Geheimstrukturen in Italien
Die Enttarnung der Dssa
12/05

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In Italien sind erneut politische Geheimstrukturen aufgedeckt worden. Bereits in den 80er und 90er Jahren kamen nicht-offizielle Strukturen ans Licht der Öffentlichkeit, die sich aus Rechtsradikalen, Polizei und Geheimdiensten zusammensetzten.
»Illegale Polizeistrukturen in Italien aufgedeckt!« So oder ähnlich lauteten in den ersten Julitagen diesen Jahres die Überschriften zahlreicher Zeitungsartikel.

Im April 2004 wurde der Italiener Fabrizio Quattrocchi im Irak zunächst entführt und dann ermordet. Unklar war, wieso sich Quatrocchi überhaupt im Irak aufhielt. Zunächst hieß es, er sei im Auftrag eines privaten Sicherheitsdienstes tätig gewesen. Im Zuge der durch Staatsanwaltschaft von Genua geführten Ermittlungen um den Tod Quatrocchis, wurde jedoch aufgedeckt, dass er dort als Söldner arbeitete. Auftraggeber sei das »Dipartimento studi strategici antiterrorismo – Dssa« (Abteilung für strategische Anti-Terror-Studien) gewesen.
Ähnliche Verwirrungen gab es im Übrigen auch um den Tod zweier deutscher GSG 9-Beamter im Irak. Damals hieß es zunächst, sie seien privat im Land gewesen. Später bestätigten offizielle Stellen, dass sie dienstlich eingesetzt waren. Angeblich sollten sie die deutsche Botschaft in Bagdad schützen. Im Zuge der Ermittlungen wurde die Dssa überprüft. Es stellte sich heraus, dass es sich dabei um eine nicht-staatliche Organisation handelt, die in ganz Italien Stützpunkte unterhält. Sie soll aus mindestens 150 Personen bestehen und vorwiegend aus ehemaligen oder aktiven Polizisten, Carabinieri, Grenzpolizisten, Zollbeamten und Geheimdienstangehörigen bestehen.

Dipartimento studi strategici antiterrorismo – Dssa

Ziel der Dssa war der Kampf gegen den sogenannten islamischen Terrorismus. In diesem Zusammenhang führte sie Ermittlungen und Überwachungen gegen Moslemgruppen, Moscheen und von Arabern geleitete Betriebe durch.
Beispielsweise spielte die Dssa den Carabinieri wiederholt Dossiers über angeblich von Islamisten geplante Anschläge zu. Auch die Terrorwarnung für den Domplatz von Mailand zu Beginn des Jahres 2005 soll auf Informationen der Dssa basieren. Im Gegenzug konnte die Organisation geheime Datenbanken des Innenministeriums nutzen. Die Dssa verhielt sich wie ein staatlicher Geheimdienst und habe vorgetäuscht, »über den Auftrag zur Begrenzung und Kontrolle der Terroristen-Finanzierung, zur Identifikation und Unterwanderung von Terrorzellen und zur Analyse von Gegenspionage zu verfügen«, so die Ermittlungsbehörden in Genua. Wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung wurden 25 Objekte durchsucht. Dabei wurden Waffen, zahlreiche »Survival-Kits«, unzählige Ausweise und Dienstplaketten gefunden. Gegen 24 Personen wird ermittelt; 12 von ihnen sind Polizisten. Bei den Köpfen der Dssa handelt es sich um Dr. Gaetano Saya und Ricardo Sindoca, die in Florenz und Pavia unter Hausarrest gestellt wurden. Beide sind extreme Rechte mit ausgezeichneten Verbindungen zu Geheimdiensten und anderen staatlichen Apparaten.

Destra Nazionale - Nuovo Msi

Dr. Gaetano Saya ist oberster Chef der rechten Gruppierung »Destra Nazionale – Nuovo Msi« (Nationale Rechte – Neue Soziale Bewegung Italiens). Der heute 49jährige Saya wurde in Messina, Kalabrien geboren und wuchs bei seinem Großvater auf. Stolz betont er, dass dieser schon bei Mussolinis »Marsch auf Rom« dabei gewesen sei. 1970, mit 14 Jahren, habe Saya an den rechten Aufständen in Kalabrien, den »giornate di Reggio Calabria«, teilgenommen. Später sei er Experte für Information, Sabotage, Propaganda und Guerilla, Gegenspionage und Antiterrorismus bei den Geheimdiensten der NATO gewesen. Dabei dürfte es sich um die geheime »Stay-Behind-Struktur« der NATO handeln, die in Italien unter dem Namen Gladio (römisches Kurzschwert) auftrat und aus Rechtsradikalen rekrutierte Terror- und Sabotagetrupps für den Fall einer kommunistischen Invasion oder Revolution ausbildete (siehe AIB No. 14, Frühjahr 1991). Gladio wird für zahlreiche Anschläge in den 60er und 70er Jahren verantwortlich gemacht. Unter dem Stichwort »Strategie der Spannung« wurden die oft verheerenden Attentate der Linken untergejubelt, um über die damit geschaffene verschärfte innenpolitische Lage einen rechten Staatsstreich zu erreichen.

Kontinuitäten

Die seit den 50ern bestehende Struktur wurde erstmals im Oktober 1990 bekannt, als der ehemalige italienische Ministerpräsident Giulio Andreotti vor einer Untersuchungskommission aussagte. Durch General Giuseppe Santovito sei Saya dann zum »Servizio per le Informazioni e la Sicurezza Militare – SISMI«, dem italienischen militärischen Sicherheitsdienst, gekommen. Ebenso wie Santovito und Silvio Berlusconi war auch Saya Mitglied der Geheimloge »Propaganda 2« (P2), die in den 70er Jahren ebenfalls versuchte, die notwendigen Voraussetzungen für einen rechten Staatsstreich zu schaffen. Im Zeitpunkt ihrer Aufdeckung konnte die P2 bereits ganze Regimenter der traditionell rechtsgerichteten Fallschirmjäger mobilisieren. 1997 sagte Saya – quasi als Kronzeuge – im Prozess um die Ermordung des Anti-Mafia-Ermittlers und Carabinieri-Generals Carlo Alberto dalla Chiesa gegen Andreotti aus, und beschuldigte ihn, den Mord befohlen zu haben. Seit Mai 2005 muss er sich zudem wegen antisemitischer und rassistischer Hetze vor Gericht verantworten.

Nach der Enttarnung der Dssa wiegelten die staatlichen Stellen ab. Silvio Berlusconi betonte, bei Saya würde es sich lediglich um einen Wichtigtuer handeln. Der Fall werde künstlich aufgebauscht. Unwahrscheinlich ist aber, dass mit der Dssa nur eine Gruppe von Wichtigtuern aufgeflogen ist, die auch mal Polizei spielen wollten. Gegen diese Annahme spricht, dass die Dssa offensichtlich über erhebliche finanzielle Mittel, ausgezeichnete Kontakte und erhebliche politische Unterstützung verfügt. Es könnte sich tatsächlich um eine Geheimorganisation à la Gladio oder P2 handeln. Dafür sprechen auch die zahlreichen personellen Kontinuitäten. Zudem handelt es sich bei den Akteuren erneut um eine Mischung aus Rechtsextremen, Polizei und Geheimdiensten. Nur ist zur Zeit ein anderes Feindbild, in den Vordergrund gerückt: Die allseits beschworene Bedrohung durch den »islamistischen Terror«! Würde es sich tatsächlich nur um eine Ansammlung von Spinnern handeln, wäre Quatrocchi wohl kaum im Irak aktiv gewesen und hätten Mitglieder der Dssa keinen Zugang zu vertraulichen Dossiers der Geheimdienste gehabt. Zudem war das Netz der Dssa über ganz Italien verteilt.
Schließlich bleibt die Frage, ob nicht erneut geheime Stay-Behind-Organisationen bestehen. Stay-Behind-Organisationen, die auch in anderen Ländern auf Rechtsextreme, Polizisten und Geheimdienstler setzen.
 

Editorische Anmerkungen

Der Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe
des Antifaschistischen Info Blatt (No. 69)

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