"FU Berlin:
Ein pechschwarzes Gebilde"


rezensiert von
Benedict Ugarte-Chacon
12/04

trend

onlinezeitung

Als im Winter 1988 die Freie Universität Berlin von ihren Studierenden bestreikt wurde, fand sich in einem autonomen Seminar eine Gruppe von Studentinnen und Studenten zusammen, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, "hochschulpolitische Machenschaften und Skandale" hintergründiger zu beleuchten. Informationen zu den Missständen, die schließlich den Streik provoziert hatten, sollten in einer Art Broschüre zusammengefasst werden. So machte man sich an emsiges Recherchieren u.a. auf den Themenfeldern Berliner Hochschulgesetz, Berufungsverfahren und Strukturkommission. Bei der Recherche stellte sich heraus, dass sich kein Themenkomplex finden ließ, der nicht mit einer bestimmten Organisation in Zusammenhang zu bringen war: der Notgemeinschaft für eine freie Universität e. V. (NofU).

Besagte Organisation bzw. einzelne Mitglieder schienen von der Wissenschaftsverwaltung über Parteien und Hochschulorganisationen bis hin zu den Gremien der FU nahezu überall vertreten zu sein. So beschlossen die Autorinnen und Autoren die Machenschaften dieser Organisation zum "roten Faden" ihrer Broschüre zu machen. Herausgekommen ist ein Buch, dass die Struktur, die Verbindungen und den Einfluss der NofU an der FU und an anderen Stellen systematisch analysiert.

Seit ihrer Gründung im Jahr 1969 verfolgte die NofU das Ziel, den "Vormarsch der Kommunisten" an den Hochschulen, der mit der Studierendenbewegung 1968 seinen Lauf genommen habe, zu be- und verhindern. Hierzu wurde sie auch publizistisch tätig, seit 1970 erschien u. a. eine Broschüren-Reihe mit dem Namen "Freie Universität unter Hammer und Sichel". Dokumentiert werden sollte damit die schleichende Machtübernahme kommunistischer "Verfassungsfeinde" im gesamten Hochschulbereich, denn die NofU sah im damaligen sozialdemokratischen Berliner Hochschulgesetz die Handlungsunfähigkeit der Gremien der FU festgeschrieben, sah den damaligen FU-Präsidenten Rolf Kreibich vor den "Radikalen" kapitulieren und in Forschungs- und Berufungsfragen kommunistische DozentInnen und StudentInnen dominieren. Dramatische Folgen der kommunistischen Herrschaft an der FU wähnte die NofU in den von ihr wahrgenommenen Bedrohungen durch "Terror, Chaos, Leistungsverfall und Professorenflucht" und sah damit das Recht auf Freiheit der Forschung und Lehre enorm beeinträchtigt. In einer Publikation versteigt sich die NofU gar zu der Schlussfolgerung, bei der Juso-Hochschulgruppe handle es sich um "Agenten einer kommunistischen Diktatur". Beim Blick auf solch merkwürdige Auffassungen verwundert es nicht mehr, dass die NofU ihre sämtlichen KritikerInnen der "Wissenschaftsfeindlichkeit" bezichtigte; solch ein Niveau wird allerdings nachvollziehbarer, beachtet man den Umstand, dass bei Gründung der NofU ein gewisser Axel Springer zugegen war, der diverse Kampagnen der NofU mit seinen Blättern unterstützte.

Es ist jedoch keinesfalls so, dass es sich bei der NofU nur um einen Zusammenschluss hysterischer Konservativer handelte, der mit plumpen antikommunistischen Ressentiments hausieren ging und der sein eigenes verqueres Demokratieverständnis mit der "Verfassung" verwechselte. Die Autoren und Autorinnen des Buches machen vielmehr deutlich, dass hinter den hervorgebrachten Vorwürfen "massive professorale Standesinteressen" standen. Entgegen den Demokratisierungsforderungen der Studierendenbewegung 1968, die auch teilweise umgesetzt werden konnten, sollte durch die Diskreditierung eben dieser Bemühungen als "kommunistisch" und "verfassungsfeindlich" die "Restauration professoraler Macht und Herrlichkeit" erfolgen. "In Wirklichkeit waren gar nicht die KommunistInnen gemeint, sondern alle KritikerInnen der Ordinarienstruktur". In diesem Sinne ist auch der Begriff der "Freiheit der Wissenschaft", wie ihn die NofU vertrat, zu interpretieren. Die Autoren und Autorinnen kommen zu dem Schluss, dass sich hinter dieser Freiheit lediglich die "´Freiheit´der Profs von Mitbestimmung und demokratischer Kontrolle" verbarg.

Da die Mitgliederlisten der NofU von dieser geheimgehalten wurden, sind nur die Namen ihrer Vorstandsmitglieder bekannt, Roman Herzog und Ernst Nolte seien hier als prominente Beispiele genannt.

Weitaus unappetitlicher als das von ihr nach außen präsentierte muffig-konservative Gedankengut stoßen dem Leser die in dem Buch akribisch recherchierten organisatorischen und personellen Verbindungen und Verwicklungen einzelner Mitglieder der NofU auf. So finden sich in ihrem weiteren Umfeld Organisationsnamen wie bspw. Studienzentrum Weikersheim e. V. , Deutsch-Chilenischer Freundeskreis e. V. oder Hilfskomitee Freiheit für Rudolf Heß. NofU-Mitglied Klaus Motschmann bspw. war Redaktionsmitglied der neurechten Zeitschrift Criticon, NofU-Mitglied Ursula Besser war zusammen mit Mitgliedern des rechtsextremen Witikobundes in der Freien Gesellschaft zur Förderung der Freundschaft mit den Völkern der Tschechoslowakei organisiert.

Neben publizistischen Tätigkeiten war die Sammlung von persönlichen Daten vermeintlicher Kommunisten und deren Veröffentlichung bzw. Weitergabe an diverse Stellen ein Mittel der NofU, mit den erklärten politischen Gegnern und Gegnerinnen umzugehen. Als "Hilfstruppe des Verfassungsschutzes" verschickte die NofU Namenslisten mit Tausenden von Namen von unliebsamen Studierenden und Lehrenden an "Parlamente, Wirtschaftsverbände und die Personalbüros privater Unternehmen und öffentlicher Stellen". Brisant ist hierbei der Umstand, dass somit privaten Arbeitgebern Datenmaterial zur Verfügung gestellt wurde, an welches solche in der Regel nicht so ohne Weiteres kommen. Im Bezug auf den Studierendenstreik 1988/89 forderte die NofU in der Publikation "Hinweise für den Fall von Störungen an Hochschulen" explizit zur Identifizierung von "Störern" mittels Fotoapparat auf und bat "in allen Fällen" um "eine Mitteilung an die Notgemeinschaft".

An der FU trat die NofU unter dem Namen Liberale Aktion (LA) in Erscheinung. Diese "von den Professoren gestellte Regierungspartei in den FU-Gremien" wurde 1971 von der NofU mit der Absicht gegründet, auf das Geschehen an der FU direkt Einfluss nehmen zu können. Die Autoren und Autorinnen weisen nach, dass es der NofU durchaus gelang, zur dominierenden Größe innerhalb der FU-Gremien aufzusteigen. Schließlich konnte mit Hilfe diverser Gesetzesverstöße, Verfahrensmanipulationen und dem "Kaltstellen" politisch Unliebsamer das Mitglied der LA Dieter Heckelmann 1983 zum Präsidenten der FU gekürt werden. Wie solche Manipulationen abliefen, wie die NofU es schaffte, auf die Novelle des Berliner Hochschulgesetzes 1982 starken Einfluss zu nehmen, wie sie die Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung in ihrem Sinne umgestaltete, wie sie in der gesamten Hochschulverwaltung der FU zur bestimmenden Kraft mutierte, wie eine fachlich inkompetente Strukturkommission unter ihrem Einfluss "Strukturempfehlungen für die 90er Jahre" erarbeitete, wie bei universitären Abstimmungen Mehrheiten erkauft wurden, wie sie auf die Personalpolitik der FU Einfluss nahm und wie sie damit in Zusammenarbeit mit CDU und Diepgen-Senat letztendlich das Fundament für die heutige FU legte, dies alles wird im vorliegenden Band ausführlich geschildert.

Auch wenn der Rezensent die Beurteilung der Machenschaften der NofU und die der durch sie beeinflussten Stellen als "faschistisch" nicht teilt, so stimmt er doch mit der Feststellung überein, dass die NofU nicht unerheblichen Anteil an der systematischen Entdemokratisierung der FU hatte.

Alles in allem handelt es sich bei vorliegendem Band um eine fundierte Recherche zu einem Teil der Geschichte der Freien Universität. Auch wenn stellenweise etwas langatmig geschildert wird und das Vokabular teilweise unangebracht kämpferisch wirkt, bleibt dieser mittlerweile historische Beitrag unverzichtbar für das Verständnis der FU als das, was sie noch heute ist: Ein Stück des liebgewonnenen Berliner Filzes.


Informationsausschuß des UNiMUTs (Hrsg. ), FU Berlin - Ein pechschwarzes Gebilde. G*schichten über Ursachen und Hintergründe des UNiMUTs von den StudentInnen der B*freiten Universität Berlin, Berlin 1989

 

Editorische Anmerkungen

Der Text ist eine http://www.astafu.de/inhalte/publikationen/outofdahlem/nr2/dahlem/pechschwarz