Betrieb & Gewerkschaft
Continental, Shareholder-Kapitalismus und die IG BCE

von Joachim Bischoff & Björn Radke
12/05

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Der Reifenhersteller Continental nimmt wegen der Schließung der Reifenproduktion im Hannoveraner Stammwerk eine Konfrontation mit der Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie (BCE) in Kauf.

Der Autozulieferer will die Produktion von PKW-Reifen in Hannover Ende nächsten Jahres einstellen. Dadurch fallen 320 Arbeitsplätze weg, zehn Prozent der Belegschaft in dem Stammwerk. Der Konzern begründete die Schließung damit, dass das Werk in Hannover-Stöcken mit rund 1,3 Millionen PKW-Reifen im Jahr zu klein und zu teuer sei. Außerdem sei das Wachstum im PKW-Reifengeschäft geringer ausgefallen als erwartet.

Dagegen protestierten am Mittwoch über 3000 Beschäftigte in Hannover. Den ganzen Tag stand in Stöcken die Produktion still. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der BCE, Hubertus Schmoldt, kündigte heftige Proteste gegen die Unternehmensleitung an: „Wennemer - der Conti- Vorstandsvorsitzende - will offensichtlich seinen Ruf als Dividenden-Erhöher verteidigen“, sagte Schmoldt. Er warf dem Conti-Chef vor, die Partnerschaft mit der Gewerkschaft aufgekündigt zu haben.

Wennemer stellte die Schließung in Zusammenhang mit der Strategie von Conti, teure Produktion an Niedriglohnstandorte zu verlagern. Dank Produktionsverlagerungen und einer immer stärkeren Nachfrage nach dem elektronischen Stabilitätsprogramm (ESP) steuert der Konzern beim Gewinn 2005 das vierte Rekordjahr in Folge an.

Mit der Herausbildung der Gestalt des Shareholder – oder Finanzmarktkapitalismus wird die langjährige Praxis einer Kooperation mit Belegschaft, Gewerkschaften und Unternehmensleitungen hinfällig. Die neue Qualität der Kapitalakkumulation macht auch vor dem Organisationsbereich der IG BCE nicht halt. Die Gewerkschaft Bergbau, Chemie Energie, die sich seit langem für eine Strategie der Sozialpartnerschaft einsetzt, gerät durch den Übergang zum Finanzmarktkapitalismus mehr und mehr in die Defensive.
Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) bedauerte die Entscheidung des Conti-Vorstands, zumal „die Belegschaft bereit gewesen sei, ihre Jobs durch Gehaltsverzicht und Mehrarbeit zu erhalten.“

Der Chef der SPD- Landtagsfraktion, Wolfgang Jüttner, sprach von einer «Provokation». Die Art und Weise, "wie Herr Wennemer mit den Beschäftigten umgeht, ist eine Provokation für alle, die die Sozialpartnerschaft ernst nehmen. Wie kein anderer Chef eines DAX-Unternehmens habe Wennemer die Gewinnmaximierung zur einzigen Richtschnur seines Handelns gemacht. "Wenn das Beispiel Continental Schule machen würde, wäre die soziale Marktwirtschaft ernsthaft in Gefahr".

Wieder einmal zeigt sich, dass die Kritik an den Auswüchsen des modernen Kapitalismus keine Konsequenzen für die Regierungspolitik hat.

Die Gesetze der Agenda 2010 durch Rot-Grün und nun in Fortsetzung durch Schwarz-Rot dienten –und auch in Zukunft - nicht der „Zähmung des Kapitalismus“. Tatsächlich haben sie dem Kapital zu einem Übergewicht verholfen und somit das Shareholder-Value Prinzip in Deutschland und Europa hegemoniefähig gemacht.

Bis in die 1970ger Jahre war es den Lohnabhängigen möglich aufgrund hoher Produktivität und hohem Organisationsgrad eine Anhebung der Reallöhne, der Verkürzung der Arbeitszeiten und eine Ausweitung der sozialen Sicherheit durchzufechten.
Ende der siebziger Jahre änderte sich die Konstellation von Massenproduktion und beschleunigter Kapitalakkumulation. Die einsetzende Expansion der Finanzmärkte, die Globalisierung der Kapital- und Vermögensmärkte, der Übergang zu einer Unternehmenskontrolle durch die Aktien- und Vermögensmärkte bringt eine Verallgemeinerung der Shareholder-Value –Orientierung.

Das Ende der Sozialpartnerschaft am Fall Conti

Die Rentiers, die institutionellen Finanzmarktakteure und die Vermögensverwalter sind nicht mit durchschnittlicher Verzinsung zufrieden, sondern unter dem Regime des Shareholder value geraten Arbeitseinkommen, Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen erheblich unter Druck.

Conti kündigt eine Betriebsvereinbarung . Erst vor wenigen Monaten hatten die Mitarbeiter längeren Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich zum Joberhalt zugestimmt. Nun müsse man die Frage stellen, warum die Beschäftigten „Opfer“ gebracht hätten, wenn Wennemer wenig später das „Fallbeil“ fallen lasse, klagt Schmoldt. Angesichts von Rekordbilanzen stelle sich die Frage nach der sozialen Verantwortung von Continental. . Mit Ausnahme von ContiTech steigerten alle Konzernbereiche in den ersten neun Monate ihre Umsatzrendite. Konzernweit stieg diese auf 11,1 (9,1) Prozent.

Die von IG BCE-Chef Schmoldt ausgemachte Verantwortungslosigkeit zeigt sich auch an anderen Standorten. So hatten in den ersten neun Monaten 2004 noch Aufwendungen in Höhe von rund 74 Mill. € für die Schließung der Reifenproduktion im US-Werk Mayfield das Ergebnis belastet. Zudem wurden in den USA die Pensionspläne für Angestellte aus dem Unternehmen ausgelagert.

Arbeitsplatzabbau, Sozialabbau und massive Steigerung des Unternehmensgewinns und damit die Erträge für die Shareholder bestimmen die Politik von Conti wie aller anderen Kapitalgesellschaften. Dies führte zu einem positiven Effekt von rund 100 Mill. €. Ohne Sondereffekte wäre das Ebit um rund 124 Mill. € gestiegen, hieß es.

Bereits in den ersten neun Monaten 2005 verdiente Conti so viel wie im gesamten Vorjahr. Dazu trugen ein kräftiges Umsatzplus bei, aber auch Sondereffekte. Nahezu alle Konzernbereiche wurden profitabler. Die für Conti zentrale Kennziffer, das Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit), erhöhte sich im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um fast 36 % auf 1,1 Mrd. €. Der Überschuss kletterte um fast 55 % auf 734,6 Mill. €. An der Börse gewann die Conti-Aktie nach Vorlage der Zahlen deutlich hinzu. Conti-Finanzchef Alan Hippe nährte die Hoffnung der Aktionäre, dass die Dividende für 2005 erhöht wird’.

Seit Jahren fährt die Unternehmensleitung von Conti einen harten Kurs der Kostensenkungen, dazu gehört auch die Schließung von Standorten. Conti gilt zudem als Vorreiter der Verlagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer. Die Investitionen des Konzerns erhöhten sich in den ersten neun Monaten deutlich, und zwar von 450 auf 584 Mill. €. Schwerpunkte waren neue Produktionsanlagen für die neue Generation elektronischer Bremssysteme sowie der Ausbau von Produktionskapazitäten an „Niedrigkostenstandorten“, vor allem in Brasilien.

Auch die JG BCE wird um eine Politik der Stärkung des politischen Mandats der Gewerkschaften nicht herumkommen. Gewerkschaften müssen sich im Interesse ihrer Mitglieder an gesellschaftspolitischen Alternativen zum Shareholder-Kapitalismus orientieren: höhere Arbeitseinkommen, größeres Angebot öffentliche Güter, Verkürzung der Arbeitszeiten - was allerdings im Widerspruch steht zu den Akkumulationsinteressen der Vermögensbesitzer.

Die Zeiten einer sozialpartnerschaftlichen Kooperation mit dem Kapital gehen definitiv zu Ende.

Editorische Anmerkungen

Dieser Artikel ist eine Spiegelung von
http://www.w-asg.de/28+M5a11b7dcbbd.0.html