Bundesweite Aktions- und Strategiekonferenz gegen Sozial- und Lohnabbau in Frankfurt am 2./3.12.06

von Walter Schumacher

12/06

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Zu einer zweitägigen Aktions- und Strategiekonferenz haben sich am letzten Wochenende ca. 130 Menschen aus den sozialen Bewegungen in Frankfurt getroffen.

Vertreten war einerseits das Spektrum, das eine eigenständige Demonstration gegen den Sozialkahlschlag unter der Parole „Schluss mit den Reformen gegen uns" am 3.Juni in Berlin organisiert hatte und das sich später am 21.10. den DGB-Demos unter eigenen Parole „Das geht nur ganz anders" angeschlossen hatte. Hinzu kam ein Teil des Spektrums, das sich 2004 um den Frankfurter Appell gesammelt hatte, aber wegen seiner Ablehnung aller potentiellen Ansätze von bedingungslosen Grundeinkommen bisher nur am Rande dabei war.
Ausdrücklich und bewusst gefehlt haben die Teile der Gewerkschaftsbewegung, die sich stärker den offiziellen DGB-Führungsebenen zuordnen. Mittlerweile hat diese Strömung sogar kurzfristig für den folgenden Sonntag eine eigene Konferenz zum (fast) gleichen Thema angesetzt. Wir lernen: Einheit ist schwierig.

Worum ging es auf der Konferenz?

Innerhalb der sozialen Bewegung gibt es naturgemäß unterschiedliche Einschätzungen bzgl. einer Nähe oder Distanz zu den Führungsebenen des DGBs und der Parlamentsparteien. Welche Forderungen darf und muss man stellen, damit man einerseits etwas erreicht, ohne dabei aber die Wunschpartner zu brüskieren? Wie stark ist die soziale Bewegung heute?
Hier wollte sich die jeweils unterschiedlichen Positionen der Strömungen verstehen lernen und sich darüber austauschen, was gemeinsam geht und was nicht. Die Diskussion hierüber war thematisch gegliedert:

Kräfteverhältnis zu Bündnispartnern

Einvernehmlich war, dass es ein Zusammenspiel in der Triade von sozialen Bewegungen & Gewerkschaften & Parteien geben muss. Die Kontroverse lag dann jeweils in der konkreten Gewichtung der einzelnen Akteure!

Auf dem Auftaktpodium vertrat Edith Bartelmus-Scholich vom Netzwerk Linke Opposition die Notwendigkeit offensiverer Aktionen statt "leicht politisierter Volksfeste" - etwa durch eine Blockade der Frankfurter Börse. Christa Hourani von der Gewerkschaftslinken schlug vor, an einem Punkt endlich einen Erfolg zu organisieren. Dafür böte sich der bevorstehende Kampf gegen den Rentenklau (Rente mit 67). Stefan Lindner von attac sprach als der eine Flügel gegen den ‚Frankfurter Appell', weil dieser Text ein Ausgrenzungsmittel gegen einzelne Partner sei und er plädierte für mehr Realpolitik sowie die Mobilisierung zum G8-Gipfel nach Heiligendamm. Rainer Roth (Rhein-Main-Bündnis) warnte vor Illusionen in einen "sozial gerechten Kapitalismus", klare Tagesforderungen müssten Erwerbslose und Beschäftigte zusammen bringen und können nur gegen das Kapital erkämpft werden. Christiane Schmidt vom Aktionsbündnis gegen Studiengebühren erläuterte die wachsende Bereitschaft von Studierenden gemeinsam mit Erwerbslosen und Beschäftigten gegen den Sozial- und Bildungsabbau auf die Straße zu gehen. Rainer Wahls vom Aktionsbündnis Sozialproteste hob den praktischen Gebrauchswert von Forderungen hervor, um vor Ort auch wirklich aktionsfähig zu werden.

Zur Strategiefrage: „Aktionen" versus „programmatische Klarheit" ?

Für einen Flügel vertrat Rainer Roth die Position, dass die Schaffung eines Minimalprogramms als programmatische Basis für die sozialen Proteste die zentrale Aufgabe sei.

Edith Bartelmus-Scholich stellte dagegen, dass Bewegung nur entsteht, wenn sie Visionen für eine Zukunft hat. Der Frankfurter Appell sei zwar eine solide Plattform, aber nicht mehr. Bündnisse ergeben sich durch Forderungen, die die Partner zusammenbringen.

Zum Stand der sozialen Bewegung
wurde allerseits des Resume gezogen: aktuell eine Abschwungphase.

Gibt es ein neues Prekaritat - ist das etwas Besonderes?

Harz IV hat eine neue Armuts-Gruppe geschaffen: waren früher nur Menschen mit geringer Bildung von Armut betroffen, so führt Harz IV ein intellektuelles und ein klassisches Proletariat zu einem neuen „Prekariat" zusammen. Nun gilt es, diese neu entstandenen, über die Armut verkoppelten Massen, als handlungsfähiges Subjekt zu organisieren. Diese These von Rainer Wahls fand allgemeine Zustimmung.

Ein neuer Frankfurter Appell?

Auch eine soziale Bewegung kann gemeinsame Forderungen sehr gut gebrauchen. Daher war für die Konferenz eine Neufassung des ‚Frankfurter Appells von 2004' geplant, wobei gemeinsam im Vorfeld vereinbart war, dass das brisante Thema ‚bedingungsloses Grundeinkommen' (BGE) erstmal ausgeklammert und auf eine gesonderte Konferenz ausgelagert werden solle.

Während der Konferenz gelang dann tatsächlich eine einvernehmliche Neufassung - bis bei einer Detailabstimmung die Formulierung: „[Wir fordern] Ein Mindesteinkommen für Er­werbslose, mindestens 500 € Eckregelsatz, partnerunabhängig, plus Unterkunfts - und Heizungskosten, damit auch Anhebung der Kinderregelsätze - ohne Bedürftigkeitsprüfung und repressionsfrei." mehrheitlich angenommen wurde.

Die Initiatoren der Neufassung des Frankfurter Appells interpretierten den unterstrichenen Passus als Zustimmung der Konferenz zum BGE, sodass die erfolgte Beschlussfassung zum ‚neuen Frankfurter Appell' letztlich doch nicht zum Zusammengehen der getrennten Strömungen führte.

Trotzdem könnte das doch noch zu einem fruchtbaren Ergebnis führen, weil durch den Konflikt sofort eine heftige, aber inhaltlich saubere Diskussion entstanden ist. Und vermutlich ist dieser Diskussionsprozess wesentlich fruchtbarer als die „einfache Zustimmung" zu einem wie auch immer gearteten neuen Frankfurter Appell!

Welche Aktionen in 2007 ?

Der Name Strategie- und Aktionskonferenz besagte es schon: es ging auch um die Orientierung und Schwerpunktsetzung für neue Aktionen in 2007.

Schon bei den Impulsreferaten von Mag Wompel von Labournet, Martin Behrsing vom Erwerbslosenforum und Peter Grottian vom Aktionsbündnis Sozialproteste ging es natürlich auch letztlich um Strategien und es wurden unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt:
So forderte Mag Wompel auf, die Genügsamkeit der kleinen Leute zu bekämpfen, indem wir Utopien erzeugen und verankern. „Und selbst die kleinste Aktion muss kompatibel zur Utopie sein, sonst werden wir keinen Erfolg haben können". Mag fordert auf, für ein stärkeres Selbstbewusstsein zu kämpfen. „Wir sind nur aus Sicht des Kapitals die Überflüssigen. In Wirklichkeit ist es eine Ehre, vom Kapital als überflüssig gekennzeichnet zu werden".
Martin Behrsing plädierte für eine "Volksinitiative" um Landtags- und Bundestagsabgeordnete zu verpflichten, fünf Monate von Hartz-IV zu leben.
Peter Grottian warnte die Anwesenden vor einer Selbstüberschätzung unserer Bewegung. Nur bei Anerkennung und realistischer Beachtung der eigenen Schwäche, können Aktionen erfolgreich werden. Angesichts der Schwäche der Bewegung und der existentiellen Not durch Hartz IV sei ein Hungerstreik ein angemessenes Mittel des Protests.

Auf der Konferenz wurden eine ganze Reihe von Aktionen vorgeschlagen, die sich aber tatsächlich alle noch in einem Vorstadium befinden. Insofern sind die nächsten bundesweiten Plena des ‚Bündnisses 3.Juni' beauftragt, die aufgeführten Aktionen weiter zu besprechen und dann umzusetzen.

Aktionen in den Betrieben zum Jahresbeginn?

Große Hoffnungen beruhen auf der Ankündigung der Gewerkschaftslinken, dass seitens des DGB für Jan/Feb Aktionen während der Arbeitszeit (sic!) IN den Betrieben, geplant seien. Falls diese wirklich stattfinden, sollten und werden sich die meisten aus den sozialen Bewegungen mit eigenem Profil dort engagieren - weil hier eine Chance gesehen wird, die lähmende Spaltung zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen aufzuheben.

Gegen den G8-Gipfel

Ebenso eindeutig war die Bereitschaft, sich als soziale Bewegung bei den Aktionen gegen den G8-Gipfel im Juni einzubringen, hier wurden insbesondere die Euro-Märsche und Armutsmärsche hin nach Heiligendamm erwähnt.

Handelsfreier Tag an der Frankfurter Börse

Der Vorschlag zur Herstellung eines „handelsfreien Tages" an der Frankfurter Börse fand inhaltliche Zustimmung - weil so eine Aktion eine sinnvolle Mischung aus symbolischer und direkter Aktion sei. Gleichwohl bedürfe eine solche Aktionen bester Vorbereitung. Es wurde auch klar, dass diese Aktion erst ab September nach den G8-Aktionen stattfinden kann und dass es unbedingt weiterer Bündnispartner bedürfe.

Zusätzliche Vorschläge wurden angesprochen, die entweder stärker regional organisiert werden oder noch sehr in den Vorplanungen steckten.

Insgesamt ist festzuhalten, dass die Aufbruchstimmung für die kommenden Protestaktionen in 2007 schwächer als in den früheren Jahren war. Insofern drückt sich auf so einer Konferenz natürlich auch die Schwäche der Bewegung aus.

Trotzdem war deutlich ein ganz großes Bestreben bei den Anwesenden spürbar, dass das ‚Bündnis 3.Juni' zusammen bleiben möchte. Dieses Bündnis scheint ein ganz wichtiges Mittel darzustellen, um die Zusammenarbeit von verschiedenen Strömungen in der sozialen Bewegungen abzusichern und gemeinsam Aktionen zu organisieren.

Es gibt keine andere Alternative, als diese Gemeinsamkeit zu suchen und trotz als Schwierigkeiten darum zu kämpfen: Einheit ist schwierig - aber notwendig!

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Beim „gemütlichen Teil" am Samstagabend wurden Ausschnitte vom neuesten Film ‚Kick it' von Martin Kessler gezeigt, der zeigt, was an Widerstand in der BRD vorhanden ist - und was noch zukünftig möglich ist.

 

Editorische Anmerkungen

Der Artikel ist eine Spiegelung von http://www.protest2006.de Dort kann er auch kommentiert werden.