Hartz reloaded
Aus der grünen Debatte um Grundsicherung und Grundeinkommen

von Wilhelm Achelpöhler

12/06

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Landauf landab wird die Idee eines Grundeinkommens diskutiert - der CDU Ministerpräsident von Thüringen Althaus macht sich ebenso zum Fürsprecher, wie Arbeitsloseninitiativen, das Netzwerk attac oder Götz Werner, Chef einer  Drogeriemarkt-Kette. Gemein ist ihnen der Gedanke der grundlegenden Änderung des Sozialsystems: an die Stelle aller Sozialleistungen soll ein Grundeinkommen treten, das alle Bürgerinnen und Bürger erhalten - unabhängig von der Höhe des Einkommens, des Vermögens oder der Bereitschaft zur eigenen Erwerbstätigkeit. Auch innerhalb der Grünen gewinnt die Idee eines Grundeinkommens immer mehr AnhängerInnen – so etwa die Grüne Jugend.

Die „grüne Grundsicherung“, im grünen Grundsatzprogramm aus dem Jahr 2002 noch zu einem „Schlüsselprojekt“ erhoben, ist demgegenüber in den Hintergrund der Debatte geraten. Das ist kein Wunder. Denn die Grünen haben ihre eigenen, ursprünglich innovativen, sozialpolitischen Ideen selbst diskreditiert. Hartz IV wurde von den Grünen vielfach als erster Schritt zur grünen Grundsicherung gepriesen. Mit der Idee der Grundsicherung freilich hat Hartz IV recht wenig zu tun. Zwar wurden die Sozialhilfe und die Arbeitslosenhilfe zu einer Leistung zusammengelegt - freilich auf dem Niveau der Sozialhilfe, Kinder zwischen 7 und 17 Jahren erhalten sogar noch weniger als die bisherige Sozialhilfe.  Auch von der freiheitlichen Seite der Grundsicherung blieb nicht viel: nicht die Eigenständigkeit der Leistungsempfänger wurde gesichert, sondern das Regime des „Fördern und Forderns“ zog ein. Wer noch keine 25 Jahre alt ist muss - bei Strafe des Leistungsentzugs - jedes Angebot akzeptieren.

Da überrascht es nicht, wenn jetzt die Befürworter eines „voraussetzungslosen Grundeinkommens“ an Boden gewinnen. Sie können eine berechtigte Kritik an Hartz IV aufgreifen. Denn es ist angesichts von fünf Millionen Arbeitslosen ja absurd die Menschen durch das „Fördern und Fordern“ dauernd zu drangsalieren, wenn es de facto keine Arbeitsplätze gibt. Hartz IV schafft keine Arbeitsplätze. Bei den Befürwortern des Grundeinkommens liest sich das so: "Hartz IV ist offener Strafvollzug. Es ist die Beraubung von Freiheitsrechten. Hartz IV quält die Menschen, zerstört ihre Kreativität", schimpft etwa Goetz Werner in einem "Stern"-Interview.

Das rigide Regime über die Arbeitslosen gehörte aber keineswegs zu den ursprünglichen Bestandteilen der grünen Grundsicherung. In dem grünen Grundsicherungmodell, wie es auf der Bundesdelegiertenkonferenz 1997 in Kassel auf Vorschlag des Bundesvorstands beschlossen wurde, kam eine Pflicht zur Übernahme von 1-Euro-Jobs nicht vor. Darin hieß es: „ Die Regelung des Sozialhilferechts, nach der SozialhilfeempfängerInnen zur »gemeinnützigen Arbeit« verpflichtet werden können, entfällt.“ Und zum Arbeitszwang schrieb der damalige Bundesvorstand - (SprecherInnen waren damals Krista Sager und Jürgen Trittin- ) in der Begründung des Antrags: „Angesichts der heutigen Krise des Arbeitsmarkts, die auch unter günstigsten Voraussetzungen nur mittelfristig überwindbar ist, sind alle Formen rechtlicher »Zwänge« oder Sanktionsdrohungen, um Menschen in nicht vorhandene Arbeitsplätze zu treiben, völlig absurd und bloß repressiver Natur. Gleichermaßen kontraproduktiv ist der von der Bundesregierung dramatisch verschärfte Druck zur Annahme unterwertiger, zweit- oder drittklassiger Beschäftigung, der nur dem Ziel weiterer Deregulierung im Interesse der Arbeitgeber dient. Eine Ausübung von Druck auf Erwerbslose, jede Arbeit um jeden Preis anzunehmen, wird abgelehnt. Zudem kann eine Sanktionierung der Verweigerung »zumutbarer« Arbeit durch Leistungskürzung (verschärfte Notlage) im Rahmen eines Mindestsicherungssystems nicht in Betracht kommen, weil dies dem Grundauftrag der nachhaltigen Sicherung des sozio-kulturellen Existenzminimums widerspricht. Lediglich symbolhafte Kürzungen, die in dieser Hinsicht noch vertretbar wären, blieben wirkungslos und wären schon deshalb sinnlos.“

Was damals „völlig absurd“ war, ist heute zum Mantra von „Fördern und Fordern“ geworden. Welche Welten liegen zwischen diesen Worten und der Hartz-IV Rhetorik vieler Grüner heutzutage, die den Arbeitszwang als „Integration“ und „Fördern“ preisen.

Also alles in Ordnung mit dem Grundeinkommen? Nein, bei näherem Hinsehen entpuppt sich die Idee des Grundeinkommens vielfach eher als Hartz V bis VII, denn als Beitrag zu einer sozialen Erneuerung des Sozialstaates.  Denn gemein ist den meisten Konzepten, dass die sozialen Sicherungssystemen der Renten- und Arbeitslosenversicherung durch das Grundeinkommen abgeschafft oder "abgeschmolzen" werden. An die Stelle individueller Leistungsansprüche soll etwa nach dem Konzept von Emmler und anderen, www.grund-sicherung.org, künftig nur das Grundeinkommen von 700 EUR für Rentner treten, für Arbeitslose gibt es auch kein Arbeitslosengeld I mehr, sondern 500 EUR. Wenn man sich vollständig mit dem Konzept durchsetzt wohlgemerkt, vielleicht wird es auch weniger. Der Grüne Boris Palmer aus Baden-Württemberg  plädiert für ein Grundeinkommen von 800 EUR, von dem allerdings eine Kopfpauschale für die Krankenversicherung von 150 EUR zu zahlen ist, macht 650 EUR. Derzeit erhält ein Alleinstehender 345 EUR ALG II zzgl. der Wohn- und Heizungskosten, also mehr als mit dem Grundeinkommen des Boris Palmer. Der CDU - Ministerpräsident von Thüringen Althaus ist sich mit Boris Palmer in der Höhe des Grundeinkommens einig, allerdings kalkuliert er die Kopfprämie für die Krankenversicherung mit 200 EUR, deshalb bleiben nur noch 600 EUR für den gesamten Lebensunterhalt.

Ein Grundeinkommen als die Zusammenfassung aller sozialen Sicherungssysteme ist nichts anderes als die Fortsetzung von "Hartz IV" und seine Ausweitung auf allen sozialen Sicherungssysteme. Hartz IV war die „Zusammenfassung der steuerfinanzierten Sicherungssysteme Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe“. Für die Höhe der Sozialleistung sollte nicht mehr entscheidend sein, ob sich die Betreffenden bereits einmal als Arbeitnehmer Lohnempfänger waren und sich so bereits als nützlich für Unternehmer erwiesen hatten. Weil diese Erwerbslosen vielleicht noch einmal gebraucht werden, sollten sie mit der Arbeitslosenhilfe ihren sozialen Status ansatzweise bewahren können. Alle anderen galten als überflüssige Sozialhilfeempfänger. Mit Hartz IV wurde mit dieser Differenzierung Schluss gemacht. Für die hohe Zahl der ArbeitslosenhilfeempfängerInnen, insbesondere in den Neuen Bundesländern, war die Vermutung entfallen, jemals wieder gebraucht zu werden.

Nun werden mit dem Grundeinkommen nicht nur Arbeitshilfe und Sozialhilfe zu einer Leistung zusammengefaßt, sondern auch Rente und Arbeitslosen- und Krankengeld. Für die "Zusammenfassung mit der Sozialhilfe" genannte Abschaffung der Arbeitslosenhilfe gab es das Argument, beide Leistungen seien steuerfinanziert. Auch die Bezieher von ALG II, von Renten und Arbeitslosen- und Krankengeld I haben eine Gemeinsamkeit: sie werden von Unternehmen nicht als Arbeitskräfte gebraucht. Und diese Gemeinsamkeit wird von den Anhängern des Grundeinkommens auch offen so ausgesprochen. Nur klingt es schöner, wenn man von der "Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgeht" redet, oder vom "Ende der Lohnarbeit".

Hinter dem Grundeinkommen verbergen sich deshalb vielfach Konzepte, die mit einem umfassenden Sozialabbau verbunden sind. Wenn sämtliche staatlichen Sozialtransfers durch eine staatliche Sozialleistung ersetzt werden, die auf das Niveau der Sozialhilfe liegt, wird ein wirklicher Schutz vor Armut zur Privatsache. Wer mehr will, muss selbst vorsorgen. Wenn er denn so viel verdient, dass eine solche Vorsorge möglich ist. Denn das voraussetzungslose Grundeinkommen soll zu einer massiven Lohnsenkung führen. Auch das wird von ihren Befürwortern ausdrücklich so ausgesprochen: es sei nicht die Aufgabe des Unternehmers mit dem Lohn die Existenz der Arbeitnehmer zu sichern, das sei eine staatliche Aufgabe, so der schon erwähnte Götz Werner. Löhne, von denen man leben kann gehören dann für Viele der Vergangenheit an.

Natürlich gibt es auch hier Initiativen, die es besser meinen und das Grundeinkommen mit der Forderung nach einem Mindestlohn verbinden. Und selbstverständlich gibt es schon seit Ende der 70er Jahre ehrenwerte Arbeitsloseninitiativen, die die Forderung nach einem Existenzgeld von 1200 EUR aufwärts erheben. Doch es pilgern nicht Tausende zu Veranstaltungen in den Arbeitslosenzentren, sondern zu Goetz Werner. Und nicht die Arbeitsloseninitiativen füllen die Seiten der taz, sondern Herr Althaus von der CDU.

Anders als ein solches Grundeinkommen ist die Grundsicherung eine Ergänzung der bestehenden sozialen Sicherungssysteme und nicht ihre Demontage. Auch dies hatten die Grünen in ihrem ursprünglichen Konzept 1997 schon klar beschrieben: „Anders als konservative oder neoliberale Grundsicherungsmodelle, die die Sozialversicherungssysteme bis auf einen Mindestsockel abschmelzen wollen, begreift die Grüne Grundsicherung das gegliederte System der sozialen Sicherung als ein trotz aller Defizite anpassungs- und reformfähiges System und fügt ihm einen weiteren Baustein hinzu. Niemand soll mehr wegen zu geringer oder fehlender Arbeitslosengeld- oder Rentenansprüche unter das sozio-kulturelle Existenzminimum rutschen.“

Was ansteht ist eine Reform der sozialen Sicherungssysteme. Dafür sind inzwischen ja bereits verschiedene Modelle entwickelt, auch von den Grünen mit der Bürgerversicherung für das Gesundheitswesen. Merkwürdig allerdings dass man davon in letzter Zeit - etwa in der Diskussion um die Gesundheitsreform - so wenig aus der Bundestagsfraktion hört.  

Fazit:

Die Faszination der Idee des Grundeinkommens geht auf eine berechtigte Kritik an der Politik der Agenda 2010, insbesondere an Hartz IV zurück. Damit erlebt diese Kritik eine weitere Verbreitung und Unterstützung. Diese Kritik sollten wir aufgreifen. Damit ergeben sich auch Chancen für eine emanzipative Sozialpolitik. Diese nutzen wir, indem konkrete Forderungen für Schritte in eine das Konzept der Grundsicherung entwickelt werden konkretisiert wird. Dazu gehört aus meiner Sicht:

- Abschaffung der Zwangselemente bei Hartz IV/ALG II (Pflicht zur Übernahme von 1-Euro-Jobs und der Sanktionen bei „Arbeitsverweigerung“).  Die Grundsicherung wäre damit allein von Einkommen und Vermögen abhängig.

- Anhebung der Leistungen, damit tatsächlich das sozio-kulturelle Existenzminimum gesichert ist

- Besserer Schutz eigener Leistungsansprüche bei der Anrechung des Partnereinkommens

- besserer Schutz von Altersvorsorgevermögen. 

Finanzierung:

Eine häufige Frage bei Sozialleistungen ist die nach dem Geld. Diese Debatte wäre etwas ehrlicher, wenn man sich zunächst darüber Auskunft gibt, was durch Finanzierungsvorschläge unangetastet bleiben soll, und was als Finanzierungsmasse zur Verfügung steht. So gibt es manche Befürworter des Grundeinkommens, die allein die bisherigen Bezieher von Sozialleistungen zur Finanzierung heran ziehen wollen. Die Leistungen für Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, ALG II , BAFöG etc. werden in einen Topf geworfen, hinzu kommen die Einsparungen im Verwaltungsbereich. Was dann zusammen kommt, wird gleichmäßig in Form des einheitlichen Grundeinkommens neu verteilt.

Andere gehen weiter und wollen durch eine Einkommenssteuereform auch die Einkommen stärker belasten. Unangetastet bleibt dann weitgehend der Teil des jährlich erwirtschafteten gesellschaftlichen Reichtums, der als Unternehmergewinn ausgeschüttet wird. Dieser wird - entgegen manch simplen Vorstellungen von diesem Wirtschaftssystem-  von den Unternehmen nicht konsumiert, sondern weit überwiegend wieder investiert (man könnte das auch für den Selbstzweck des Wirtschaftens halten).  Bei der Belastung von Kapitalvermögen scheiden sich die Geister, wenn es um die Forderung nach einer Vermögenssteuer geht, die zur Finanzierung in der Diskussion ist. Wer das Wachstum der Wirtschaft zum Maß der Politik macht, wem es allein um die Position Deutschlands in der Standortkonkurrenz geht, der muß diesen Teil des jährlich erarbeiteten Reichtum außer Betracht lassen, alleinfalls "unproduktives Privatvermögen" wäre zu besteuern. Die Grünen freilich waren einmal - ökologisch motiviert - auch dafür angetreten diese Wachstumslogik zu kritisieren. Vielleicht fällt auch sozialpolitisch manches leichter, wenn man sich dessen erinnert.

In ihrem ursprünglichen Konzept der Grundsicherung aus dem Jahr 1997 haben die Grünen zur Finanzierung der Grundsicherung eine Reform der Erbschafts- und der Vermögenssteuer vorgeschlagen und dazu einen konkreten Gesetzentwurf vorgelegt: http://dip.bundestag.de/btd/13/048/1304838.pdf

So belebend die Debatte um ein Grundeinkommen ist, Bestrebungen, die im Gewande eines angeblich freiheitlichen Grundeinkommens einer Politik von Hartz V-VII und damit der Demontage der sozialen Sicherungssysteme den Weg zu bereiten, müssen wir uns entgegen stellen.

Es dürfte auch nur noch eine Frage der Zeit sein, bis diejenigen, die sich eine schwarz-grün-gelbe Zukunft für die Grünen vorstellen, mit der Idee eines Grundeinkommens  sozialpolitische Brücken zu CDU und FDP schlagen. Erste Anzeichen gibt es dafür, kürzlich etwa das demonstrative Lob des wirtschaftspolitischen Sprechers der grünen Bundestagsfraktion und hessischen Landesvorsitzenden Matthias Berninger für das „Bürgergeld“ der FDP.

Die Grundsicherung ist ein Schatz der grünen Programmatik, der endlich gehoben werden muss. Über ihr hat sich in den letzten Jahren bei den Grünen allerdings ziemlich viel Schrott angesammelt. Räumen wir ihn weg. 

Editorische Anmerkungen

Der Artikel wurde uns von LeserInnen zur Spiegelung empfohlen. Er stammt von http://www.gruene.de/cms/default/dok/158/158498.hartz_reloaded.htm