Die geographische Expansion des Kapitals und das Problem der global-ungleichen Entwicklung bei Marx

von
Stefan Kalmring & Andreas Nowak
12/04

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Einführung

Marx hat weder ein ausgearbeitetes entwicklungstheoretisches Werk hinterlassen (Menzel 2000), noch hat er eine "Theorie der Unterentwicklung im heutigen Verständnis" verfasst (Boris 1997). Dennoch waren seine Schriften immer wieder ein Anknüpfungspunkt für AutorInnen von unterschiedlicher theoretischer Herkunft, so in der Modernisierungstheorie, der Dependenztheorie, und in der Theorie einer nachholender Entwicklung unter sozialistischen Vorzeichen (Menzel 2000: 8).

Da sich Marx im wesentlichen mit langfristigen sozialen Wandlungsprozessen beschäftigt hat und da er gleichzeitig den weltumspannenden – und dennoch uneinheitlichen – Charakter der bürgerlichen Produktion betont, ist die Faszination, die das Marxsche Werk auf viele EntwicklungstheoretikerInnen ausübte (und ausübt), verständlich. Die Ursache für den uneinheitlichen Charakter der Marxschen Äußerungen zur Entwicklungsproblematik, muss man vor allem in dem unabgeschlossenen und fragmentarischen Charakter des Marxschen Werkes suchen. Wie jeder andere auch, verändert Marx im Laufe der Zeit seine Auffassungen, er entwickelt neue Positionen, verlässt alte Standpunkte und greift teilweise später wieder auf (scheinbar) überwundene Positionen zurück.

Dass man bei Marx keine Theorie der Unterentwicklung im heutigen Sinne finden kann, hat mehrere Ursachen (Boris 1983). Zum einen ist der eigentliche Gegenstand der Marxschen Analysen die „kapitalistische Produktionsweise und die ihr entsprechenden Produktions- und Verkehrsverhältnisse“ (MEW 23: 12). Zum Zweck der Untersuchung der Bewegungsgesetze der kapitalistischen Produktionsweise konzentriert sich Marx auf die „klassische Stätte“ des Kapitalismus im 19. Jahrhundert, also auf England (ebd.). Obwohl außereuropäische Länder immer wieder in seine Betrachtung einbezogen werden, stehen sie nicht im Zentrum des Marxschen Interesses. Zum anderen dürfen vor allem objektive Gründe verantwortlich gemacht werden:

„Die mit dem Siegeszug des industriellen Kapitalismus verbundene Polarisierung von entwickelten kapitalistischen Ländern und unterentwickelten Ländern begann sich erst allmählich im Laufe des 19.Jahrhundets abzuzeichnen, so dass auch von diesem Gesichtspunkt her eine solche Theorie oder Analyse nicht möglich war.“ (Boris 1983: 47)

Dennoch lassen sich besonders im Zusammenhang der Marxschen Betrachtungen zur globalen Expansion des Kapitals aufschlussreiche Ansätze für eine Theorie der global-ungleichen Entwicklung finden. Die weltweite Ausdehnung des Kapitals und die Schaffung eines internationalen Systems sind nach Marx bereits „im Begriff des Kapitals selbst gegeben. Jede Grenze erscheint als eine zu überwindende Schranke.“ (MEW 42: 321) Der unbegrenzte Akkumulationstrieb des Kapitals und das „Bedürfnis nach einem immer ausgedehnteren Absatz“ (MEW 4: 465) erzeugen nach Marx eine in der bisherigen Geschichte unbekannte Expansionsdynamik, die dazu neigt, ein weltumspannendes System zu etablieren (Avineri 1969).

Die Herstellung eines kapitalistischen Weltmarktes wird dabei von Marx unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet. Zunächst ist die Bedeutung dieses Prozesses für die Entstehungsgeschichte des Kapitalismus in Westeuropa zu nennen:

„Die Entdeckung der Gold- und Silberländer in Amerika, die Ausrottung, Versklavung und Vergrabung der eingeborenen Bevölkerung in die Bergwerke, die beginnende Eroberung und Ausplünderung von Ostindien, die Verwandlung von Afrika in ein Gehege zur Handelsjagd auf Schwarzhäute bezeichnen die Morgenröte der kapitalistischen Produktionsära. Diese idyllischen Prozesse sind Hauptmomente der ursprünglichen Akkumulation. Auf den Fuß folgt der Handelskrieg der europäischen Nation, mit dem Erdrund als Schauplatz.“ (MEW 23: 779) 

Aber auch nach der Herausbildung des Kapitalismus in Westeuropa spielt die räumliche Expansion des Kapitals nach Marx für die kapitalistischen Zentren eine wichtige Rolle. Um nicht an die Grenzen der eigenen Ausdehnung durch Rohstoff, Arbeitskräftemangel oder einen begrenzten Absatzmarkt zu stoßen, sind die Kapitale auf eine ständige Erweiterung der alten und auf eine Öffnung neuer Märkte angewiesen. Durch den Außenhandel können die europäischen Kapitale über einen ungleichen Tausch am Weltmarkt Extraprofite erlangen (MEW 23: 583f.; MEW 25: 247ff.) und ihre Profitrate über eine Verbilligung der Elemente des konstanten und variablen Kapitals steigern (MEW 25: 247). Daneben ermöglicht die räumliche Ausdehnung des Kapitals auch eine verbesserte Regulierung der industriellen Reservearmee in den kapitalistischen Zentren. Der Überschuss an Arbeitskräften kann laut Marx durch „Auswanderung und Kolonisation“ abgebaut werden (MEW 23: 475).

Zu guter Letzt untersucht Marx auch Auswirkungen der globalen Expansion des Kapitals auf einzelne außereuropäische Länder. Die Ergebnisse und Folgen des Eindringens des Kapitalismus werden dabei von Marx als widersprüchlich analysiert. Einerseits betont er die „tiefe Heuchelei der bürgerlichen Zivilisation und die nicht von ihr zu trennende Barbarei“, die sich gerade in den Praktiken des Kolonialsystems in ihrer „ganzen Nacktheit“ zeige (MEW 9: 225), andererseits will er die mögliche Schaffung der subjektiven und objektiven Vorrausetzungen einer „assoziierten Produktionsweise“ (MEW 25: 456) durch die weltweite Ausbreitung des Kapitalismus sondieren:

„Die bürgerliche Periode der Geschichte hat die materielle Grundlage einer neuen Welt zu schaffen: einerseits den auf der gegenseitigen Abhängigkeit der Völker beruhenden Weltverkehr und die hierfür erforderlichen Verkehrsmittel, andererseits die Entwicklung der menschlichen Produktivkräfte und die Umwandlung der materiellen Produktion in wissenschaftliche Beherrschung der Naturkräfte“ (MEW 9: 226).

Entgegen einer weit verbreiteten Auffassung (z.B.: Avineri 1969) verändert Marx allerdings seine Haltung bezüglich der Auswirkungen eines Eindringens des Kapitalismus in bisher nicht-kapitalistische Regionen im Laufe seiner Forschungen. Während Marx bis mindestens in die Mitte der 1860ger Jahre hinein die – vor allem mittels des Kolonialismus und des Freihandels – vorangetriebene Ausbreitung des Kapitalismus in dem Sinne positiv bewertet, dass durch diese eine den Sozialismus vorbereitende Industrialisierung initiiert werde, ist er später sehr viel skeptischer. Vor allem seine Studien der sogenannten irischen und polnischen Frage, aber auch seine späteren Analysen des Kolonialismus in Indien (z.B. im Kapital), scheinen Marx zu der Erkenntnis zu bringen, dass die durch Kolonialismus und Freihandel erzeugte Zerstörung der alten Ordnung nicht unbedingt auch die materielle Grundlage einer neuen hervorrufen muss (Mohri 1979: 39). Da Marx nun eher externe als interne Ursachen einer Blockade der industriell-kapitalistischen Entwicklung in diesen Ländern identifiziert, kann man aus diesen Schriften einen „frühe(n) Dependenztheoretiker Marx“ (Menzel 2000: 10) herauslesen.

In den späten Briefen an die Redaktion der Zeitschrift „Otetschestwennyje Sapiski“ und an Vera Sassulitsch lässt sich ebenfalls eine kritische Neupositionierung Marxens ausmachen. Marx wendet sich nicht nur explizit gegen einen eurozentristisch geprägten Blick auf die Welt, er gelangt auch zu einem „bedingte(m) Urteil“ (Rjazanov 1926: 313) über die Entwicklungsfähigkeit der russischen Gesellschaft. In deutlicher Abgrenzung zu seinen früheren Positionen glaubt Marx, dass Russland – allerdings nur unter einer Reihe von Bedingungen – die russische Dorfgemeinde Mir zum Ausgangspunkt seiner „sozialen Regeneration“ machen könne (MEW 19: 385), um auf diese Weise das „Kaudinische Joch“ des Kapitalismus zu umgehen und um so direkt zum Sozialismus zu gelangen (MEW 19: 389).

Im folgenden werden wir diese Verschiebungen in den Marxschen Ausführungen herausarbeiten und kommentieren.

Die „historische Mission“ der westlichen Welt in den Schriften des „frühen“ Marx

In relativ frühen Schriften wie der Deutschen Ideologie, dem Manifest oder den Artikeln über Indien und China, scheint Marx von der Expansionskraft des Kapitals tief beeindruckt. Der revolutionäre Charakter der neuen Ordnung zerstört nach Marx nicht nur die Überreste der alten Feudalordnung, er überwindet auch die vorkapitalistischen Produktionsweisen außerhalb Europas und zieht die ganze Welt in das Netz bürgerlicher Produktionsbeziehungen hinein. Die Herstellung eines „universellen Verkehrs der Menschen“ und die bürgerliche „Entwicklung der Produktivkräfte“ (MEW 3: 34f.) werden von Marx als Vorraussetzungen einer sozialistischen Gesellschaft begrüßt. Die mit der Herausbildung des „modernen Weltmarkte(s)“ verbundene Einbeziehung immer neuer Regionen in den Kapitalismus und die damit (angeblich) verbundene Auflösung „alle(r) naturwüchsige(n) Verhältnisse in Geldverhältnisse“ (MEW 3: 60) gilt Marx als etwas unbestreitbar positives, da hierdurch die Bedingungen einer sozialistischen Revolution geschaffen werden. Offenbar erwartet er, dass das Kapital die Produktionsbedingungen in den sogenannten „zivilisierten Nationen“ (MEW 4: 446) nicht nur homogenisiere, sondern auch rasch die „materiellen Grundlagen einer westlichen Gesellschaftsordnung“ (MEW 9: 221) im außereuropäischen Raum lege:

„Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarktes die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. (…) Die Bourgeoisie reißt durch die rasche Verbesserung aller Produktionsinstrumente, durch die unendlich erleichterten Kommunikationen alle, auch die barbarischsten Nationen in die Zivilisation. Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind die Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt. (…) Sie zwingt alle Nationen, die Produktionsweise der Bourgeoisie sich anzueignen, wenn sie nicht zugrunde gehen wollen; sie zwingt sie die sogenannte Zivilisation bei sich einzuführen, d.h. Bourgeois zu werden. Mit einem Wort, sie schafft sich eine Welt nach ihren eigenem Bilde.“ (MEW 4: 466)

Marx prognostiziert eine von Europa ausgehende Angleichungen der Lebens- und Produktionsbedingungen weltweit, die sich offenbar in einem relativ kurzen Zeitraum ereignen soll. Die durch die „wohlfeilen“ Waren erzeugten Bedürfnisse wirken nach Marx zersetzend auf die bisher abgeschlossenen vorkapitalistischen Produktionsformen, indem sie zuerst einen regelmäßigen Austausch und dann eine Produktion für den Markt etablieren: „Indes setzt sich das Bedürfnis für fremde Gebrauchsgegenstände allmählich fest. Die beständige Wiederholung des Austauschs macht ihn zu einem regelmäßigen gesellschaftlichen Prozess. Im Laufe der Zeit muss daher wenigstens ein Teil der Arbeitsprodukte absichtlich zum Behuf des Austauschs produziert werden“ (MEW 23: 103). Ist erst einmal eine vorkapitalistische Gesellschaftsform durch einen ständigen Austausch mit der kapitalistischen Produktionsweise verbunden, wird sie nach Marx in den kapitalistischen Weltmarkt integriert und ist einer permanenten Beeinflussung durch das Kapital ausgesetzt und wird schließlich durch die effizienteren kapitalistischen Produktionsformen verdrängt.

Obwohl Marx also die weltweite Durchsetzung kapitalistischer Verhältnisse durch das Kapital selbst vorhersieht, unterstützt er zu dieser Zeit auch alle Politiken, die diesen Prozess beschleunigen. Dies wird an Marx’ Positionen zu Freihandel und Protektionismus und an seinen Stellungnahmen zur Außenpolitik und zum Kolonialismus deutlich.

Zur Frage des Freihandels und Protektionismus

Das zentrale Kriterium für Marx’ Bewertung verschiedener Politiken ist deren Beitrag zur Herstellung der Bedingungen einer sozialistischen Revolution. Dies wird an seinen Stellungnahmen zur Frage des Freihandels bzw. des Protektionismus besonders deutlich (Ghorashi 1995).

Den Protektionismus lehnt Marx aufgrund dessen Konservatismus entschieden ab. „Die Erhaltung, die Konservierung des jetzigen Zustandes ist (…) das beste Resultat, wozu die Schutzzöllner im günstigsten Falle gelangen werden. Gut, aber für die arbeitende Klasse handelt es sich nicht darum, den jetzigen Zustand zu erhalten, sondern denselben in sein Gegenteil zu verwandeln“ (MEW 4: 297). Auch der bürgerlichen Freihandelsperspektive steht Marx insofern ablehnend gegenüber,als dass die Wohlstandsversprechen der Freihändler zumindest für die Arbeiterschaft unrealistisch sind:

„Solange ihr das Verhältnis von Lohnarbeit zu Kapital fortbestehen lasst, mag der Austausch der Waren sich immerhin unter den günstigsten Bedingungen vollziehen, es wird stets eine Klasse geben, die ausbeutet, und eine, die ausgebeutet wird. Es wird einem wirklich schwer, die Anmaßung der Freihändler zu begreifen, die sich einbilden, dass die vorteilhaftere Verwendung des Kapitals den Gegensatz zwischen industriellen Kapitalisten und Lohnarbeitern verschwinden machen wird. Ganz im Gegenteil. Die einzige Folge wird sein, dass der Gegensatz dieser beiden Klassen noch klarer zutage treten wird.“ (MEW 4. 455f.)

Auch der im Lager der Freihändler vorherrschenden Vorstellung einer friedensstiftenden Rolle eines freien Warenverkehrs zwischen den Nationen widerspricht Marx vehement:

„Die Brüderlichkeit, welche der Freihandel zwischen den verschiedenen Nationen stiften würde, wäre schwerlich brüderlicher (…). Alle destruktiven Erscheinungen, welche die freie Konkurrenz im Inneren eines Landes zeitigt, wiederholen sich in noch riesigerem Umfange auf dem Weltmarkt“ (MEW 4: 456).

Dennoch hält Marx die Politik des Freihandels für unterstützenswert. Der Freihandel besitzt nach Marx eine Reihe von revolutionären Wirkungen, die einer sozialistischen Umgestaltung dienlich sind. So wirkt der Freihandel nach Marx nicht nur auf vorkapitalistische Produktionsformen zersetzend, er nivelliert auch die nationalen Unterschiede und befördert durch die freie Entfaltung der im Begriff des Kapitals angelegten inneren Gesetzmäßigkeiten den Widerspruch der Klassen:

„Aber im allgemeinen ist heutzutage das Schutzzollsystem konservativ, während das Freihandelssystem zerstörend wirkt. Es zersetzt die bisherigen Nationalitäten und treibt den Gegensatz zwischen Proletariat und Bourgeoisie auf die Spitze. Mit einem Wort, das System der Handelsfreiheit beschleunigt die soziale Revolution. Und nur in diesem Sinne, meine Herren, stimme ich für den Freihandel.“ (MEW 4: 457f.)

Zur Frage der Außenpolitik

Auch die Stellungnahmen von Marx und Engels zur Außenpolitik stehen in dieser Zeit unter derselben Fortschrittsperspektive. Basierend auf der Annahme, dass größere politische Einheiten einer kapitalistischen Entwicklung dienlicher sind als kleine, begrüßen sie beispielsweise die Einigungsbewegungen in Deutschland und Italien, während sie tendenziell separatistische Strömungen als rückschrittlich ablehnen (Davis 1967). Ebenfalls stehen sie der territorialen Ausdehnung „fortschrittlicher“ Länder in kapitalistisch schwach entwickelte Gebiete positiv gegenüber (ebd.). So hält Engels die französische Eroberung Algeriens für „an important and fortunate fact for the progress of civilisation.“ (MEGA II. Abt., Bd. 6: 387). Ebenso wird die Annexion Kaliforniens durch die USA von ihm zunächst als eine fortschrittliche Entwicklung ausgegeben: Die „energischen Yankees“ seien einfach besser als die „faulen Mexikaner“ geeignet, um die Region schnell und nachhaltig zu entwickeln (MEW 6: 273).

Zur Frage des Kolonialismus in Indien und China. England, das „unbewusste Werkzeug der Geschichte“?

Am deutlichsten wird der Marxsche Blickwinkel, unter dem er die weltweite Ausdehnung des Kapitalismus und der sie befördernden Politiken bis in die 1860er Jahren analysiert und beurteilt, in den sogenannten Indien- und Chinabriefen. Der merkantile Kolonialismus Großbritanniens wird in dieser für die „New York Daily Tribune“ geschriebenen Artikelreihe einerseits als brutal, grausam und von niederen Motiven getrieben angeklagt.[1] Andrerseits dürfe der „schnöde Eigennutz“ und die „stupide“ Art, in der England seine Interessen durchsetzt (MEW 9: 133), aber nicht über die positiven Folgen des Kolonialismus in Indien hinwegtäuschen. England habe durchaus eine „soziale Revolution in Indien“ ausgelöst und damit nicht nur den „orientalischen Despotismus“ und die mit ihr verbundenen Grausamkeiten, das Kastensystem, den religiösen Fanatismus und „dieses menschenunwürdige, stagnierende Dahinvegetieren“ (MEW 9: 132) unterhöhlt, sondern Indien eben auch auf den Pfad einer industriell-kapitalistischen Entwicklung geführt. Da der industrielle Kapitalismus von Marx als ein notwendiges Durchgangsstadium zum Sozialismus betrachtet wird, erweist sich der Kolonialismus in seinen Augen als ein entscheidendes Mittel zur Beförderung der Vorrausetzungen einer sozialistischen Gesellschaft (MEW 9: 226). Insofern „war England,“ – nach Marx – „welche Verbrechen es auch begangen haben mag, doch das unbewusste Werkzeug der Geschichte, indem es diese Revolution zuwege brachte“ (MEW 9: 133)

Die stagnativen Muster asiatischer Gesellschaften, glaubt Marx, seien nur „von außen“ aufzubrechen. Ungeachtet aller Bewegungen an der politischen und kulturellen Oberfläche (MEW 9: 128f.) würden die asiatischen Gesellschaften aufgrund einer spezifischen Anordnung der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse keine innere Veränderungsdynamik auf der Ebene der gesellschaftlichen Produktionsweise und damit „keine Geschichte“ besitzen (MEW 9: 220): „Wie wechselvoll auch immer das politische Bild der Vergangenheit Indiens gewesen sein möge, seine sozialen Verhältnisse waren doch von den frühesten Zeiten bis ins erste Jahrzehnt des 19.Jahrhunderts unverändert geblieben“ (MEW 9: 130).[2] Die grundlegende Struktur und der stationäre Charakter orientaler Gesellschaften müssen nach Marx durch zwei „sich wechselseitig unterstützenden Umstände“ erklärt werden (MEW 28: 267). Einerseits durch eine Abwesenheit des Privateigentums an Grund und Boden und die Existenz kleiner, isolierter und über das ganze Land verstreuter Dorfgemeinschaften, andererseits durch einen bürokratischen und despotischen Staat, dessen Macht sich auf die Ausübung wichtiger öffentlicher Arbeiten und auf die Religion stützt.

Die Abwesenheit des privaten Grundeigentums bildet für Marx und Engels den „Schlüssel zum ganzen Orient.“ (MEW 28: 259)[3] Die selbstgenügsamen Dorfgemeinschaften bilden die ökonomische Grundlage der orientalen Gesellschaft. Ihr „struktureller Angelpunkt“ (MEW 9: 130) müsse zum einen in der Einheit von Handwerk und Agrikultur gesucht werden, zum anderen könnten diese mittels einer eigenen Gemeindeverwaltung ihre Unabhängigkeit sichern (MEW 9: 131f.). Der Despot eignet sich das agrarische Mehrprodukt in Form einer Rente oder des Tributs an und unterhält damit einen aufgeblähten militärischen und bürokratischen Apparat. Die außerordentliche Macht der Bürokratie liegt in der Wahrnehmung übergeordneter ökonomischer und öffentlicher Aufgaben begründet (Transportwesen, Erstellung öffentlicher Bauten, Monopol des Außenhandels u.a.). Der Bau und Unterhalt von Bewässerungsanlagen ist ihre entscheidende Aufgabe: „Klimatische und territoriale Verhältnisse (…) bedingen künstliche Berieselung durch Kanäle und Wasserwerke, die Grundlage der orientalischen Landwirtschaft“ (MEW 9: 129). Da eine gemeinschaftliche Nutzung des Wassers durch einen freiwilligen Zusammenschluss der Dorfgemeinschaften wie in Flandern und Italien ausgeschlossen ist – Marx nennt die weite territorialen Ausdehnung Indiens und einen angeblich „niedrigeren“ Stand der Zivilisation als Ursachen (ebd.) – kann sich die Bürokratie diese entscheidende ökonomische Funktion aneignen (ebd.), die über Wohl und Wehe der Landwirtschaft entscheidet.

Da das Zusammenspiel der verschiedenen Elemente asiatischer Gesellschaften nach Marx einen technologischen und sozialökonomischen Fortschritt verunmöglicht – oder bestenfalls nachhaltig behindert – muss die Entwicklungsblockade dieser Länder von außen überwunden werden. „England hat in Indien eine doppelte Mission zu erfüllen: eine zerstörende und eine erneuernde – die Zerstörung der alten asiatischen Gesellschaftsordnung und die Schaffung der materiellen Grundlage einer westlichen Gesellschaftsordnung in Asien“ (MEW 9: 221). Dass England diese Aufgabe erfüllen kann, ist nach Marx einer angeblich „höheren Entwicklungsstufe“ Englands geschuldet: „(…) einem unabänderlichen Gesetz der Geschichte zufolge werden barbarische Eroberer selbst stets durch die höhere Zivilisation der Völker erobert, die sie sich unterwerfen. Die britischen Eroberer waren die ersten, die auf einer höheren Entwicklungsstufe standen und daher der Hindu-Zivilisation unzugänglich waren.“ (ebd.)

Die zerstörerische Seite der „historischen Mission“, wird nach Marx durch verschiedene Handlungen der britischen Regierung hervorgerufen. Zunächst einmal vernachlässigen die englischen Besatzer die öffentlichen Arbeiten. „Daher der Verfall einer Landwirtschaft, die nicht fähig ist, nach dem britischen Grundsatz der freien Konkurrenz (…) betrieben zu werden“ (MEW 9: 129f.). Zur besseren Erhebung der Steuern führen die Kolonialherren zudem mit dem Samindari- und dem Raiatwairi-System das private Eigentum an Grund und Boden ein und damit nach Marx „zwei ausgesprochene Formen des Privateigentums an Grund und Boden, nach dem die asiatische Gesellschaft so sehr verlangt“ (MEW 9: 221). Durch die Etablierung von Verkehrswegen lösen die Engländer auch die Isolation der Dorfgemeinschaften auf (MEW 9: 223) und überwinden mit Hilfe der Schifffahrt und des Fernhandels die äußere Abgeschlossenheit der asiatischen Länder.[4] Der entscheidende Faktor, der nach Marx die Vernichtung der alten asiatischen Ordnung hervorrief, ist jedoch der „zerstörende Einfluss der ausländischen Konkurrenz auf die einheimische Produktion“ (MEW 9: 97) und – im Falle Chinas – die durch den Opiumhandel erfolgte Demoralisierung der Staatsbeamten und den dadurch ausgelösten Verlust der patriarchalischen Autorität des Kaisers (MEW 9: 96f.). Die Überschwemmung Indiens mit billigen Textilien muss nach Marx die für das Dorfsystem so grundlegende Einheit von Agrikultur und Handwerk zersetzen: „Es war der britische Eindringling, der den indischen Handwebstuhl zerstörte und den Handwebstuhl zerbrach. (…) Englische Dampfkraft und englische Wissenschaft zerstörten in ganz Hindustan die Bande zwischen Ackerbau und Handwerk.“ (MEW 9: 130)

Die Entfaltung des Kapitalismus erfolgt laut Marx nach diesem Akt der Zerstörung offenbar mehr oder weniger automatisch: Eine Reihe von Faktoren sichern der kolonialen Mission Englands die „erneuernde“ Rolle und generieren eine beschleunigte industrielle Entwicklung in Indien und China. Neben der bereits erwähnten Einführung des Privateigentums an Grund und Boden, nennt er eine Reihe von politischen Reformen, die durch die Kolonialmacht England umgesetzt werden (MEW 9: 221), so die „politische Einheit Indiens“, die Einführung des „elektrischen Telegraphen“, „die freie Presse“, die Bildung einer europäisch geschulten Beamtenschaft und Armee. Besonders die Errichtung eines Eisenbahnnetzes hat für Indien weitreichende Folgen: „Die Dampfkraft hat Indien in regelmäßige und rasche Verbindung mit Europa gebracht, sie hat Indiens wichtigste Häfen mit denen des ganzen südöstlichen Ozeans verknüpft und es aus der isolierten Lage befreit, die der Hauptgrund seiner Stagnation war.“ (MEW 9: 221f.) Diese Eröffnung des Außenhandels wird durch die Schaffung einer funktionierenden Infrastruktur im Inland ergänzt, die eine ganze Entwicklung mit eigener Dynamik hervorbringt: mit dem Eisenbahnnetz entstehen „Austauschmöglichkeiten für seine mannigfaltigen Erzeugnisse“ (MEW 9: 222), die Landwirtschaft profitiert von dem Bau von Wasserleitungen (ebd.), der Militäretat könne durch einen flexibleren Einsatz der Einheiten gesenkt werden, vor allem rufe das Eisenbahnwesen aber einen Technologie- und Wissenstransfer nach Indien hervor, der einen Industrialisierungsprozess anstoße:

„Man kann nicht in einem riesigen Land ein Eisenbahnnetz unterhalten, ohne alle die industriellen Verfahren einzuführen, die nötig sind, um die augenblicklichen wie die laufenden Bedürfnisse des Eisenbahnverkehrs zu befriedigen, woraus sich notwendig die Anwendung von Maschinerie auch in solchen Industriezweigen ergibt, die nicht unmittelbar mit der Eisenbahn zusammenhängen. Daher wird das Eisenbahnwesen ganz naturgemäß zum Vorläufer einer modernen Industrie werden.(…) Die im Gefolge des Eisenbahnsystems entstehende moderne Industrie wird die überkommende Arbeitsteilung und damit die Grundlage der indischen Kasten aufheben, die Indiens Fortschritt und Indiens Machtentfaltung so entscheidend behindert haben“ (MEW 9: 223f.).

Irland und der „frühe Dependenztheoretiker Marx“

Der stark eurozentristische und modernisierungstheoretische Charakter der dargelegten Äußerungen von Marx ist offensichtlich. Interessanterweise revidiert Marx aber im Zuge seiner weiteren Studien die meisten seiner früheren Standpunkte. Sein Glaube an eine „historische Mission“ Englands wird nicht nur durch den ausbleibenden Industrialisierungsschub in Indien erschüttert, auch seine Untersuchungen zur Irlandfrage, zu Polen, zu Russland und seine ausführlichen ethnologischen Studien gegen Ende seines Lebens,[5] führen zu weitreichenden Verschiebungen in seiner Argumentationsweise (Davis 1967; Mohri 1979; Larrain 1991). Seine späteren (z.T. verstreuten und unausgearbeiteten) Äußerungen zu Fragen der globalen Expansion des Kapitals, zum Kolonialismus oder zum Freihandel sind teilweise vorsichtiger formuliert oder relativieren früher vertretene Standpunkte; teilweise widersprechen sie diametral seinen frühen Positionen. Daneben gibt es Passagen in seinen reiferen Texten, die als eine frühe Formulierung eines Dependenzansatzes gesehen werden können.

Bereits in den Indien- und Chinabriefen aus den 50er Jahren kann man – obwohl Max sich in Bezug auf die „erneuernde“ Rolle des Kolonialismus in Indien sehr optimistisch gibt[6], auch einzelne seine Position relativierende Abschnitte ausfindig machen. So gibt Marx an einer Stelle zu, dass die britische Kolonialmacht offenbar bisher kaum etwas verzeichnen kann, was über das „Werk der Zerstörung hinausgehe“ (MEW 9: 221). Und an anderer Stelle bemerkt er kritisch: „England hat das gesamte Gefüge der indischen Gesellschaft niedergerissen, ohne dass bisher auch nur eine Spur des Neuaufbaus sichtbar geworden wäre“ (MEW 9: 129).[7] Zudem wird die homogenisierende Kraft des Kapitals an einer Stelle der Chinabriefe abgeschwächt.

„Es ist diese gleiche Einheit von Landwirtschaft und handwerklicher Industrie, die lange Zeit dem Export britischer Waren nach Ostindien widerstand und ihn immer noch hemmt; aber dort beruhte diese Einheit auf den besonderen Grundbesitzverhältnissen, die den Briten in ihrer Machtstellung als oberste Grundherren des Landes unterminieren konnten und auf diese Weise einen Teil der sich selbst erhaltenden hindustanischen Gemeinschaften gewaltsam in bloße Farmen verwandeln, die im Austausch für britische Stoffe Opium, Baumwolle, Indigo, Hanf und andere Rohstoffe produzieren. In China haben die Engländer diese Macht noch nicht ausüben können, und es wird ihnen wahrscheinlich auch niemals gelingen.“ (MEW 13: 544)

Zwei Schlüsse können aus diesem Zitat gezogen werden: Zum einen erkennt Marx – wahrscheinlich ohne es zu wollen – die ökonomische Effizienz derjenigen vorkapitalistischen Produktionen an, die auf einer Einheit von „Landwirtschaft und handwerklicher Industrie“ beruhen. Nicht die höhere Effizienz der bürgerlichen Produktion löste über die Einfuhr von Maschinengarn die Einheit von Handwerk und Agrikultur und damit die auf ihr basierenden Dorfgemeinschaften auf, sondern die Umwandlung der Grundbesitzverhältnisse mit Mitteln der direkten Kolonialherrschaft. Zum anderen scheint ihn diese Erkenntnis – im Unterschied zu späteren Äußerungen von Marx – zu einer Radikalisierung seiner Haltung gegenüber den Politiken zu bewegen, die eine Durchkapitalisierung der Welt befördern sollen: Marx lässt in dem Zitat durchscheinen, dass direktere Formen der Kolonialherrschaft einer weltweiten Durchsetzung bürgerlicher Verhältnisse dienlicher sind als indirekte Formen, da sie eventuelle Expansionsblockaden des Kapitals überwinden helfen.

In ihren späteren Schriften setzen sich Marx und auch Engels deutlicher von früheren Positionen ab. Engels, der zunächst die französische Eroberung Algeriens im Namen des Fortschritts begrüßt hatte (siehe oben), tritt später als ein Kritiker der französischen Algerienpolitik in Erscheinung (MEW 14: 95ff.). Ebenso kontrastiert die ausdrückliche Befürwortung der Annexion Kaliforniens durch die Vereinigten Staates mit der massiven Kritik der europäischen Intervention in Mexiko im Jahre 1861. Diese wird von Marx als „eines der ungeheuerlichsten Unternehmen in den Annalen der internationalen Geschichte“ gebrandmarkt (MEW 15: 366). Auch die angeblich „erneuernde Wirkung“ der britischen Kolonialpolitik in Indien wird in den späteren Lebensjahren durchaus anders bewertet. So werden beispielsweise die Samindari- und Raiatwairi-Systeme in einem Briefentwurf an Vera Sassulitsch als wesentlich rückschrittlich bezeichnet. „Was zum Beispiel Ostindien anbelangt, so ist es aller Welt, mit Ausnahme von Sir H. Maine und anderen Leuten gleichen Schlages, nicht unbekannt, dass dort die gewaltsame Aufhebung des Gemeineigentums an Grund und Boden nur ein Akt des englischen Vandalismus war, der die Eingeborenen nicht nach vorn, sondern nach rückwärts stieß!“ (MEW 19: 402) Während Marx in den Indienbriefen noch die These vertritt, dass die Einführung des Eisenbahnsystems in Indien unweigerlich einen kapitalistisch geprägten Modernisierungsprozess nach sich ziehe, beschreibt er die Folgen dieser Einführung in einem späten Brief an Danielson weit differenzierter:

„Im allgemeinen gaben natürlich die Eisenbahnen der Entwicklung des auswärtigen Handels einen mächtigen Impuls, doch dieser Handel steigerte in Ländern, die hauptsächlich Rohprodukte exportieren, das Elend der Massen. Nicht nur dass die neuen von den Regierungen zugunsten der Eisenbahnen der Eisenbahnen aufgenommenen Schulden die auf den Massen lastenden Steuern vergrößerten, sondern es kam hinzu, dass seit dem Augenblick, da die gesamte lokale Produktion in kosmopolitisches Gold verwandelt werden konnte, viele früher billige, weil in großem Umfang unverkäufliche Waren, wie Obst, Wein, Fisch, Wild, verteuert und dem Konsum des Volkes entzogen wurden; andererseits wurde die Produktion selbst, ich meine die spezielle Art des Produkts, je nach ihrer mehr oder minder großen Eignung auf den Export umgestellt, während sie früher hauptsächlich dem lokalen Konsum angepasst war. (…) Diese ganze Umstellung war für den Großgrundbesitzer, den Wucherer, den Kaufmann, die Eisenbahnen, die Bankiers usw. sicher seht vorteilhaft, aber traurig für den wirklichen Produzenten.“ (MEW 34: 373)

Es lassen sich in den späteren Texten zudem mehrere Passagen auffinden, die durchaus der Dependenztheorie vorgreifen. Nicht nur, dass Marx im Kapital erste Ansätze einer Theorie des ungleichen Austauschs auf dem Weltmarkt liefert (z.B. MEW 25: 247ff.), oder den Reichtums- und Ressourcentransfer im Prozess der ursprünglichen Akkumulation herausstreicht, er erkennt außerdem, dass die von ihm zunächst befürwortete „Urbarmachung ganzer Weltteile“ durch das westeuropäische Kapital (MEW 4: 467), zu einer für die Kolonialländer nachteiligen internationalen Arbeitsteilung führen kann:

„Andererseits sind Wohlfeilheit des Maschinenprodukts und das umgewälzte Transport- und Kommunikationswesen Waffen zur Eroberung fremder Märkte. Durch den Ruin ihres handwerksmäßigen Produkts verwandelt der Maschinenbetrieb sie zwangsweise in Produktionsfelder seines Rohmaterials. So wurde Ostindien zur Produktion von Baumwolle, Wolle, Hanf, Jute, Indigo usw. für Großbritannien gezwungen. (…) Es wird eine neue, den Hauptsitzen des Maschinenbetriebs entsprechende internationale Teilung der Arbeit geschaffen, die einen Teil des Erdballs in vorzugsweis agrikoles Produktionsfeld für den anderen als vorzugsweis industrielles Produktionsfeld umwandelt.“ (MEW 23: 475)

Am deutlichsten tritt der neue Standpunkt Marxens in seinen späten Schriften über Irland hervor. In diesen leitet Marx die industrielle Rückständigkeit Irlands direkt aus dessen kolonialen Status ab und analysiert, wie die britische Herrschaft den gesellschaftlichen Reproduktionsprozess in Irland deformiert. Der entscheidende Zweck der englischen Kolonialherrschaft sei es – Marx spricht gar von ihrem „einzige(n) Sinn“ (MEW 31: 399) –, Irland eine ungleiche Spezialisierung in der Produktion aufzuzwängen und „in ein bloßes Weideland zu verwandeln, welches for the English market Fleisch und Wolle zu den möglichst billigen Preisen liefert“ (MEW 32: 668; vgl. auch MEW 23: 730). Wie Engels schon 1856 schreibt, werde Irland, immer wenn es versuche sich industriell fortzuentwickeln, von England gewaltsam daran gehindert. „Wie oft haben die Irländer angesetzt, um zu etwas zu kommen und jedes Mal sind sie ekrasiert worden, politisch und industriell“ (MEW 29: 57). Dieser Position schließt sich Marx ungefähr zehn Jahre später an: „Sooft Irland also auf dem Punkt, sich industriell zu entwickeln, wurde es niedergeworfen und in bloß agrikoles Land zurückverwandelt.“ (MEW 16: 451)

Offenbar bremst der politisch und ökonomisch abhängige Status Irlands den Akkumulationsprozess in Irland (MEW 23: 731) und behindert über eine massive Entvölkerung des Landes die Ausbildung eines inneren Marktes, der durch den forcierten Prozess der „Clearing of the Estades of Ireland“ (MEW 31: 399) ausgelöst wird:

„Endlich, obschon die Entvölkerung nicht so zerstörende Folgen hat wie in einem Land entwickelter kapitalistischer Produktion, vollzieht sie sich nicht ohne beständigen Rückschlag auf den inneren Markt. Die Lücke, welche die Auswanderung hier schafft, verengt nicht nur die lokale Arbeitsnachfrage, sondern auch die Einkünfte der Kleinkrämer, Handwerker, kleinen Gewerbsleute überhaupt. Daher der Rückgang der Einkommen (…)“ (MEW 23: 733)

Da die englische Industrie aufgrund ihrer höheren Produktivität auch die kleinsten Ansätze einer selbständigen industriellen Entwicklung Irlands niederkonkurriert, sieht Marx die einzige Chance eines industriellen Entwicklungsprozesses für Irland in einem Drei-Punkte-Programm, das seiner frühen freihändlerischen Position direkt widerspricht:

„Was die Irländer brauchen, ist: 1. Selbstregierung und Unabhängigkeit von England. 2. Agrarische Revolution. (…). 3. Schutzzölle gegen England. Von 1783‑1801 blühte die irische Industrie in allen Zweigen auf. Die Union mit Niederwerfung der Schutzzölle, welche das irische Parlament errichtet hatte, zerstörte alles industrielles Leben in Irland. (…) Sobald die Irländer unabhängig, würde die Not sie, wie Kanada, Australien etc., zu Protektionisten machen.“ (MEW 31: 400)

Auch in der Frage der sozialen Revolution überdenkt er eine alte Auffassung. Während er anfänglich den irischen Kampf um Unabhängigkeit dem Kassenkampf von Bourgeoisie und Proletariat in England unterordnete, hält er nun „die Unabhängigkeitmachung Irlands“ für ein entscheidendes „Mittel“ (MEW 32: 669) der Revolutionierung der sozialen Verhältnisse in England:

„[E]s ist das direkte, absolute Interesse der English Working Class (…), to get rid of their present connexion with Ireland. (…) Ich habe lange Zeit geglaubt, es sei möglich, das irische Regime durch English Working Class ascendancy zu stürzen. (…) Tieferes Studium hat mich nun vom Gegenteil überzeugt. Die englische working class wird nie etwas ausrichten, before it has got rid of Ireland. Der Hebel muss in Irland angelegt werden.“ (MEW 32: 414f.)

Die ausschlaggebende Bedeutung der nationalen Unabhängigkeit Irlands für die proletarische Bewegung liegt nach Marx in den Auswirkungen der englischen Kolonialherrschaft auf die Arbeiterschaft. Sie spalte die proletarische Bewegung:

„Der gewöhnliche englische Arbeiter hasst den irischen Arbeiter als einen Konkurrenten, welcher den standard of life herabdrückt. Er fühlt sich ihm gegenüber als Glied der herrschenden Nation und macht sich deswegen zum Werkzeug seiner Aristokraten und Kapitalisten gegen Irland, befestigt damit deren Herrschaft über sich selbst (…) Dieser Antagonismus ist das Geheimnis der Ohnmacht der englischen Arbeiterklasse, trotz ihrer Organisation.“ (MEW 32: 668f.)

Da der Sturz der englischen Grundaristokratie in Irland nach Marx nicht nur eine unendlich leichtere Operation ist als ihre direkte Entmachtung in England selber,[9] sondern auch den Sturz der Aristokratie in England nach sich zöge,[10] muss der „entscheidende Schlag gegen die herrschenden Klassen“ (MEW 32: 667) laut Marx in Irland geführt werden.

Die russische Dorfgemeinde und der Kampf gegen den Eurozentrismus

Eine Neuakzentuierung der Marxschen Positionen lässt sich auch in den späten Ausführungen zur russischen Agrarentwicklung ausmachen. In seinem Brief an Vera Sassulitsch – aber auch in seiner über die Zeitschrift „Otetschestwennyje Sapiski“ verlaufenden Auseinandersetzung mit Michajlovskij – setzt er sich ausdrücklich von einer geschichtsphilosophischen und eurozentristischen Perspektive ab, und dies, obwohl er unbestreitbar lange Zeit selber einer solchen Sichtweise verhaftet war. Ausdrücklich wendet er sich gegen solche Interpretationen seines Ansatzes, die in ihm eine „geschichtsphilosophische Theorie des allgemeinen Entwicklungsganges, der allen Völkern schicksalsmäßig vorgeschrieben ist,“ (MEW 19: 108) zu erkennen glauben. Besonders die Reichweite seiner Ausführungen zum Prozess der ursprünglichen Akkumulation im Kapital will er auf die Länder Westeuropas beschränkt wissen. „Bei dieser Bewegung im Westen handelt es sich um die Verwandlung einer Form des Privateigentums in eine andere Form des Privateigentums. Bei den russischen Bauern würde man im Gegenteil ihr Gemeineigentum in Privateigentum umwandeln.“ (MEW 19: 243) Noch deutlicher schreibt er:

„Ereignisse von einer schlagenden Analogie, die sich aber in einem unterschiedlichen historischen Milieu abspielten, führten also zu ganz verschiedenen Ereignissen. Wenn jede dieser Entwicklungen für sich studiert und sie dann miteinander vergleicht, wird man leicht den Schlüssel zu dieser Erscheinung finden, aber man wird niemals dahin gelangen mit dem Universalschlüssel einer allgemeinen geschichtsphilosophischen Theorie, deren größter Vorzug darin besteht, übergeschichtlich zu sein.“ (MEW 19: 112)

Mit diesen Äußerungen wendet sich Marx nicht nur allgemein gegen geschichtsphilosophische Konzeptionen, sondern er begrenzt zudem ausdrücklich die Geltungsbereich seiner eigenen Theorie (Franco 1982: 73f.). Da diese in der Auseinandersetzung mit der besonderen sozialen Realität Westeuropas gewonnen wurde, ist eine simple Übertragung seiner Erkenntnisse auf andere historische und gesellschaftliche Prozesse nicht ohne weiteres möglich. Die besonderen Eigenheiten außereuropäischer Gesellschaften müssen nach Marx in ihrer Entwicklung selbstständig untersucht und die zu ihrer Analyse verwandten Kategorien müssen (gegebenenfalls) neu durchdacht und modifiziert werden (Boris 1997: 572). Ihre bloße „Anwendung“ auf außereuropäische Entwicklungen ist ausgeschlossen.

Die zweite wichtige Verschiebung in den Marxschen Positionen, die sich aus dem Briefwechsel mit Vera Sassulitsch ausmachen lässt, betrifft die mögliche Rolle der russischen Dorfgemeinde Mir in dem Prozess einer eventuellen sozialistischen Erneuerung Russlands. Nach Marx ist nicht nur ein Fortbestehen kollektivistischer Lebensformen und Institutionen im Russland des 19. Jahrhunderts unbestreitbar, er hält die russische Ackerbaugemeinde – allerdings nur unter einer Reihe von Bedingungen – für einen denkbaren Ausgangspunkt einer sozialistischen Transformation des Landes. Jene stellt nach Marx den jüngsten Typus einer archaischen Gesellschaftsformation dar, deren Grundform zwei alternative Entwicklungspfade zulässt: „entweder wird das in ihre enthaltene Element des Privateigentums über das kollektive Element, oder dieses über jenes siegen. Alles hängt von dem historischen Milieu ab, in dem sie sich befindet“ (MEW 19: 388f.). Das Zitat schlägt dem orthodoxen Marxismus ins Gesicht: Da das „historische Milieu“ über die weitere Entwicklung der Ackerbaugemeinde entscheidet, widerspricht Marx der Vorstellung einer unilinearen Entwicklung der Geschichte.

Obsiegt im Zuge der weiteren Entwicklung das „Element des Privateigentum über das kollektive Element“, so kann die Dorfgemeinde nicht mehr als Ausgangspunkt einer sozialistischen Transformation fungieren und Russland verliert nach Marx „die schönste Chance (…), die die Geschichte jemals einem Volk dargeboten hat, um dafür alle verhängnisvollen Wechselfälle des kapitalistischen Systems durchzumachen“ (MEW 19: 108). Damit der alternative Pfad der Entwicklung beschritten werden kann, müssen nach Marx zwei Bedingungen erfüllt sein. Einerseits muss der durch das Eindringen des Kapitalismus verursachte Zersetzungsprozess der russischen Ackerbaugemeinde mittels einer baldigen Revolution in Russland gestoppt werden,[11] andererseits ist die Existenz des entwickelten Kapitalismus im Westen eine Bedingung für den Erneuerungsprozess der Gesellschaft in Russland. Wird eine russische Revolution von einer Revolution in den Ländern Westeuropas begleitet, so kann sich Russland die Errungenschaften einer kapitalistischen Entwicklung aneignen, ohne selber vorher kapitalistisch geworden zu sein:

„Gerade auf Grund ihre Gleichzeitigkeit mit der kapitalistischen Produktion kann sie [die Dorfgemeinde; d.A.] sich deren positive Errungenschaften aneignen, ohne ihre furchtbaren Wechselfälle durchzumachen. Russland lebt nicht isoliert von der modernen Welt, noch ist es die Beute eines fremden Eroberers wie Ostindien.“ (MEW 19: 384f.; siehe auch MEW 19: 296) 

Drei Dinge müssen in diesem Zusammenhang hervorgehoben werden. Als erstes unterscheidet sich die Marxsche Argumentation bezüglich der Entwicklungsmöglichkeiten der russischen Gesellschaft nicht nur stark von seinen früheren Ausführungen zur Rolle des Freihandels und des Kolonialismus in Indien und China, sondern auch von den eher dependenztheoretischen Kommentaren über Irland. Begrüßte Marx zunächst den Freihandel und den Kolonialismus als Mittel einer beschleunigten Einführung des Kapitalismus im asiatischen Raum, so begreift er in seiner Auseinandersetzung mit der irischen Frage, dass Freihandel und Kolonialismus zu einer Deformierung des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses in dem abhängig gehaltenen Land führen können. Er schlägt deshalb die Unabhängigkeit Irlands und die Errichtung eines Schutzzollsystems vor. Gemeinsam ist beiden Argumentationsweisen, dass ein kapitalistisch geprägter Industrialisierungsprozess als notwendige Vorraussetzung einer sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft angesehen wird. Während Marx jedoch in den Indien- und Chinabriefen primär interne Ursachen – nämlich die Existenz der asiatischen Produktionsweise bzw. von Überbleibseln derselben – für die „Entwicklungsblockade“ peripherer Länder verantwortlich macht, sind es in seinen späteren Analysen in erster Linie externe Ursachen, die Irland und Indien an einer industriellen Entwicklung hindern. In seinem Briefwechsel mit Vera Sassulitsch argumentiert Marx anders. Zwar ist ein entfalteter industrieller Kapitalismus im Westen weiterhin eine wichtige Vorbedingung für den Sozialismus in Russland, das Eindringen kapitalistischer Strukturen nach Russland, wird aber als Gefahr für eine auf der Dorfgemeinde beruhenden sozialistischen Transformationsperspektive Russlands angesehen. Eine besondere Note erhalten die Marxschen Ausführungen dadurch, dass in dem Prozess einer sozialistischen Erneuerung Russlands die Produktivkraftentwicklung des Westens nutzbar gemacht werden soll. Damit nimmt Marx eine Position zwischen derjenigen der sogenannten VolkstümlerInnen in Russland und derjenigen der orthodoxen MarxistInnen ein. Während erstere ein mögliches Wechselspiel zwischen einer Revolution im Westen und einer in Russland ignorieren, hängen letztere der stark schematischen Vorstellung an, dass ein Sozialismus in Russland nur auf Grundlage einer vorherigen Entfaltung des Kapitalismus denkbar ist.

Indem Marx die Möglichkeiten eines eigenständigen Entwicklungspfades für ein peripheres Land herausstellt, verschiebt sich zweitens der Fokus seiner Analyse. In den früheren Arbeiten von Marx zu Indien und China, aber auch zu Irland, steht stets die Möglichkeit einer revolutionären Umgestaltung in Großbritannien, Frankreich oder Deutschland im Mittelpunkt seiner Arbeiten (Schröder 1968: 70). Nun beschränken sich seine Betrachtungen der Entwicklungen im peripheren Raum nicht mehr nur auf ihren Beitrag für eine Revolution in den kapitalistischen Zentren. Während Marx in seinen Briefen über China die Möglichkeit einer Initiierung der proletarischen Revolution in England durch eine Volkserhebung in China erörterte (MEW 9: 95ff.) und in seinen Texten über Irland die Notwendigkeit einer Revolution in der englischen Kolonie betonte, so behandelt er nun umgekehrt die Revolution im Westen als bloße Bedingung einer sozialistischen Neugestaltung der Verhältnisse in Russland (Kalmring/Nowak 2004).

Drittens ist auf eine Lücke in der Marxschen Argumentation hinzuweisen, die sich anhand einer Kritik Kurt Mandelbaums (1971) an den Marxschen Ausführungen verdeutlichen lässt. Mandelbaum hält es für unwahrscheinlich, dass industrielle Techniken direkt auf eine urwüchsige Gemeinde wie den Mir aufgepfropft werden können:

„Wie nun die neuen Produktionsinstrumente unmittelbar, d.h. unter Umgehung des Kapitalismus, in eine sozialistische Arbeitsorganisation eingeordnet werden sollen, noch ehe bei den Bauern, um die es sich dabei handelt, und die im Mir kleinbetrieblich wirtschafteten, jene lange Erziehung zu fabrikmäßiger Kooperation wirksam geworden ist, die die Lohnarbeiter im Westen durchgemacht hat, bleibt bei Marx ganz unklar.“ (Mandelbaum 1971: 17)

Man muss Mandelbaums orthodoxe Position nicht teilen, dass Russland eine Phase kapitalistischer Industrialisierung zu durchlaufen habe, um zu erkennen, dass er in einem Punkt Recht hat: Marx behauptet zwar, dass die russische Mir unter bestimmten Bedingungen zum Ausgangspunkt einer sozialistischen Transformation in Russland werden könnte, er schweigt sich aber über das wie aus. Wie die über das ganze Land verstreuten, bäuerlichen Gemeinden den „Ausgangspunkt“ eines industriellen Sozialismus bilden können bleibt im Detail unklar.

Schluss

Wie wir in dem vorliegenden Artikel gezeigt haben, ist die Marxsche Behandlung des Problems der globalen Expansion des Kapitals und der global-ungleichen Entwicklung alles andere als einheitlich. Im Unterschied zu einer weit verbreiteten Auffassung kann Marx nicht ohne weiteres als früher Vertreter der Modernisierungstheorie abgetan werden. Im Zuge seiner intellektuellen Entwicklung lässt sich vielmehr ein fortschreitender Prozess der Infragestellung früherer der Modernisierungstheorie verwandten Positionen feststellen.

Obwohl zunächst nach Marx das Kapital auch von alleine dazu neigt, sich „eine Welt nach seinem eigenen Bilde zu schaffen“ und damit eine den Sozialismus vorbereitende weltweite Industrialisierung initiieren werde, befürwortet Marx in diesem Zeitabschnitt jede Politik (Freihandel, Kolonialismus oder im Bereich der Außenpolitik), die eine Durchkapitalisierung der Welt befördert. Obgleich Marx durchaus die brutalen und barbarischen Formen der Ausbreitung des Kapitalismus erkennt und verurteilt, ist er aufgrund seiner eigentümlichen Fortschrittsperspektive geneigt diese in Kauf zu nehmen. Dies zeigt sich besonders deutlich in den Artikeln über China, in denen Marx sogar soweit geht, die Vorzüge einer direkten Kolonialherrschaft zur Etablierung einer kapitalistischen Produktionsweise im außereuropäischen Raum gegenüber indirekteren Varianten anzudeuten.

Der frühe Fortschrittsoptimismus Marxens wird im Zuge seiner weiteren Studien Stück für Stück revidiert und zunächst ab ungefähr den 1860er Jahren durch eine der Dependenztheorie vorgreifenden Haltung ersetzt, um schließlich in seiner Auseinandersetzung mit der russischen Agrarentwicklung vollständig überwunden zu werden. Vor allem im Zusammenhang mit seiner Auseinandersetzung mit der irischen Frage erkennt Marx, dass neben internen Ursachen für eine ausbleibende oder blockierte industriell-kapitalistische Entwicklung, externe Ursachen für eine deformierte Entwicklung verantwortlich gemacht werden müssen.

In seinem Briefwechsel mit Vera Sassulitsch geht Marx noch einen Schritt weiter, in dem er nicht nur geschichtsphilosophische Konstruktionen scharf kritisiert und die Reichweite seines eigenen Ansatzes beschränkt, sondern auch zu einem „bedingten Urteil“ über die Entwicklungsfähigkeit der russischen Dorfgemeinde Mir gelangt und einen nichtkapitalistischen Industrialisierungsweg aufzeigt. Damit unterscheidet sich seine Argumentation sowohl von den stark modernisierungstheoretischen Ausführungen in den frühen Briefen über Indien und China, als auch von seinen eher dependenztheoretischen Äußerungen über Irland. Beide Male galt Marx ein kapitalistisch betriebener Industrialisierungsprozess als eine unabdingbare Vorraussetzung des Sozialismus.

Dass eine Auseinandersetzung mit Marx auch nach dem Zusammenbruch des Ostblocks lohnend ist, kann – gerade auch mit einem Blick auf die Entwicklungsforschung – als Ergebnis des Aufsatzes festgehalten werden. Eine Beschäftigung mit Marx kann zwar eine Entwicklung neuer und zeitgemäßer Ansätze nicht ersetzen, sie kann aber inspirierend bei deren Entwicklung wirken.

Literatur

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Boris, Dieter (1983): Marx, marxistische Revolutionstheorie und die Dritte Welt, in: Marxistische Blätter. H.2. S. 47-53

Boris, Dieter (1997): Entwicklungsländer, in: Haug, Wolfgang Fritz (Hg.): Historisch-Kritisches Wörterbuch des Marxismus. Band 3. Berlin. S. 567-582

Davis, Horace B. (1967): Nationalism and Socialism. New York

Franco, Carlos (1982): Entwicklung, Nation und Sozialismus, in: Haug, Wolfgang Fritz/Elfferding, Wieland (Hg.): Internationale Sozialismusdiskussion 2, AS 78. Berlin/West. S. 6-22

Ghorashi, Reza (1995): Marx on Free Trade, in: Science & Society. 59. Jg., H. 1. S. 38-51

Ghosh, Baidyanath (1993): Karl Marx on Development and Underdevelopment, in: The Indian Economic Journal. H. 4. S. 13-23

Kalmring, Stefan/Nowak, Andreas (2004): Der Marxsche Blick auf Afrika. Anmerkungen zu der fragmentarischen Auseinandersetzung Marxens mit dem afrikanischen Kontinent, in: Lühr, Volker/Kohls, Arne/Kumitz, Daniel (Hg.): Vom Stief- zum Patenkind. Sozialwissenschaftliche Perspektiven auf Afrika. Münster (im Erscheinen)

Kappeler, Manfred (1991): Drogen und Kolonialismus. Zur Ideologiegeschichte des Drogenkonsums. 2. Aufl. Frankfurt a. M.

Larrain, Jorge (1991): Classical Political Economists and Marx on Colonialism and ‚Backward Nations‘, in: World Development. 19. Jg., H. 2/3. S. 225-243

Mandelbaum, Kurt (1971): Marx, Engels, Lenin. Zur Vorgeschichte der Russischen Revolution, Amsterdam

Marx, Karl/Engels, Friedrich (MEW): Werke. Berlin/Ost 1956ff. (zit. als MEW)

Marx, Karl/Engels, Friedrich (MEGA): Gesamtausgabe. I. Abt., Bd. 6. Moskau, Leningrad 1933 (zit. als MEGA)

Menzel, Ulrich (2000): Karl Marx (1818‑1883). Die drei Entwicklungstheorien des Karl Marx, in: Entwicklung und Zusammenarbeit (E+Z). H.1. S. 8-11

Mohri, Kenzo (1979): Marx and Underdevelopment, in: Monthly Review. H. 10. S. 32-42

Rjazanov, David (1926): Vera Sassulitsch und Karl Marx – Zur Einführung, in: Rjazanov, David (Hg.): Marx-Engels-Archiv, Band 1. Frankfurt a. M. S. 309-314

Schröder, Hans-Christoph (1968): Sozialismus und Imperialismus. Die Auseinandersetzung der deutschen Sozialdemokratie mit dem Imperialismusproblem und der „Weltpolitik“ vor 1914. Teil 1. Hannover

 

Anmerkungen

[1] Nachdrücklich prangert Marx die Schandtaten „einer sich christlich drapierenden und mit Zivilisation hausierenden britischen Regierung“ an (MEW 12: 555), erkennt die Bereicherungssucht als ihren eigentlichen Beweggrund (MEW 9: 223; MEW 12: 552) und vergleicht sogar den von ihr angestoßen „menschlichen Fortschritt“ mit „jenem scheußlichen heidnischen Götzen (…), der den Nektar nur aus den Schädeln Erschlagener trinken wollte“ (MEW 9: 226).

[2] Vgl. auch MEW 15: 514.

[3] Dennoch zeigt sich gerade in diesem Punkt die große Unsicherheit Marxens bezüglich der sozioökonomischen Gegebenheiten Indiens: „Was die Eigentumsfrage betrifft, so bildet sie eine große Streitfrage bei den englischen Schriftstellern über Indien. In den kupierten Gebirgsterrains südlich von Crishna scheint allerdings Eigentum an Grund und Boden existiert zu haben“ (MEW 28: 268).

[4] Der letzte Punkt wird von Marx vor allem in Bezug auf China hausgestrichen: „Zur Erhaltung des alten Chinas war völlige Abschließung die Hauptbedingung. Da diese Abschließung nun durch England ihr gewaltsames Ende gefunden hat, muss der Zerfall so sicher erfolgen wie bei einer sorgsam in einem hermetisch verschlossenen Sarg aufbewahrten Mumie, sobald sie mit frischer Luft in Berührung kommt“ (MEW 9: 97).

[5] Zu dem Fall „Afrika“ bei Marx s. Kalmring/Nowak 2004.

[6] „Auf jeden Fall aber können wir mit Bestimmtheit erwarten, in mehr oder weniger naher Zukunft Zeugen einer Erneuerung dieses großen Landes zu sein (…)“ (MEW 9: 224f.).

[7] Ein ähnliches Beispiel findet man in einem späteren Artikel vom Juli 1862 (MEW 15: 514-516), in dem Marx die durch die Folgen der ausländischen Interventionen angestoßene revolutionäre Taiping-Bewegung behandelt. Während Marx hier weiterhin hervorhebt, dass die Grundlagen der alten Gesellschaftsordnung in China durch die Opiumkriege erschüttert wurden, ist von einer Generierung einer sich selbsttragenden kapitalistischen Entwicklung keine Rede mehr (vgl. Kappeler 1991: 276f.).

[8] „Den aufschließenden Manufakturen sicherte die Kolonie Absatzmarkt und eine durch das Marktmonopol potenzierte Akkumulation. Der außerhalb Europa direkt durch Plünderung, Versklavung und Raubmord erbeutete Schatz floss ins Mutterland zurück und verwandelte sich hier in Kapital“ (MEW 23: 781).

[9] Marx nennt zwei Gründe: einerseits sei die Landfrage „bis jetzt die ausschließliche Form der sozialen Frage“ in Irland und andrerseits sei die soziale Frage zugleich mit der nationalen Frage Irlands verknüpft (MEW 32: 668).

[10] Nach Marx stellt Irland sowohl die Hauptquelle des materiellen Reichtums der englischen Grundaristokratie dar, als auch ihr „moralisches Bollwerk“. „Irland ist daher das grand moyen, wodurch die englische Aristokratie ihre Herrschaft in England selbst erhält“ (MEW 32: 667f.). Mit der Unabhängigkeit Irlands verliert die englische Grundaristokratie somit die Grundlage ihrer Vormachtstellung in England.

[11] „Wenn die Revolution zur rechten Zeit erfolgt, wenn sie alle ihre Kräfte konzentriert, um den freien Aufschwung der Dorfgemeinde zu sichern, wird diese sich bald als ein Element der Regeneration der russischen Gesellschaft und als Element der Überlegenheit über die vom kapitalistischen Regime versklavten Länder entwickeln“ (MEW 19: 395; siehe auch MEW 19: 243).


 

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde uns von den Autoren am 06.12.2004 zur Veröffentlichung überlassen. Er erschien erstmals in:

Peripherie und globalisierter Kapitalismus
Zur Kritik der Entwicklungstheorie

Herausgegeben von
Olaf Gerlach/Stefan Kalmring/Daniel Kumitz/Andreas Nowak
Mit Beiträgen von
 Martina Blank, Dieter Boris, Gülay Caglar, Martha Zapata Galindo, Christoph Görg, Eva Hartmann, Gerhard Hauck, Stefan Kalmring, Reinhart Kößler, Daniel
Kumitz, Birgit Mahnkopf, Oliver Nachtwey, Andreas Nowak, Manfred Nitsch, Steffen Rolke, Christian Zeller, Gabriele Zdunnek
Erscheinungsdatum: Oktober 2004
ISBN: 386099803X