Linke, Krieg und Antisemitismus

Von Jürgen Elsässer
12/02
 
 
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Wie frühere Antimilitaristen und Pazifisten lernten, die Bombe zu lieben.

Was in der KONKRET-Redaktion zum Bruch geführt hat, entzweit zur selben Zeit zahlreiche andere Zeitschriftenredaktionen, Antifagruppen und selbst private Freundeskreise, rumort in Gewerkschaftsgliederungen und in der PDS: die Haltung zur drohenden US-Aggression, damit zusammenhängend die Einschätzung der Friedensbewegung.

Während das Kapital so mächtig und skrupellos wie selten zuvor auftritt, zersplittern sich seine Gegner immer stärker. In dieser Situation müßte die weiterführende Auseinandersetzung auf der Linken organisiert werden, nicht die sterile Aus- und Abgrenzerei. Selbstverständlich müssen sich in diesem Rahmen auch Autoren artikulieren können, die den US-Krieg als leineres
Übel begreifen. Aber offensichtlich will deren Mehrheit gar keine gemeinsame Debatte, sondern versucht sie, wo immer es geht, durch die Denunziation der Kriegsgegner als Antisemiten zu verhindern.

Nie wieder Krieg - ohne uns?

"Stärker noch als vor zehn Jahren ... formiert sich heute eine ... Linke, die einen Militärschlag gegen das Hussein-Regime zumindest als kleineres Übel begreift," heißt es in der jüngsten Ausgabe der "Blätter des Informationszentrums Dritte Welt", des renommiertesten Debattenorgans der bundesdeutschen Dritte-Welt-Solidarität. Dieser Formierungsprozeß stützt
sich auf eine bestimmte Sichtweise der Wirklichkeit, die nur deswegen nicht als völlig absurd erkannt wird, weil sie neben exotischen Kleinstpublikationen aus dem Szene-Dschungel auch die Monatszeitschrift KONKRET, die älteste parteiunabhängige Zeitschrift der Linken in Deutschland, verbreitet.

In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß eine Linke ohne  Antimilitarismus undenkbar ist: Weil die sozialdemokratischen Parteien aller Länder den Ersten Weltkrieg befürworteten, trennten sich die Antimilitaristen von diesem “stinkenden Leichnam“ (Rosa Luxemburg) und gründeten eigene Organisationen. Der Spartakusbund in Deutschland, die Bolschewiki in Rußland waren die Kristallisationskerne der künftigen Kommunistischen Internationale. Aber auch alle anderen linken Strömungen -  Sozialisten, Anarchisten, Syndikalisten, Autonome und wie sie sich sonst nennen mögen - sind bis 1989 immer wieder gegen den Krieg aufgetreten. (Die Ausnahme, über die noch zu sprechen sein wird, war der Krieg der Anti-Hitler-Koalition gegen Nazi-Deutschland.) Selbst die SPD, die ihren Frieden mit der Bundeswehr gemacht hat, trat noch bis zur Wiedervereinigung gegen deutsche Militäreinsätze außerhalb des Nato-Bündnisgebietes auf.

Es ist absurd: Seit die Welt mit dem Kollaps des sozialistischen Lagers 1989 wieder zu einer kapitalistischen One World geworden ist, die der vor 1917 ähnelt, gilt die Kriegsgegnerschaft nicht mehr als Essential unter Linken. Sowohl beim Angriff auf Irak 1991, wie während der Aggression
gegen Jugoslawien 1999 und bei den Militärinterventionen nach dem 11. September 2001 gab es relevante linke Strömungen, die den Krieg unterstützten. Diese Position war immer falsch, doch noch nie war sie so unbegründet wie heute, angesichts des bevorstehenden zweiten Angriffs auf den Irak. So gab es  sowohl 1991, wie 1999 als auch 2001 konkrete Ereignisse, die dem militärischen Eingreifen wenigstens auf den ersten Blick eine Legitimation gaben: 1990 hatte Saddam Hussein Kuweit annektiert; dem Bombenkrieg gegen Jugoslawien gingen mehrmonatige bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen  im Kosovo voraus; der Angriff auf Afghanistan wurde als Reaktion auf den 11. September ausgegeben. Sicherlich hielten die Kriegsbegründungen auch in diesen Fällen einer genaueren Prüfung nicht stand. Doch es hatten immerhin in der Realität Scheußlichkeiten stattgefunden, die sich - mit etwas Nachhilfe durch CIA und CNN, auch durch BND und "FAZ" - zu Kriegsgründen modeln ließen.

Dies ist bei der jetzt geplanten Aggression nicht der Fall. Saddam Hussein hat in den letzten zehn Jahren nicht den mindesten Vorwand geliefert. Alle großen Verbrechen des Baath-Regimes (siehe unten) fanden vor diesem Zeitraum statt. Die Versuche der US-Administration, eine Gefahr durch den Irak in der Gegenwart zu konstruieren, sind allesamt kläglich  gescheitert:

  • Die Verbindung Saddam Husseins zu den Selbstmordbombern des 11. September: Die Geschichte von einem angeblichen Treffen zwischen irakischen Agenten und Mohammed Atta in Prag ließ die US-Regierung im Mai 2002 offiziell fallen (“FAZ“, 3. Mai 2002). Als Regierungsberater Richard Perle am 8. September von einem Treffen Attas sogar direkt mit Saddam Hussein zu berichten wußte, wurde er noch am selben Tag - böse Panne! - von Bushs Sicherheitschefin Condoleezza Rice konterkariert. Im CNN-Interview gab sie zu, nichts über Verbindungen zwischen Al Qaida und dem Irak in der Hand zu haben.
  • Über die angebliche Verwicklung Saddam Husseins in den  Milzbrand-Terror schrieb die "Süddeutsche Zeitung" Ende März: "Es gilt als sicher, daß es sich bei dem Absender der tödlichen Post um einen Staatsbürger der USA handelt, der zudem früher für das amerikanische Biowaffen-Programm gearbeitet hat. Es dauerte eine ganze Weile, bevor die Fahnder zu diesem Schluß kamen. Denn in den ersten Wochen nach dem Auftauchen der Milzbrand-Briefe ermittelten sie in die falsche Richtung - und zwar auf ausdrückliche Anweisung aus dem Weißen Haus. Denn Präsident Bush wünschte persönlich einen Nachweis für seinen Verdacht, daß der Irak hinter den Anschlägen steckte."
  • Eine Gefahr durch irakische Massenvernichtungswaffen dementiert UN-Waffeninspektor Scott Ritter. Der US-Amerikaner (übrigens ein bekennender Bush-Wähler) hat von 1991 bis Ende 1998 zwar nur eines der zahlreichen UN-Teams im Irak geleitet, aber das entscheidende: Die concealment-unit, die Geheimhaltungsabteilung. Ritter war dafür zuständig, getarnte Waffenlager aufzuspüren, und hat dabei keinen Konflikt mit den  irakischen Behörden gescheut. Nach seinen eigenen Angaben hat er immer eng mit CIA und Mossad zusammengearbeitet. Es ist genau dieser Hardliner, der heute alle Behauptungen über Massenvernichtungswaffen im Irak für “absoluten Blödsinn“ hält (alle Angaben nach dem Buch von Scott Ritter/William Rivers Pitt:“Krieg gegen den Irak - Was die Bush-Regierung  verschweigt“, Verlag Kiepenheuer & Witsch).

Zur Frage der Atomwaffen erklärt Ritter: "1998, in dem Jahr, als ich den Irak verließ und das UN-Waffeninspektionsprogramm beendet wurde, waren die Infrastruktur und die Anlagen zu 100 Prozent zerstört.“ Hätte der Irak seither eine Produktion wieder aufgenommen, hätte sich das mit Satelliten, die mittels Infrarot-Technik auch unterirdische Anlagen ausspionieren
können, leicht feststellen lassen.

 Zur Frage der Chemischen Waffen berichtet Ritter: “Der Irak produzierte drei verschiedene Nervengifte: Sarin, Tabun und VX. ... Sarin und Tabun haben bei der Lagerung eine Lebensdauer von fünf Jahren. Selbst wenn der Irak es geschafft hätte, diese ungeheuren Mengen an Kampfstoffen vor den Inspekteuren geheim zu halten, enthielten ihre Depots heute nur noch unbrauchbare und harmlose Schmiere ... Gibt es heute im Irak eine Fabrik  zur Herstellung des Nervengases VX? ... Nie im Leben. ... Die  Herstellung von chemischen Waffen setzt Abgase frei, die man längst aufgespürt hätte.“

Bei den biologischen Waffen räumt Ritter ein, daß beim Abzug der Inspektoren im Dezember 1998 möglicherweise noch Restbestände nicht aufgefunden worden waren. Dennoch kommt er zu dem Schluß: "Der Irak besitzt heute keine biologischen Waffen mehr, weil sowohl das Anthrax als auch das Botulinumtoxin inzwischen unbrauchbar geworden sind.“

Kurz und gut: Kein Krieg seit 1945 wurde so dreist und aggressiv vorbereitet, nie waren die Begründungen so fadenscheinig. Menschen, die angesichts des Amoklaufes des US-Präsidenten nicht ein paar antiamerikanische Reflexe verspürt, sind hirntot, ihre Körperfunktionen werden nur noch durch Infusionen der imperialistischen Propagandamaschine in Gang gehalten. Doch auch damit läßt sich's offensichtlich ganz  passabel leben.

Kriegslügen von links

In KONKRET wurde die US-amerikanische Position der Fortführung des Irak-Embargos als “nachvollziehbar“ gelobt, die über eine Million “Embargo-Opfer“ wurden mit Anführungszeichen verhöhnt, an deren Schicksal nicht die wirtschaftliche Blockade schuld sei, sondern “die gezielte Unterversorgung“ durch das irakische Regime (KONKRET 1/2001). Der Gipfel des Zynismus war schließlich die These: “Man könnte die Argumentation der  Embargo-Kritiker also auch umdrehen: Eine Aufhebung des Embargos würde das Leiden der Bevölkerung verschlimmern, weil niemand Saddam Hussein mehr dazu bewegen könnte, wenigstens Teile der Öleinnahmen für die Versorgung der Bevölkerung zu verwenden...“ (KONKRET 10/2001)

Völlig ausgeblendet wird, daß die damalige US-amerikanische  Außenministerin Madeleine Albright selbst eingeräumt (und gerechtfertigt) hat, daß die USA für diesen Massenmord verantwortlich sind. “Am 12. Mai (1996) war Frau Albright im Sender CBS. Der Interviewer Leslie Stahl fragte: ’Wie wir gehört haben, sind eine halbe Million Kinder gestorben. Ich denke, das sind mehr als in Hirsohima. Sagen Sie, ist das den Preis wert?' Zum Erstaunen der Weltöffentlichkeit antwortete Frau Albright: ’Ich denke, es ist eine sehr harte Entscheidung, aber den Preis ist es nach unserer Ansicht wert."
(“Independent", 25.9.2002)

Auf der anderen Seite wird die Opferbilanz der Baath-Partei grotesk aufgebläht. Christian Stock, Redakteur der erwähnten “Blätter des iz3w“ schreibt: “Die sich als Hüter des Antimilitarismus gerierenden Kritiker der Bellizisten unterschlagen, daß im Irak ein Krieg schon längst geführt
wird ... dieser lang anhaltende Krieg ist angesichts einer Million Opfer während Husseins Herrschaft keine Marginalie.“ Diese eine Million Toten seien - unabhängig von Krieg und Embargo - ... dem staatlichen Terror des Regimes zum Opfer gefallen,“ hieß es ergänzend in KONKRET (Heft 4/2002). Diese  Zahl hat man bislang noch nicht einmal aus Washington, also von den ansonsten so griffig formulierenden Damen und Herren Rumsfeld, Cheneys und Rice gehört.

Und Gert Weißkirchen, außenpolitischer Sprecher der  SPD-Bundestagsfraktion und unter bestimmten Bedingungen schon seit Herbst Befürworter eines Krieges gegen den Irak, also nicht gerade ein Saddam-Freund, gab die Zahl von dessen Opfern mit 180.000 an, das sind 18 Prozent der Million. (Interview im “Freitag“, 9.8.2002). Man könnte einwenden, das Insistieren auf einem möglichst exakten Body Count sei penibel oder sogar zynisch, schließlich sind auch 180.000 oder selbst 80.000 Tote genug, um den Diktator zu hassen und ihm den Sturz zu wünschen. Doch sie genügen nicht, wenn man Saddam in die Nähe von Hitler rücken will, der nur durch eine Militärintervention von außen beseitigt werden konnten. Wie wir gleich sehen werden, ist die Millionen-Lüge nichts anderes als propagandistische Grundlage des Rufes nach einer US-Invasion.

Unbestritten ist, daß das irakische Regime Verbrechen im großen Stil auch an der eigenen Bevölkerung begangen hat. Doch fallen die blutigsten Zeiten der Unterdrückung etwa der kurdischen Minderheit auf die zweite Hälfte der achtziger Jahre, der Giftgasangriff auf Halabja war beispielsweise 1988.

In dieser Phase war Saddam Hussein ein geschätzter Verbündeter des Westens, sein “Lieblingsmonster“ (Noam Chomsky). Heute, wo sich die Verhältnisse im Land nicht mehr von 50 anderen Folterdiktaturen auf dieser Welt unterscheiden und wo das Massensterben aufgrund der Sanktionen die Morde des Regimes um ein Vielfaches übersteigt, erscheinen in der linken Presse Artikel, die diese Verhältnisse auf den Kopf stellen: Die Greuel der westlichen Politik werden verharmlost, die der Regierung des überfallenen Landes inflationiert. Diese Methode ist aus dem Jugoslawienkrieg bekannt, Politiker wie Rudolf Scharping und Journalisten wie Erich Rathfelder (“Taz“) waren stilbildend.

All the president's men

Zur Bibel der strenggläubigen Bellizisten könnte das Buch Saddam Husseins letztes Gefecht? Der lange Weg in den III. Golfkrieg, herausgegeben von Arras Fatah u.a, avancieren. Es erschien im Oktober in der Reihe “konkret texte“ und ist ein Kompendium aller Geschichten aus 1001 Nacht, die man im Verlauf der letzten Monate aus dem Pentagon gehört hat: Wie Ali Baba die UN-Waffeninspekteure hinauswarf, Scheherezaden um geheime ABC-Produktionsstätten, Hadschi Halef Omar trifft Mohammed Atta in Prag - eigentlich fehlen nur die kuwaitischen Babys, die aus den Brutkästen gerissen wurden, und Scharpings gegrillte Föten.

Gleich zwei Mal wurde im Buch die Millionen-Lüge wiederholt und zu Werbezwecken von der KONKRET-Verlagsleitung auch noch auf den Rückumschlag und in den Herbstprospekt gedruckt: “Die Autoren zeichnen den Werdegang der Diktatur nach, der mehr als eine Million Iraker zum Opfer gefallen sind.“ Einem Co-Autor war auch das noch nicht genug: “Doch Saddams Diktatur ist nicht bloß eine unter vielen, ihre Greueltaten können nur mit denen von Pol Pot in Kambodscha verglichen werden.“ Damals wurden - so der Medien-Mainstream - drei Millionen ermordet.

Wer erwartet hat, daß diese Horrorzahlen irgendwo belegt ist, wird enttäuscht: Im gesamten Buch findet sich keine einzige Aufstellung, die die Million auch nur errechenbar macht. Lediglich eine Fußnote weist auf ein englischsprachiges Werk einer International Alliance for Justice hin, doch es wird nur der Titel einer Studie angegeben, keine Bezugs- oder Internetadresse, und auch kein Zitat, das die fragliche Zahl enthält.

Im Geleitwort von Kanan Makiya kann man lesen, was ansonsten Präsident Bush jr verkündet: “Arabisches Denken und Kultur ... können sich nur erneuern in einem neuen politischen Milieu - und zwar in einem, das die arabischen Beziehungen zum Westen grundlegend neu bestimmt. Eine Gelegenheit, eine solche Neudefinition herbeizuführen, bietet sich zum zweiten Mal in der jüngeren Geschichte durch einen Regimewechsel im Irak.“ Die sich bietende Gelegenheit ist diese: “Zur Zeit der Niederschrift dieser Worte deuten ... alle Zeichen darauf hin, daß sich die US-Administration zum ersten Mal ernsthaft und kraftvoll in Richtung eines ’Regimewechsels' bewegt. Ein bedeutsamer Luft- und Boden-Feldzug im Irak ist ins Auge gefaßt worden, der den Einsatz von bis zu 250.000 Soldaten beinhalten könnte.“ Weiter heißt es: “Der Ausdruck ’Regimewechsel' selbst ist unglücklich gewählt, da er eine Operation suggeriert, die zeitlich und räumlich begrenzt ist.“ Ein Präventivkrieg ohne zeitliche und räumliche Begrenzung - das Maximalprogramm der Falken in der Bush-Administration als Geleitwort in einem Buch aus einem linken Verlag.

Doch es kommt noch besser: Geleitwort-Schreiber Makiya - ein  Exil-Iraker, der schon seit Jahrzehnten in den USA lebt - gab Mitte Oktober in einem Interview mit der “Zeit“ zu: “Ich bin nicht allein bei diesen Überlegungen. Wir arbeiten in einer Gruppe von 32 Leuten - und werden dabei von der US-Regierung unterstützt - an einer Nachkriegsordnung für den Irak.“ Mit anderen Worten: Er steht auf der Pay-Roll der Bush-Regierung und arbeitet an Besatzungsplänen für den Irak. Er erhält, zusätzlich zu seinem Gehalt aus Washington oder Langley, jetzt auch noch als Buch-Autor ein Honorar von KONKRET. Ist jemals ein ähnlicher Fall in der Geschichte der Zeitschrift vorgekommen? Wie würde es KONKRET-Herausgeber Hermann L. Gremliza wohl kommentieren, wenn irgendeine andere linke Zeitung so offensichtlich mit einem bezahlten Vordenker imperialistischer Kriegspolitik verlinkt wäre?

Stimmen der Vernunft

Wie weit sich die linken Kriegsbefürworter von jeder rationalen  Diskussion entfernt haben, zeigen zwei Stellungnahmen, die man schwerlich der Nähe zur Baath-Partei oder gar des Antisemitismus verdächtigen kann.

So heißt es in einer aktuellen Presseerklärung von Amnesty  International: “Die Menschenrechtssituation im Irak wird mit ungewöhnlicher Häufigkeit von einigen westlichen Politikern angeführt, um ein militärisches Eingreifen zu rechtfertigen. Diese selektive Aufmerksamkeit gegenüber Menschenrechten ist nichts anderes als eine kalte und kalkulierte Manipulation der Arbeit von Menschenrechtsaktivisten.“ (www.amnesty.org)

Micha Brumlik, Direktor des Fritz Bauer Instituts in Frankfurt am Main, befürwortete 1991 ein militärisches Vorgehen gegen das Regime von Saddam Hussein und verließ deswegen die Grüne Partei. Heute ist er gegen den geplanten Angriff. In einem Interview sagte er zur Begründung:

“Frage: Sie fordern eine Eindämmungspolitik - nicht gegenüber dem Irak, sondern gegenüber den USA. Ist das nicht antiamerikanisch?  Brumlik: Der Antiamerikanismus-Vorwurf wird leichtfertig verwendet, und Antiamerikanismus wird leichtfertig mit Antisemitismus gleichgesetzt. Ich lehne beides ab. Wer die Auswüchse der Politik der gegenwärtigen US-Administration kritisiert, betreibt keinen Antiamerikanismus. Das zu behaupten ist demagogisch.“

Mit Auschwitz lügen

Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg: Bis 1989 galt der Schwur von Buchenwald als Minimalkonsens aller Linken, von der kommunistischen Betriebsrätin über den anarchistischen Straßenkämpfer bis zum aufrechten Sozialdemokraten und der Befreiungstheologin. Doch seither hat sich eine bellizistische Strömung entwickelt, die den Zusammenhang der zwei Losungen bestreitet und mit Heiner Geißler behauptet, der Pazifismus habe zu Auschwitz geführt.

Die Klügeren unter den Bellizisten wissen, daß das Problem in den dreißiger Jahren nicht der Pazifismus in Deutschland, sondern das Appeasement der Westmächte war – also deren wohlwollende Stillhaltepolitik gegenüber Nazi-Deutschland. Auch heute, so fahren sie fort, greife ein weltweiter Faschismus, diesmal im grünen Gewand des Islam, nach der Macht, wiederum seien die Juden tödlich bedroht; dagegen helfe kein Stillhalten und kein Antimilitarismus, sondern nur militante Gegenwehr, im Zweifelsfall bewaffnete Intervention. Da es die Rote Armee leider nicht mehr gebe, müsse man eben mit der US-Army zufrieden sein.

Diese Argumentation wurde im Golfkrieg 1991 reputierlich. Konkret-Herausgeber Hermann L. Gremliza unterstützte den alliierten Feldzug gegen den Irak, weil »hier einmal aus falschen Gründen und mit falschen Begründungen das Richtige getan zu werden scheint« – der Schutz von Israel. Gegen Kritiker verteidigt er seine Haltung bis heute: »Der Staat, in den sich die den deutschen Mördern entkommenen Juden gerettet hatten, war in tödlicher Gefahr. Es gibt kein Prinzip, daß es Mitgliedern des Kollektivs ›die Deutschen‹ erlaubte, in solcher Lage anderes zu tun, als Israels Partei zu ergreifen.« Das stellt die Ereignisse auf den Kopf. Es wird der Eindruck erweckt, Saddam Hussein habe nicht Kuwait, sondern Israel überfallen, und dagegen habe sich unter Führung der USA eine Abwehrallianz gebildet. In Wahrheit war es genau umgekehrt: Die USA haben zum Schutz ihrer Ölinteressen den – bis dato verbündeten! – Irak angegriffen, und erst in dieser Situation hat Saddam Scud-Raketen auf Israel abgeschossen. Selbstverständlich war das verbrecherisch – ein neutraler Staat, der die »Operation Wüstensturm« nicht unterstützte, wurde zum Sündenbock gemacht. Doch man sollte Ursache und Wirkung nicht verwechseln: Der Angriff der US-Allianz auf Irak hat Israel nicht geschützt, sondern überhaupt erst in tödliche Gefahr gebracht.

Krieg zum Schutz der Juden?

Nun ist unbestritten, daß Saddam Hussein ein Antisemit ist – wer’s nicht glaubt, kann auf der irakischen Regierungswebsite www.uruklink.net einige Reden nachlesen. Doch ist er das Haupt einer faschistischen Weltbewegung, also ein »Wiedergänger Hitlers«, wie es Hans Magnus Enzensberger 1991 halluzinierte? War es nicht Osama bin Laden, der Saddam nach der Besetzung Kuwaits 1990 als erster den Krieg erklärte – noch bevor Bush sr. seine Bataillone in Marsch setzte? (Nachzulesen bei Ahmed Rashid: »Taliban, Afghanistans Gotteskrieger und der Dschihad«, München 2002, S. 227) Ist Saddam also nicht eher ein Stalin als ein Hitler, das heißt ein bedingter Antisemit, der dem bedingungslosen Antisemitismus im Wege steht? Muß deshalb nicht gerade der, der das Gefahrenpotential des islamischen Fundamentalismus sieht, gegen den Angriff auf den laizistischen Irak eintreten?

Und weiterführend: Kann man mit Antisemiten nur durch Krieg fertigwerden? Das Beispiel des ehemaligen ägyptischen Präsidenten Sadat spricht jedenfalls dagegen. Antisemitische Sprüche von ihm finden sich in der Fachliteratur ohne Zahl, 1973 hat er Israel hinterrücks überfallen. Trotzdem war er 1978 zum Abkommen von Camp David bereit, hat als erster arabischer Staatsmann den jüdischen Staat anerkannt und sich dadurch den Haß aller Fanatiker zugezogen. Offensichtlich gibt es noch eine andere Methode als den Krieg, um Antisemiten unschädlich zu machen: Wer ein erträgliches Zuhause und ein Auskommen hat, wird es sich gut überlegen, ob er all das aufs Spiel setzt, indem er nach Feierabend als Selbstmordbomber auf Judenjagd geht.

Solche Differenzierungen sind nicht jedermanns Sache. So schrieb Gremliza im Septemberheft der Konkret: »Leider kann, wie schon vor zehn Jahren, keiner mit Gewißheit sagen, ob Saddam dazu (zur Vernichtung Israels, J.E.) auch in der Lage ist. Im zweiten Golfkrieg haben seine Geschosse über Tel Aviv Schrecken verbreitet, aber keine chemischen oder biologischen Kampfstoffe. Konnte er nicht? Wollte er nicht? Kann er heute? Würde er wollen? Der Vorsitzende des Streitkräfte-Ausschusses im US-Senat, der Demokrat Carl Levin, sagt, der Irak stelle diesbezüglich keine Gefahr dar. Es wäre schön, er hätte recht, oder Israel besäße für den Fall, er hätte unrecht, eine Waffe, die definitiv Abhilfe schafft.«

Jeder Freund Israels müßte hoffen, daß sich das Land wie 1991 aus dem völkerrechtswidrigen Krieg heraushält. Die eigenmächtige Durchsetzung von UN-Resolutionen durch Angriffskriege einzelner Großmächte zerstört die Staatssouveränität, auf der die internationale Ordnung seit dem Westfälischen Frieden 1648 fußt, und macht gerade kleinere und schwächere Staaten vogelfrei. Verliert Israel die Protektion Washingtons könnte sich das Human-Rights-Bombing eines Tages auch gegen die jüdische Republik richten. Nach dem Willen von Premier Scharon und seinen Falken soll Israel aber der Anti-Irak-Koalition beitreten. Gremliza empfiehlt den Israelis sogar, gegen den Irak im Falle eines Falles eine Waffe einzusetzen, »die definitiv Abhilfe schafft«.

»Definitiv« ist das Wörtchen, das erschreckt. Im Leben gibt es keine »definitive«, keine hundertprozentige Sicherheit. Auch der UN-Waffenkontrolleur Scott Ritter kann nicht ausschließen, daß im irakischen Wüstensand noch ein paar Scud-Raketen vergraben sind. Um dies »definitiv« auszuschließen, soll ja gerade der Krieg geführt werden – so Bushs Begründung, der sich Gremliza, der zur Zeit noch einen Überfall auf Irak ablehnt, durch seine Formulierung ausgeliefert hat.

Israels Schutz gegen die Massenvernichtungswaffen arabischer Staaten ist das eigene Atomarsenal. Es gilt das Abschreckungsprinzip wie während des Kalten Krieges: Kein Staat greift den anderen mit Massenvernichtungswaffen an, weil er sonst mit gleichwertiger Vergeltung rechnen muß. Natürlich kann das »Gleichgewicht des Schreckens« versagen – deswegen wäre es besser, im Nahen Osten eine ABC-Waffenfreie Zone einzurichten, natürlich unter Einschluß Israels. Gremliza aber reicht nicht einmal die vorhandene atomare Rückschlagskapazität des jüdischen Staates aus, sondern er plädiert für den Einsatz einer ominösen Superwaffe, die »definitiv Abhilfe schafft«. Damit hat der Konkret-Herausgeber nur knapp an Wolfgang Pohrt vorbeiformuliert, der 1991 in Konkret israelische Atombomben auf Bagdad befürwortete. Ich vermute, Gremliza hat das nicht so gemeint – aber ein präziser Formulierer wie er müßte es dann auch so schreiben.

Jedenfalls: Macht sich die Linke das Prinzip, Bedrohungen von Israel und den Juden »definitiv« ausschließen zu wollen, zu eigen, wird sie weiteren Kriegen unter dem demagogischen Motto »Nie wieder Auschwitz« schwerlich ihre Zustimmung versagen können. Wer weiß schon definitiv, ob Nordkorea mit seinen Trägerraketen nicht auch ABC-Sprengköpfe nach Jerusalem schießen kann? Ob Kuba mit seiner weit entwickelten Gentechnologie nicht Waffen für Al-Qaida herstellt? Ob die afghanischen Mudschaheddins nicht schon längst in post-kolonialen Elendsstaaten Schwarzafrikas untergekrochen sind und von dort aus den neuen Holocaust planen? Am besten überall ein paar Atombomben abwerfen, dann gibt es keine Fragen mehr.

»Von Hamas bis ATTAC Einigkeit«?

Die rationale Debatte um diese Fragen wird erschwert, weil in Publikationen wie Bahamas, Jungle World und zunehmend leider auch in Konkret die Kriegsgegner als Freunde Saddams und als Antisemiten denunziert werden. Stilbildend ist Thomas von der Osten-Sacken, der als Nahostexperte in allen einschlägigen Organen hofiert wird. In seinem Essay »Kein Platz für Juden« (Konkret 12/2002) wird gegen Anti-Globalisierungs- wie Friedensbewegung gleichermaßen gehetzt: »Wurde diese im Laufe der achtziger Jahre mehr und mehr eine deutschnationale, so droht jene gegenwärtig eine antisemitische und völkisch-universalistische Erweckungsbewegung zu werden.«

In einem ähnlichen Text konstatiert Osten-Sacken »von Hamas bis ATTAC Einigkeit«: »Deutscher Nationalpazifismus und Globalisierungskritik verschmelzen zu einer antisemitischen Vernichtungsdrohung ....« Heißt das, Gruppen wie die DFG/VK drohen mit der Vernichtung von Juden, ATTAC verübt Selbstmordattentate wie Hamas?

Zur Begründung der schweren Vorwürfe schreibt der Autor: Der »Bundesausschuß Friedensratschlag, quasi das Zentralkomitee der hiesigen Friedensbewegung, wirft den USA vor, ›eine neue Weltordnung auszubauen, in der eine Minderheit alle Ressourcen für sich beansprucht – aktuell Erdöl und Transportwege in Afghanistan und dem Irak – und der großen Mehrheit der Weltbevölkerung damit die Lebensgrundlage entzieht.‹ Mit der ›Minderheit‹, die von einem ATTAC-Sprecher an der Ostküste verortet wurde, sind natürlich jene Juden gemeint, die, Ex-Verteidigungsminister Scharping zufolge, mit allen Mitteln auf einen Sturz Saddam Husseins drängen und damit erneut die ›Völker‹ in einen Krieg stürzen wollen.«

Mit dieser Denunziationsprosa läßt sich jede Form von Kapitalismuskritik als Antisemitismus interpretieren: Jeder, der auf die – ganz realen! – Profitinteressen der herrschenden kapitalistischen Minderheit aufmerksam macht, meint demnach »natürlich« die jüdische Minderheit – und irgendein (ein!) ATTAC-Sprecher wird sich schon (er)finden lassen, der das so ähnlich gesagt hat. Dabei läuft die antisemitische Assoziationskette offensichtlich nicht im Hirn des Sprechers, sondern des Zuhörers und Möchtegern-Kritikers ab. Ganz wie im Irrenhaus, wo der Patient in den unscharfen Kartoffeldrucken des Rohrschachtests kopulierende Paare sieht und den Psychiater empört fragt, warum er ihm so schweinische Bildchen zeige.

Dabei ist die Polemik gegen die Globalisierungskritiker gleich doppelt daneben. Denn ihre Aktionen ziehen zwar, wie es Massenformierungsprozesse in statu nascendi so an sich haben, viele ideologische Geisterfahrer an, haben aber gegenüber den Bürgerkinder-Bewegungen der letzten 25 Jahre den riesigen Vorteil, daß sie nicht sterbende Wälder, chauvinistische Grammatik und ähnliche Überbauprobleme thematisieren, sondern deren ökonomische Basis: Ausbeutung, Profit, Reichtum und Armut. Der Hauptfehler, den die Bewegung bisher hatte, war ihre Indifferenz gegenüber den imperialistischen Kriegen – ein Resultat der Verunsicherung, die die Postmodernen mit Hilfe des Wellness-Ratgebers »Empire« von Toni Negri und Michael Hart über die Kids gebracht hatten. Doch hier deutet sich ein schneller Genesungsprozeß an – in Florenz waren Mitte November eine Million gegen die US-Aggression auf der Straße, obwohl Negri gleichzeitig in der Berlusconi-Presse Bush heilig sprach.

Sicherlich ist es kritikabel, wenn ATTAC und Co. sich vorzugsweise über Börse, Banken und internationale Konzerne empören, also über das, im Nazi-Jargon, »volksfremde« oder »raffende Kapital«, und der einheimische deutsche Unternehmer und die Mehrwertabpressung im Produktionsprozeß außer Blick geraten. Das bietet eine offene Flanke gegenüber dem Antisemitismus, ist aber keineswegs damit identisch, wie die ATTAC-Feinde vom Schlage Osten-Sacken behaupten. Diese – so schreiben die Syndikalisten der Zeitschrift wildcat – »drehen das richtige Argument, ... der (moderne) Antisemitismus sei eine verkürzte, personalisierte Form der Kapitalismuskritik, um. So kommen sie zu dem falschen Schluß: ›verkürzte Kapitalkritik ist antisemitisch‹, den sie als Allzweckwaffe gegen jeden sozialen Kampf einsetzen. Verkürzungen in der Kritik des Kapitals gibt es viele: Keine Bewegung fällt fertig vom Himmel. Die Aufsässigen empören sich über Ungerechtigkeiten, gehen vielleicht einen Schritt weiter, radikalisieren sich und verstehen die selbst erlebte Ungerechtigkeit in ihrem Wesen und Zusammenhang – oder eben nicht. Aber die realen Verläufe brauchen die antideutsche Kritik gar nicht zu interessieren. Indem sie darauf hinweisen, daß die Kritik einer Bewegung am Kapitalverhältnis ›verkürzt‹ sei, können sie jede soziale Bewegung des Antisemitismus bezichtigen.«

Gerne gestehe ich, daß sich auch aus meiner Feder viele Glossen und Essays finden lassen, die dem Imperativ folgen, es gälte beim Antisemitismus schon kleine Pflänzchen zu zertreten, bevor sie sich zum Urwald auswüchsen. Die Medizin, die ich zusammen mit Gremliza (und anderen) der Linken gegen ihren Antisemitismus zu schlucken gab, war immer bitter. Aber es war Medizin, die – zumindest nach meiner Intention – den Patienten heilen sollte, nicht um die Ecke bringen. Und: Seit dem Kosovo-Krieg hat sich etwas geändert. Fischer und Scharping haben einen sozialistischen Präsidenten einer Neuauflage von  Auschwitz beschuldigt und damit einen Angriffskrieg gerechtfertigt, die Pazifisten und Antimilitaristen wurde von ihnen und ihren Fellow-Travellers als willige Vollstrecker eines neuen Holocaust denunziert. Seit der Antisemitismus-Vorwurf zur Allzweckwaffe gegen alle Linken geworden ist, muß derjenige differenzieren, der an der Linken noch etwas retten will.

»Wer als erster Auschwitz sagt, hat gewonnen« (Wiglaf Droste) – frei nach diesem Motto wird die Schoa in aktuellen Debatten instrumentalisiert. Wenn wahlweise Arafat oder Saddam Hussein zum Wiedergänger Hitlers erklärt werden, gleichzeitig aber der Klassenkampf als Mittel zur Beseitigung dieser – auch ohne Hitler-Vergleich – nicht besonders sympathischen Zeitgenossen ausscheidet, gibt es keinen anderen Anti-Antisemitismus mehr als den Krieg. So wird die NATO zu Adornos Testamentvollstrecker.

No logo

Leider sind auch die linken Traditionalisten gegen den Bellizismus nicht gefeit. Ein Teil spielt selbst gerne Brauner Peter und gibt die Hitler-Karte zwar nicht an Saddam, wohl aber an Scharon weiter – eine Steilvorlage für die Sehnsüchte der Deutschen, ihre Geschichte zu entsorgen. Immerhin setzt der rätekommunistische und trotzkistische Flügel der Traditionslinken zur Ablösung Scharons auf die israelische Arbeiterklasse, folgt also dem Schema der sozialistischen Klassiker. Eine andere und wachsende Gruppe aber ruft, wie im anderen Fall die proamerikanische Linke, nach dem Eingreifen des Imperialismus. So könnte für die bisher relativ kriegsresistente PDS die Entscheidung über die Entsendung von Blauhelmsoldaten (und Schlimmerem) nach Israel/Palästina der erste Sündenfall werden.

Seit es das sowjetische Lager nicht mehr gibt, hat die internationalistische Linke keinen Alliierten mehr. Weder kann man den US-Block als Verbündeten im Kampf gegen den deutschen bzw. europäisch-arabischen Antisemitismus unterstützen (was die Bellizisten fordern), noch den EU-Block zum Widerstand gegen die US-Hegemonie auffordern (wie man bisweilen vom Lafontaine-Flügel der Friedensbewegung hört). Die dritte Position, die Lenin, Luxemburg und Liebknecht bezogen, heißt: Der Hauptfeind steht im eigenen Land. Mit Bush, Saddam, Arafat und Scharon müssen deren Untertanen fertig werden. Unsere Antisemiten heißen Walser und Möllemann, unsere Kriegstreiber Schröder und Fischer.

Das mag den einen zu antiimperialistisch klingen und den anderen zu antideutsch. Ich würde dafür plädieren, die Anti-Etiketten abzunehmen, sie befördern nur die Abgrenzerei. Der notwendige Streit über den Aufbau einer Opposition gegen den Krieg sollte nicht entlang der überkommenen ideologischen Bruchlinien erfolgen, sondern einzig und allein auf der Grundlage von Fakten.

Für eine No-Logo-Linke spricht auch, daß sich außerhalb einer winzigen Szene unter den Etiketten niemand etwas vorstellen kann. Besonders verwirrend ist es, wenn auf den Verpackungen nicht das steht, was drin ist. Die meisten, die heute etwa mit dem Label antideutsch herumstolzieren, sind nicht antideutsch, sondern ganz simpel proamerikanisch. Sie befürworten jeden Krieg, der von den Yankees geführt wird – gestern gegen Afghanistan, heute gegen Irak, morgen gegen Nordkorea. Und sie wollen, daß Deutschland diese Kriege unterstützt – also genau das, was auch die aggressivsten Teile des deutschen Kapitals wollen. Was ist daran anti im Allgemeinen und antideutsch im besonderen? Mitmacher sind’s, Einheizer, Antreiber – Lumpenintellentsia eben, Fischermen.

Die vernünftigen Leute werden sich finden, über die bisherigen politischen Gräben hinweg. Der Schwur von Buchenwald verpflichtet.
 

Editorische Anmerkungen

Jürgen Elsässers Statement zum Bruch mit der konkret erschien in zwei Teilen bei Indymedia:

http://www.de.indymedia.org/2002/12/36369.shtml
http://www.germany.indymedia.org/2002/12/36581.shtml

Zuvor war der Artikel in der Jungen Welt erschienen - allerdings ausschließlich in der Printausgabe.

Weitere Infos zu Konflikt und Bruch mit konkret gibt es auch auf J. Elsässers Website.