"Arlette, komm, wir zerschlagen den Staat!"
 Linksradikale gegen das "Einheitsdenken"

Von Gudrun Eussner

12/02
 
 
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Am 2. März 1998 wird in der "Humanité", der Zeitung des Parti Communiste Français (PCF) die Gründung der Stiftung "Fondation Marc Bloch", einer "Stiftung gegen das 'Einheitsdenken' ", gefeiert. Die Gründer, aus dem politischen Spektrum von extrem rechts bis orthodox links, wollen damit das vorherrschende Denken bekämpfen. (1) Ein weiteres Querfrontprojekt ist entstanden.

"Die neuen Grenzen des politischen Spieles" verliefen nicht mehr zwischen rechts und links, sondern zwischen den Vertretern des "Einheitsdenkens", denjenigen, die für die Zusammenarbeit bzw. Kollaboration ("collaboration") mit der Globalisierung, dem Neo-Liberalismus, der Vermarktung der Welt ("die Welt ist keine Ware"), dem Vorrang der Wirtschaft über den Menschen und die Umwelt seien, und denjenigen die dagegen in Opposition stünden, vernimmt man aus den Kreisen des Jean-Pierre Chevènement, des "Che", und der ATTAC. An keiner Stelle erfolgt die genauere Bestimmung oder gar das Hinterfragen des Begriffes "Einheitsdenken" (la pensée unique), sondern in plumper Demagogie werden sowohl Präsident Jacques Chirac als auch Ex-Premierminister Lionel Jospin gemeinsam mit dem Vorsitzenden des PCF Robert Hue und dem aus extrem rechtesten Kreisen hervorgegangenen ultra-liberalen Alain Madelin und seiner Partei Démocratie Libérale (DL) darunter subsumiert; sie alle seien Handlanger der Herrscher der Welt ("Maître du Monde").

Lionel Jospin und die "Enarchen des Parti Socialiste (PS)" hätten ihre Wähler verraten, meinen Jean-Pierre Chevènement und die ihn umgebenden Enarchen vom Pôle Républicain. Wenn das nicht geschehen wäre, hätte Lionel Jospin mühelos einen ersten Platz im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen 2002 erringen können. So aber seien 22 Prozent der Stimmen an Kandidaten verschiedener linker Gruppen gegangen, wobei der Pôle Républicain des Jean-Pierre Chevènement sich als "links" darstellt. Das "Einheitsdenken" der Diener der multinationalen Konzerne und der neuen Wirtschaftsordnung sei abgestraft worden. 56 Prozent der Wähler hätten sich für die Kandidaten der Opposition, gegen das "Einheitsdenken", entschieden.

Die fehlende Bestimmung des Begriffes "Einheitsdenken" macht es den Demagogen leicht, nunmehr die gegen die "Kollaborateure" gerichtete "Opposition gegen das Einheitsdenken" zu benennen, ohne daß man erfassen könnte, was damit gemeint ist. Wenn man einfach "Opposition zur Regierungspolitik" sagen würde, käme das ebenfalls aus. Einige Oppositionsgruppierungen sind Querfrontprojekte. Das nun als "Opposition gegen das Einheitsdenken" zu bezeichnen, erscheint doch ziemlich übertrieben. Zu allen Zeiten gab und gibt es Menschen, die nicht wissen, wohin sie gehören und sich von anderen gebrauchen lassen.

Es seien die extrem Rechten vom Front National und dem Mouvement National Républicain Jean-Marie Le Pen und Bruno Mégret sowie die extrem Linken Arlette Laguiller von der "Lutte Ouvrière" (Arbeiterkampf), Olivier Besancenot, von der "Ligue Révolutionnaire Communiste" (Revolutionäre kommunistische Liga) und Daniel Gluckstein, vom "Parti des Travailleurs" (Partei der Arbeiter). Diese drei Linksradikalen erhalten bei den Präsidentschaftswahlen 2002 im ersten Durchgang zusammen 10,46 Prozent der abgegebenen Stimmen, davon Arlette Laguiller 5,74 Prozent, Olivier Besancenot 4,25 Prozent und Daniel Gluckstein 0,47 Prozent. In einem auf der Spitze stehenden gleichseitigen Dreieck werden die Namen der Kandidaten aufgelistet. Der Kandidat von "Chasse, Pêche Nature et Tradition" Jean Saint Josse mit seinen immerhin 4,2 Prozent der Stimmen (er ist angeblich ebenfalls gegen das "Einheitsdenken") wird unterschlagen. Die Gestalter der blaurot-gräulichen Graphik wissen anscheinend selbst nicht, ob er nach links oder nach rechts gehört. Ansonsten geben sie vor, es genau zu wissen: Die Lage in Frankreich ist als "voraufrührerisch" zu bezeichnen. "Alle Bedingungen für eine Revolution mit den Ausmaßen vom Mai 1968 sind vereint." (2)

Schon zwei Monate später, am 9. Juni 2002 werden sie widerlegt, denn da, im ersten Durchgang der Wahlen zur Nationalversammlung, erhalten die extremen Linken zusammen nur 2,74 Prozent der Stimmen, und der "linke" Pôle Républicain des Jean-Pierre Chevènement kommt überhaupt nicht mehr vor. Die beunruhigende "(bi)polare Ära" ist zurückgekehrt, meinen die Anhänger des "Che" und der ATTAC fröstelnd. (3) In ihrem "einzigartigen Wörterbuch des Einheitsdenkens" meint das Querfrontquartett Jean-Pierre Chevènement, Philippe Séguin, Jean-François Kahn und Ignacio Ramonet: "das Einheitsdenken ist bitter". (4) Ignacio Ramonet trommelt schon seit Jahren mit Formulierungen, wie sie der Front National nicht treffender anwenden könnte, gegen das "Einheitsdenken", gegen das internationale Kapital, die Finanzmärkte, Konkurrenz und Wettbewerbsfähigkeit, Freihandel, Globalisierung von Produktion und Finanzströmen, gegen die Bretton-Woods Institutionen und die französische Zentralbank, gegen Zeitungen der Großindustrie "Wall Street Journal", "Financial Times", "Les Echos" usw. (5)

Es verwundert nicht, daß die so eingestimmten Franzosen, von Haus aus seit mehr als 200 Jahren aufmüpfige, spöttelnde Menschen ("le français railleur"), grundsätzlich vor keiner Partei Scheu empfindend, und sei sie noch so ultra-links oder extrem rechts, sich gern in das Abenteuer des offensichtlich salonfähigen Anti-Einheitsdenkens stürzen und ihrer Regierung der Kohabitation, hauptsächlich dem Lionel Jospin, einen Denkzettel verpassen. So entstehen die 17,79 Prozent für den Präsidentschaftskandidaten des Front National und die 10,46 Prozent für die drei radikalen Linken, und Lionel Jospin fällt durch. Arlette Laguiller gibt für den zweiten Durchgang ausdrücklich nicht die Empfehlung aus, für den Kandidaten der bürgerlichen Rechten Jacques Chirac und gegen Jean-Marie Le Pen zu stimmen, denn beide Kandidaten erklärt sie für sowieso politisch gleich. Die Fanzosen kommen bereits im zweiten Durchgang wieder zur Vernunft und wählen Jacques Chirac mit 82,21 Prozent der Stimmen zum Präsidenten Frankreichs.

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung erteilen sie den Linksradikalen und dem Querfrontler Jean-Pierre Chevènement sehr intelligent eine massive Abfuhr. Der Front National verliert ebenfalls Stimmen. Arlette Laguiller und ihre "Lutte Ouvrière" (LO) fallen von 5,72 Prozent der Stimmen beim ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen auf 1,18 Prozent beim ersten Durchgang der Wahlen zur Nationalversammlung zurück. Das Ergebnis unterbietet noch das für die "Ligue Communiste Révolutionnaire" (LCR) des Olivier Besancenot, was einige zum Frösteln bringt. (3)

"Arlette", wie sie von ihren Anhängern kurz bezeichnet wird, ist das gewöhnt. Seit den 60er Jahren steht die nunmehr 62-jährige, seit dem Jahr 2000 verrentete Schreibkraft, ehemalige Angestellte der bis 1999 staatseigenen Bank Crédit Lyonnais, trotzig im trotzkistischen Kampf um die Befreiung der Menschheit vom Joch der Unterdrückung. Seinerzeit wird sie entdeckt von einem gewissen "Hardy", der 1956 die alte, 1940 gegründete trotzkistische Partei des Rumänen David Korner ("Barta") "Union Communiste Internationaliste (UCI)", später "Union Communiste (UC)" unter dem Namen "Union Communiste/Voix Ouvrière" wieder zum Leben erweckt. Diese Partei wird 1968 durch die französische Regierung verboten und einige Zeit später unter dem Logo "Lutte Ouvrière (LO)", benannt nach der Wochenzeitung gleichen Namens, von Hardy wiedereröffnet. Arlette Laguiller wird Sprecherin der LO. (6)

1974 führt sie eine mehrere Monate andauernde Streikbewegung im Crédit Lyonnais an. Der Streik breitet sich auf andere Banken aus. Diese turbulente Zeit des Crédit Lyonnais endet 1976 mit der Ermordung seines Präsidenten Jacques Chaine. (7) Seltsamerweise findet man beim Suchen außer bei ARTE nichts darüber im Internet. Man kann aber sicher davon ausgehen, daß Arlette Laguiller und damit auch Hardy sehr gut über die Interna des Crédit Lyonnais Bescheid wissen. Gegenwärtig liest man große ganzseitige Anzeigen in den französischen Zeitungen über den Verkauf des Crédit Lyonnais an den Crédit Agricole. Dann haben die Turbulenzen vielleicht endlich ein Ende.

Der Bolschewist Hardy hat das Ziel, "den Staatsapparat der Bourgeoisie zu zerstören". Der 1960 in den PSU eingetretenen, dann aber bald zu seiner trotzkistischen Voix Ouvrière gewechselten Arlette bedient er sich dazu. Sie ist sein Geschöpf. LO soll ihre Ideen und ihre Organisation in den Großunternehmen Frankreichs verankern ("implanter"). Nach dem Streik beim Crédit Lyonnais wird die durch den Streik in Paris und in ganz Frankreich als tapfer und mutig bekannt gewordene Arlette Laguiller 1974 erstmalig "als einzige Frau, als einzige Arbeiterin" Präsidentschaftskandidatin. Sie erhält auf Anhieb 2,33 Prozent der Stimmen. Zum Vergleich: Jean Marie Le Pen erreicht 0,74 Prozent. (8)

Am 23. April 1995 erhält sie bei den Präsidentschaftswahlen im ersten Durchgang 5,3 Prozent der Stimmen. Danach kandidiert sie in der Region Île-de-France zum Regionalrat und wird am 15. März 1998 mit 19 anderen LO-Kandidaten gewählt. Am 13. Juni 1999 führt sie die gemeinsame Liste von LO und LCR an und zieht mit zwei weiteren LO und zwei LCR-Kandidaten ins Europaparlament ein. (6)

Unter Hardy's Anleitung verbindet sie sich mit Marc Blondel, von der 1947 mit CIA-Geldern zur Unterminierung der kommunistischen Confédération Générale du Travail (CGT) gegründeten Gewerkschaft "Force Ouvrière (FO)". (9) Zahlreiche Mitglieder der LO sind auch Mitglied der FO. Sie sind in Scharen in den 90er Jahren in die FO eingetreten. Man nennt dies "l'entrisme", Eindringen. (10) François Mitterand und Jean-Pierre Chevènement und ihre Gruppe haben ähnliches seinerzeit auch bei der Section Française de l'Internationale Ouvrière (S.F.I.O.) betrieben und sich so dieser sozialistischen Partei des Jean Jaurès bemächtigt. (11)

Marc Blondel gibt entgegen der Entscheidung aller übrigen Gewerkschaften wie Arlette Laguiller für den zweiten Durchgang der Präsidentschaftswahlen 2002 nicht die Empfehlung aus, zur Vermeidung eines Sieges des Jean-Marie Le Pen, vom Front National, am 5. Mai Jacques Chirac zu wählen. Das erinnert Amnistia.net an den März 2001, da der Kandidat der Rechten, Jean-Christophe Lagarde, vom nationalen Sekretariat der Union pour
la Démocratie Française (UDF) des François Bayrou und des Valérie Giscard d'Estaing, bei den Gemeindewahlen gegen den Kandidaten des PCF, Maurice Niles, seit 36 Jahren Bürgermeister von Drancy, gewinnen kann, weil der Front National unter der Hand den UDF-Kandidaten unterstützt, LO aber eine eigene Liste gegen die übrige vereinigte Linke aufstellt, diese spaltet und so dem Kandidaten Jean-Christophe Lagarde den Weg ebnet. (12)

Ein weiterer Bereich, in dem sich die Zwiespältigkeit des Marc Blondel zeige, sei seine Einstellung zur Privatrentenversicherung zur Altersvorsorge der Beschäftigten. Diese habe er als Gewerkschafter immer vehement als eine der schlimmsten Betrügereien der Unternehmer zur Ruinierung der Arbeitnehmer abgelehnt. In der Zeitschrift "Capital" Nr. 128, vom Mai 2002, erfahre man nun, daß Marc Blondel schon vor zehn Jahren eine derartige Versicherung zum Nutzen des Personals von FO abgeschlossen habe.

Auch bei der "jungen revolutionären Rentnerin" Arlette Laguiller, die Mitglied der FO ist, könne man sich nicht erinnern, daß sie sich energisch bei ihrer Bank gegen einen Sozialplan zur Entlassung von Beschäftigten gestellt habe. Das habe seinen Grund darin, daß ihre Gewerkschaft, die FO, alle Vorschläge der Unternehmensführung des Crédit Lyonnais anstandslos unterschrieben habe. Arlette Laguiller habe dies nicht gehindert, in den Versammlungen der LO unermüdlich und lautstark "gegen Entlassungen, Arbeitslosigkeit und Elend" aufzutreten. (13)

Kommunist sein, das heiße zuallererst, radikal gegen das kapitalistische System zu opponieren, das seine Vorherrschaft dem ganzen Planeten aufdrücke, schreibt sie in ihrem neuen Buch "Mon communisme". Sie habe es deshalb so benannt, weil über den Kommunismus so viele Lügen verbreitet würden. Sie sage jetzt, was der Kommunismus heutzutage einzig sei. Der Kapitalismus, das sei die Ausbeutung der Neuen Welt, der Ruin der amerikanischen Zivilisationen, der Völkermord dort und der Sklavenhandel, um die ausgerotteten Indianer zu ersetzen, die Ausbeutung der Bauern und die Kinderarbeit.

Der Kapitalismus habe die Menschheit im letzten Jahrhundert zweimal in Weltkriege gestürzt, der Kolonialismus dauere weiter fort, England habe den Chinesen in Britisch-Indien produziertes Opium gegeben, in Algerien seien die Dörfer dem Erdboden gleichgemacht und die Ernten zerstört worden usw. Soweit zur europäischen Vergangenheit. Die USA hätten die Vietnamesen unterdrückt und dort ein Marionettenregime aufrecht erhalten, anschließend hätten sie die Halbinsel zerbombt und Agent Orange eingesetzt usw. Soweit zur Vergangenheit der USA.

Gegenwärtig lebe die industrialisierte Welt in einer Wirtschaftskrise. Die Bevölkerung leide unter Entlassungen und Arbeitslosigkeit als Folge der auf Profitgier der Großaktionäre der großen Industrie- und Finanzkonzerne beruhenden Industrialisierung. Auch in dem Industriestaat Frankreich, wo "eine gewisse Anzahl demokratischer Freiheiten" bestünden, seien Armut und Elend nicht beseitigt. Der Staat dulde es, daß die Reichen reicher und die Armen ärmer würden. Die beiden Kandidaten Lionel Jospin und Jacques Chirac unterschieden sich deshalb nicht groß voneinander, weil sie beide nur da seien, um die "Maschine im Sinne der Interessen der Besitzenden laufen zu lassen".

Heute, im Zeichen der Globalisierung der Wirtschaft, könne es keine Frage sein, einen "französischen Kommunismus" aufzubauen, "weil der Kommunismus die Bereitstellung der weltweiten Produktionsmittel, die der Kapitalismus in die gräßlichste Patsche geritten hätte, an die gesamte Menschheit bedeutet". Den Problemen der Umweltzerstörung sei nicht nur mit technischen, sondern vor allem mit politischen Mitteln zu begegnen. Nur die Arbeiter könnten die Interessen aller vertreten. Trotz des relativen Versagens der Russischen Revolution sei Kollektivierung der Großunternehmen, des Transports der Dienstleistungsfirmen sowie der Banken und Versicherungen angesagt.

Um das alles zu erreichen, bedürfe es der Partei der sozalen Revolution. Dieses Ziel hätten der PS und der PCF seit langem für ein Linsengericht der Verwaltung der bürgerlichen Geschäfte verraten. Trotz der Politik, die PS und PCF ab 1981 betrieben hätten, gebe es Hundertausende politisch aktiver Arbeiter, genauso wie eine neue Generation von Arbeitern und Intellektuellen, die auf verschiedenen Wegen lernten, wie krank die Welt sei. Arlette Laguiller, die 40 Jahre ihren politischen Kampf führe, hoffe, eines Tages dieses Ziel zu erreichen. Sie habe in der Zeit Menschen getroffen, denen Selbstlosigkeit, Aufopferung und die Zukunft der Gesellschaft mehr bedeutete als ihr persönlicher Erfolg. Die Befriedigung komme durch die Abwesenheit von Egoismus und aus der Brüderlichkeit derjenigen, die die gleiche Hoffnung und dasselbe Projekt teilten. (14)

Es ist kaum zu fassen, daß 1 630 244 Wähler, d.h. 5,72 Prozent, am 21. April 2002, diesem sozialrevolutionären Kitsch aufgesessen sind. Weitere 1 210 694 Wähler sind ähnlichen Phrasen des diplomierten Historikers und Briefträgers in Neuilly Olivier Besancenot nachgelaufen, und immerhin noch 132 702 Wähler dem Daniel Gluckstein. Vielleicht kann man zu deren Gunsten anführen, daß die meisten das Buch nicht gelesen und auch nicht an den erhellenden Versammlungen der Arlette Laguiller und der beiden anderen Kandidaten teilgenommen haben. Die Schilderung einer solchen Versammlung findet man schon am 10. Juni 1999: "L.O. goodbye". (15)

Nun fehlt nur noch eine Aufklärung, wer dieser ominöse Hardy, Mentor der Arlette Laguiller ist. Dazu versuchen wir, verschiedene Presseorgane zu befragen und erhalten, chronologisch, folgende Auskünfte:

Am 7. Juni 2001 berichtet François Koch, Autor des Buches über Arlette Laguiller und Robert Barcia (8), daß dieser nicht erbaut sei darüber, daß die LCR einen neuen Kandidaten in Gestalt von Olivier Besancenot gefunden habe, um Arlette Laguiller Konkurrenz zu machen. Zu der Zeit verbreitet sich das Gerücht über den Hintermann der "Passionaria der Linken" schon in ganz Frankreich. LCR will für sich daraus Profit ziehen. (16)

Le Monde weiß, am 15. Dezember 2001, daß es sich bei Hardy, dem Mentor von Arlette Laguiller um einen Mann namens Robert Barcia, alias Roger Girardot handele. Letzterer Name sei sein Schriftstellerpseudonym, unter dem er in der LO-Zeitschrift "Lutte Ouvrière" schreibe. Weitere Einzelheiten berichtet die Zeitung nicht, obgleich das Buch von François Koch schon zwei Jahre auf dem Markt ist. (17)

Der Londoner Telegraph berichtet, am 23. März 2002, anekdotische Geschichten über die LO und ihre Kandidatin, "the hottest candidate in the race". Es wird auch berichtet, daß Lionel Jospin, der ehemalige Trotzkist, "in dieser Woche", also Mitte März (!) sein Team angewiesen habe, den Wahlkampf mehr auf die Linke auszurichten, und daß der PCF ebenfalls ein Opfer der Arlette Laguiller werde. Man fotografiere sie beim Essenkochen, ihr Lieblingsessen seien gedünstete Endivien, sie lese kontinuierlich Trotzki, und den Namen des Mannes in ihrem Leben habe sie nicht verraten, es gebe aber einen. (18)

Die ZEIT Nr. 15, vom 8. April 2002, weiß: "Hinter diesem Decknamen verbirgt sich ein Pharmaunternehmer namens Robert Barcia. Quelle: Standard, vom 6.4.2002". Das ist alles. (19)

Rudolf Balmer vom Pariser Frankreich-Informationsdienst, schreibt, am 9. April 2002, über die "Sankt-Arlette, die falsche 'Heilige' der Vorstädte" : "Dieses fast rührende Bild empört unter anderem die Brüder Daniel und Gabriel Cohn-Bendit: 'Nein, Arlette ist keine Heilige. Sie ist die folgsame und ergebene Aktivistin einer (politischen) Sekte, die mit eiserner Hand von einem Guru geleitet wird, dessen Pseudonyme Hardy und Roger Girardot lauten. Er heisst mit wahrem Namen Robert Barcia und ist Hauptaktionär von drei sehr kapitalistischen Dienstleistungsfirmen im Bereich Ärztebesucher.' " (20)

Im Neuen Deutschland liest man, am 16. April 2002, über den "Druck von links außen" einen noch anekdotischeren Artikel als im Telegraph. Robert Barcia wird gar nicht erwähnt. (21)

ZDF-heute weiß, am 18. April 2002, daß LO wie ein Geheimbund nur über ein Postfach zu erreichen und der Drahtzieher der Partei ein gewisser Robert Barcia, kurz "Hardy" genannt, sei; "ein früherer Pharma-Angestellter, fand die Pariser Presse heraus. Er tritt nicht öffentlich auf." (22)

Am 22. April 2002 legt die ZEIT in ihrer Nr. 17/2002 noch einige Anekdoten nach. Über Robert Barcia steht dort: "Herr der Partei ist ein mysteriöser Robert Barcia, 73, der angeblich als 'Mr. Hardy' im Hinter- und Untergrund wirkt." (23)

Die Humanité, deren Partei PCF wohl mit am meisten betroffen ist von den Machenschaften des Robert Barcia und seiner Muse, genauso übrigens wie von der Demagogie eines Alain Krivine und seines Briefträgers Olivier Besancenot, schreibt gar nichts über den Fall Hardy. Aber ausführliche Berichte über die Gründung des Querfrontprojekts Fondation Marc Bloch sind im selben Jahr 1998 zu lesen, in dem Jahr, da François Koch seinen informativen Artikel veröffentlicht.

Bereits am 8. Oktober 1998 erscheint von ihm folgender Artikel im Express: "Dr Barcia et Mr Hardy". Die Überschrift lautet: "Besitzer pharmazeutischer Firmen einerseits, autokratischer Führer der Lutte Ouvrière andererseits, dieser Trotzkist, dringt er in Laboratorien oder bei den Linken ein (fait-il l'entrisme)?"

In dem Artikel berichtet der Autor ausführlich über die brillante Karriere des Geschäftsmannes an der Seite der Chefs der sehr kapitalistischen Pharmaindustrie. Also, von wegen "ein früherer Pharma-Angestellter"! Er habe eine große Fähigkeit, sich zu verstellen. Derselbe Mann sei unter dem Pseudonym Hardy seit 1956 Hauptführer der Union Communiste (Lutte Ouvrière), einer extrem linken trotzkistischen Organisation, deren Ziel "die Zerstörung des Staatsapparates der Bourgeoisie" sei. Der Bolschewist Hardy hat die berühmte Arlette Laguiller ausgebildet und eingesetzt. 5,3 Prozent der Stimmen bei den Präsidentschaftswahlen 1995 und 20 Regionalräte 1998 seien der Erfolg gewesen. Seit mehr als 40 Jahren seien das Gesicht und die Identität des Hardy eines der meistgehüteten Geheimnisse des französischen politischen Lebens.

Hardy ist ein sehr bürgerlicher Unternehmenschef, schreibt François Koch. Er hat 1968 und 1971 die Firmen Epmed (Études et publicité médico-pharmaceutiques) und OPPM (Organisation promotion prospection marketing), zwei auf die Schulung von Pharma-Vertretern spezialisierte Firmen gegründet. Diese Vertreter arbeiten für die jeweilige pharmazeutische Firma. Wenn es sich um die Effizienzsteigerung dieser Vertreter handele, sei Hardy ein sehr kompetenter Professioneller.

1989, als die Vertreter diplomiert sein müssen, entwickelt er auf Vermittlung des Syndicat national de l'industrie pharmaceutique (Snip), dem nationalen Pharmaverband, ein Spezialprogramm der medizinischen Fortbildung. Barcias Firmen arbeiten auf der Grundlage spezieller Beziehungen mit den Laboratorien Elerté d'Aubervilliers. Deren Präsidentin wisse nichts von den politischen Aktivitäten des Hardy. Dieser ist 1973 Mitbegründer eines Netzes medizinischer Visiten (Adrev). Dort sei man ebenfalls entsetzt über Hardy's Doppelleben. Adrev hat seinen Sitz in der Rue Rouvet, im 19. Pariser Arrondissement, dem Sitz auch von Epmed und OPPM, deren gegenwärtige Direktoren 1995 bei den Wahlen zur Nationalversammlung für die LO kandidierten. Der Mitbegründer des Adrev, der aktuelle Exportdirektor der Laboratorien Roche sei ebenfalls überrascht. Er kenne Barcia seit 27 Jahren, und ihm sei er vollständig integriert in ihr politisch eher liberales Universum erschienen. Er habe sich immer in sehr gemäßigtem Ton geäußert. Er vermute deshalb "zwei Männer in einem".

Die Direktorin für soziale Belange des Pharmaverbandes Snip, die Barcia erstmalig 1973 traf, überbietet dies noch: für einige seiner Unternehmerfreunde oder Führungskräfte, die sich von Barcia betrogen vorkämen, würden manche Erinnerungen schmerzhaft. Bei einem Adrev-Abendessen, wo es politische Diskussionen gegeben, man seine Sympathien für die Rechte durchblicken lassen und sich reichlich über Arlette Laguiller lustig gemacht habe, hätte Barcia nicht reagiert. Einige andere könnten sich jetzt erklären, warum er nie über sein außerberufliches Leben gesprochen habe. In seinen Unternehmen sei es autoritär zugegangen. Zwei Pharma-Vertreterinnen seien gefeuert worden, und um die betriebliche Schlichtungskommission (les prud'hommes) zu vermeiden, hätten die beiden Frauen großzügige Abfindungen bekommen. Die Gründe der Kündigungen waren, daß die eine Frau, Mutter zweier Kinder, um Teilzeitarbeit gebeten habe, die andere sei einige Monate nach der Rückkehr aus dem Mutterschaftsurlaub entlassen worden.

Einmal habe Robert Barcia wohl für Sekunden seine Maske fallengelassen, in dem er einem Unternehmenschef anvertraut hätte, er habe die Folterkammern Francos gekannt. (8)

Ob als Opfer oder als Täter, sagte Robert Barcia nicht.

Wir fragen uns, wozu die Journalisten und Medien da sind, wenn sie derartig dürftige Informationen in die Welt streuen. Oder muß man vermuten, daß dies Absicht ist?

Wir gehen davon aus, daß die französischen Geheimdienste, und nicht nur diese, sondern auch alle übrigen in Europa und in den USA genau wie die französischen Medien und sämtliche Politiker, nicht nur die Brüder Cohn-Bendit, seit langem, einige vielleicht von Anfang an, von diesen Machenschaften des Robert Barcia wissen. Warum wurde nichts bekannt? Wer hat ein Interesse daran, daß die korrupte, undemokratische LO und diese falsche "Heilige", die linksradikale Opponentin des "Einheitsdenkens", ihr Unwesen über mehr als 30 Jahre treiben können? Warum ist es niemandem unangenehm aufgefallen, daß die Partei nur eine Postfachadresse hat, wie wir den Quellen entnehmen können?

Cui bono?

Anmerkungen:

(1) 'Marc Bloch', fondation plurielle contre la 'pensée unique', L'Humanité, 19 mars 1998 - http://www.humanite.presse.fr/journal/98/98-03/98-03-19/98-03-19-075.html

(2) ATTAC - Association pour une Taxation des Transactions financières pour l'Aide aux Citoyens

Die internationale ATTAC-Bewegung wurde bei einer Sitzung mit Teilnehmern aus unterschiedlichen Ländern während eines Treffens am 11-12. Dezember 1998 in Paris ins Leben gerufen. http://attac.org/indexfla.htm

"Alles über ATTAC: Die Gründung von ATTAC ist das Ergebnis der Ablehnung eines wirtschaftlichen Einheitsdenkens, einer von eher arroganten als fähigen 'Eliten' monopolisierten Entscheidung und einer Unterordnung der Demokratie unter die finanzielle Autokratie."

"Tout sur ATTAC: La fondation d'ATTAC est le résultat du refus d'une pensée économique unique, d'une décision monopolisée par des 'élites' plus arrogantes qu'expertes, et d'une sujétion de la démocratie à l'autocratie financière."

http://france.attac.org/

Les causes d'un séisme politique (dort auch die Graphik)

http://perso.wanadoo.fr/metasystems/ElectionsFR.html

Enarchen = Absolventen der École Nationale d'Administration, der Elite-Verwaltungshochschule

(3) Vers une ère (bi)polaire. Politique

http://www.libres.org/francais/politique/archi/politique_062002/legislatives_p243.htm

(4) L'unique dictionnaire de la pensée unique - http://persoweb.francenet.fr/~mbonnaud/dicopens.html
Ignacio Ramonet ist Gründer und Ehrenpräsident von ATTAC France und Chefredakteur der Le Monde diplomatique, Bernard Cassen ist ATTAC-Präsident und Generaldirektor der Le Monde diplomatique.

(5) La pensée unique, par Ignacio Ramonet, Le Monde diplomatique, janvier 1995,
http://www.monde-diplomatique.fr/1995/01/RAMONET/1144

(6) Lutte Ouvrière - http://francepolitique.free.fr/PLO2.htm  sowie Présidentielle 2002 - la biographie d'Arlette Laguiller - http://www.lutte-ouvriere.org/elc2002/pre/al-bio.html

(7) La saga du Lyonnais. arte-tv. - http://www.arte-tv.com/special/credit/ftext/ftext06f.htm

(8) Dr Barcia et Mr Hardy, par François Koch, L'Express du 8/10/1998
http://www.lexpress.fr/Express/Info/France/Dossier/lo/dossier.asp?nom=barcia
Siehe auch das Buch des Journalisten beim Express François Koch: La Vraie nature d'Arlette - Collection Contre-enquête, Èdition du Seuil 1999, sowie Lutte ouvrière: les moines soldats du trotzkisme. In: Le Monde Libertaire. Dokumentiert unter UCI/LO Union Communiste Internationale - http://decrypt.politique.free.fr/partis/lo/lo.shtml
Dort finden sich weitere Artikel zum Thema.

(9) Glossaire, mode d'emploi - À ma gauche le "Club des 5" http://www.abri.org/la.serie/glossaire/bas.htm
Siehe dazu auch: Confédération Générale du Travail (CGT), Januar 2002
http://www.wanadoo.fr/socialocommunisme-verite/cgt.htm

(10) Lexique Politique "Entrisme" - http://decrypt.politique.free.fr/lexique/entrisme.shtml

(11) (36) D'Épinay au Panthéon - http://www.cliosoft.fr/05_01/epinay_pantheon.htm  

(12) F.O. et L.O., même combat .... Amnistia.net, 25. April 2002
http://www.amnistia.net/librairi/amnistia/n16/lo-fo.htm

(13) Blondel/Arlette: un front commun. Amnistia.net, 21. Mai 2002
http://www.amnistia.net/librairi/amnistia/n17-18/blondarl.htm

(14) Présidentielle 2002 - "Mon communisme d'Arlette Laguiller
http://www.lutte-ouvriere.org/elc2002/pre/al-com.html

(15) L.O. goodbye. In: Palimpseste - Panoramique de mes Prédispositions
http://perso.wanadoo.fr/ppp/archives/990610.htm

(16) Élysée 2002 - Bras de fer à l'extrême gauche, par François Koch. L'Express, 7. Juni 2001 zitiert auf der Site der LCR - http://www.lcr-rouge.org/presse/presse44.html

(17) Le Docteur Barcia alias Hardy, par Caroline Monnot. Le Monde, 15. Dezember 2001, zitiert in: Lutte ouvrière, 2ème partie - http://pageperso.aol.fr/vanbatten/TROTSKISMEloII.html

(18) Red flag brings a touch of colour to French poll, by Philip Delves Broughton in Paris and Harry de Quetteville in Limoges. Daily Telegraph, vom 22. März 2002 - http://www.telegraph.co.uk

(19) Frankreich wählt. Trotzkismus - Gehirn der neuen Revolution. In: Die Zeit Nr. 15, vom 8. April 2002 http://www.zeit-fragen.ch/ARCHIV/ZF_91a/T11.HTM

(20) Rudolf Balmer: Sankt-Arlette, die falsche 'Heilige' der Vorstädte. Frankreich-Informationsdienst, 9. April 2002 http://perso.wanadoo.fr/balmer/arlette.html

(21) Ralf Klingsieck, Paris: Trotzkistin Arlette Laguiller gräbt Kandidaten von Sozialisten und Kommunisten Stimmen ab. In: ND, vom 16. April 2002
http://www.kpoe.at/presseblick/0251.html

(22) Immer auf der Seite der Arbeiter. ZDF-heute, vom 18. April 2002
http://www.heute.t-online.de/ZDFheute/artikel/0,1367,POL-181496-182042,00.html

(23) Dieter Wild: Feuert die Manager. Die "Tolle": Wie Arlette Laguiller, die "Königin der Trotzkisten", den französischen Wahlkampf belebt. In: Die Zeit Nr. 17, vom 22. April 2002 http://www.zeit.de/2002/17/Kultur/print_200217_arlette.html

Editorische Anmerkungen

Der Artikel wurde uns von Gudrun Eussner zur Verfügung gestellt. Außerdem wurde er bei
hagalil.com veröffentlicht.