Ein deutscher Tatort in der ARD 
Feige Juden, starke katholische Kommissarin am Bodensee

von Clemens Heni & Susanne Wein ( Berlin) 

12/03    trend onlinezeitung

Briefe oder Artikel info@trend.partisan.net ODER per Snail: trend c/o Anti-Quariat 610610 Postfach 10937 Berlin
Es sollte also um einen Ritualmord-Vorwurf am Bodensee gehen bei der ältesten, renommiertesten und meist gesehenen Krimi-Reihe im deutschen Fernsehen: knapp 8 Millionen ZuschauerInnen haben sich am 7. Dez. 2003 den Tatort ‚Der Schächter‘ angeschaut. Eine sich selbstverständlich schnell zerschlagende kleine Hoffnung wurde geweckt: Juden im deutschen Unterhaltungs-Fernsehen als normale Realität.

Stattdessen schien der Krimi gewollt von einem vorletzte Jahrhundertwende-Flair umweht, was für sich genommen ein durchaus mögliches Stilmittel hätte sein können.
Aber bereits in der ersten Szene wird deutlich: Wir haben es mit zwei ‚Sonderlingen’ zu tun (und einer einfühlsamen Hauptkommissarin, die sich um beide kümmert): einem orthodoxen Juden und einem psychotischen netten Kerl, von dem im Laufe des Films schnell klar wird, dass er etwas mit dem Mord zu tun hat oder selbst der Mörder ist. 

Praktisch für den Plot: Die Tat hat nicht nur keinen politischen Hintergrund, sondern selbst der Bruder des Mörders, der vertuscht und allen Verdacht auf den Juden lenkt, ist eigentlich kein Judenhasser - er hat ja nur rührend seinen geistig unmündigen Bruder schützen wollen.
Zurück zum anderen ‚Sonderling’, denn als solcher wird er präsentiert: der Schächter Jakob Leeb. Zur Belehrung des Publikums geht es in seiner Anwesenheit immer um Gesetze, die er einhält. Vor allem aber ‚jiddelt’ er und spricht eine Art Wiener Akzent - obwohl, so die Filmgeschichte, er im Elsass lebt, woher auch seine Familie kommt und er bis zur Flucht vor den Nationalsozialisten in Konstanz aufgewachsen ist! 

Der Jude Leeb ist fremd und wirkt irgendwie herzig, antiquiert - auch die Einrichtung seiner Ferienvilla ist scheinbar exakt die von vor der Flucht. Als ob es keine Arisierungen und Schnäppchenjäger am Bodensee gegeben hätte! Solche vermeintlichen Nebensächlichkeiten drücken doch die ungeheure Oberflächlichkeit und zugleich perfide geschichtsklitternde Dimension des Films aus: Ein Jude wird hier so vorgestellt, wie es ihn bis Mitte der 1930er Jahre in deutschen Städten noch gab. Doch dieses deutsche Judentum wurde mit dem restlichen Europas vertrieben oder vergast. Das will der Film nicht wahrhaben, denn selbst die wenigen Überlebenden kamen eben nicht in ihre eingerichteten Villen und Häuser zurück. Offensichtlich ist es zu viel verlangt in der Sonntagabend-Unterhaltung auch noch einen Hinweis auf Arisierung zu liefern, den es in Dokumentationen der ARD-Anstalten NDR oder WDR ja durchaus gibt - es wäre zu ‚wirklich’ geworden. Es hätte beispielsweise um die heute in Konstanz lebenden Juden gehen können. 

Doch dann wäre der orthodoxe Kitsch, der die deutsch-jüdische Symbiose heute evoziert, verblasst. So darf die Hauptkommissarin Klara Blum, die Leeb mag, auf keinen Fall eventuell eine unorthodoxe und somit weniger oder nicht erkennbare Jüdin sein, sondern sie muss irgendwie als Katholikin gezeigt werden; und das Drehbuch schreibt ihr vollkommen zusammenhangslos, atypisch und hier geradezu grotesk vor, sich vor einem Heiligenbild zu bekreuzigen. 
Das sich verbreitende Gerüchte und der Judenhass, der im bürgerlichen Bodenseeidyll daheim ist, wurde im Film gerade nicht gut eingefangen. Ritualmord-Vorwurf ohne den gesellschaftlich virulenten Antisemitismus der Bevölkerung zu thematisieren, schafft auch nur deutsches Fernsehen. Die einzige Kameraeinstellung, in der die Konstanzer Innenstadt mit Bevölkerung- und Touristenmassen auftauchen, bietet sich als Leeb just aus der schließlich haltlosen Untersuchungshaft entlassen, traumatisiert durch die Stadt läuft. Aber, ein feiner Unterschied: es soll seinen Blick darstellen, seine irre Vorstellung der Stigmatisierung und Beschuldigung durch die Leute, die unter ‚normalem’ Blickwinkel alle ganz freundlich dreinschauen und nicht hämisch grinsen. Außer den Kommentaren des Redakteurs, ist nur der Staatsanwalt antisemitisch. Und der so massiv, dass es unglaubwürdig ist. 

Hauptkommissarin Blum - die Gute - gibt ihm zwar contra aber ohne dass die ekelhaft expliziten antisemitischen Äußerungen des Staatsanwalts als solche benannt würden. Kurz vor Schluss schreitet auch sie über Leeb hinweg generös zur Versöhnung mit dem Staatsanwalt: „Er hat sich ja entschuldigt - bei mir zumindest“, sagt sie. Der unterschwellige Antisemitismus bleibt also getrost stehen und außerhalb des Films, wie Walsers Häuschen nebenan. Jener fand in diesem Klima offenbar die richtige Inspiration für seinen Roman „Tod eines Kritikers“ - der selbstredend auch nicht erwähnt wird. 

Richtig unerträglich und deutsch ist die letzte Szene. Leeb möchte nach den ganzen Ereignissen abreisen und seine Villa verkaufen. Als er und ‚Freundin’ Blum das Haus verlassen, ist die Tür mit roter Farbe beschmiert. Sie - bedeutungsschwanger - „es tut mir leid“. Er geht mit Gepäck weiter. Da ruft sie dem Holocaust-Überlebenden dummdreist nach: „In den entscheidenden Momenten meines Lebens bin ich nie weggelaufen.“ 

Er dreht sich um, nicht etwa um so viel Unverfrorenheit mit einer Ohrfeige zu quittieren oder um ihr wenigstens eine Standpauke zu halten, nein: „Ich auch nicht“ sagt er überzeugt, beide gehen glücklich ins Haus. ENDE. 
Sie, die katholische Repräsentantin der deutschen Exekutive, die sich im Griff hat, die auch den vulgär antisemitischen Staatsanwalt in einer Szene gerade nicht ohrfeigt, sie spricht hier Erinnerungsabwehr an die deutsche Tat so perfide aus, wie es nur hierzulande möglich ist. Nicht nur, dass es keine deutschen Juden mehr gibt, nein, mehr noch: wären sie damals geblieben und nicht so feige abgehauen, wäre das vielleicht alles nicht passiert! 

Es ist eine infame Suggestion die ihren Satz begleitet, und diese wird durch die Antwort von Leeb nicht zerstört sondern im subkutanen Antisemitismus der Hauptkommissarin, den Leeb mit seinem „Ich auch nicht“ mittransportieren muß, eher noch potenziert. Mit einem Bild dieser Schlussszene wirbt die ARD gar auf der Tatort-Site im Internet für ihren Krimi.
Letztlich wird also wieder alles gut, die Botschaft jeder deutschen Fernsehproduktion. Alles ganz undramatisch am Ende. 


Wie bei Walser, der in seinem Roman alles tut, um den Juden als zu ermordenden darzustellen. Der aber am Ende überlebt, wie Leeb, der doch unschuldig ist. In „Tod eines Kritikers“ wird Reich-Ranicki 
„der Tod auf den Hals gewünscht, weil er als Kritiker auch ohne ‚Gruppe 47‘ groß geworden ist. (...) Der Satz ‚Eine Figur, deren Tod vollkommen gerechtfertigt erscheint, das wäre Realismus‘, wird im Buch durchvariiert und schließlich so vervollständigt: ‚Das ist Realismus‘. Daß ein Überlebender der Shoah auch diesen Realismus überlebt, findet der Autor, im Einklang mit seinem Laudator Kaiser in der ‚Jungen Freiheit‘, komisch. Wie antisemitisch ist eine solche ‚Komödie‘?“
(Klaus Briegleb, Mißachtung und Tabu, Berlin/Wien 2003, S. 286.) 

Im Tatort wird die Unschuld Leebs durchkonjugiert, eigentlich wissen alle ZuschauerInnen von Anbeginn, dass er keinen Mord begangen hat, doch tragisch-komischerweise wird die Schuld des Juden durchkonjugiert mit einem Ratschlag für den nicht nur hier als Objekt der deutschen Selbstbespiegelung nützlichen Juden. Seine Wahrnehmung ist hierbei absolut sekundär. 

Doch wer solch einen Tatort kritisiert, ist undankbar, verstockt. Sie meinen es doch gut, der Drehbuchschreiber Fred Breinersdorfer, die Schauspielenden und die
ARD-ZuschauerInnen! 

Editorische Anmerkungen

Der Artikel erschien in "die jüdische" vom 17.12.2003 und ist eine Spiegelung von http://www.juedische.at