Es war eine Polit-Show in ungekannten Ausmaßen:
5 bis 8 Millionen Euro
kostete nach ersten Schätzungen der Nominierungsparteitag, auf dem am
vorigen Sonntag der bis dahin als Wirtschaftsminister amtierende Nicolas
Sarkozy zum neuen Vorsitzenden der konservativ-liberalen Einheitspartei UMP
gekürt wurde. Normalerweise kosten Parteitage in Frankreich um die 100.000
Euro. Die eigentliche Wahl Sarkozys - per Urabstimmung der Parteimitglieder,
die dafür sechs Tage Zeit hatten war freilich bereits eine Woche zuvor
abgeschlossen worden. Es handelte sich also um eine reine Showveranstaltung,
mit Film über das Leben des konservativen Superstars sowie Persönlichkeiten
aus Kulturwelt und Sport, zu der mindestens 25.000 UMP-Mitglieder in die
Pariser Vorstadt Le Bourget zusammen kamen. Für den Protz war eigens eine
miniaturisierte Stadt im Kongresssaal errichtet worden.
Seit Monaten hatte das
Politspektakel die französischen Medien vorab in Atem
gehalten. Denn der Staatspräsident und UMP-Gründer Jacques Chirac
widersetzte sich lange Monate hindurch dem Drängen seines ehrgeizigen
früheren Innen- und jetzigen Wirtschaftsministers, neben dem Regierungsamt
auch noch den Parteivorsitz zu übernehmen; aufgrund seiner Popularität an
der Parteibasis als ehemaliger Law and Order-Minister hatte Sarkozy dazu
freilich die besten Chancen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass er seine
Ämter als Sprungbrett für eine Kandidatur zur kommenden Präsidentschaftswahl
von 2007 nutzen will. Chirac dagegen verspürt die Notwendigkeit, selbst
nochmals zur Wahl anzutreten - da ihn sonst die Richter einzuholen drohen,
die ihm seit einem Jahrzehnt auf den Fersen sind. Sein Name taucht als
Schlüsselelement in einem Dutzend Korruptionsverfahren auf, und nur solange
er im Amt bleibt, wird Chirac durch das eigens für seine Zwecke
verabschiedete Immunitätsgesetz geschützt. Im Hochsommer kam es dann zum
Kompromiss zwischen den beiden Männern: Sarkozy bekam den UMP-Parteivorsitz
zugesprochen, musste aber Chirac im Gegenzug zusichern, am Tag nach der Wahl
sein Ministeramt an den Nagel zu hängen. Das tat er dann auch.
Seines Sitzes im Kabinett solcherart
verlustig gegangen, will Sarkozy sich
nunmehr der ideologischen Aufrüstung der französischen Rechten widmen. Die
Rolle des Parteichefs, dozierte er bereits Wochen vor seiner Wahl, bestehe
darin, jenseits der alltäglichen Regierungsarbeit Themen und Begriffe zu
setzen oder zu besetzen und in die Zukunft reichende Theorien zu entwickeln.
Tatsächlich dürfte die ideologische Produktion unter Sarkozy nicht zu kurz
kommen. Ein Thema hat er in den vergangenen vier Wochen bereits gefunden:
die Neubewertung der Rolle der Religion, oder auch der Religionen im Plural,
in der französischen Innenpolitik. Dazu erschien jüngst im konfessionellen
katholischen Verlag Le Cerf sein Buch unter dem Titel La République, les
religions, l¹espérance. Das bedeutet ungefähr: "Die Republik, die
Religionen, die Hoffnung". Anders als l¹espoir, das für eine konkrete
Hoffnung steht, kann l¹espérance auch mit "Heilserwartung" übersetzt werden.
In Wirklichkeit handelt es sich nicht um einen Text aus der Feder von
Nicolas Sarkozy, sondern um die Wiedergabe von sechs anderthalbstündigen
Gesprächen mit ihm.
In wenigen Monaten steht in
Frankreich der hundertste Jahrestag der
Verabschiedung des Gesetzes vom 9. Dezember 1905 an, das die Trennung von
Kirche und Staat besiegelte - eine Konsequenz aus der Dreyfus-Affäre und des
gemeinsamen Bündnisses von sozialistischer Arbeiterbewegung und Liberalen
zur Niederwerfung der damaligen antisemitischen Bewegung. Im Vorfeld dieses
Datums, das zweifellos den Anlass für zahlreiche Debatten und
Bilanzierungsversuche bieten wird, sorgt Sarkozys offensive Positionierung
für großes Aufsehen.
"Der moralische Aspekt ist solider
und stärker verwurzelt, wenn er einem
spirituellen und religiösen Vorgehen entspringt, als wenn er seinen Ursprung
in der politischen Debatte oder im republikanischen Ideal findet", schreibt
bzw. sagt Sarkozy etwa. Und: "Die Republik kennt kein Gut oder Böse. Sie
verteidigt die Regel, das Gesetz, ohne sie an eine moralische Ordnung
anzubinden." Das könnte man als Ausgangspunkt eines autoritären
Ursprungsprogramms bezeichnen: Das könnte man als Ausgangspunkt eines
autoritären Programms bezeichnen: Sarkozy geht es darum, eine Moral des
gesellschaftlichen Zusammenlebens zu etablieren, die der demokratishen
Debatte entzogen ist.
Dieses Programm bringt Sarkozy in
seinem Buch, und besonders deutlich in
einem Interview mit dem Wochenmagazin L¹Express das die Form eines
konfrontativen Streitgesprächs mit dem Chefredakteur Denis Jeambar, der
darin die traditionelle republikanisch-laizistische Staatsidee Frankreichs
verteidigt, annimmt direkt mit aktuellen gesellschaftlichen Problemen
Frankreichs in Verbindung. Und konkret mit dem Problem der
gesellschaftlichen Zerrüttung und Segregation in den Banlieues, den
französischen Trabantenstädten: "Wenn man dem Leben einen Sinn geben will;
wenn man diesen Jugendlichen, die nur die Religion des Geldes, der Drogen,
der Gewalt und des Fernsehens kennen, den Respekt vor dem Anderen beibringen
will, dann kann der Diskurs eines Glaubensmannes von Nutzen sein." Das
ähnelt dem Programm, das die britische Rechte unter Margarat Thatcher in den
achtziger Jahren anwandte, indem sie bisherige sozialstaatliche Funktionen,
die in sozialen Krisenzonen nicht mehr wahrgenommen wurden, durch eine
Aufwertung der Religionsgruppen gerade unter den Minderheiten - ersetzte.
Eine potenzielle fundamentalistische Gefahr sieht Sarkozy nicht, da "Glauben
manchmal ein fundamentales Engagement erfordert" und, "wenn (der Einzelne)
es auf sich selbst anwendet, das Absolute keine Gefahr für die Gesellschaft"
darstelle. Diese beginne dort, wo Überzeugungen auch anderen aufgezwungen
werden sollten; dagegen helfe der Appell an die Staatsautorität, die Sarkozy
zufolge nach wie vor dem Agieren der Religionsgruppen übergeordnet bleiben
soll.
Wie in manchen anderen Dingen, ist
für den Wirtschaftsliberalen Sarkozy auch
für den Umgang mit der Religion die US-amerikanische Innenpolitik ein
wichtiges Vorbild. In den USA, sagt er dem Express, schwören die Präsidenten
noch auf die Bibel, und "unser Konzept von der Religion als (lediglich) Teil
der Privatsphäre ist nicht universalisierbar, wie der Blick über den
Atlantik zeigt". Normalerweise hätte Sarkozy damit in der französischen
Gesellschaft eher schlechte Karten, da hier aktuell nur 20 Prozent der
Bevölkerung konfessionell gebunden sind, während in den USA über 40 Prozent
der Wähler christliche Werte als entscheidend für ihre Stimmabgabe
bezeichnen. Doch der frühere Innen- und Wirtschaftsminister hat ein
gewichtiges Argument gefunden, um die traditionellen Widerstände gegen eine
Rekonfessionalisierung der französischen Politik zu unterlaufen: Er beruft
sich auf die notwendigen Veränderungen, die durch die Herausforderung durch
die Integration des Islam notwendig würden.
Dieser sei, als letzte in Frankreich angekommene Religion, besonders
benachteiligt. Dabei beruft der Ex-Innenminister sich auch auf durchaus
nachvollziehbare materielle Argumente: Diese Religionsgemeinschaft sei
"ärmer als die anderen, da ihre Angehörigen die Nachfahren jener Einwanderer
sind, die in den sechziger Jahren kamen, um Fahrzeuge und Autobahnen zu
bauen." Das stimmt durchaus, aber Sarkozy antwortet darauf nicht mit der
Notwendigkeit, sich um die soziale Lage von arbeitslosen Industriearbeitern
oder in Fastfoodläden jobbenden Einwandererkindern zu kümmern sondern mit
ihrer Integration "als Muslime". Dabei bezeichnen sich nach Angaben von Le
Monde aus dem vorigen Jahr ein Drittel, nach einer neueren Untersuchung
hingegen nur 15 Prozent der Immigranten aus mehrheitlich moslemischen
Ländern und ihrer Kinder als "gläubig und praktizierend", eine knappe Hälfte
dagegen als nicht praktizierend, und der Rest erkennt sich gar keine
Religion zu.
Als vermeintliche Antwort auf ihre,
sehr reale, gesellschaftliche
Diskriminierung bietet Sarkozy ihnen nur Symbol- und Identitätspolitik. So
ernannte er im vergangenen Winter einen Sohn kabylischer Immigranten aus
Algerien, Aïssa Dermouche, zum hohen Staatsbeamten und bezeichnete ihn als
"muslimischen Präfekten". Darauf legte der so Bezeichnete einerseits keinen
großen Wert; und andererseits trug diese Stigmatisierung, im Namen der von
Sarkozy befürworteten "positiven Diskriminierung", dem Betroffenen drei
rassistisch motivierte Brandanschläge ein. Hätte der damalige Innenminister
nicht so viel Aufhebens veranstaltet, wäre Dermouche wohl ein Präfekt wie
jeder andere geworden. An der Lage der Immigrantensöhne und töchter in den
Banlieues änderte seine Nominierung ohnehin nichts.
Durch seinen Diskurs von der
"notwendigen Anerkennung" der rund vier
Millionen, als Muslime bezeichneten Einwanderer hebt Sarkozy sich mitunter
auf positive Art und Weise von den kolonial geprägten, rassistischen Teilen
der französischen Rechten ab. Doch er setzt ihr eine neue Variante
kulturalistischer und differenzialistischer, statt universalistischer,
Politik entgegen. Die extreme Rechte unter Jean-Marie Le Pen ihrerseits
unterhält ein komplexes Verhältnis zu Sarkozy. Denn auch in der extremen
Rechten gibt es unterschiedliche Strategien, die von der simplen
"abendländisch"-kolonialen Araberfeindlichkeit bis zu differenzialistischen
Diskursen, wonach "die Aufrechterhaltung der moslemischen Kultur" durch
Nichtvermischung der Gesellschaften ein positiver Wert sei, reichen. Und
einerseits wird Sarkozy wegen seines Vaters, der selbst ungarisch-jüdischer
Einwanderer war, beargwöhnt. Zugleich aber besteht ein Konkurrenzverhältnis
zum Law and Order-Diskurs des früheren Innenministers, der sich durch seine
an "Erfolgszahlen" orientierte Abschiebepolitik gegenüber unerwünschten
Neueinwanderern zu profilieren suchte.
Zuletzt allerdings wurde Sarkozys
Wahl zum UMP-Vorsitzenden durch Le Pen
begrüßt. Freilich vor allem deswegen, weil der noch als Wirtschaftsminister
amtierende Politik vorige Woche einem Einspruch Le Pens gegen eine
Steuernachzahlung in Höhe von 800.000 Euro für seine Villa nachgab und eine
Überprüfung des Dossiers anordnete. So schnöde kann Politik sein.
Editorische Anmerkungen
Diesen Artikel schickte uns
der Autor am 2.12.2004 in der vorliegenden Fassung zur Veröffentlichung.
Eine Kurzfassung erschien in Jungle World vom
01. Dezember 04 unter dem Titel "Mehr Kirche im
Staat"
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