Frankreich, Deutschland, die USA und ihr Ringen um Einfluss im Iran  

von Bernhard Schmid, Paris

12/03    trend onlinezeitung

Briefe oder Artikel info@trend.partisan.net ODER per Snail: trend c/o Anti-Quariat 610610 Postfach 10937 Berlin
Seit längerem bildet der Einfluss im Iran, der immer noch eine potenziell mächtige Regionalmacht bleibt, einen Zankapfel innerhalb der EU, aber vor allem auch zwischen den EU-Mächten und den USA.

Einleitung

Wenigstens ein Verlierer steht schon fest. Noch ist unbekannt, welche gesellschaftlichen Kräfte letztendlich von den aktuellen Umbrüchen im Mittleren Osten profitieren werden, die mit der Invasion im Irak angestoßen wurden ­ die USA? die islamischen Fundamentalisten? oder sollten es gar progressive Kräfte sein, wie manche Optimisten meinen? Dagegen weiß man bereits, wer derzeit das Los mit der Aufschrift "Niete" gezogen hat.

Bis zum 31. Dezember 2003 muss die Organisation der aus dem Iran stammenden Mujahedin-e Khalq (ungefähr: Kämpfer des Volkes; mujahedin ist aus derselben arabischen Wurzel abgeleitet wie djihad) den Irak verlassen. Dazu wurde sie vorige Woche ultimativ vom provisorischen Regierungsrat, den die von US-Amerikanern geführte Koalition eingesetzt hat, aufgefordert. Journalisten der französischen Tageszeitung Libération, die vor das Trainingscamp der Organisation in Ashraf (rund 100 Kilometer nordöstlich von Bagdad) gelangen konnten, denen aber von US-Amerikanern der Zutritt verwehrt wurde, berichteten von Vorbereitungen zum Abbruch der Zelte. Der Irak hatte bisher das wichtigste Hinterland der autoritären Oppositionsbewegung gebildet, nachdem diese bereits im Juni 2003 aus ihrem internationalen Hauptquartier in der Nähe von Paris vertrieben worden war (vgl. http://jungle-world.com/seiten/2003/26/1164.php ).

Die irakische Klientel, die durch die bewaffnete Organisation unter Führung von Massud Radjawi unterhalten worden war, beschuldigt die schiitischen Parteien und ihre Verbindung zum Iran, für den Beschluss verantwortlich zu sein. Tatsächlich hat der Regierungsrat ihn einstimmig gefasst. Unterschiedliche Motive dürften in die Entscheidung eingeflossen sein, unter anderem auch die Erinnerung daran, dass die geschätzten 10.000 Bewaffneten der Mujahedin-Organisation dem baathistischen Regime bei der blutigen Niederschlagung der Aufstände von Kurden und Schiiten im Frühjahr 1991 zur Hilfe kamen. 

Daneben dürfte aber durchaus auch eine Rolle spielen, dass derzeit der schiitische Politiker Abel-Aziz al-Hakim vom SCIRI (Oberster Rat der Islamischen Revolution im Irak) den Vorsitz im Regierungsrat inne hat. Er gilt als dem Iran nahe stehend. Im Nachbarland hat das Regime lange Zeit seine brutale Repression ­ der keine strukturierte Oppositionskraft entrann ­in besonderem Maße auf die früher einmal als "linksislamistisch" geltende Bewegung konzentriert. Nach wie vor liegt ihm ganz besonders an der Vernichtung dieser Rivalen, die offiziell als monafeqin (Heuchler, falsche Moslems) bezeichnet werden. Ein Vorwurf, der im Iran noch schlimmere Folgen hat als jener, "gottlos" zu sein.

Die Organisation ist allerdings auch in der iranischen Bevölkerung verhasst. Dabei spielen ihre autoritären Methoden eine Rolle, aber vor allem auch die Tatsache, dass sie - ihre Truppen waren damals in die reguläre Armee der irakischen Diktatur integriert - nach dem Waffenstillstand am Ende des achtjährigen blutigen Krieges zwischen beiden Nachbarstaaten im Herbst 1988 im Westiran einfiel. Die Mujahedin glaubten, dass die Einwohner nur auf sie, als "Befreier", sehnsüchtig gewartet hätten. Tatsächlich hatte die kriegsmüde Bevölkerung keinerlei Bedarf an einer Truppe, die nur neues Blutvergießen und im Falle ihres Erfolges eine neue, eigene Diktatur gebracht hätte. Im Anschluss an das gescheiterte Abenteuer der Mujahedin im Westiran kam es freilich zu drastischen Folgen, denn in den unmittelbar folgenden Monaten wurden im Iran alle Knäste von politischen Gefangenen leergeräumt, durch breit angelegte Massenhinrichtungen. Dahinter steckte einerseits die Furcht, dass hier noch eine Keimzelle von künftiger Opposition vorhanden sein könnte, würden diese Leute einmal freigelassen. Andererseits war es auch eine "bequeme" Methode, um ein lästiges Problem los zu werden, bevor man die geplante "Öffnung zum Westen" einleiten würde.

Die Instrumentalisierung der Mujahedin durch USA und EU

Die USA spielten monatelang Zusammenhang mit den Mujahedin ein doppeltes Spiel. Das State Department, Außenministerium der USA, hat die Organisation auf die Liste "terroristischer Organisationen" setzen lassen. Dagegen hatte man in Kreisen rund um das Pentagon im Laufe des Frühjahrs damit geliebäugelt, die Mujahedin noch als potenzielle Stütze bei einer Bekämpfung des Regimes in Teheran zu benutzen. Offenkundig hat sich aber die erste Linie durchgesetzt. Dabei spielt eine Rolle, dass die USA im Irak derzeit genug Ärger haben, um sich auf Abenteuer mit ungewissem Ausgang im Irak einzulassen. Aber wohl auch die Erkenntnis, dass die Mujahedin im Iran definitiv unpopulär sind.

Ähnlich zwiespältig war lange Zeit die Haltung der Europäischen Union. Auch in der EU stehen die Mujahedin mittlerweile auf der Liste der terroristischen Organisationen. Das war nicht immer so: Im Mai 1989 hatte ein Votum des Europaparlaments die Mujahedin und den von ihnen dominierten "iranischen Widerstandsrat" noch als einzig legitime Vertreterin der iranischen Bevölkerung anerkannt.

Anfang der 80er Jahre waren die Mujahedin, die 1962 (durch einen anfänglich maoistisch beeinflusst harten Kern) gegründet worden waren und die sich später an der "Allianz aus Islam und Sozialismus" versuchten, tatsächlich eine äußerst populäre Organisation im Iran gewesen. Vor allem die zwischen verschiedenen Einflüssen hin- und hergerissenen Mittelklassen setzten nach der Revolution gegen das Schah-Regime, an der heterogene Kräfte (von Islamisten, die als politische Kraft durch alle anderen Strömungen sträflich unterschätzt worden waren, da man sie für realitäts-untauglich hielt, über Liberale bis hin zu linken Massenbewegungen) beteiligt waren, und mit dem Einsetzen der auf dem Fuße folgenden islamistischen Konterrevolution in hohem Maße auf die Mujahedin. Sie erblickten in ihnen eine vermeintlich "gemäßigte" Alternative, da sie nicht "zu islamistisch" seien (wie die Anhänger der Khomenei-Fraktion, die bereits 1979 aktive und passive GegnerInnen zu terrorisieren begannen) noch "zu sozialistisch in ihren ökonomischen Zielen" wie etwa die guevaristischen "Feddayin des Volkes", die ebenfalls in der Anti-Schah-Bewegung erstarkt waren.

Die Mujahedin, die zeitweise bis zu 300.000 Mitglieder hatten, nahmen am Anfang der Konterrevolution aber auch an den Repressionsorganen der nunmehr begründeten Islamischen Republik (dschumhurij-e eslamija) teil. Ihr völliger Mangel an einer eigenständigen Strategie sorgte dafür, dass die politische Macht ihnen zwischen den Händen entglitt, denn die Organisation zeichnete sich eher durch verbalradikale Phraseologie und Moralismus aus. 1981 erreichte die Dampfwalze der brutalen Repression auch die Mujahedin, Zehntausende ihrer Mitglieder sollten barbarisch gefoltert und massenweise hingerichtet werden. Ihr Anführer Massud Radjawi ging eine merkwürdige Allianz mit dem liberal-bourgeoisen Noch-Staatspräsidenten Abolhassan Bani Sadr (den Khomenei zu verdrängen suchte) ein, die seine Anhänger aber erst recht desorientierte. Im Juli 1981 flogen Bani Sadr und Radjawi zusammen mit dem selben Flugzeug aus und landeten in Paris. Als das Europäische Parlament im Mai 1989 abstimmte, hatte die Organisation bereits alles verloren, was sie einstmals hatte, und vor allem ihren Masseneinfluss im Iran ­ nachdem sie dort Zehntausende meist junger Menschen als "Märtyrer" verheizt hatte.

Dieses Votum des Europaparlaments rief damals die Kritik der westdeutschen Grünen und des SPD-Abgeordneten Freimut Duve hervor, die auf den autoritären Charakter des Vereins hinwiesen. Es war ein Ergebnis der intensiven Lobbyarbeit der (früher im europäischen Exil sehr stark vertretenen) Mujahedin und ihrer Vorfeldorganisationen. Die Organisation war, ganz macchiavellistisch, zu jedem Bündnis bereit, das ihr nur Anerkennung bescheren könnte - egal, ob mit einem imperialistischen Staat (und welchem), oder mit der Diktatur des Saddam Hussein. Insofern ist das Abstimmungsergebnis von Strasbourg signifikant. Weniger aussagekräftig freilich ist es bezüglich der Strategie der europäischen Mächte, denn es ist relativ einfach, ein solches Votum im Europäischen Parlament zu erzielen: Es genügt, durch intensive Lobbyarbeit die Unterschrift der nötigen Zahl von Abgeordneten für einen Entschließungsantrag zu erhalten, der dann den Parlamentariern während einer EP-Sitzung vorgelegt wird. Angesichts der großen Anzahl von Vorlagen, die während einer solchen Sitzung präsentiert werden, wird ein Großteil davon einfach durchgenickt, sofern nichts daran spontan Anstoß bei den Parlamentariern erregt ; die Erfordernis, die entsprechende Anzahl von Unterschriften im EP zu erhalten, erscheint den Abgeordneten dann meist Barriere genug, um Unsinniges fernzuhalten. Keine Lust, sich den Kopf zu zerbrechen...

Die US-Regionalpolitik und der Iran

Mit der jüngsten Entwicklung deutet sich an, dass es derzeit eine zumindest partielle Übereinstimmung der Interessen von US-Amerikanern und iranischem Regime in der Region gibt. Sie betrifft nicht nur den Umgang mit den Mujahedin, sondern auch die Verwaltung des besetzten Irak. Denn die schiitischen Parteien setzen, anders als der extremistische Teil der sunnitischen Islamisten, nicht auf den bewaffneten Untergrund. Ihre Strategie ist längerfristig angelegt: Sie setzen darauf, dass die Schiiten numerisch die Bevölkerungsmehrheit im Irak stellen, und daher die Zeit vermeintlich für sie arbeitet. Da der Iran, nach einigen Verhandlungen, im Jahr 2002 auch die Auslieferung von auf seinem Staatsgebiet festgesetzten Kadern der Al-Qaida in ihrem Prinzip akzeptierte (bisher wurde sie allerdings nicht durchgeführt), stellt er derzeit zumindest einen berechenbaren Faktor für die US-Außenpolitik in der Region.

Faktisch, wenn auch nicht erklärtermaßen, war das Regime seit seiner Begründung im Jahr 1979 in die US-Regionalpolitik integriert. Auf der Ebene der Rhetorik dominierte zwar während der 80er Jahre auf beiden Seiten ein konfrontativer, aggressiver Diskurs. Das hinderte die US-amerikanische Rechte nicht daran, noch zur Amtszeit des Demokraten James Carter 1979/80 hinter den Kulissen mit der Umgebung des Ayatollah Khomenei zu verhandeln.

Auf dem Tisch lag ein Vorschlag, demzufolge die Geiseln aus der besetzten US-Botschaft in Teheran gegen Waffen ausgetauscht werden sollten. Einigkeit wurde bald erzielt, doch die Geiselbefreiung wurde hinausgezögert, um den für seine Wiederwahl kandidierenden Carter als Schwächling präsentieren zu können. Die US-Geiseln kamen im Januar 1981 frei, genau 20 Minuten nach der Amtseinführung des neuen rechten Präsidenten Ronald Reagan. Alsbald folgten die Waffenlieferungen: Eingefädelt durch die USA, durchgeführt durch die Israelis (wie der damalige Verteidigungsminister Ariel Sharon im Oktober 1982 einräumen sollte), finanziert durch das verbündete Saudi-Arabien. Später sollte dies bezüglich vom Irangate die Rede sein, nach seiner Aufdeckung 1987. Damals ging es für die USA wie für andere westliche Großmächte darum, den Krieg zwischen Iran und Irak möglichst lange im Gang zu halten. Ferner hatte das islamistische Regime aus ihrer Sicht zumindest einen Vorteil: Es hatte die drohenden sozialrevolutionären oder "kommunistischen" Entwicklungspotenziale, die in der von heterogenen Kräften verursachten Revolution gegen den Schah entstanden waren, wirkungsvoll zerschlagen. 

Mit dem Tod des Ayatollah Khomenei 1989 begann sich unter dem neuen Präsidenten Ali Akbar Rafsandjani ein, vor allem in ökonomischen Fragen, relativ pragmatisch-liberaler Kurs unter den Machthabern in Teheran durchzusetzen. Er war dadurch bedingt, dass die während der Achtziger Jahre terrorisierte und eingeschüchterte Bevölkerung sich im Alltag offen von den Dogmen der Islamischen Republik abwandte. Doch bereits zuvor hatten die USA eher auf eine Mischung aus Eindämmung des Iran, was seine äußere Machtentfaltung betrifft, und begrenzter Kooperation gesetzt.

Bereits 1987 schrieb der linke militärpolitische Analytiker Dietrich Schulze-Marmeling in seinem Buch "Die NATO": "Tatsächlich hatte die Dauer des Krieges" mit dem Irak, der für zahlreiche wirtschaftliche Probleme sorgte, "die Herausbildung einer starken moderaten, pragmatischen Fraktion in der iranischen Adminstration zur Folge, die nun nach einer engeren Kooperation mit den USA trachtet." Der Autor setzte das unter anderem mit der US-Strategie in Beziehung, die auf direkte Präsenz im NATO-Land Türkei und indirekte im umkämpften Afghanistan setzte und für die der Iran "die Lücke im Gürtel" gegenüber der UdSSR bildete. Heute, da der Iran von Ländern umgeben ist, in denen die USA direkt militärisch präsent sind ­ Irak und Afghanistan ­ ist zumindest die Frage der Einbindung nach wie vor aktuell.

Allerdings ist die zwischenstaatliche Beziehung auf dem Stand der späten Achtziger Jahre geblieben. Denn einerseits unternahm ein Teil des US-Establishments ab 1995/96 mit den Helms-Burton-Gesetzen, die Handel mit dem Iran einschränken sollten, einen neuen Versuch zu stärkerer "Eindämmung" des Iran. Das hinderte allerdings auch US-Konzerne nicht daran, im Iran Geschäfte zu machen, nämlich auf dem Umweg über Lizenzen in den umliegenden Nachbarländern. So fand man im Iran schon in den frühen Neunzigern merkwürdige Getränkedosen, auf denen "Babsi" steht ­ weil der US-Konzern ihr Erzeugnis über eine Tochterfirma in den Vereinigten Arabischen Emiranten in den Iran exportiert, die arabische Sprache aber anders als das Persische den Buchstaben "p" nicht kennt.

Andererseits hat auch bisher keiner der iranischen Machthaber den Willen erklärt, offene politische Beziehungen mit den USA ­ deren Botschaft in Teheran seit der Geiselaffäre von 1979 geschlossen ist ­ zu knüpfen. Die französische Wirtschaftszeitung Les Echos (vom 23. 04. 03) mutmaßt allerdings, dass das nicht zuerst an mangelndem Willen liege, da in Kreisen der Machthaber ein "Dialog" mit den USA allgemein als strategische Notwendigkeit gelte: "Derjenige, der das schafft, wird im Iran als großer Mann gelten. Deswegen wird jeder politische Führer, der eine Annäherung an Washington versucht, von den anderen aus dem Weg geräumt werden, weil so viel Macht niemandem gegönnt werden wird." Dabei dürfte die Existenz rivalisierender Fraktionen im Machtapparat erschwerend hinzu kommen, von denen eine jede die jeweils anderen misstrauisch beargwöhnt.

Im Jahr 2002, als es mehrfach zu studentischen Unruhen im Iran kam, wandte US-Präsident George W. Bush sich mitunter in Reden an die aufsässige iranische Jugend und stellte sich als Unterstützer von "Demokratiebewegung" und "regime change" dar. Deswegen äußerten auch manche Teile der (bürgerlichen, liberalen oder monarchistischen) Exil-Opposition aus dem Iran sich in einer Weise, die erhebliche Illusionen gegenüber der Politik der US-Administration erkennen ließ. In Wirklichkeit war das nur politischer Diskurs. Tatsächlich hat ein Teil des US-Establishments eine Zeit lang erwogen, auf stärkeren Konfrontationskurs gegenüber dem Regime in Teheran zu gehen und auf dessen Ablösung zu setzen. Diese (oftmals eher von ideologischen Prämissen denn einer realitätsgeprüften Analyse ausgehenden, jedenfalls sofern es um die US-Neokonservativen geht) Kreise konnten sich jedoch nicht durchsetzen. Angesichts ihrer Schwierigkeiten im Irak ist der Mainstream der US-Außenpolitik derzeit nicht auf neuen trouble in unmittelbarer Nachbarschaft bedacht.

Ferner dürfte auch das Kalkül auch eine Milchmädchenrechnung sein, wonach die US-Amerikaner heute im Iran als "Befreier" sehnsüchtig erwartet würden. Zwar stimmt es, dass es heute im Iran unzweideutig eine junge Generation gibt, die sich (aktiv oder passiv) gegen den Tugendterror auflehnt, der ihr aufgezwungen wird. Das geht auch oftmals mit einer "pro-westlichen" kulturellen Grundstimmung einher. Denn da die USA im offiziellen Diskurs zumindest einiger Fraktionen des Regimes oft als Hort des Bösen dargestellt wurden oder noch werden (und das oft eher wegen des "unmoralischen" Lebenswandels dort, als aufgrund der realen Regierungspolitik), vermutet man allein schon aus Trotz, dass die USA für etwas Tolles stehen müssen. Was einem permanent verboten oder im Diskurs der "eigenen" Unterdrücker schlecht gemacht wird, das muss einfach etwas Gutes an sich haben. So traf ich schon Anfang der Neunziger am Rande der Teheraner Stadtautobahn auf Jugendliche, die (neben den Namen westlicher Sängerinnen, etwa des westdeutschen 80-Jahre-Starletts Sandra) Graffity mit der Aufschrift "USA" auf Autowracks sprühten. Diese Haltung findet aber keinen unmittelbar politischen Ausdruck, da diese junge Generation nicht unbedingt zu kollektiver politischer Aktion aufgelegt ist ;die enorme Verbitterung gegenüber dem, was bei ihnen "Revolution" heißt (aber in Wirklichkeit die islamistische Konterrevolution bezeichnet) lässt bei ihnen keinen Geschmack an Betätigung für kollektive gesellschaftliche Utopien aufkommen. Zumal politisches Engagement lebensgefährlich sein kann. Abgesehen von einer Minderheit natürlich, vor allem im studentischen Milieu. Insofern sind die gesellschaftlichen Ideen oftmals diffus.

Doch man sollte sich über diese kulturelle Grundstimmung, die jedenfalls in der jungen Generation ohne Zweifel (vage) "pro-westlich" ist, nicht vorab als Zustimmung zu einer potenziellen US-Intervention interpretieren. Man kann die Situation eher mit den (mal mehr, mal weniger diffusen) Sympathien verglichen, die in den 60er und 70er Jahren unter westlichen linken Intellektuellen für die UdSSR oder die VR China aufgebracht wurden. Als intellektuelle und/oder provokante Grundhaltung mochte eine solche Sympathie ja angehen. Aber hätte das wirklich auch Beifall oder gar aktive Beihilfe in dem (rein hypothetischen!) Fall bedeutet, dass einer dieser beiden Staaten in der BRD, in Frankreich oder im betreffenden Land einmarschiert wäre? Wohl nur für eine sehr, sehr begrenzte Anzahl von Leuten... Dass im Fall einer realen, militärischen Bedrohung auch ein in der Bevölkerung sehr verhasstes Regime noch die Leute (zumindest anfänglich) mobilisieren kann, das bewies die Diktatur der Islamischen Republik in den ersten Kriegsjahren 1981/83.

Daher dürften auch halbwegs realistische US-Politiker wissen, dass es Abenteurertum für sie wäre, zu glauben, die Iraner und Iranerinnen hätten nur auf die USA gewartet. Bereits im Irak, unter anderen Umständen (und einer, für die Periode seit 1997, noch härteren Diktatur zuzüglich einer Zermürbung durch 12 Jahre Embargo), ist eine ähnliche Rechnung ja nicht ganz aufgegangen.

Daher dürfte es weiten Kreisen des US-Establishments eher angeraten scheinen, auf die "vernünftigen Kräfte" innerhalb des iranischen Machtblocks zu setzen. 

Die EU-Staaten als "Platzfüller" im Iran

Die durch die USA bisher, seit dem Sturz des eng mit ihnen verbündeten Schah, im Iran gelassene Lücke versuchten die europäischen Mächte stets zu füllen. Eine der ersten, die rücksichtslos in den Iran drängte, als andere westliche Staaten dort nur hinter den Kulissen Präsenz zeigten, war die Bundesrepublik. Der erste westliche Außenminister, der nach der islamistischen Konterrevolution Teheran besuchte ­ am 20. Juli 1984 -, war Hans-Dietrich Genscher. Später ging die Kohl-Bundesregierung noch weiter in der Komplizenschaft: Im Oktober 1993 empfing der damalige Kanzleramtsminister Bernd Schmidbauer den iranischen Geheimdienstchef Ali Fallahian in Bonn, nachdem er öffentlich den Kölner Dom mit ihm besichtigt hatte. Justizkreise begannen Ermittlungen gegen den Mann aufzunehmen, der nicht ganz unbeteiligt an der blutigen Repression im Iran ist, doch diese wurden niedergeschlagen. Stattdessen vereinbarten Schmidbauer und Fallahin miteinander "im Kampf gegen den Terrorismus" zu kooperieren, den sprichwörtlichen Bock zum Gärtner machend.

Die westdeutsche Industrie war zu allen Zeiten ein geschätzter wirtschaftlicher Partner der iranischen Eliten, der in den frühen Achtziger Jahren besonders vom relativen Rückgang us-amerikanischen Einflusses profitierte. Dass sie gleichzeitig auch im Irak investierte, und dort vor allem im militärischen Sektor ­ während ihre Investitionstätigkeit im Iran breiter gestreut war ­ störte dabei nicht; ein ähnliches doppeltes Spiel mit beiden Kriegsparteien spielten damals fast alle Großmächte. Auf eher anekdotischer Ebene lässt sich der deutsche Einfluss im Iran ablesen, wenn man einen Blick auf die Autos im chaotischen Straßenverkehr von Teheran wirft. Denn zahlreiche Karossen werden noch von Aufklebern verziert, die man vor oder nach dem Export nicht abgerissen hat. So findet man massenweise Kleber vom ADAC, vom Deutschen Alpenverein ­ oder auch "Arbeitsplätze statt Raketen" und "35 Stunden jetzt".

Eine europäische Großmacht, die dagegen einige Jahre lang her zurückhaltend im Iran präsent, weil sie tatsächlich fest an der Seite einer der beiden früheren Kriegsparteien stand ­ nämlich des Irak ­ war Frankreich. Allerdings fand man bereits in den frühen Neunziger Jahren Werbung für französische Automobilmarken am Mehrabad-Flughafen von Teheran. Und schon in den 80er Jahren hatte Paris, freilich unter dem Druck von Attentaten (auf iranische Initiative hin explodierten im September 1986 einige Bomben in Kaufhäusern und an öffentlichen Orten der französischen Hauptstadt) wichtige Zugeständnisse an Teheran gemacht. Das betraf die mehr oder minder erzwungene Ausreise des Mujahedin-Führers Massud Radjawi von Paris nach Bagdad, im Frühjahr 1986. Es betraf aber auch die sensible Frage der nuklearen Zusammenarbeit.
(dazu ausführlich: http://jungle-world.com/seiten/2003/45/1980.php).

Seitdem das Regime von Saddam Hussein nicht mehr existiert, hat Frankreich allerdings eine Charmeoffensive im benachbarten Iran gestartet. Eine der sichtbarsten Gesten dabei war sicherlich die Auflösung des internationalen Hauptquartiers der Mujahedin-e Khalq in der Pariser Vorstadt Auvers-sur-Oise im Juni dieses Jahres. Nach 18 Jahren Präsenz der, sicherlich undemokratischen, Oppositionsbewegung hatte der französiche Staat plötzlich "entdeckt", dass diese eine terroristische Vereinigung sei. In Wirklichkeit handelte es sich wohl eher um ein diplomatisches Geschenk an Teheran.

Parallel dazu drängt Frankreich seit April, ziemlich genau zeitgleich zum Verlust des ehemaligen geostrategischen Verbündeten im Irak, auf den iranischen Markt. Mitte April wurde die Kommission für wirtschaftliche Angelegenheiten des französischen Senats in Teheran vorstellig. Am 23. April traf Außenminister Dominique de Villepin dort ein, der in einigen Wochen Abstand vom Minister für Außenhandel François Loos gefolgt wurde.

Vereinbart wurde unter anderem eine verstärkte Kooperation des französischen Energiekonzerns Total mit der iranischen Staatsfirma Nioc bei der Erdgasförderung und ein Einstieg des Automobilkonzerns Renault in die Entwicklung einer lokalen iranischen Autoproduktion. Bereits bisher fand im Iran eine Endmontage von Automobilen statt, bei Iran Khodro mit Bauteilen von Peugeot und bei Saipa mit Komponenten von Citroen. Vielleicht wird ja damit die Zahl der Aufkleber vom deutschen Tierschutzverein im iranischen Straßenverkehr sinken.

Editorische Anmerkungen

Der Artikel wurde uns vom Autor  in der vorliegenden Fassung am 19.12.2003 zur Veröffentlichung überlassen. 

Der Autor unterrichtet Jura an einer Universität im Großraum Paris. 

Bernard Schmid veröffentlichte im trend u.a. folgende Artikel: