Lafontaine vergleicht Schröder mit Heinrich Brüning.
Ist diese Analogie gerechtfertigt ?

Ein Kommentar von Max Brym
12/02
 
 
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Was verbindet Schröder mit Heinrich Brüning ?
Groß war die Empörung innerhalb der SPD , als Oskar Lafontaine kürzlich in der Presse, Gerhard Schröder mit dem Reichskanzler Brüning verglich. Empört verlangte die Kanzlergattin: „Halts Maul Oskar“. Einige andere Sozialdemokraten forderten, den Herrn Lafontaine umgehend auf, die SPD zu verlassen. Die Kommentatoren in der bürgerlichen Presse, schrieben von einem aberwitzigen Vergleich, da Gerhard Schröder nicht mit präsidalen Notverordnungen „den notwendigen Umbau des Sozialstaates“ betreibe. Gemeinsam war den ganzen Leuten, dass Sie grundsätzlich ignorierten was Lafontaine tatsächlich schrieb. Offensichtlich ist in den Gazetten des Bürgertums nicht nur Ignoranz gegeben, sondern auch eine starke Enttäuschung über den einstigen sozialdemokratischen Liebling des Unternehmerverbandes. In den neunziger Jahren galt Lafontaine als „Modernisierer“ der Flächentarifverträge in Frage stellte, oder Arbeitszeitverkürzungen ohne Lohnausgleich propagierte. Unverständlich ist dem Bürgertum seine jetzige Wandlung vom Saulus zum Paulus. Ob es sich wirklich so verhält, ist eine andere Frage, Dennoch ist sein Brüning-Schröder Vergleich gut getroffen. Wobei natürlich ein Vergleich, wie jede Analogie, nie die Wirklichkeit exakt zu erfassen vermag.

Heinrich Brüning
Wurde im März 1930 deutscher Reichskanzler. Er betrieb nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 einen rigorosen Sparkurs.Brüning setzte den Kurs der DVP der damaligen exklusiven Partei des Großkapitals als Zentrumskanzler um. Er versuchte die Arbeitslosenversicherung als Systemfehler zu beseitigen, den Rechtsanspruch auf Arbeitslosenunterstützung aufzuheben und die Bedürftigkeitsprüfung wieder einzuführen. In seiner Regierungserklärung am 1.4.1930 erklärte Brüning: “Ohne eine schnelle Ordnung der Kassen und Finanzlage fehlt die Gewähr für die dringend notwendige Entlastung der Wirtschaft“ .Desweiteren führte Brüning aus:“ Eingehende Sparvorschläge auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens werden in kürzester Frist seitens der Reichsregierung den zuständigen Körperschaften unterbreitet werden“. Diese sogenannte Deflationspolitik zu lasten der Armen und der Arbeiterschaft betrieb Brüning immer schärfer bis zu seiner Entlassung im Mai 1932. Wenn einen Augenblick vergessen wird, von wem die oben angeführten Sätze stammen, könnte es sich problemlos, um Schröder oder Eichel handeln. Nur heutzutage wird das Ganze moderner Ausgedrückt. Es nennt sich: Flexibilisierung, Entbürokratiesierung oder Deregulierung. Dazu kommt dann noch ein VW-Manager auf den sich die Regierung beruft, eine Harz Kommission. Jene setzte die Zeitarbeit um, damit folgendes erreicht wird: „Durch die PSA haben Unternehmen die Möglichkeit, neue Arbeitnehmer ohne arbeitsrechtliche Verpflichtungen kennen zu lernen“. Die Gewerkschaften akzeptierten die Leiharbeit deren gesetzliches Verbot Sie noch vor Jahren forderten. Zusätzlich wurden niedrige Einstiegslöhne für Langzeitarbeitslose geschluckt. Der Brüningverschnitt Schröder freut und wundert sich, denn genau wie bei seinem Amtskollegen Brüning fordert die Industrie immer mehr um die Profitrate zu halten und zu steigern.

Was schrieb Oskar Lafontaine
Oskar Lafontaine drückte sich in Wahrheit sehr vorsichtig aus, im Rahmen seiner historischen Anspielung. Er schrieb über Heinrich Brüning: “jener Reichskanzler, der mit seiner Sparpolitik Massenarbeitslosigkeit verursachte und Hitler den Weg bereitete“. Lafontaine hat recht-nämlich dort worin er Eichel und Schröder mit Brüning vergleicht. Er behauptet nicht die SPD-Grüne Regierung regiere mit Notverordnungen und einem Präsidalsystem. Weiter argumentierte Lafontaine: „Dass mit den Kürzungen im Sozialbereich um den Haushalt ala Brüning auszugleichen die Depression verschärft werde und die Arbeitslosigkeit steige“. Das letzte trifft absolut zu. Was Tatsächlich an dem Lafontaine-Vergleich hinkt, ist die Aussage das die Frage, ob es Arbeitslosigkeit gibt oder nicht gibt keine Frage ist wer zufällig regiert. Die Arbeitslosigkeit gehört zu diesem Wirtschaftssystem wie die Butter zum Brot. Dennoch muß und kann von einer Regierung in einer Wirtschaftskrise gefordert werden, alles zu unterlassen was die Kapitalverwertungskrise nach unten abwälzt. Das Verdienst von Oskar Lafontaine ist, mit seinem Vergleich diesen Gedanken nahezulegen.

Was von Lafontaine nicht erwartet werden kann
Lafontaine will noch einen Hauch Sozialdemokratie in diesem Land belassen. Das ist alles. Er kann ein Partner sein, um einzelne soziale Grausamkeiten zu bekämpfen. Grundsätzlich wird er sich aber nicht, mit den Großindustriellen anlegen. Aber gerade das ist gefordert um zu einem besseren Leben zu gelangen. Zwischen den Jahren 1991 und 2000 ging die Zahl der ArbeiterInnen in der Industrie von 4,9 Millionen auf 3,6 Millionen zurück. Gleichzeitig stieg die Produktivität in diesem Zeitraum um über 70%.Man braucht also immer weniger ArbeiterInnen um immer mehr herzustellen. Dazu schrieb Friedrich Engels: “Die ungeheure Steigerung der Produktivkräfte erlaubt, die Arbeitszeit eines jeden so zu beschränken, dass für alle hinreichend freie Zeit bleibt, um sich an den allgemeinen Angelegenheiten der Gesellschaft, theoretischen wie praktischen zu beteiligen“. Um das durchzusetzen bedarf es eines radikalen Kampfes um Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Zudem gilt es das Recht auf Faulheit und Freizeit gegen den herrschenden Arbeitsethos zu stellen. Finanzierbar ist das allemal, denn das Geldvermögen der Deutschen lag Ende 1999 bei 6,7 Billionen DM. Rechnerisch müßte jeder Privathaushalt 180000 DM oder 90000 Euro haben. Dem ist aber nicht so, sondern das Vermögen konzentriert sich in immer weniger Händen. Brüning ist von Schröder angesagt, demzufolge schlechteres Leben auch in politischer Hinsicht . Das zu Erkennen vermag durchaus ein Oskar Lafontaine, dagegen konsequent zu kämpfen müssen wir selber bewerkstelligen.
 

Editorische Anmerkungen

Der Artikel ist eine Spiegelung von
http://www.germany.indymedia.org/2002/12/35887.shtml

Max Brym lebt als freier Journalist in München. Im Partisan.net hat er seine Homepage.