Um was geht es in Berlin?
Der Konflikt WASG-Linkspartei und seine bundespolitische Bedeutung

von Max Brym

12/05

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In Bayern wird oft und gern die Haltung der Berliner WASG zur Regierungspolitik der Linkspartei/PDS als „Berliner Marotte“ dargestellt. Angeblich sind „Chaoten“ und „Sektierer“ in der Berliner WASG unterwegs um den Einigungsprozess der Linken zu untergraben. Der Beschluß der Berliner WASG, jegliche Privatisierungspolitik, jeglichen Sozialabbau und jegliche Arbeitsplatzvernichtung, auch wenn er von der Linkspartei mit betrieben wird abzulehnen und selbständig zu den Berliner Senatswahlen anzutreten, wenn sich die Politik der Linkspartei nicht ändert, wird von einigen Teilen der WASG Führung abgelehnt. Schlimmer noch, nicht nur ein bayrischer Landesvorsitzender der WASG will die Berliner loswerden, es wird ihnen „schädliches Verhalten“ und ähnliches vorgeworfen. Dabei schrecken Bundesvorstandsmitglieder nicht vor Drohungen und üblen Tricksereien zurück. In Wahrheit geht es in dem Konflikt um drei wesentliche Grundfragen. 1. Was ist das konkrete inhaltliche Selbstverständnis der WASG und was hat Mensch unter linker Politik zu verstehen? 2.Wie hat sich linke Politik auf einheitlicher Basis aufzustellen? und 3. Welche Bedeutung kommt der Demokratie und den Rechten der Mitglieder in diesem Prozedere zu? Um die Frage zu klären,  warum die Mehrheit der Berliner WASG eine gemeinsame Kandidatur mit der Linkspartei in Berlin unter den gegebenen Prämissen ablehnt, ist eine kurze Darstellung der Berliner Senatspolitik von Nöten. 

Die Berliner Regierungspolitik gegen ArbeiterInnen, Arbeitslose und sozial Marginalisierte

 Der Berliner Senat trat bereits vor einiger Zeit aus dem kommunalen Arbeitgeberverband aus. Damit hatte der Senat eine bundesweite Vorreiterrolle im Kampf gegen die Einkommens- und Arbeitsverhältnisse bei den Beschäftigten im öffentlichen Dienst übernommen. Konkret bedeutete dies bereits im Jahr 2003 Einkommensverluste für die Betroffenen zwischen acht und zwölf Prozent. Ausgeklammert wurden damals die kampfstarken Bereiche BSR (Müllversorgung) und BVG (Verkehrsbetriebe). Die BVG knöpfte sich der Senat in diesem Sommer vor und zwang den Beschäftigten einen Spartentarif auf, der Lohneinbußen von 15-25% beinhaltet. Die „Kostensenkungen“ haben den erklärten Zweck, Privatisierungen für den Zeitraum nach der nächsten Wahl vorzubereiten. Das gilt selbstverständlich auch für die städtischen Krankenhäuser (Strom, Gas und Wasserversorgung sind mehrheitlich bereits in privaten Händen). In den „vivantes Krankenhäusern“ werden als Vorbereitung für die Privatisierung Stellenabbau und Gehaltskürzungen betrieben. Dort wurde das Weihnachts- und Urlaubsgeld weitgehend gestrichen und ein Stellenabbau von 1.800 Arbeitsplätzen bis 2008 durchgedrückt, nachdem seit 2001 schon 2.000 Vollzeitstellen weggekürzt wurden. In der Berliner Charité (dem größten  Universitätsklinik um Europas) sollen fast 32 Millionen Euro am Einkommen der Beschäftigten gespart werden. Zusätzlich wird die Entlassung von 1.300 Leuten vorbereitet. Wenn sich die Arbeitenden nicht mit den Lohnsenkungen abfinden, will der SPD/Linkspartei Senat die Zahl der Entlassungen dramatisch steigern. In der Charité kursieren Flugblätter der Gewerkschaft Ver.di mit der Überschrift: „SPD und PDS wollen uns erpressen.“ Vergangene Woche erhielt ein Landesvorstandsmitglied der WASG vor versammelten Charité Kollegen viel Beifall, während der PDS Senator niedergebrüllt wurde (siehe Junge Welt 3.12.05). Auf dem am Wochenende abgehaltenen Berliner Landesparteitag der Linkspartei berichtete der scheidende Landesvorsitzende Liebich über die „Erfolge“ der Regierung in Sachen Haushaltskonsolidierung. Auf welche Kosten diese „Erfolge“ gehen sagten die neoliberalen Politspunde der Linkspartei nicht. Der Haushalt als solcher ist wichtig und die pünktliche Bedienung der Gläubiger des Berliner Bankenskandals. Rund 300 Millionen Euro werden pro Jahr unter dem Stichwort Risikoabschirmung denjenigen in den Hals geworfen, die sich durch Vetternwirtschaft und Immobiliengeschäfte maßlos bereichert haben. Darunter das noble Haus Springer und verschiedene Privatbanken. Wer den Reichen gibt (bürgerliche Haushaltskonsolidierung) muß es den Armen nehmen. In Berlin wurde das Blindengeld de facto abgeschafft, das Sozialticket für die Verkehrsmittel zuerst gestrichen und dann nach verschiedenen Protesten zu einem dreimal höheren Preis wiedereingeführt. Der Jugendhilfeetat wurde von 400 (2001) auf  230 Millionen Euro im Jahr 2005 reduziert. Viele Kitas wurden geschlossen andere privatisiert. Rund 24.000 Ein-Euro-Jobs wurden in Berlin geschaffen, damit ist die Beseitigung von tariflich bezahlten Stellungen verbunden. Der Verkauf von Wohnungsbaugesellschaften ist in Berlin weit vorangeschritten und die Vorbereitung zur Privatisierung von Verkehrsbetrieben und Krankenhäusern läuft auf vollen Touren. Die Liste der sozialen Grausamkeiten in Berlin ließe sich endlos fortsetzen, diese Beispiele sollten allerdings zur Klarstellung genügen: Der SPD/PDS Senat betreibt eine extrem neoliberale Politik zugunsten der Vermögenden und zu Lasten der ArbeiterInnen und der Armen. Diese Politik hat das Prädikat Links nicht verdient. Auch das Argument des kleineren Übels kann getrost ignoriert werden. Denn die Menschen wollen kein Übel auf ihrem Rücken ertragen und sich daneben spitzfindige Debatten von linksliberalen Intellektuellen anhören, „dass es ja noch schlimmer kommen könnte“. Aber selbst diesen Diskurs hat die Linkspartei in Berlin bereits hinter sich gelassen, offensiv vertreten sie ihre Politik und wollen bedingungslos an ihr festhalten. Auf dem Landesparteitag bekam sogar das WASG Vorstandsmitglied Klaus Ernst sein Fett ab. Ernst kritisiert zwar größtenteils unsachlich die Berliner WASG-Mehrheit wegen ihrer Absicht gegen die Linkspartei zu kandidieren, aber er nannte immerhin die „Koalition in einigen Punkten problematisch“. Das geht dem neuen Landesvorsitzenden der Linkspartei Lederer bereits zu weit, er meinte: „Wir machen in Berlin erfolgreiche Politik, die Kritik daran ist daneben.“ Ergo mit dieser Regierungspartei kann und darf es auf Wahlebene keinerlei Bündnis geben. Die Berliner WASG hat Recht, wenn sie auf eine eigenständigen Kandidatur setzt. Sie befindet sich im völligen Einklang mit wesentlichen Passagen des WASG Grundsatzprogrammes indem neoliberale Politikvorstellungen verworfen werden. Diese Haltung ist keineswegs sektiererisch. Sektiererisch wäre es, sich mit dieser Linkspartei ins Boot zu setzen und sich damit von kämpfenden Belegschaften, Gewerkschaftern und Arbeitsloseninitativen zu trennen. Es sollte dem Selbstverständnis der WASG entsprechen, die Interessen der Ausgebeuteten,Unterdrückten und der Beleidigten zu vertreten. Genau das wird in dem Beschluß der Berliner WASG getan. 

 Der Streit um Berlin und die „Einheit der Linken“ 

 Kontraproduktiv sind Vereinbarungen zwischen der WASG- und Linkspartei-Spitze (Kooperationsabkommen), in denen konkurrierende Kandidaturen in Bundesländern ausgeschlossen werden sollen. Damit wird von oben versucht jeglicher ernsthaften Opposition gegen die „Regierungsstrategie“ der Linkspartei einen Riegel vorzuschieben. Wer den Berlinern verbieten möchte eigenständig in Berlin anzutreten, vergeht sich am Grundkonsens der WASG (Ablehnung von neoliberaler Politik) und legt undemokratisches Verhalten an den Tag. Dieser Sachverhalt kann nicht durch die abstrakte Formel über die „Einheit der Linken“ ignoriert werden. Linke Politik hat sich an Inhalten und Positionen festzumachen, denn die Wahrheit ist nach Hegel „stets konkret“. Konkret betreibt die Linkspartei in Berlin alles andere als eine linke Politik, auch wenn der Name anderes belegen möchte. Das ist aber nicht nur ein Berliner Phänomen. Aus allen Ecken und Nischen wird als kommende Strategie verkündet, möglichst viele „Regierungsbeteiligungen“ in den Bundesländern und letztendlich im Bund zu erreichen. Die WASG sollte hingegen auch um glaubwürdig zu bleiben an ihrem Wahlmanifest zur Bundestagswahl festhalten. In dem Aufruf wird klar jede Regierungsbeteiligung abgelehnt, die mit Sozialabbau verbunden ist. In diesem Zusammenhang gilt es den Fusionsprozess mit der Linkspartei neu zu justieren. Eine neue linke starke Kraft braucht dieses Land tatsächlich. Diese Kraft hat konsequent Partei für die arbeitende und erwerbslose Bevölkerung zu ergreifen. Dazu gehört die prinzipielle Ablehnung von Sozialkürzungen, Arbeitsplatzabbau und Privatisierungen. Erreicht werden soll dies durch den Zusammenschluß von AktivistInnen aus dem betrieblichen und gewerkschaftlichen Bereich, sozialen Bewegungen, aus Schüler- und Studentenvertretungen, aus antifaschistischer Bündnisarbeit und aus Strukturen gegen die kapitalistische Globalisierung. Dabei müssen Parlamente in erster Linie als Plattform benutzt werden um die außerparlamentarische Opposition zu befördern. Völlig kontraproduktiv ist es hingegen in einem 100 Tage Programm im Bundestag die Erhöhung des Arbeitslosengeldes II auf 420 Euro zu fordern. Diese Position stellt sich auf die Basis „bei Hartz IV nachzubessern“ statt es abzuschaffen. Die Forderung orientiert sich  an  einem möglichen Partner im Parlament und nicht am außerparlamentarischen Widerstand. Die Forderung ist falsch und sektiererisch, das bürgerliche Establishment wird die Forderung ablehnen und der Widerstand wird sie ignorieren. Die Linkspartei/PDS fordert auf Bundesebene die Umwandlung von 1 Euro Jobs in „geschützte und sozialversicherungspflichtige Jobs“. Damit wird das Lohndumping sanktioniert und der Abbau von tariflich bezahlten Arbeitsplätzen unterstützt. Wenn die WASG-Spitze die  formulierten Dokumente der WASG Gründung ernst nehmen würde,  müsste es sofort scharfen Protest dagegen geben. Statt dessen wird nur noch von der schnellen Vereinigung mit der PDS geschwafelt. Dabei wird ignoriert, dass in der Urabstimmung innerhalb der WASG die Vereinigung mit der PDS als „ergebnisoffener Prozess“ beschrieben wurde. Zu dieser „Ergebnisoffenheit“ gehört sicherlich der Kampf um programmatische Positionen und die Tatsache, dass in die Gespräche über die Bildung einer neuen politischen Formation auch andere Kräfte miteinbezogen werden müssen, sicherlich aber auch die Basis der WASG. Es geht nicht an mit der PDS Vereinbarungen über Zeitfenster für die Vereinigung zu beraten und die Mitgliedschaft soll dies dann abnicken. Wenn gar ein Landesverband wie Berlin sich selbst einen Kopf über das Verhältnis zur Linkspartei macht, so ist das völlig legitim. Völlig deplaziert sind konspirative Spitzenverhandlungen auf bürgerlich politischer Grundlage mit der Linkspartei und wüste Drohungen gegen oppositionelle Parteimitglieder.

Editorische Anmerkungen

Max Brym stellte uns diesen Artikel am 7.12.2005 zur Veröffentlichung zur Verfügung. Er lebt als freier Journalist in München.