"Schützt mich vor meinen Freunden, vor
meinen Feinden schütze ich mich selbst": Das mag sich
manches Regierungsmitglied während der jüngsten
Debatte in der französischen Nationalversammlung gedacht haben.
Dort wurde in der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch (8.
Dezember) per Gesetz eine spezifisch Strafdrohung für
homophobe und sexistische Schmähungen beschlossen.
Dabei wird nach dem Muster der seit 1972 bzw. 1990 bestehenden
Vorschriften für rassistische, antisemitische sowie die Shoah leugnende
Motivationen verfahren. Solche Motive, deren Verwerflichkeit
festgeschrieben wurde, ziehen eine automatische
Strafverschärfung bei Beleidigungs- und anderen
Delikten nach sich.
Doch eine Reihe von Abgeordneten der konservativen
Parlamentsmehrheit zierten sich, dem Vorhaben
zuzustimmen. Der UMP-Parlamentarier von Lille,
Christian Vanneste, sah gar gleich "das Überleben der Menschheit in Gefahr"
- weil Schwule und Lesben sich nicht fortpflanzen würden. Der
Fraktionsvorsitzende der Präsidentenpartei UMP, Bernard Accoyer, hob
schließlich die Fraktionsdisziplin auf und gab "seinen" Abgeordneten
Stimmfreiheit. Bei einer Aussprache der Fraktion über das umstrittene
Thema der Homophobie musste er die allgemeine Redezeit
um die Hälfte kürzen, da sonst ein Überborden drohte.
Der Fraktionssprecher Guy Geoffrey bat seine Kollegen
darum, der Presse oder Öffentlichkeit "nicht Äußerungen zum Fraß
vorzuwerfen, die ein Bild von uns vermitteln, das wir nicht verdienen."
Am Ende kam die Gesetzesvorlage aber doch noch durch das Parlament,
freilich ergänzt um einen Zusatz, der gegen den Willen
der Regierung in den Text aufgenommen wurde: Neben
Homosexuellen und Frauen als Opfer sexistischer
Äußerungen werden jetzt auch Behinderte durch dasselbe Gesetz extra
geschützt. So wollte es die ultrakatholische, dem Vatikan nahe stehende
UMP-Abgeordnete Christine Boutin, die bei der Vorstellung ihres
Änderungsantrags darauf bedacht war, die verschiedenen zu schützenden
Gruppen gegeneinander auszuspielen: "Behinderte haben natürlich keine
Lobby", rief sie aus. Und sie meinte damit offenkundig, dass Schwule
und Lesben über eine mächtige Lobby verfügen. Zugleich
bestand ihre Absicht darin, den Text in gewisser Weise
zu entsexualisieren und ihm den Sinn eines eher
karitativ angelegten Opferschutzes zu verleihen. Dagegen konnte die
Regierung die zuvor umstrittene Regelung zur Verbandsklage durchsetzen,
die es nunmehr beispielsweise Schwulen- und
Lesbenvereinigungen ermöglicht, Strafanzeige im Namen
eines Opfers zu erstatten oder als Nebenkläger
aufzutreten.
Die Hintergründe: Homophobe Hassverbrechen...
Die Idee einer Ausweitung des Schutzes gegen
rassistische und antisemitische "Hassdiskurse" und
solcherart motivierte Taten auch auf homophobe und
sexistische Diskriminierungen kam im vergangenen Frühjahr auf. Dazu trugen
zwei Ereignisse erheblich bei. Das erste war die brutale Aggression
gegen den 35jährigen Sébastien Nouchet, der am 16.
Januar dieses Jahres in seinem Garten, wo er die Vögel
fütterte, von Unbekannten mit Benzin übergossen und in
Brand gesteckt wurde. Dabei erlitt er Verbrennungen dritten Grades, so
dass er wegen unerträglicher Schmerzen wochenlang in ein künstliches
Koma versetzt werden musste.
Sébastien Nouchet und sein Lebensgefährte, Patrice
Jondreville, waren drei Jahre zuvor in das ehemalige
Kohlerevier Nord-Pas de Calais nahe der belgischen
Grenze gekommen, wo Patrice einen neuen Job antrat. Doch in Lens
war dem schwulen Paar rasch durch junge Leute das Leben zur Hölle
gemacht worden, so dass sie in die Kleinstadt
Noeux-les-Mines umzogen. Doch auch dort wurden sie
angegriffen: Im August 2003 waren Unbekannte in ihr Haus
eingedrungen und hatten Sébastien zu erwürgen versucht. Der versuchte
Mord von Noeux-les-Mines rief in breiten Kreisen der
Gesellschaft Emotionen hervor. Präsident Jacques Chirac
schickte Sébastien Nouchet persönlich einen Brief ins
Krankenbett. Und Mitte März fand eine landesweite Demonstration in
Paris statt, zu der SOS Homophobie aufgerufen hatte und zu der viele
Schwulen- und Lesbenvereinigungen sowie ein Teil der Linken
mobilisierten. Die Aggression gegen Sébastien und
Patrice ist relativ typisch für die aktuelle Form
homophober Gewalt und Diskriminierung. Diese machen sich vor
allem in solchen Gebieten bemerkbar, etwa im Krisenrevier Nord-Pas de
Calais sowie in bestimmten Zonen Südfrankreichs, wo
traditionelle geschlossene Arbeitermilieus im
Implodieren begriffen sind. Dort sind viele Angehörige
der sozialen "Unterschichten", die bisher über das Arbeitsleben und
eventuell durch die gewerkschaftliche Aktivität sozialisiert waren,
aufgrund der massiven Erwerbslosigkeit und aufgrund
ihrer Armut und geringen Mobilität häufig sich selbst
überlassen und weitgehend isoliert. Darauf reagieren
viele männliche ehemalige Industriearbeiter oder Arbeitersöhne,
die sich bisher eine Identität über die Erwerbsarbeit konstruiert
hatten, durch eine aggressive Verteidigung ihrer in
Frage gestellten oder zerbrochenen "männlichen Rolle"
auf symbolischem Gebiet.
Nachdem diese nicht mehr durch die Funktion als Malocher
oder "Ernährer" abgesichert werden kann, wird sie bei
Manchen durch Aggressionen gegen Schwule oder aber
gegen die Einwanderer "mit ihren kinderreichen Familien"
abgelöst. Denn beide werden jeweils als Bedrohung und Infragestellung
des eigenen Rollenverständnisses wahrgenommen. Früher
wurden solche aggressiven
Emotionen auch durch die, etwa im Nord-Pas de Calais stark verankerten,
Linksparteien wie die Kommunisten teilweise abgefangen, die darin eine
schädliche Ablenkung vom Klassenkampf erblickten. Doch heute geht die
Entfesselung solcher, etwa homophoben, Aggressionen mit dem Anstieg der
rechtsextremen Wähleranteile in diesen Milieus einher, da die Angebote
der Linksparteien (etwa "Klassensolidarität") dort
nicht oft nicht mehr als reale Alternative wahrgenommen
werden. Lens liegt im Wahlkreis der rechtsextremen
Kandidatin Marine Le Pen vom Front National, die dort bei der
Parlamentswahl 2002 über 32 Prozent der Stimmen holte, und
Noeux-les-Mines (gut 12.000 Einwohner) liegt im
Nachbarkreis von Béthune. Die Region Nord/Pas-de-Calais,
der beide Kreise angehören, ist die einzige französische
Region, wo der Front National bei den Regionalparlamentswahlen im März
2004 bedeutende neue Stimmenzuwächse erhielt.
Allerdings organisiert die parteiförmige extreme Rechte
als solche keine Schwulenjagd. Zumal sie selbst
insofern ein gespaltenes Verhältnis zur (männlichen)
Homosexualität hat, weil als ihrer Aktivisten eine Faszination
für männerbündische Zusammenschlüsse hegen, während andere tiefe
homophobe Ressentiments hegen. Es ist ihre "Basis", die
manchmal spontan gewalttätig wird.
...und politische Interessen
Das zweite Ereignis in diesem Frühjahr war der
symbolische Eheschluss zwischen zwei schwulen Männern,
am 5. Juni in Bègles, einer Trabantenstadt von
Bordeaux. Die Heirat wurde gerichtlich annulliert, und die Regierung
stellte sich auf den Standpunkt, es handele sich um einen Verstoß gegen
geltendes Recht obwohl der seit Napoléon geltende Code Civil, das
bürgerliche Gesetzbuch, im Wortlaut nur von "zwei Personen" als
Voraussetzung für eine gültige Ehe spricht. Aber im Juni war Wahlkampf,
kurz vor den Europaparlamentswahlen. Auch der grüne
Bürgermeister von Bordeaux, der
frühere Präsidentschaftskandidat Noël Mamère, wollte durch den von ihm
vorgenommenen Eheschluss offenkundig vor allem Publizität gewinnen. Ein
Teil der Konservativen ihrerseits stilisierte die
Agitation gegen Mamères "Gesetzesverstoß im Amt" zum
symbolträchtigen Kulturkampf hoch. Die Regierung
suspendierte Mamère für einen Monat vom Amt. Doch im
Ausgleich musste die regierende Rechte auch den Schwulen und Lesben
etwas bieten. Zumal einige "moderne Konservative" die jungen und
profilierten Homosexuellen die, meist im großstädtischen Milieu
lebend und ohne eine Familie am Hals, oft im
Erwerbsleben sehr aktiv sind und eigene Konsumwünsche
anmelden als "Leistungsträger unserer Gesellschaft"
und neue Klientel für ihren Wirtschaftsliberalismus entdeckt haben. Dieser
Typus von Schwulen und Lesben, der etwa in Paris im modisch und teuer
gewordenen Altstadtviertel Le Marais wohnt, lebt freilich unter völlig
anderen Verhältnissen als Sébastien Nouchet. Doch auch in diesem Milieu
ist man natürlich an einer Bekämpfung der Homophobie
interessiert. Und so wandte sich Premierminister
Jean-Pierre Raffarin noch im Juni 04 an die Schwulen-
und Lesbenvereinigungen mit dem Angebot, man werde zwar die
Homoehe nicht anerkennen, aber ein großes Gesetzeswerk gegen Homophobie
auf den Weg bringen. Unter dem Druck von
Frauenverbänden wurde dann auch die sexistische
(verbale) Gewalt in den Entwurf aufgenommen. Doch u.a. aufgrund
innerparteilicher Streitigkeiten nahm die Regierung die bereits
ausgearbeitete Gesetzesvorlage Ende Juni 2004 dann wieder von der
Tagesordnung des Parlaments für die Sonder-Sitzungsperiode im Sommer
(die einberufen worden war, um die neoliberalen
"Reformen" wie die Gesundheitsreform durchzupeitschen).
Bis dahin war in der konservativen UMP der
Parteisekretär Jean-Luc Romero, der bei den letzten Kommunalwahlen 2001
in einer Kleinstadt in der Nähe von Bordeaux als bekennender Schwuler
antrat, mit den Fragen der "neuen Formen des Zusammenlebens" betraut
worden. Nach dem (vorläufigen) Rückzug des
Gesetzesvorhabens hatte er genug: Er trat im Sommer,
kurz nach dem Christopher Streets Day, von seinem Amt zurück und
aus der Partei aus.
Manche rechten Abgeordneten sträuben sich
Im Herbst war es dann soweit. Doch innerhalb der rechten
Parlamentsmehrheit gab es auch dann noch deutliche,
zumindest passive Widerstände. Die widerstrebenden
Abgeordneten konnten sich gut hinter einem Gutachten der
Konsultativkommission für Menschenrechte, CNCDH, verbergen. Dieses
offizielle, aber regierungsunabhängige Gremium kam im November zu dem
Schluss, im Namen des republikanischen Universalismus sei es nicht gut,
neue Spezialvorschriften gegen Homophobie und Sexismus
einzuführen: Durch die Vervielfachung von Normen gegen
besondere Formen von Diskriminierung drohe die
"Universalität der Menschenrechte" aus dem Blick zu geraten, und es
drohe die "Zersplitterung der Gesellschaft in immer mehr Communities".
Deswegen wandte sich ein Teil der Bürgerrechtler gegen das Projekt
eines spezifischen Antidiskriminierungsgesetzes.
Den rechten Abgeordneten ging es freilich eher
darum, dass sie fürchteten, ihre eigene
Ansichten könnten künftig an den Pranger geraten, wenn die
Homophobie strafbar würde. Ob denn dann künftig auch das öffentliche
Vertreten der Ansicht, die Ehe sei der Vereinigung von Mann und Frau
vorbehalten, strafrechtlich verfolgt werden könne, sorgten sich einige.
Andere sorgten sich, wie der Abgeordnete Jean-Marc Nesme, dass nunmehr
eine "Gedankenpolizei" eingeführt und letztendlich die
Idee eines Adoptivrechts für homosexuelle Paar Schritt
für Schritt durchgesetzt werden solle dabei seien "in
dieser Gesellschaft nicht Homosexuelle, sondern Kinder besonders
bedroht".
Die Widerstände innerhalb der UMP konzentrierten sich
schließlich auf die Einführung des Verbandsklagerechts
für Zusammenschlüsse von Schwulen und Lesben oder von
Frauen. Nur solche, die als gemeinnützig anerkannt seien,
sollten davon profitieren, forderte ein Änderungsantrag des
UMP-Abgeordneten von Bordeaux, Jean-Paul Garraud der
zuvor noch den totalen Rückzug des Gesetzesvorhabens
gefordert hatte. Ein scheinheiliges Vorgehen, denn keine
einzige der anvisierten Vereinigungen ist als gemeinnützig anerkannt,
was ohnehin nur bei 2.000 von über 700.000 Initiativen
und Vereinen in Frankreich der Fall ist. Gut ein
Drittel der anwesenden UMP-Abgeordneten stimmten für
diesen Antrag, der dann aber scheiterte. Dieses Mal unterließ
es die Abgeordnete Christine Boutin freilich, eine Bibel im
Abgeordnetenhaus zu schwenken, wie sie es noch während
der Debatte um die zivilrechtliche
Lebenspartnerschaft (PACS) 1999 tat.