Ein Straßenräuber, der die
örtliche Bevölkerung terrorisierte, stahl und vergewaltigte, wie
die französischen Militärs behaupten? Ein Elektriker und
Klempner, der in der Siedlung Dah „ein ruhiges Leben führte“,
wie der Pariser Anwalt seiner Hinterbliebenen, Fabien Ndoumou,
angibt? Oder ein in Dah und den umliegenden Dörfern tätiger
„Erzieher im sozio-kulturellen Bereich“, eine Art
Sozialarbeiter, folgt man Gabriel Blé von der „Vereinigung zum
Schutz der Ivoirer“ im Großraum Paris? Genau wird man vielleicht
nie wissen, wer der circa 30jährige Firmin Mahé war, dessen Foto
in der ivoirischen Tageszeitung Le Courrier d’Abidjan
erschien und in Frankreich in Le Monde nachgedruckt
wurde.
Auch seine Leiche wird man
vielleicht nie finden, und niemand scheint zu wissen, wo sie
heute liegt. Der Rechtsanwalt behauptet, sie sei wahrscheinlich
in ein Massengrab für unbekannte Verstorbene geworfen worden,
und fordert von der französischen Militärjustiz Nachforschungen
über ihren Verbleib. Das Pariser Armeegericht ermittelt seit
mehreren Monaten bezüglich der letzten Momente im Leben des
Firmin Mahé, und hat in der letzten Novemberwoche und Anfang
Dezember eine Reihe von Anhörungen dazu durchgeführt. Denn so
viel steht mittlerweile fest: Firmin Mahé ist am frühen Abend
des 13. Mai dieses Jahres durch französische Soldaten getötet
worden, in deren Gewalt er sich befand, während er bereits
schwer verletzt war. Der Vier-Sterne-General Henri Poncet, der
von Mai 2004 bis Mai 2005 der ranghöchste französische Militär
in der Côte d’Ivoire war und die dortige Truppe mit UN-Mandat
befehligte, war nicht nur davon unterrichtet. Er scheint die
Tötung des bewaffneten Zivilisen sogar mit kaum verhüllten
Worten angeordnet zu haben. Die Angelegenheit spielte sich in
der Pufferzone ab, die zwischen dem Hoheitsgebiet des
ivoirischen Regimes unter dem ethno-nationalistischen
Präsidenten Laurent Gbagbo im Süden und der Rebellenzone in der
nördlichen Landeshälfte verläuft. Diese Pufferzone wurde, und
wird, durch die französische UN-Truppe der Opération Licorne
(Operation Einhorn) bewacht. Das waren damals über 5.000
Soldaten, heute noch 4.000 - und ein Ende ist noch nicht
abzusehen, da der UN-Sicherheitsrat das Mandat des Präsidenten
Gbagbo „mangels Einigung zwischen den Konfliktparteien“ auch
über das, am 31. Oktober erreichte, Ende der Legislaturperiode
hinaus um ein Jahr verlängerte.
In dieser Zone, die keiner
organisierten Staatsgewalt untersteht, hatten sich Banden von
Straßenräubern und Plünderern formiert. Am fraglichen Tag
behauptete ein ivoirscher Zivilist, der eine Patrouille
französischer Panzerfahrzeuge begleitete, in Mahé einen
Bandenchef zu erkennen – was vielleicht stimmte, vielleicht aber
auch auf einen Irrtum oder persönliche Rivalitäten
zurückzuführen war. Mahé war mit einem Kleinkalibergewehr
bewaffnet, sei es als Bandit, sei es aufgrund seiner
Mitgliedschaft in einem „örtlichen Selbstschutzkomitee des
Dorfes“, wie jedenfalls der Anwalt seiner Angehörigen behauptet.
Die Insassen eines Panzerwagens schossen auf ihn und verwundeten
ihn schwer am Bein, doch Mahé konnte entkommen. Nur durch Zufall
fanden die französischen Soldaten den Schwerverletzten mehrere
Stunden später wieder, so dass sie ihn nach den Einsatzregeln in
ein Krankenhaus transportieren mussten. Gegen 18 Uhr ordnete der
Oberkommandierende, General Poncet, am Telefon an: „Fahren Sie
langsam, Sie verstehen mich“. Er wurde auch verstanden, nämlich
so, dass Firmin Mahé besser tot als lebend in der Klinik
ankommen solle. Oberst Eric Burgaud gab den Befehl an seinen
Untergebenen weiter, den Chefadjutanten Guy Raugel – der nach
eigenen Worten explizit nachfragte, ob Mahé tot ankommen solle,
woraufhin die Antwort gelautet habe: „Sie haben mich wohl
verstanden“. Dies hat er jedenfalls der ermittelnden Richterin
Brigitte Raynaud erzählt. Deshalb ließ Raugel während der Fahrt
in die Klinik der Kreisstadt Man die Scheiben verdunkeln. Nach
eigenen Worten zog er daraufhin dem vorübergehend ohnmächtig
gewordenen Firmin Mahé einen schwarzen Müllsack über den Kopf
und sorgte durch mehrere Lagen Klebeband dafür, dass er keine
Luft mehr bekam. Das Opfer erstickte planmäßig. Gegen 20 Uhr
brachten die Militärs einen Toten in der Klinik an, der
angeblich seinen Schussverletzungen erlegen war.
Der General Poncet, der die ganze
Affäre im Anschluss gegenüber seinen politischen Vorgesetzten
vertuscht hatte, wurde am vergangenen Dienstag zu Verhörzwecken
in polizeilichen Gewahrsam genommen und entging nur knapp einer
längeren Untersuchungshaft. Ein nach Auffassung vieler
Uniformierter „unerhörter“ Vorgang, der ziemlich viel Staub in
Armeekreisen aufwirbelte und auch einige Tinte fließen lässt.
Bereits im Oktober dieses Jahres, als General Poncet durch die
französische Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie
aufgrund dieser Affäre disziplinarrechtlich sanktioniert und
strafversetzt worden war, empörte sich ein Teil der
französischen Presse. Das rechtsaußen stehende Wochenmagazin
Valeurs actuelles, Sprachrohr des Rüstungsindustriellen
Serge Dassault, titelte „Die Ehre eines Generals“ und sprach von
der Angelegenheit fast so, als sei Henri Poncet das Opfer einer
neuen Dreyfus-Affäre. Auch die rechtsbürgerliche
Boulevardzeitung France Soir sorgte sich insbesondere um
die armen Militärs, deren Reputation in den Schmutz gezogen
werde.
Bei seinem Verhör gab Poncet
an, er stehe zur Vertuschung der Affäre, da er „keine
antifranzösischen Gewalttaten“ in dem westafrikanischen Land
habe auslösen wollen.
Editorische Anmerkungen
Den Artikel erhielten wir
am 17.12.2005 am zur Veröffentlichung. Eine gekürzte Fassung
erschien in der Jungle World vom 21. Dezember 2005
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