Betrieb & Gewerkschaft
Erfolge und Grenzen linker Gewerkschaftspolitik
Ein Buch über den Opelstreik gibt gute Einblicke hinterlässt aber sehr viele Fragen
von Peter Nowak
12/05

trend
onlinezeitung

Der sechstägige Streik im Bochumer Opelwerk hat im Oktober 2004 für Aufsehen gesorgt. Schließlich werden auch in großen Teilen der Linken Arbeitskämpfe als Ereignisse aus einer anderen Zeit angesehen.

Willi Hajek und Jochen Gester gehören zur kleinen Gruppe linker GewerkschafterInnen, die die Arbeiterklasse nicht rechts liegen gelassen haben. Aber ihre langjährige Basisarbeit verhindert auch, dass sie das Proletariat verklären. Ihr Buch hat davon profitiert. Sie interviewen Bochumer Streikaktivisten und aus verschiedenen Generationen. Weil unter dem Interviewten mit der Jugendvertreterin Lisa Gärtner ist, scheint mir die männliche Form in diesem Fall angebracht.  Dabei gehen die Gespräche weit über die Streikereignisse hinaus. Ältere Kollegen erinnern sich noch an die späten 70er Jahre, als linke GewerkschaftlerInnen zu Chaoten und Terroristenfreunden gestempelt werden. Daran waren nicht nur konservative Medien sondern auch sozialdemokratische Gewerkschaftsfunktionäre beteiligt.

Besonders verdächtigt waren ihnen Kollegen, die von der Universität in den Betriebe gegangen sind. Der Bochumer Opelianer Wolfgang Schaumburg wird hier exemplarisch vorgestellt. Der Theologiestudent geht als Maoist an die Werkbank und kehrt - anders als viele seiner ehemaligen GenossInnen - nicht nach wenigen Jahren an die Universität zurück. Er wird vielmehr einer der treibenden Kräften bei der linken Kollegengruppe „Gegenwehr ohne Grenzen“ (GoG). Ursprünglich nannten sie sich Gewerkschafter ohne Grenzen, was von der Gewerkschaftsbürokratie auf Missfallen stieß. Viele der Interviewpartner kommen aus dem Aktivstenkreis der GoG. Wer angesichts der „6 Tage der Selbstermächtigung“, wie die Herausgeber den Streik nennen, vor historischen Optimismus sprühende Opelkollegen erwartet, wird enttäuscht sein. Im Gegenteil. Es gibt wohl kaum einen Gesprächspartner, der ein gutes Wort für die IG-Metall übrig hat. Besonders der langjährige GoG-Aktivist Manfred Strobel, der nach 28 Jahren bei Opel einen Aufhebungsvertrag unterschrieben und ein Studium begonnen hat, nennt die Gewerkschaften einen „Bewusstseinsverhinderungsapparat“ und propagiert den Massenaustritt, wenn er auch zugibt, keine Alternative nennen zu kennen. Es sind die klugen Fragen des Interviewers, die diese Haltung als Frust eines Enttäuschten kenntlich macht. Schließlich hat die IG-Führung den Opel-Streik weder finanziell noch organisatorisch unterstützt und auf ein schnelles Ende
gedrängt.

Auch die Ergebnisse werden denkbar unterschiedlich interpretiert. Für die IG.- Metallspitze ist es ein respektables Resultat, weil hohe Abfindungen erzielt werden konnten. Für viele GoG-Aktivisten ist es aber doch eine Niederlage. „Arbeitest Du noch oder zählst Du schon?“ wurde das geflügelte Wort als in der Belegschaft über das Für und wider einer Abfindung
diskutiert wurde. Danach war an eine Fortsetzung der Kampfmaßnahmen nicht zu denken. Doch viele Gesprächspartner räumen, dass das Ergebnis kein von der Gewerkschaftsspitze durchgedrücktes Diktat war sondern bei großen Teilen der Belegschaft auf Zustimmung gestoßen ist.

Doch nach den Gesprächen bleiben doch auch einige offene Fragen: Der Frust über die Gewerkschaft wie sie Strobel äußert, ist subjektiv verständlich. Wenn jedoch ein langjähriger Betriebsaktivist einen Austritt aus der Gewerkschaft mit einem Kirchenaustritt vergleicht und von davon schwärmt, dass er endlich wieder frei denken und atmen kann, wenn er nicht mehr in der Gewerkschaft ist, fragt man sich doch nach dem Gewerkschaftsverständnis des guten Mannes. Das klingt doch verdächtig, nach den Sprüchen die frühere K-GrüpplerInnen losgelassen haben, als sie ihre Organisationen verlassen hatten. Meistens haben sie sich nicht auf die Suche nach einer linken Alternative gemacht sondern den Kampf um Veränderung ganz aufgegeben. Wenn ein gestandener Gewerkschafter KollegInnen ernsthaft rät, sie sollen selbst ohne Alternative die Gewerkschaften verlassen, freuen sich erst einmal nur die Kapitalisten.

Eine andere Frage ist die DKP-Phobie, die bei vielen Interviewten deutlich wird. Man muss nun wahrlich kein Freund dieser Partei im Allgemeinen und ihrer Gewerkschaftspolitik im Besonderen sein. Wenn aber von DKP-Seilschaften im Betriebsrat gesprochen wird, sollte sich doch schon die Frage stellen, warum die GoG mindestens in den letzten Jahren nicht eine flexiblere Bündnispolitik gemacht hat. Oder handelt es sich hier noch um maoistische Erblasten. Damals galt ja bekanntlich die DKP als Hauptfeind diverser K-Gruppen.

Diese Fragen schmälern nicht des insgesamt lesenswerten Buches. Im Gegenteil, die Lektüre regt zum kritischen Nachfragen an.

Editorische Anmerkungen

Jochen Gester/Willi Hajek (Hg.): Sechs Tage der Selbstermächtigung. Der Streik bei Opel in Bochum Oktober 2004. Die Buchmacherei, Berlin, 2005, 226 Seiten, 10 Euro, ISBN 3-00-0172269-6

Jochen Gester wird am am 21.1.2005 anlässlich der Veranstaltungen zum 10jährigen TREND-Jubiläum das Buch vorstellen.

Berlin 20./21. 1.2006  10 Jahre TREND
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