Seit vier Monaten gibt es ein
neues Bewegungs-Buch: Ein Ein- und
Ausblick in und zur antirassistischen Bewegung. Es glänzt mit
einem wirklich coolen Layout (bis auf das unlesbare
Inhaltsverzeichnis) , vielen tollen Bildern und einer
umfassenden Sammlung an Positionen, Debatten und Berichten über
Aktionen und Initiativen. Hut ab! Berichte von Autonomen
Fluchthelferinnen, die für sichere Grenzübertritte sorgten und
so schon mal anfingen mit der praktischen Umsetzung für freies
Fluten, finden sich im Buch genauso, wie die Diskussion zwischen
Kanak Attak und der Karawane über das Konzept der „Autonomie der
Migration". Gruppen, die Fluchtwohnungen organisierten, die
Initiative gegen das Chipkartensystem, Mitglieder von The Voice,
der FIB, die ARI, Amplitude/kein mensch ist illegal sowie viele
einzelne Aktivistinnen berichten über Probleme, Konflikte und
Erfolge in ihrer politischen Arbeit. Die Anticolonial Africa
Conference und die Grenzcamps sind genauso Thema wie das Leben
als Sans Papiers, migrantische Bildproduktion steht neben dem
Lohnkampf ohne Aufenthaltsstatus, und hier und da findet sich
ein Rückblick auf die Geschichte antirassistischer Kämpfe oder
eine allgemeinere Analyse wie zum bundesdeutschen Lagersystem.
Zentral für die antirassistische Bewegung in den letzten Jahren
war und ist die Entstehung und Zusammenarbeit mit
Flüchtlingsselbstorganisationen wie The Voice, die Karawane, die
FiB und anderen migrantischen Zusammenhängen. Das Buch bemüht
sich, diese Entwicklung einzufangen und dabei die Aktivistinnen
der Gruppen selbst zu Wort kommen zu lassen. Deutlich wird, dass
es ein langer und steiniger Weg zur „Intensivierten Kooperation"
zwischen den Selbstorganisationen und biodeutschen
Antira-Gruppen ist. Die mega-reflektierten Herausgeberinnen sind
sich der bestehenden Trennlinien und Hierarchien bewusst: Das
Scheitern, die Annäherung auch in dem Buchprojekt
weiterzuführen, in der Form, dass Aktivistinnen aus
Flüchtlingsgruppen Teil der Herausgeberinnengruppe werden
sollten, wird lang und breit von ihnen im Vorwort thematisiert.
Diese ausführliche Thematisierung
und Selbstdarstellung sehen wir als Reaktion auf die Diskussion
um Rassismus und rassistische Ausgrenzungsstrukturen in der
Linken selbst. Im Buch werden diese selten direkt benannt. Zwei
konkrete Beispiele aber finden sich: Zum einen thematisieren die
autonomen Fluchthelferinnen in ihrem Beitrag, wie die „extrem
aggressive 'antiterroristische' und 'anti-islamische'
Stigmatisierung" „auch von (ehemaligen) Linken mitgetragen
wird". Zum anderen beschreibt der AK Asyl aus Göttingen, wie in
der Debatte um die Konstruktion einer Gruppe Kurdinnen als
„Schein-Libanesen", die eigentlich aus der Türkei kämen und sich
mit der Angabe einer falschen Herkunft (Libanon) Asyl
erschlichen hätten, die Jungle World negativ hervortat:
„Ausgerechnet die Wochenzeitung Jungle World schreibt, was die
übrige Presse bewusst als Interpretationsspielraum lässt: Unter
der Überschrift 'Krasser Betrug1 heißt es, 'durch Verbergen
ihrer türkischen Staatsangehörigkeit' sei es den 'Personen1
gelungen, sogar 'doppelt Asylhilfe zu beziehen' (Jungle World
vom 08.03.2000)." Darüber hinaus berichtet Kanak Attak von den
Kontroversen und Gegen-Reaktionen auf die Filme und den Ansatz
von Kanak TV auch in linkem Publikum. Ihr Fazit ist grob
zusammengefasst: Weil der Ansatz, zu provozieren, um was zu
bewegen, immer für die meiste Auseinandersetzung sorgte, scheint
„Aufkündigung der Dialogkultur für die Nutznießer des Rassismus
die größte Bedrohung darzustellen". Wir hatten an dieser Stelle
ein kleines Problem mit der Allgemeinheit dieser Aussage. So
treffend sie für den Multikulti-Rassismus ist, so unerklärt
bleibt, dass die Aufrechterhaltung rassistischer Strukturen doch
gerade über Ausschluss funktioniert, es im Grunde nicht um
Dialog geht, besonders nicht auf Augenhöhe.
Eine Frage stellte sich uns, zu
der wir gerne etwas in dem langen Vorwort gelesen hätten: Warum
ist die Mehrzahl der Veröffentlichungen mit eigenem Namen
versehen? Die Frage stellt sich natürlich nur aufgrund unseres
eigenen politischen Backgrounds, der sich ganz kurz (und damit
auch etwas verkürzt) als „autonomer Antirassismus" bezeichnen
lässt. Für uns riecht dieses „Namen nennen" nach Profilierung
auf dem Rücken der Bewegung, die doch eigentlich nicht nötig und
auch nicht üblich ist. Und wenn das namentliche Kennzeichnen der
Politik in der Antira-Szene entspricht - zwischen der Kritik von
Kanak Attak am „identitären Szene-Habitus", nicht für die eigene
Politik mit dem eigenen Gesicht einzustehen, und dem Politikum
aus Flüchtlings- und Sans Papiers-Perspektive, gegen alle
staatliche und neonazistische Repression trotzdem von der
eigenen diskriminierenden, entrechteten, von Rassismus geprägten
Situation offen mit dem eigenen Namen zu berichten (hier wurden
aus diesen Gründen einige Namen im Buch explizit geändert) -,
wäre eine Positionierung in dem sonst ja so voll von
Reflektiertheit strotzenden Vorwort schon gut gewesen. Gerade
weil sich die Herausgeberinnen selbst im „linksradikalen
autonomen Antirassismus" (Vorwort) verorten.
Über solche Antira spezifischen
Beiträge hinaus, gibt es viel Interessantes auch für die anderen
„Teilbereichskämpfe". So zum Beispiel die Ausführungen zu
Bündisarbeit in dem Text zur Verschränkung von Rassismus und
Sexismus von Behshid Najafi. Hier wird aufgezeigt, dass Antira
sich immer auch der Strategie bedient, auf die Ebene der
Menschenrechte und der internationalen Abkommen gegen
Diskriminierung zurückzugreifen, ja sogar auf die Zusammenarbeit
mit NGOs und Kirchen (wie mit dem Kirchenasyl im Beitrag zu den
Fluchtwohnungen). Etwas, was ja in anderen „autonomen"
Politikfeldern eher verpönt ist. Um so mehr lässt sich aus den
Erfahrungen mit Bündnisarbeit, die bei Antira gemacht wurden,
doch vielleicht lernen. Dafür und für ähnliches gibt es viele
spannende Stellen im Buch. Wir greifen im Folgenden drei Themen
heraus, die uns am meisten interessierten und zu denen wir
Diskussionsbedarf sehen: die Verschränkung von Rassismus und
Sexismus, migrantische Arbeitskämpfe und die Suche nach der
antikapitalistischen Transnationalen. Das Buch steht hier
weniger selbst zur Debatte, als dass es diese, zumindest unter
uns, gerade angeregt hat. In diesem Sinne hoffen wir mit dem
Nachstehenden, auch andere neugierig zu machen, den ein oder
anderen Blick in den Wälzer und sich ansonsten auch heftigst in
die weiter nötigen Debatten zu werfen.
Not aware enough? - Zur
Verschränkung von Rassismus und Sexismus
Nirgends anders ist es so leicht
wie in der Antira-Szene, Sexismus innerhalb der eigenen
Strukturen zu thematisieren, ja, Zusammenhängen eine
Sexismus-Debatte aufzudrücken. Viel viel leichter als in der
FrauenLesben(Transgender)-Szene selbst, die doch immerhin auf
ihren eigenen Anspruch verwiesen werden kann. Der Grund hierfür
liegt nicht allein darin, dass, wie die ARI in ihrem Beitrag im
Buch berichtet, in Antira-Kreisen besonders viele Frauen aktiv
sind, ja Antira und damit die in diesem Feld aktiven Gruppen, so
eine Erfahrung der ARI-Aktivistinnen, im Vergleich mit anderen
Bereichen linksradikaler, autonomer Politik als weicher gilt und
deutlich weiblich besetzt ist. Die Eskalation zu Sexismus auf
den Antirassistischen Grenzcamps zeigt, dass es hier noch um
mehr geht: Weil es dieses rassistische Konstrukt vom gegen weiße
Frauen sexuell-aggressiven, übergriffigen Schwarzen gibt,
können, entgegen aller sonstigen Erfahrungen, weiße Frauen bei
der Thematisierung von sexueller Gewalt, wenn sie von
Flüchtlingen und besonders von schwarzen Flüchtlingen ausgeht,
mit der Unterstützung weißer Männer rechnen. Hinzu kommt noch
die gesichertere rechtliche Position der Frau gegenüber dem
Täter. Auch wenn, wie dissens3 in ihrem Text im Buch beschreibt,
in den (Männer-) Plenums runden auf den Grenzcamps wiedermal
sexistische Rechtfertigungen von Tätern reproduziert wurden, wie
das Bild vom sich extra aufreizend anziehenden Opfer, konnte die
Sexismus-Debatte aufgrund der Verschränkung mit rassistischen
Strukturen überhaupt soviel Raum einnehmen. Denn das Bild vom
„übergriffigen Schwarzen" beinhaltet auch die Aufforderung an
den weißen Mann, die Ehre der weißen Frau durch sofortiges und
gnadenloses Vorgehen gegen den Täter zu verteidigen. Und diese
gesellschaftlich im Rassismus eingeschriebene Aufforderung
erleichtert es den Betroffenen auch in linken Kreisen, sexuelle
Übergriffe öffentlich zu machen. Läuft die Sexismus-Debatte dann
erstmal, lässt sich oft nur mit Hartnäckigkeit anfügen, dass ja
Vergewaltiger hierzulande mehrheitlich weiße Männer sind. Wehren
sich Flüchtlinge gegen diese Debatte aufgrund der ihr zugrunde
liegenden rassistischen Struktur, stehen sie einmal mehr als
Sexisten da. Es ist ein wichtiger Erfolg, dass diese
rassistische Dimension der Sexismus-Debatte in den
Grenzcamp-Diskussionen mit der Zeit thematisiert werden konnte
(so dissens3 in ihrem Text be aware of it, in dem sie auch die
verschiedenen Versuche, Strukturen zum Umgang mit sexuellen
Übergriffen auf dem Camp aufzubauen, die diese berücksichtigen,
nachzeichnet). Dass sie nicht überwunden ist, zeigt sich im
Interview mit Flore Kwenja im Buch: Auf die Frage hin, welche
ihre „eigenen Erfahrungen hier in der BRD als schwarze Flüchtlingsfrau"
in Bezug auf Rassismus und Sexismus sind, beschreibt sie zum
Punkt Sexismus, dass sie es ein großes Problem findet, dass
Flüchtlingsmänner, besonders wenn sie schwarz sind, Angst haben,
Umgang mit weißen deutschen Frauen zu haben, statt, wie zum
Punkt Rassismus, von eigenen oder den Gewalterfahrungen anderer
Flüchtlingsfrauen zu berichten, worauf die Frage abzielte. Also:
Was ist mit Übergriffen von weißen deutschen Männern gegen
schwarze (Flüchtlings)Frauen? Und was mit denen von schwarzen (Flüchtlings)Männern
gegen schwarze (Flüchtlings)Frauen? Diese werden aufgrund der
Verschränkung von Rassismus und Sexismus gerade nicht
thematisierbar, trotz bzw. gerade wegen einer lebhaften
Sexismus-Debatte. Der Weg ist weit und der Klippen gibt es noch
viele, die zu umschiffen sind, wollen wir nicht en ihnen
zerschellen. Die „awareness" (Achtsamkeit), die in der
Diskussion auf den Camps eingefordert wurde, ist nach wie vor
geboten. Was noch nicht ausgiebig Bestandteil der
Sexismus-Debatte in Antira-Kreisen' war, zumindest wenn mensch
das Buch als Indikator dafür sieht, ist die sexistische
Arbeitsteilung innerhalb der politischen Gruppen selbst. Nur im
Interview mit den Autonomen Fluchthelferinnen findet sich
explizit der Hinweis, dass der Aufbau alltäglicher Strukturen
der Solidarität (für Flüchtlinge oder Menschen ohne Papier) eher
von FrauenLesben-Zusammenhängen getragen wird. Als Ausdruck der
zur weiblichen Rolle gehörenden Sorge um andere?
Schlaglöcher migrantischer
Arbeitskämpfe... mit und ohne Gewerkschaften
Die Herausgeberinnen weisen schon
in ihrer „Gebrauchsanleitung" (Vorwort) zum Buch darauf hin,
dass es in letzter Zeit verstärkt um Arbeitskämpfe von
Migrantinnen mit und ohne deutschen Pass und gesicherten
Aufenthaltsstatus in der Antira-Szene ging. Es ist die Rede von
einer „Reökonomisierung der antirassistischen Linken". Auch wenn
der Begriff „Reökonomisierung" nicht so glücklich gewählt ist,
er erinnert mehr an die (Wieder-)
Einführung von betriebswirtschafItichem Denken wie
Kosten-Nutzen-Analysen, so ist schon klar, dass damit der
Zusammenhang von Rassismus und Kapitalismus angesprochen ist. In
den Texten geht es aber nicht nur um diesen großen Zusammenhang,
Thema ist auch der ganz normale Arbeitstag. Wie im Interview mit
Leon deutlich wird, sind rassistische Kontrollen der
„Ausländerbehörden", Lohnbetrug und rassistische Schikane durch
die Chefs bestimmend für den migrantischen ' Arbeitsalltag und
in besonderem Maße für den von Arbeiterinnen ohne Papiere. Die
Möglichkeiten, sich zu wehren, sind unterschiedlich in den
einzelnen Branchen. Ist es auf Baustellen möglich, durch
„Pfändung" der Werkzeuge und Maschinen, oder üblich, durch
Arbeitsniederlegung und Androhung von körperlicher Gewalt
gegenüber dem Chef, kollektiv Lohnzahlung oder
Arbeitsschutzmaßnahmen einzufordern, so scheinen Arbeitskämpfe
im Bereich der Zimmerreinigung im Hotelgewerbe nur als
öffentlicher Protest möglich. Er ist .zudem weniger üblich,
womöglich, weil die Arbeiterinnen vereinzelter sind, ihre Zimmer
alleine reinigen und so gehetzt sind, um die Arbeit zu schaffen,
dass Kontakt mit Kolleginnen nicht oder wenig stattfindet. Leon
berichtet, dass zudem Arbeitskämpfe oft in der Zeit nach der
Arbeit stattfinden, besonders dann, wenn die einzelnen auf das
Geld extrem angewiesen sind und sich einen Lohnausfall
schlichtweg nicht leisten können.
Eines der größten
Organisierungshindernisse ist, so wird aus den Berichten von
Leon aber auch den Aktivistinnen von respect deutlich, die
Schwierigkeit sprachlicher Verständigung zwischen den
verschiedenen Gruppen migrantischer Arbeiterinnen. Die
Sprachbarrieren blockieren z.B. die Möglichkeit, sich über die
schlechten Arbeitsbedingungen zu verständigen und verhindern
letztlich so die gemeinsame Organisierung. Die Sprachprobleme
erleichtern zudem die ethnische Spaltung der Belegschaften, was
gezielt bei Widerstand gegen schlechte Arbeitsbedingungen von
Chefs und Chefinnen eingesetzt wird. Ein weiteres Problem ist,
dass die Einzelnen nicht oder zuwenig über ihre Rechte
informiert sind. So wird im Bericht zur Lohnbetrugs-Kampagne von
FIB, ARI und Elixir-a, aber auch im Interview mit Leon deutlich,
wie wichtig die Aussicht auf Erfolg bei Lohnklagen vor dem
Arbeits-I' gericht in Berlin waren, auch für die Fälle, in denen
durch Verhandlungen und Öffentlichkeitsarbeit die Lohnauszahlung
erreicht wurde. Wichtig ist anscheinend, dass ein Bewusstsein
geschaffen wird, m dass „Arbeitnehmerinnenschutzrechte" auch für
Menschen ohne Papiere gelten und sogar teilweise vor dem
Arbeitsgericht einklagbar sind, ohne dass dieses den Klägerinnen
die „Ausländerbullen" auf den Hals hetzt. Zumindest ist dies
noch in Berlin der Fall, wo sich das Arbeitsgericht bisher so
positioniert hat, dass es für die Prüfung der
Aufenthaltsberechtigung nicht zuständig ist, da es ja das
ARBEITSgericht ist. Zudem gibt es Möglichkeiten, sich vor
Gericht, z.B. durch die Gewerkschaften, vertreten zu lassen, die
Adresse der Gewerkschaft kann als gültige Adresse vor Gericht
gelten etc.
Gerade aber das Verhältnis zu den
Gewerkschaften ist mehr als ambivalent. Respect berichten, dass
allein die Mitgliedschaft bei ver.di für einige
Hausarbeiterinnen die Beziehungen zu ihren Chefinnen und Chefs
verändert hat, in dem Sinne, dass ihnen mit mehr Respekt
begegnet wird. Ihre Position sei durch die Mitgliedschaft
gestärkt, da mit ver.di eine Organisation verbunden wird, die
schlechte Arbeitsbedingungen in die Medienöffentlichkeit zu
bringen in der Lage ist, die sich mit Arbeitsrecht auskennt und
ihre Mitglieder in juristischen Auseinandersetzungen
unterstützt. In dem im Buch abgedruckten Gespräch mit
Aktivistinnen von respect blieb aber letztlich offen, was über
diesen Gewinn auf der symbolischen Ebene hinaus die
Mitgliedschaft bei ver.di an Möglichkeiten der Verbesserung der
Arbeitsbedingungen von, wie in diesem Fall, Hausarbeiterinnen
ohne Papiere bietet. Unklar ist, ob und welches Interesse und
Potenzial von Seiten der Gewerkschaften es gibt, z.B. für eine
Kampagne zu Möglichkeiten der Krankenversicherung für Menschen
ohne Papiere, für entsprechende Unterstützung im Arbeitskampf
etwa durch ein Recht auf Streikgeld, und für Unterstützung mit
finanziellen Mittel für Öffentlichkeitsarbeit und spezielle
Beratungsstellen (z.B. einer Wiedereröffnung von ZAPO in
Berlin). Hier war die von Leon gezogene Konsequenz für uns so
eine Art Quintessenz: „Die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften
sollte auf jeden Fall nicht am Anfang unseres Widerstands
stehen. Lieber versuchen wir das selber." Grundsätzlich gilt
wohl für jede Form von Arbeitskampf in einem kapitalistischen
Staat, in dem die Gewerkschaften in Strategien zur Befriedung im
Sinne einer reibungslosen Mehrwertproduktion systematisch
eingebunden sind, dass wir uns zunächst
immer erst selbst organisieren müssen.
Dass und wie sehr die eigene
Organisierung notwendig ist, wird nicht zufällig ausgerechnet
bei migrantischen Arbeitskämpfen besonders deutlich. Zeigt sich
doch bei diesen, wie sehr die Gewerkschaften den rassistischen
Spaltungsstrategien, auf die Unternehmensleitungen und
Arbeitgeberver- ^ bände bei der Zerschlagung von Arbeitskämpfen
oder zum Lohndumping zurückgreifen, teilweise selbst verhaftet
sind, js über diese versuchen, Punkte im Standort Deutschland zu
machen, wie die „Schwarzarbeit"-Kampagne der IG BAU zeigte.
Diese Spaltungsrassismen docken am Alltagsrassismus der
deutschen Facharbeiterinnen an und nutzen die Konkurrenz mit den
sog. „Gastarbeiterinnen", „GreenCard-Indern", „Polen" oder
„Schwarzarbeitern" für eine Erhöhung der Arbeitsintensität und]
eine Entsolidarisierung mit den Forderungen migrantischer
Arbeiterinnen, insbesondere denen ohne Papiere, unter den
deutschen (Fach-)Arbeiterinnen.
Ein Problem in der Debatte um den
„Arbeit zuerst für Deutsche"-Rassismus, spiegelt sich aber auch
im Buch wider: Es wird in Antira-Debatten dazu oft ausgeblendet,
dass es sich dabei nicht einfach] nur um ein „Vorurteil" (wie es
z.B. Titus Engelschall und auch Mag Wompel im Buch formulieren)
handelt, sondern dass hier für eine reale Konkurrenzsituation
von Arbeiterinnen mit den rassis-; tischen Parolen eine „Lösung"
geboten wird. Mit Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen
sind migrantische Arbeiterinnen (und übrigens ähnlich Frauen),
nicht eine fiktive Konkurrenz, die sich ijf, allein aus der
Eigendynamik von Rassismus (oder Sexismus) erklärt und dem
Bedürfnis nach Selbstaufwertung des weißen deutschen Mannes
entspringt, sondern eine reale Konkurrenz für die deutschen
Facharbeiter(Innen), von der die Unternehmen profitieren. Die
migrantischen Arbeiterinnen werden l dadurch geschwächt in ihren
Arbeitskämpfen, dass sie auch den Rassismus der deutschen
Facharbeiter (Innen) gegen sich haben, während die deutschen
Facharbeiter(Innen) mit Verweis auf die migrantischen
Arbeiterinnen ruhig gestellt werden, was
eigene Forderungen betrifft. Da ist es wenig] weiterbringend,
wenn die rassistischen Spaltungsstrategien der Unternehmen bei
Mag Wompel als „berechtigte Angst der Gewerkschaften" bezeichnet
werden. Schließlich geht es dabei nicht um Ängste, die es zu
überwinden gelte. Besonders schräg wird es, wenn sie fordert,
dass die Gewerkschaften (und auch die Arbeiterinnen selbst) ihre
„Arbeitsplatzfixierung" aufgeben sollen. D.h. dann wohl: Alle
helfen mit beim Abriss der Produktionsanlagen zur Verlagerung
statt wilder Streiks bei Opel und anderswo? In dem schwierigen
Versuch, gegen das Mitmachen in der Standortlogik bei den
Gewerkschaften zu argumentieren und insbesondere dem Bedienen an
rassistischen Parolen dabei, läuft Mag Wompels Argumentation auf
ein „Deutscher Arbeiter, löse dich freiwillig von deinem
Arbeitsplatz, damit auch andere, zu billigeren Löhnen an der
kapitalistischen Ausbeutung teilhaben können" hinaus. Genau aber
das ist doch gerade das Interesse der Unternehmen, eben des
Kapitals.
Richtig und wichtig ist dagegen
Mag Wompels Forderung, den Spaltungsstrategien damit zu
begegnen, sich gemeinsam zu organisieren, deutsche und
migrantische Arbeiterinnen zusammen. Aus dem Standortdilemma
hilft das nicht ganz raus. Dafür, auch das formuliert sie,
bedarf es einer „Internationalisierung der Kämpfe" und einer
weltweiten antikapitalistischen Bewegung oder zumindest der
Perspektive auf eine solche. Denn solange der Kapitalismus
besteht, gibt es real keinen Ausweg aus der gegenseitigen
Konkurrenz um Standorte und Arbeitsplätze, da über diese die
individuelle Lebenssicherung organisiert ist. Die
Spaltungsstrategien zu erkennen, muss darauf hinauslaufen, gegen
ihre rassistische Unterfütterung vorzugehen, aber ohne ein
sozial-revolutionäres Projekt hat die Linke auch nur
Verzichtsargumente als Antwort auf das Problem der Konkurrenz.
Gemeinsame Organisierung kann hier nur immer wieder ein Versuch
sein, dieser nicht vollständig ausgeliefert zu sein. Doch jede
Lohnsteigerung an dem einen Standort wird an dem anderen
Standort eingespart werden. Ohne eine große Bewegung mit dem
Ziel auf eine gesamtgesellschaftliche Umwälzung wird eine
gemeinsame Organisierung daher immer prekär bleiben. Sie muss
dennoch immer wieder versucht werden, vorzugsweise außerhalb der
Gewerkschaften, um effektiv gegen den etablierten Rassismus in
diesen vorzugehen, ohne sie aber aus der Pflicht zu nehmen, wie
Mag Wompel schreibt. Die rassistischen und ethnischen Spaltungen
werden im Beitrag von Amplitude/kein mensch ist illegal deutlich
als Strategien zur Gewinnmaximierung gefasst. Aus dieser
Perspektive wird zudem die Migrationsregulierung durch IOM & Co
in den Blick genommen, die eben nicht die vollständige
Abschottung des Arbeitsmarktes, auch nicht in „Schengenland" zum
Ziel hat (die Festung ist löchrig wie ein schweizer Käse, und
das ist besser fürs Kapital, als wenn es nicht so wäre). Fazit:
Antikapitalistischer und antirassistischer Kampf können nur
zusammen und eigentlich auch nur internationalistisch (und
antisexistisch, auch wenn das hier jetzt nicht Thema war)
geführt werden. So gewendet braucht es keine
Verzichtsargumentationen und die Kritik am Rassismus der
etablierten Gewerkschaften gründet sich nicht auf Humanismus,
sondern auf der Analyse des Zusammenhangs von Rassismus und
kapitalistischer Ausbeutung. Diese Erkenntnis löst nicht, wie
gesagt, das reale Problem der Konkurrenz auf. Hierzu bedarf es
praktischer Versuche gemeinsamer Organisierung. Ein wichtiger
Impuls der konkreten praktischen Umsetzung in diese Richtung ist
hier sicherlich der Versuch von Amplitude/kein mensch ist
illegal, Orte gemeinsamer Organisierung zu schaffen, z.B. nach
dem Vorbild der Workers Centers in den USA oder als „soziales
Zentrum" wie in Italien.
Eine „antikapitalistische
Transnationale" ist nötig...
... und wir könnten einfach damit
anfangen, uns als eine solche zu organisieren. Die Kooperation
von Flüchtlingsselbstorganisationen, Migrantinnen- und
biodeutschen Antira-Gruppen kann ein zentraler Kern für eine
solche Organisierung sein, gerade auch, um den Rassismen in der
Standortkonkurrenz und dem Wohlstandschauvinismus der Metropole
etwas entgegenzusetzen. Eine wichtige Voraussetzung für eine
solche Kooperation ist der Bruch mit paternalistischen
Politik-Konzepten. Die Diskussion um die Paternalismusfalle in
der Antira-Bewegung und Möglichkeiten gemeinsamer Organisierung
hat angemessen einigen Raum im Buch eingenommen. Sogar ein
ganzes Kapitel spielt mit Titel und Intro darauf an. Ihm wird
ein Satz von Lilly Watson, „einer australischen Aborigini
Künstlerin und Aktivistin" vorangestellt: „If you have come to
help me, you are wasting your time. But if you have come because
your liberation is bound up with mine, then let's work together."
Demnach scheint doch alles extrem simpel, es kommt nur auf die
Einstellung der Aktivistinnen an. Doch so einfach ist es genau
nicht, nicht zuletzt weil die Aktivitäten für den gemeinsamen
Kampf oft die gleichen sind, wie humanistische Hilfen - und dies
um so mehr, je größer die strukturellen Differenzen unter den
gemeinsam Kämpfenden sind. Immer wieder (auch in dem Buch)
weisen migrantische und Flüchtlingsaktivistinnen darauf hin,
dass das Misstrauen gegen biodeutsche Aktivistinnen, die
strukturellen Unterschiede für sich auszunutzen z.B. Bündnisse
zu dominieren oder mit den ganzen Aktivitäten nur das eigene
schlechte Gewissen beruhigen zu wollen, mehr als berechtigt ist.
Doch wie dem Paternalismus entkommen, ohne die strukturellen
Differenzen zu negieren?
In seinem Text zur Geschichte der
Antirassistischen Grenzcamps meint Gregor Samsa im Buch, dass
eine wichtige Bedingung dafür sei, aus dem karikativen
Paternalismus herauszukommen, „dass Flüchtlinge und
Nicht-Flüchtlinge Genossinnen werden". Gemeint ist damit auch,
wenn wir das jetzt richtig verstanden haben, dass sie sich in
gemeinsamen Aktionen als Genossinnen konkret erfahren,
kennenlernen und so Vertrauen entstehen kann. Dazu gehöre auch,
Abschiebungen als Verhinderung der gemeinsamen Organisierung
wahrzunehmen und dem Kampf gegen diese entsprechende Priorität
einzuräumen. Schön gesprochen! Gerade an dem Beispiel
Abschiebungen, aber auch an der Frage von Solidarität mit denen,
die im Abschiebeknast sitzen müssen, zeigt sich jedoch am
deutlichsten, wie groß der Unterschied ist zwischen „den
Genossinnen" und „den Flüchtlingen". Abschiebungen, zuletzt z.B.
während der Gipfelproteste, werden selbstverständlich als
Verhinderung der gemeinsamen Organisierung und von Widerstand
wahrgenommen, sobald sie unmittelbar die „eigenen Leute"
betreffen.
Immer mal wieder gab und gibt es Kampagnen für die Freiheit
politischer Gefangener weltweit, die von deutschen
Linksradikalen unterstützt wurden und werden. Es gibt eine lange
Geschichte von Knast-Soliarbeit und der Dokumentation von
Widerstand im Knast. Im Artikel zu Kämpfen im Abschiebeknast im
Buch werden diese aber gerade nicht, wie bei „Genossinnen" nahe
liegen würde, als Teil von diesen Knastkämpfen der Linken
gedacht. Dies geschieht eben aus der Perspektive, dass diese
Form von Repression immer nur die Anderen trifft, mit meiner
Realität nichts zu tun hat.
Sicher - es wird immer wieder
eine Kluft in der gemeinsamen Organisierung auftauchen, denn die
Einschränkung von Bewegungsfreiheit und das Grenzregime
unterscheiden real und zielen damit ja gerade auf die Spaltung
von gemeinsamem Widerstand gegen dieses System. Die Initiative
gegen das Chipkartensystem formuliert zur Paternalismusfalle
treffend, dass es wichtig ist, sie als Ergebnis der „staatlichen
Entrechtung und dem gesetzlich forcierten Ausschluss von
gesellschaftlichen Ressourcen" zu denken. Sich gegenseitig als
Genossinnen wahrzunehmen ist erst dann für beide Seiten möglich,
wenn deutlich werden kann, dass Gegnerinnen und Ziele im Kampf
gemeinsame sind oder zumindest punktuell Gemeinsamkeiten da
sind. In puncto Grenzen könnte die Perspektive auf deren
Funktion der Behinderung von Flucht (z.B. vor staatlicher
Repression) oder das Interesse an (staatlich) unkontrollierter
Bewegung, die der Widerstand gegen dieses Ausbeutungssystem
nötig braucht, ein sehr konkreter gemeinsamer Bezugspunkt von
Linken und Migrierenden sein. Auch die Erfahrungen von Knast und
„Illegalität" sind der Linken nicht äußerlich. Hier gibt es
Verbindungslinien, Anknüpfungspunkte für Erfahrungsaustausch,
Partnerlnnenschaften, Solidarität und gemeinsame Interessen für
Kampagnen und Kämpfe gegen Staat und Kapital. Oder hat die (Antira-)Linke
diesen Teil ihrer Geschichte, ihre Leute auf der Flucht und im
Knast ganz vergessen? Warum die mögliche Gemeinsamkeit der
Erfahrungen nicht so einfach auf die Zusammenarbeit mit
Flüchtlingsselbstorganisationen oder auch sonstigen
migrantischen Gruppen übertragbar ist, ist auch in der
Geschichte der deutschen Linken begründet. Die Antirassistische
Linke, diese Teilbereichsszene hat sich teilweise aus dem
„Sozialrevolutionären" Spektrum entwickelt, der sich über die
Kritik am antiimperialistischen Teil definiert(e) (auch wenn die
Trennung nicht immer so eindeutig zu
ziehen ist) . Und: ein Teil der autonomen Linken hat eine
Geschichte der kritischen Auseinandersetzung und Distanzierung
zu nationalen Befreiungsbewegungen hinter sich. Die Antira-Szene
hat sich in einer Situation zusammengefunden, wo
Internationalismus schon einen negativen Beigeschmack bekommen
hatte (siehe das Kapitel zum „Autonomen Antirassismus" im Buch
Autonome in Bewegung der AG Grauwacke). Erinnert sei daran, wie
der Demospruch „Hoch die internationale Solidarität!" mit
„antinationale Solidarität" überschrien wurde. Gründe dafür
waren die Erfahrungen und Enttäuschungen in den Solibewegungen
und gemeinsamen Organisierungsversuchen mit nationalen
Befreiungsbewegungen seit den 60er Jahren und eine
Aktualisierung der Kritik am Nationen-Konzept und an
Nationalismus nach 1990 und angesichts brennender
Asylbewerberinnenheime.
Diese Punkte scheinen in der
Antira-Szene nicht (mehr?) Thema zu sein, zumindest dem Buch
nach. Die konfliktreiche Geschichte von „Internationaler
Solidarität" und „Antiimperialismus" in die Diskussion zu holen,
hieße jedoch, sich auch zu ihr zu positionieren. Stattdessen
wird in Teilen diese „Vergangenheit" ganz verschwiegen oder - in
„unproblematischen" Fällen - als „erste antirassistische
Aktionen" umgedeutet, wie bei den Protesten gegen den Film
Africa Addio (einem Film, der die antikolonialen
Befreiungsbewegungen als Aufstand der „Wilden" gegen die
„Zivilisation" darstellte) im Buch. Durch den ganz im
positivsten Sinne von Bewegungsgeschichtsschreibung gemeinten
Blick auf die „Spuren antirassistischer Bewegung" wird die
internationalistische Perspektive der damaligen Proteste gegen
den Film einfach ausgeblendet. Aber: Ist das so problematisch?
Die antikolonialen Kämpfe wurden
damals aus der internationalistischen und antiimperialistischen
Perspektive als Teil des gemeinsamen weltweiten Kampfes gegen
den Kapitalismus gedacht. Besonders deutlich macht das folgendes
Zitat von Rudi Dutschke aus dem April 1965, nach den Erfahrungen
der Anti-Tschombe-Demonstration (dem Text zu den Protesten
Africa Addio im Buch entnommen): „Die Internationalisierung der
Strategie der revolutionären Kräfte scheint mir immer
dringlicher zu werden. Unsere Mikrozellen haben umgehend Kontakt
und Zusammenarbeit mit amerikanischen, anderen europäischen,
lateinamerikanischen und auch afro-asiatischen Studenten und
Nichtstudenten [...] aufzunehmen. Diese Kontakte sind allen
anderen Kontakten mit pseudorevolutionären deutschen Gruppen
vorzuziehen." Die berechtigte Kritik an den Hoffnungen auf ein
neues „revolutionäres Subjekt" nach den Enttäuschungen mit der
„Arbeiterbewegung" auf der einen Seite und an dem in der realen
praktischen Zusammenarbeit dennoch vorhandenen Paternalismus und
der Instrumentalisierung durch die verschiedenen politischen
Gruppen darf nicht blind machen dafür, dass „aus den gemeinsamen
Diskussionen über die antikolonialen Befreiungsbewegungen und
die westlichen Interventionen in der Dritten Welt sich
weitgehend übereinstimmende politische Positionen" ergaben (laut
dem Artikel im Buch). Was will mensch mehr? Das ist doch eine
Basis für gemeinsamen Kampf, oder? Ihre Grundlage ist aber eben
der so umstrittene Internationalismus in seiner Perspektive auf
die gemeinsamen Ziele im Kampf für die weltweite Revolution. Und
deshalb finden wir es wichtig, sich mit diesem und seinen
Grenzen auseinanderzusetzen. Das kann helfen zu klären, was
heute die Gemeinsamkeiten von Kämpfen ausmacht.
Inhaltliche Beziehungen zu den
Kämpfen der jeweils anderen heute machen im Buch jedoch nur die
Flüchtlinge in den Interviews auf: Sunny Omwunyeke stellt über
Hartz4 eine Verbindung zur Lebenssituation und permanenten
Entrechtung von Flüchtlingen her; Flore Kwenja spricht den Kampf
für die Menschenrechte an; andere treten für einen gemeinsamen
Kampf für globale Rechte, für Reisefreiheit/das Recht auf
Bewegungsfreiheit ein. Von (vermutlich) biodeutscher
Antira-Seite kommen stattdessen Äußerungen wie: „Es geht darum,
einfach zu merken, dass es genauso wie unter den weißen
Deutschen natürlich auch unter den Flüchtlingen Menschen gibt,
mit denen ich mich seelenverwandt fühle." Oder: „In dem Moment,
in dem du dich mit Asylsuchenden anfreundest, werden ihre
Problem zu deinen eigenen". In gemeinsamer politischer
Organisierung geht es unserer Meinung nach nicht um J;H
Freundschaft oder auch nur, dass wir uns mögen, sondern um
gemeinsame politische Perspektiven. Sicher ist der Prozess der
Organisierung auch ein sozialer. Aber „sich anfreunden" und
„seelenverwandt fühlen" statt gemeinsame politische Perspektiven
ausloten und um diese streiten? Statt Freundschaft bedarf es
unserer Ansicht nach viel mehr einer Streitkultur - und der
Strukturen, von denen aus sich alle Beteiligten den Streit, die
Differenz auch leisten können. Hierbei helfen auch
psychologisierende Interpretationen wie die von dissens3, dass
„große Teile der weiß-deutschen Aktivistinnen" scheinbar „unter
sich bleiben wollen und Angst haben, dass eine stärkere
Beteiligung von Flüchtlingsaktivistinnen ihren altbekannten
Politikstil verändern könnte", nicht wirklich weiter. Statt als
Angst zu vereindeutigen, was auch eine Mischung aus auch die
Linke prägende rassistische Ausgrenzungsstrukturen und der mit
diesen verschränkten Skepsis gegenüber den politischen
Positionen der Flüchtlings- und Migrant Innengruppen nach den
Erfahrungen mit nationalen Befreiungsbewegungen und in der
internationalen Solidaritätsarbeit sein kann, ist uns zu
einfach. Wie war das mit der Palästina- oder PKK-Solidarität?
Viel interessanter wäre doch dagegen die Frage mal wirklich zu
stellen, was die politischen Hintergründe sind, warum einzelne
eine Zusammenarbeit mit Flüchtlings- und Migrantinnen-Gruppen
für nicht so notwendig halten, wie andere, und welche
Differenzen es entlang der verschiedenen Gruppen gibt bzw. wo
Ansätze für Bündnisse sind. Konkrete Streitpunkte und inwieweit
eine Diskussion hierüber geführt wird, sind in dem Buch jedoch
leider nur angedeutet. Dass dies überhaupt Thema ist, ist nicht
zuletzt Erfolg der Flüchtlingsselbstorganisationen und der
„intensivierten Kooperation" zwischen diesen und kleinen Teilen
der biodeutschen Antira-Szene. Was aber noch zu fehlen scheint
ist die inhaltliche Basis für die gemeinsame Organisierung.
Diese könnte der immer mal wieder beschworene neue
Internationalismus sein, der Kampf gegen den weltweiten
Neoliberalismus oder für Rechte - ob als Menschenrechte oder
globale Rechte formuliert -, aber auf jeden-fall geht es um ein
gutes Leben für ALLE! Die unterschiedlichen Erfahrung mit
nationalen Befreiungsbewegungen sind hierfür genauso aktiv
miteinander zu diskutieren wie Rassismen oder die Kontinuität
kolonialer Repräsentationstrukturen. Lets Start! Antira heißt
Angriff!!!
AG Transnationaler
Widerstand
Editorische Anmerkungen
Der Text erschien in
der INTERIM Nr. 625 vom 27.10.2005, S. 23-29
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