Irak-Krieg
Um was es eigentlich geht

von
Joachim Hirsch
12/02
 
 
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"Verstimmung" ist ein Euphemismus für das Verhältnis zwischen der US-amerikanischen und deutschen Regierung. Es geht um einen offenen Konflikt ähnlich deutlich dem der sechziger Jahre, als sich Adenauer Kennedys Entspannungspolitik zu widersetzen versuchte. Heute sind die Vorzeichen gewissermaßen umgekehrt. Wie die Ideen, so blamieren sich auch die Solidaritäten, wenn sie mit den Interessen zusammenstoßen. Und diese sind in der Tat höchst unterschiedlich.

Regierungsoffiziell und in den Medien geht es um Unterschiede hinsichtlich der Einschätzung der Gefährlichkeit von Saddams Regime. Und über die möglicherweise desaströsen Folgen eines dritten Golfkriegs für die politische Stabilität der Region. Diese sind wahrscheinlich, aber schlecht kalkulierbar. Über das irakische Bedrohungspotential müssten die diversen Geheimdienste indessen eigentlich einigermaßen informiert sein. Sicher ist jedenfalls, dass er auf jeden Fall eine enorme Gefahr für sein eigenes Volk darstellt. Von dessen Interesse her gesehen, wäre ein US-Marionettenregime in Bagdad und das Ende des Wirtschaftsboykotts möglicherweise sogar die bessere Alternative. Indessen geht es darum überhaupt nicht.

Was bringt die US-Regierung dazu, dem von ihren Vorgängerinnen gepäppelten Gewaltherrscher und Massenmörder jetzt den Garaus machen zu wollen – Sicherheit hin, Risiken her? Das Interessenszenario hat sich seit dem ersten Golfkrieg, als Saddam mit Unterstützung der USA den Iran angriff, nicht grundsätzlich verändert. Verändert haben sich allerdings die weltpolitischen Kräftekonstellationen. Es geht nicht nur um Öl, auch wenn das nicht unwichtig ist, sondern um sehr viel weiterreichende geostrategische und wirtschaftliche Interessen. Die globale Konfliktlinie des beginnenden 21. Jahrhunderts verläuft zwischen den USA und China, in gewissem Umfange auch Russland, und in diesem Spiel kommt dem mittleren Osten und Zentralasien eine besondere Bedeutung zu. Der unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung geführte Afghanistan-Einsatz war nur ein Vorspiel dazu. Es geht darum, wer diese Region militärisch und wirtschaftlich kontrolliert. Dabei spielt nicht zuletzt der Iran als politisch, wirtschaftlich und militärisch wichtige Kraft eine wichtige Rolle. Ein Angriff auf den Irak würde sich auch und erneut gegen ihn richten. Er würde den schwierigen und kritischen Reform- und Modernisierungsprozess in diesem Land den Garaus bereiten und den USA zu militärischen Stützpunkten an seinen Grenzen verhelfen. Ganz abgesehen davon, dass der nach erfolgreicher Beendigung des Krieges erwartbare Fall des Ölpreises die iranische Wirtschaft in enorme Schwierigkeiten bringen würde.

Hier liegen die entscheidenden Interessendivergenzen insbesondere zwischen Frankreich und Deutschland auf der einen, den USA auf der anderen Seite. Und deshalb ist Schröders Distanzierung von der US-Kriegspolitik mehr als ein Wahlkampfmanöver. Die europäischen Staaten sind dazu gezwungen, mangels ausreichender militärischer Potentiale ihre Interessen im Wege der Kooperation mit den dortigen Regimen durchzusetzen. Dies gilt insbesondere für den Iran, dessen "Zivilisierung" und "Modernisierung" von der EU unterstützt wird, weniger aus menschenrechtlichen und demokratischen Erwägungen, sondern aus platten ökonomischen Interessen heraus. "Großanlagenbau warnt vor Militärschlag gegen Irak" titelte die "Frankfurter Rundschau" in ihrem Wirtschaftsteil vom 11.10.02. Es geht in der Tat um wesentliche Zukunftsmärkte. Den EU-Staaten kann es nicht gleichgültig sein, wenn die USA die völlige Kontrolle über diese Region übernehmen, sie können sich aber auf eine gemeinsame Politik nicht verständigen. Innerhalb der Bush-Administration war dieses strategische Szenario von Anfang an eine strategische Option, wie auch der Angriff auf Afghanistan schon vor dem 11. September geplant war. Die Anschläge von New York und Washington haben der Rumsfeld-Cheyney-Gruppe und was an Interessen hinter ihnen steht, nur zum endgültigen Durchbruch verholfen. Was auf der Tagesordnung steht, ist ein imperialistischer Krieg, der durch die absolute militärische Vorherrschaft der USA seine besondere Note erhält. Das neue "Empire" trägt bemerkenswert deutlich die Züge des alten.

Man kann sich fragen, was die politisch herrschenden Kräfte in den USA eigentlich umtreibt. Bei der Irak-Intervention geht es nicht nur um regionale politische und militärische Risiken. Die Legitimität der Vereinigten Staaten als politische Führungsmacht würde durch einen erneuten Völkerrechtsbruch und den Übergang zur völlig unverholenen Aggressionspolitik noch stärker angeschlagen und es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Kosten eines Kriegs die ohnehin labile US-Ökonomie und damit auch die Weltwirtschaft endgültig ins Debakel führen. Momentan verhalten sich die USA wie ein im Niedergang um sich schlagender Riese, der nur noch Gewalt als politisches Mittel kennt. Das endgültige Ende des amerikanischen Zeitalters also? Könnte sein, wenn sich nicht in den USA wieder Kräfte formieren, die aus schlichtem eigenem ökonomischen und politischen Interesse einen Politikwechsel durchsetzen. Bei allen Unterschieden: nicht nur in Bagdad, sondern auch in Washington wäre eine Regierungswechsel dringend nötig.

Interessant ist, dass in der hiesigen Berichterstattung und Debatte diese Interessenlage kaum und wenn, dann eher beiläufig thematisiert wird. Dies ist erstaunlich, weil sie in einschlägigen Fachzeitschriften, nicht zuletzt US-amerikanischen, ganz offen behandelt wird. Dahinter steht ein Dilemma der europäischen Politik, dem die zwar nicht unbedingt regierungs-, aber auf jeden Fall staatsfrommen deutschen Medien Rechnung tragen. Jenseits aller Interessendifferenzen bleiben die politisch und ökonomisch Mächtigen auch hierzulande auf den Rückhalt der USA angewiesen. Diese vor allem sind es, die Privateigentum, Marktwirtschaft sowie den Zugang zu Ressourcen, Investitions- und Absatzgebieten in den unsichereren Teilen der Welt zu garantieren vermögen. Daraus ergibt sich ein höchst komplexes Kooperations- und Konfliktverhältnis zwischen den Staaten des kapitalistischen Zentrums. Am Ende könnte die so gemeinte "uneingeschränkte Solidarität" eventuell dann doch wieder zum Zuge kommen. Wohlverhalten gegen kleine ökonomische Konzessionen, so wie es Bushs Pudel Blair anstrebt.
 

Editorische Anmerkungen

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