Asiatische Homophobie überbewertet

von Red. ColorQ.org

12/03    trend onlinezeitung

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Eine asiatische Einwanderin in den USA erinnert sich daran, dass sie mit einer weißen Freundin Schluss gemacht hat, weil diese ihre Kultur und ihren Hintergrund nicht respektierte. Der Immigrantin zufolge hatte die weiße Frau kein Interesse, die Kämpfe und Aufopferungen der Familie ihrer asiatischen Freundin zu verstehen. "Sie wollte meine große weiße Erlöserin sein. Mir den amerikanischen Weg zeigen", sagte die Asiatin. "Später fand ich heraus, dass ihre Verabredungen mit migrantischen Frauen Teil eines bestimmten Verhaltensmusters waren."

Wie heterosexuelle Weiße glauben auch viele weiße Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgenders, dass farbige Frauen (oder im Fall von schwulen Männer ihre angenommenermaßen "passiven" asiatischen oder "sexuell-aggressiven, gut bestückten" schwarzen Freunde) aus ihren Herkunfts-Communities "befreit" werden müssten, die von Weißen als inhärent fehlerhaft wahrgenommenen werden. Diese Denkweise hat ihren Ursprung in der kolonialistischen europäischen Heuchelei – dem Bedürfnis, die Ausbeutung von farbigen Frauen als für diese vorteilhaft darzustellen.

Ein ausgezeichnetes Beispiel ist das Phänomen der Frauen aus dem Katalog. Südostasiatische Frauen werden in die USA gebracht, um europäisch-amerikanische Männer zu heiraten, die sie nie zuvor getroffen haben. Weiße Männer brüsten sich damit, dass sie armen asiatischen Frauen ein besseres Leben bieten, während sie die ökonomischen, sozialen oder ethnischen Ungleichheiten ausblenden, die Frauen zu solchen Entscheidungen motivieren. Viele der Frauen, die man in die USA schleppt, werden von ihren "Ehegatten" missbraucht, und auch wenn es nicht dazu kommt, muss man fragen: "Warum posieren europäisch-amerikanische Männer nicht selber in den Bildkatalogen, um von philippinischen oder Thai-Frauen betrachtet zu werden und sich der Hoffnung hinzugeben, als Ehemänner nach Südostasien geschickt zu werden?"

Die "Rettermentalität" ist ein Produkt einer europäischen männer-dominierten heterosexistischen Weltsicht, die für queeres Leben eigentlich keine Relevanz haben sollte. Ironischerweise wird sie aber von weißen Lesben praktiziert, die nicht eine Sekunde zögern, bei interethnischen Kontakten die Rolle des "dominanten weißen Männchens" einzunehmen.

Sind Asiaten homophober?

Sind asiatische Gesellschaften "von Natur aus" homophober als aufgeklärte europäische bzw. eurozentrische Gesellschaften?

Lasst uns einen Blick auf die 90er Jahre werfen:

"Internationale" (aka westliche) Nachrichtenquellen berichten, dass man zwei iranische Jugendliche, die als Homosexuelle bezichtigt wurden, bestrafte, indem man eine Mauer über sie einstürzen ließ. Das passt in die dominante amerikanische Sicht des Iran als eines geistesgestörten Ortes, der von religiösen Fanatikern islamischen Glaubens regiert wird. Um den amerikanischen Film Nicht ohne meine Tochter zu zitieren, der im Iran spielt: "Dies ist ein primitives, rückständiges Land!!!"

Aber was ist mit dem unbekannten Vorfall, der in einer amerikanischen Schule geschah? Ein mutmaßliche Lesbe, etwa 15 Jahre alt, wurde Opfer einer Gruppenvergewaltigung von Klassenkameraden. Eine Mitschülerin, die ihr nach Hause half, sah das Blut ihre Beine hinunterlaufen. Sie war eine Jungfrau bis zu ihrer Vergewaltigung. Aus Angst, dass ihre Mutter ihre angebliche sexuelle Orientierung erfahren könnte, berichtete sie den Vorfall nicht. Wäre über diese scheußliche Menschenrechtsverletzung berichtet worden, hätte es das internationale Publikum als ein Beispiel für die "wilde, primitive USA" gelesen!

Während der Vorfall im Iran das Resultat des Urteils eines Religionsgerichts in einer offenen und selbsterklärtermaßen feindlichen Umgebung war, fand der Vorfall in den USA in einer Schule statt, wo man annimmt, dass Kinder sicher seien. Im iranischen Beispiel initiierten religiöse Autoritäten die Gewalthandlung, im amerikanischen Beispiel waren Kinder die Vergewaltiger. Wenn du mich fragen würdest, welcher der zwei schockierenden Vorfälle den verschlungeneren Alptraum darstellt, würde ich den aus den USA wählen.

Sexuelle Beziehungen zwischen Frauen sind illegal in Indien. Keine Frau wurde bis jetzt verfolgt. Im Dezember 1998 attackierte ein vandalisierender Mob, der von der rechtsradikalen religiösen Hindugruppe Shiv Shena mobilisiert worden war, Kinos, in denen Fire, ein indischer Film mit lesbischer Thematik, gezeigt wurde. Damit weiße Amerikaner sich nicht selbstgerecht auf ihre Brust klopfen und behaupten, wieviel besser Schwule und Lesben in Amerika behandelt würden, denkt bitte an den Neonazi, der zwei schwule Männer ermordetete und Synagogen in Brand steckte. Was ist mit der lesbischen Frau, die von einem Auto überfahren wurde, während die Gruppe Jugendlicher hinter dem Steuer schrie: "Stirb, Lesbe!'?

In vielen nicht-weißen Gesellschaften, asiatische Nationen eingeschlossen, genießen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgenders Privilegien, von denen europäische bzw. europäisch-amerikanische Queers nur träumen können. (Hier klicken um den Artikel von ColorQ über "Queers" in der nicht-europäischen Welt zu lesen.)

Differenzen zwischen asiatischer und europäisch/amerikanischer Homophobie

Asiatische Gesellschaften sind nicht notwendig der Himmel, wenn es um Homosexuelle geht. Eltern beweinen, tadeln, ja enterben ihre queeren Kinder, besonders im Fall von Söhnen, die die Famlienlinie weiterführen sollen. Aber asiatische Gefühle der Missbilligung verblassen im Vergleich zum gewalttätigen homophoben Hass vieler europäisch-amerikanischer Familien. Ein amerikanischer Vater versuchte den Kopf seines Sohnes mit einem Hammer einzuschlagen, nachdem er herausgefunden hatte, dass er schwul ist. Dies zum Thema amerikanische Familienwerte.

Einige Asiaten, besonders diejenigen, die von europäischer bzw. europäisch-amerikanischer Kultur beeinflusst sind, wenden sich von FreundInnen ab, wenn sie herausfinden, dass diese "anders" sind. Aber eine solche passive Zurückweisung ist nichts verglichen mit dem tiefsitzenden irrationalen Hass, den einige europäischstämmige AmerikanerInnen ihren lesbisch-schwulen FreundInnen auftischen. Ein schwuler Amerikaner glaubte, es sei weise, seinem besten High-School-Freund zu erzählen, dass er schwul ist, bevor sie Zimmergenossen auf dem College würden. Das Resultat: der schwule Junge wurde auf dem Hof seines Hauses bewusstlos geschlagen und ging mit einer Gehirnerschütterung ins Krankenhaus. So viel zu Freundschaft. Und es gibt den wohlbekannten Fall von Brandon Teena, einem Transgenderjugendlichen, der von zwei früheren Freunden vergewaltigt und ermordet wurde, nachdem sie entdeckt hatten, dass er eine biologische Frau war.

Doch sogar im homophoben Milieu der USA können asiatisch-amerikanische Gemeinschaften akzeptierender gegenüber sexuellen und geschlechtlichen Minoritäten sein als europäisch-amerikanische Communities. Ann, eine Lesbe aus New York, erklärte: "Wir haben unsere Parade am philippinischen Unabhängigkeitstag, während irische Lesben und Schwule [am St. Patrick's Day] nicht mitmarschieren können. Bei Filipinos ist das aber in Ordnung... Wenn Fragen über schwul-lesbische Rechte oder die Rechte von Kindern oder irgendwelche anderen Minderheitenrechte auftauchen, halten die Frauen ihren Schirm nach oben. Wenn Lesben diskriminiert werden, sind es immer die Frauen, die uns unterstützen. So schaut es bei uns in der Filipino Community aus." [1]

Homophobie ein europäischer Import?

Homosexuelles Verhalten und Geschlechtertausch existieren in Asien und Australien – genau wie auf anderen Kontinenten – seit prähistorischen Zeiten. Viele Nichtweiße haben einen Platz für Queers im öffentlichen Leben oder hatten ihn wenigstens bis vor kurzem.

Es gibt Grund zu der Annahme, dass Homophobie und die Limitierung von Geschlechtsidentitäten in modernen asiatischen (und anderen nicht-europäischen) Gesellschaften ein europäischer Import ist. Singapur ist dafür bekannt, Lesben zu tolerieren. Von Schwulenklatschen hat man so gut wie noch nie etwas gehört. Trotzdem können schwule Männer nach Singapurs Sodomiegesetzen, einer britischen Hinterlassenschaft, verhaftet werden. Die meiste Homophobie geht von sich als "westlich" stilisierenden SingapurianerInnen aus, die versuchen, europäische Werte nachzuäffen und ihre asiatischen Traditionen als "heidnisch", "gottlos" und anderes mehr zu denunzieren. Politiker akzeptieren ihre westliche Erziehung als den normativen, universellen Standard und brüsten sich damit, dass sie eine angelsächsische Version von "Moral" hochhalten.

In Thailand sind Transvestiten ein häufiger Anblick; Homosexuelle sind sichtbar und in jedem Lebensaspekt, von der Grundschule bis zum College und darüber hinaus, akzeptiert. Die meisten heterosexuellen Thais haben Verwandte und Freunde, die offen schwul sind. Aber in Laos, einem benachbarten Land mit ähnlicher materieller Kultur und Sprache, müssen sich Queers verstecken. Thais und Laotianer sind so sehr verwandt, dass sie ihre Sprachen gegenseitig verstehen; Differenzen in der nationalen Küche sind minimal. Der einzige substanzielle Unterschied besteht darin, dass Laos eine französische Kolonie war, während Thailand niemals von den Europäern kolonialisiert wurde. Einige BeobachterInnen schreiben die schwierige Situation für Queers in Laos dem kulturellen Erbe der Europäer zu.

Die europäische bzw. europäisch-amerikanische Einstellung, dem Rest der Welt zu zeigen, wie man eine nicht-sexistische, nicht-homophobe Gesellschaft sein kann, ist kaum angemessen, bedenkt man, dass es in erster Linie Europäer und europäischstämmige Amerikaner waren, die ihr kulturelles Übel einer virulenten Homophobie in die nicht-europäische Welt exportierten.

[1] Lipat, Ordona, Stewart and Ubaldo, "Tomboy, Dyke Lezzie, and Bi: Filipina Lesbian and Bisexual Women Speak Out", Filipino Americans: Transformation and Identity, ed. Maria P.P. Root, 239.

Weitere Literatur

  • The Love of the Samurai : A Thousand Years of Japanese Homosexuality Tsuneo Watanabe, Jun'Ichi Iwata
  • Passions of the Cut Sleeve : The Male Homosexual Tradition in China Bret Hinsch
  • Male Colors : The Construction of Homosexuality in Tokugawa Japan Gary P. Leupp

 

Editorische Anmerkungen

Der Artikel ist eine Übersetzung von http://www.colorq.org/Articles/2000/asianover.htm durch Leute von "X-berg". Von dort wurde der Artikel gespiegelt http://x-berg.de/gender/03/11/19/0744219.shtml
und kann dort auch diskutiert werden.