medium mit welchem Einfluß für Anti-Eta-Propaganda zuständig ist. In den zahlreichen Beispielen schimmert nur einmal kurz ein zutreffender konkreter Vorwurf auf, der aber auch nur zum Markieren der Frontlinie genutzt wird: „Das skandalöse Schweigen, das an Komplizenschaft grenzt, von El Pais beim schmutzigen Krieg der halbstaatlichen Todesschwadron GAL“. Ansonsten werden ein Dutzend JournalistInnen in diesem Text als Lobby, als „machtvolle Einflußgruppe“, die an den Schaltstellen der Medienmacht sitze, beschrieben. So behauptet Pepe Rei gar, der konservative law-and-order Innenminister Jaime Mayor Oreja wäre in seinen Entscheidungen abhängig von den Leitkommentaren in El Pais. Oreja hätte angeblich gesagt zu einem Mittelsmann, das er sich beim Thema Baskenland nach der Meinungsseite in El Pais richten würde. Für entsprechend „sehr einflußreich“ erklärt Pepe Rei die Kommentatoren „Patxo Inzueta, einen alten trotzkistischen Aktivisten und Javier Pradera, ehemaliges Mitglied der Kommunistischen Partei Spaniens und heute einflußreicher Vorkämpfer der PSOE“. Anstatt nun aber vielleicht mal über das Elend vieler spanischer Linker zu schreiben, die sich dem postfranquistischen Staat angedient haben - Spanien hat auch seine ex-68er - sieht Rei bei den beiden nur, dass sie „in gewalttätiger Weise die abertzalen Kräfte in ihren Editorialen abqualifizieren“.

Kurz vor dem Bombenanschlag auf Intxausti und Palomo erschien eine Sonderveröffentlichung der Redaktion von Ardi Beltza: „JournalistInnen - das Geschäft des Lügens“: „Ein Video, das die Lügen der JournalistInnen über das Baskenland aufzeigt.“

Auf dem ausführlichen Werbefalter von Ardi Beltza werden 10 Namen genannt. Aurora Intxausti war darunter, ihr wurde vorgeworfen, primitive Texte gegen Baskische NationalistInnen zu schreiben: Gegen militante Jugendliche wie gegen den Vorsitzenden der baskisch-konservativen PNV, Arzalluz. In dem Video wird insgesamt 40 Medienleuten vorgeworfen, an Treffen mit Innenminister Oreja teilzunehmen, um die Argumente gegen ETA abzustimmen und den abertzalen Widerstand zu kriminalisieren: „Das Video ist eine ausführliche Arbeit in der die Lügen der Medien demaskiert werden, von wem sie kommen und unter welchen Umständen sie zustande kommen“. Als ein Beispiel wird nach diesem Kommentar im Video ein Text von Aurora Intxausti kritisiert: Die hatte behauptet, in einer Theaterinszenierung des Don Quijote von Alfonso Sastre würde Sancho Pansa Hochrufe auf ETA ausbringen. Alfonso Sastre ist ebenso prominent in der Theaterszene Spaniens wie auch bekannt für seine Proteste gegen die Haftbedingungen der Gefangenen aus ETA. Aber Sancho Pansa liess in seiner Inszenierung Trinidad de Gaeta hochleben - nicht die ETA.

Diese Episode zeigt, wie national verhärtet die Frontlinien im Kulturkampf Spanisch gegen Baskisch in beiden Richtungen sind: Die Unterstellung von Hochrufen auf ETA könnten ein Anlaß zur Kriminalisierung Sastre’s sein - so wird um die Kontroverse über den spanischen Nationalmythos Don Quijote gestritten. Das es aber ein passendes Bild wäre, wenn Sancho Pansa ein Protagonist des aussichtslosen bewaffneten Kampfes ETA : Spanien wäre, kam wohl niemandem in den Sinn. Es wäre besser, die ETA würde mit Ritterrüstungen gegen Windmühlen kämpfen. Das wäre aussichtsreicher als ihre paramilitärischen Aktionen für einen eigenen Nationalstaat, der angeblich sozialistisch sein soll. In dem Video wird noch an weiteren Beispielen dargelegt, wie staatstreue Journalistinnen an der Kriminalisierung abertzaler Aktivitäten mitwirken, indem diese als Vorfeld von ETA denunziert werden. Die Reaktionen auf das Video wirkten in dieser Hinsicht wie eine unfreiwillige Bestätigung.

Nach der Bombe gegen Intxausti und Palomo ging durch die spanisch-nationalen Medien ein Aufschrei der Entrüstung: „ETA versucht Journalisten zu töten, die Pepe Rei als Ziel benannt hat“ lautete eine Überschrift, und ein Leitkommentar in El Mundo titelte prägnant: „Pepe Rei zeigt drauf und ETA schiesst wieder“. Einen Tag zuvor waren in Bilbao vier mutmaßliche Mitglieder eines ETA-Kommandos verhaftet worden. In ihrer Wohnung seien auch 12 Exemplare der Ardi Beltza gefunden worden, ließ die Polizei verlautbaren. Vier Tage zuvor waren in einer von Eta genutzten Wohnung in Madrid zwei Ausgaben der Ardi Beltza gefunden worden. El Mundo schlußfolgerte: „Sie hatten Exemplare dieser Zeitschrift und die waren bestimmt nicht zum Zeitvertreib ... Pepe Rei zeigt nicht umsonst drauf. Er diffamiert und markiert mit einem Kreuz damit ETA sich beim Zielen nicht irrt. Und: Er publiziert Details, wo und wie die JournalistInnen leben, um die Arbeit der Mörder zu erleichtern.“ Auch die Betriebsräte von El Pais verurteilten im Jargon der Anklage die Artikel von Pepe Rei als „besonders schwerwiegende Verstösse“. Die bekannte NGO Reporter ohne Grenzen erklärte aus Paris: „Journalisten sind heute mehr denn je Ziele des Terrorismus im spanischen Baskenland.“

Pepe Rei wurde als Person die ganze letzte Woche lang direkt beschuldigt in zahlreichen Artikeln. Einige Überschriften: „Von ‚Egin‘ zu ‚Ardi Beltza‘, auf Ziele zeigend“ (El Mundo), „Eine Kampagne der Kennzeichnung durch abertzale Medien bereitete den Anschlag vor“ (El Pais). Die aufgeregte Kampagne gegen Pepe Rei erregte soviel Aufsehen, das er auf sich gar auf der Titelseite der Le Monde in Paris wiederfand: „L´ETA veut faire taire les journalistes avec des bombes sur le palier“.

In der bundesdeutschen Zeitungslandschaft lösten die Vorwürfe gegen Ardi Beltza einen Disput zwischen zwei Journalisten aus: Ralf Streck berichtet aus San Sebastián für die junge Welt (jW) über Spanien, Reiner Wandler macht das für die taz von Madrid aus. Streck ist auch Mitarbeiter der Ardi Beltza, in fast jeder Ausgabe berichtet er über Ereignisse in der BRD.

Neben Pepe Rei wird auch Ralf Streck in spanischen Zeitungen derzeit massiv angegriffen. Streck wird vorgeworfen, für das Video von Ardi Beltza Interviews von vier spanischen Journalisten erschlichen zu haben: Er hätte sich als Mitarbeiter einer deutschen Produktionsfirma ausgegeben, die einen Film über die Bedrohung durch ETA machen wolle. Als die Interviewten erkannten, dass sie in dem Video vorgeführt und kritisiert werden und nicht etwa als bedauernswerte Opfer dastehen, erstatteten sie Anzeige. Wandler schrieb in der taz vom 14.11.: „Er soll vier von ETA bedrohte baskische und spanische Journalisten bewusst getäuscht haben, um sie für ein Interview vor laufender Kamera zu gewinnen. Danach gab er die Aufnahmen an die Zeitschrift Ardi Beltza (Schwarzes Schaf) weiter, die der bewaffneten Separatistengruppe ETA nahe steht.“ Wandler, der in der Regel differenzierte Artikel über den nationalisierten Konflikt Baskenland : Spanien schreibt, vollzog an dieser Stelle leider die Logik der Kriminalisierung nach, indem er Ardi Beltza in die Nähe von ETA stellte. Ralf Streck blockte in der jungen Welt dann jede Kritik ab: „Soll vielleicht ein unliebsamer Konkurrent mittels Sippenhaft in die Pfanne gehauen werden?“. Sein Versuch, das Arrangement der Interviews als völlig seriös darzustellen sieht aus wie ein Tanz auf rohen Eiern, wobei er verständlicherweise den Vorwurf der Nähe zur ETA zurückweist: „Wandler behauptet, Ardi Beltza stehe der ETA nahe. Als Beleg führt er an, ‚Pepe Rei, der Herausgeber von Ardi Beltza‘, habe schon ‚einmal vor dem Ermittlungsrichter gestanden‘, weil sich ETA seiner Unterlagen ganz offensichtlich bedient habe, um Aktionen vorzubereiten ... Die Anklagen lösten sich in Luft auf.“ Auf juristischer Ebene eine wichtige Feststellung, ein legitimer Selbstschutz.

Aber anschließend meinte er, seinem Kritiker Reiner Wandler ein Abfallen vom Glauben nachweisen zu können: „Früher hätte der Ex-Autonome aus Mannheim/Ludwigshafen dies wahrscheinlich noch als den Versuch gewertet, ein kritisches Medium mundtot zu machen.“ (jW 13.11.00) Einmal abgesehen davon, das diese Angabe so nicht ganz richtig ist: Warum kritisiert Streck Wandler nicht anhand seiner Äußerungen?

Im Vorwort zu dem von ihm 1999 herausgegebenen lesenswerten Sammelband „Euskadi“ schreibt Reiner Wandler in unter Linken selten anzutreffender Offenheit zu seiner Sicht auf das Baskenland: „Es war - und für einige ist es noch immer - leichter, schwarz-weiß zu malen. Auch ich gehörte dazu. Als ich 1986 zum ersten Mal nach Euskadi - ins Baskenland - kam, da schien die orthodoxe Welt noch in Ordnung. ETA und Umfeld kämpften für die Freiheiten eines kleinen, unterdrückten Volkes und waren damit die Guten ... Die ersten Zweifel kamen, nicht nur bei mir, 1987 mit einer ETA-Bombe auf ‚französische Interessen‘. In diesem Fall der Supermarkt Hipercor in Barcelona. 21 unschuldige Menschen im alltäglichen Konsumrausch verloren ihr Leben ... Immer wahlloser wurden die Anschlagsziele“.

Aus Strecks Artikeln in der jungen Welt lassen sich keinerlei Zweifel an einer solchen militaristischen Vorgehensweise ablesen: Ein Wort der Kritik an ETA hat er dort noch nie geäußert.

Stattdessen beschreibt er, ob ETA militärisch mal stärker oder mal schwächer ist, und mit welch rabiaten Methoden die Repressionsapparate des spanischen Staates alle verfolgt, die im Verdacht der Nähe zur ETA stehen. Streck betrachtet alle Ereignisse im Baskenland, über die er berichtet, durch einen abertzalen Filter, der alles nur in schwarz oder weiß sichtbar macht. Drei Beispiele: Als ETA am 11. Juli in einer belebten Fußgängerzone in Madrid eine Autobombe zündete (Jungle World 31/00), wobei es trotz Vorwarnung verletzte Passanten gab, schrieb Streck: „Die neu formierten Kommandos tanzen nun seit Monaten ... den Sicherheitskräften auf der Nase herum.“ (jW 17.7.00). Als ETA zum ersten Mal nach der Waffenruhe einen Journalisten erschoss (Jungle World 22/00), zitierte Streck zwar Kritik, aber seine eigene Beurteilung blieb dürftig: „Dass die ETA erneut zuschlägt, hatte sich schon zuvor abgezeichnet.“ (jW 9.5.00). Als er einmal zur spanischen Guerrilla GRAPO schrieb, war ihm vor allem eines wichtig - dass „die Grapo vor einigen Jahren ihre Einstellung zum baskischen Befreiungskampf geändert hatte: „Während sie diesen früher verdammt hat, erkennt sie ihn heute als legitim an.“ (jW 2.10.00). Über die GRAPO lässt sich weit mehr sagen (Jungle World 28/00), ebenso ist es bezeichnend, dass Streck ein Thema offensichtlich unwichtig fand: Die Ausgrenzung von drei Roma-Kindern in der baskischen Kleinstadt Barakaldo (Jungle World 26/00).

Ralf Streck wird wohl auch keine Probleme damit haben, wie national borniert für eine Demonstration am 25. 11. zur Solidarisierung mit Ardi Beltza in San Sebastián aufgerufen wird. Alles wird hier nach nationalen Kriterien sortiert. Im Aufruf heißt es: „Spanische Medien sind die Sperrspitze dieses Angriffes. Sie verzerren die Tatsachen und biedern sich servil als Sprachrohr eines eindimensionalen Denkens an, das die Freiheit des Baskenlandes negiert.“ Und vom „Hass gegen das Baskenland als soziale und politische Realität“ ist die Rede, wo es doch jenseits vom Nationalklimbim um Pressefreiheit geht. Die aber auch einschließen sollte, Bomben und Genickschüssen als unangemessenen Formen der politischen Kritik seitens der ETA ebenso eine Absage zu erteilen wie der politischen Strafjustiz des spanischen Staates.

Zum Weiterlesen: Reiner Wandler (Hg.): „Euskadi - Ein Lesebuch zu Politik, Geschichte und Kultur des Baskenlandes“, 207 Seiten, 32 DM, ISBN 3-925867-38-4,Tranvia 1999. „Euskadi: Sozialismus in einer >Ethnie<?“, in gruppe demontage: Postfordistische Guerrilla - Vom Mythos nationaler Befreiung“, 292 Seiten, 29,80 DM, Unrast, 2. Auflage 1999.