Die Hoffnung stirbt zuletzt
Peter Nowak bespricht:
Eva Mändl Roubickova: "Langsam gewöhnen wir uns an das Ghettoleben"12/07
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onlinezeitung„Interessiert das heute überhaupt noch jemand,“ fragte Eva Roubickova immer wieder, als Historiker Jahrzehnte nach ihrer Befreiung von der NS-Herrschaft ihr Tagebuch aus Theresienstadt in die Hände bekamen. Nachdem es in den USA auf dem Markt ist, hat es der Hamburger Konkret-Verlag jetzt auf deutsch veröffentlicht.
Die Autorin Eva Mändl Roubickova wurde 1921 in der nordböhmischen Stadt Saaz geboren worden, wo die deutschsprachige jüdische Familie bald mit dem zunehmenden Antisemitismus der deutschvölkischen Bewegung konfrontiert war „Frühere Freunde und Mitschüler genau wie Lehrer – betrachteten alle Juden als minderwertig. Sie sprachen nicht mehr mit uns. Wir mussten ganz hinten sitzen.“
Während die Deutschvölkischen mit dem Münchner Abkommen ihren Sieg feierten, floh die damals 17jährige Eva Mändl mit ihrer Familie nach Prag. Der Familie Mändl war klar, dass das NS-Regime neue Eroberungen vorbereitete. Doch alle Versuche, ein Visum für die USA zu bekommen, waren vergeblich. Eva Mändl musste bald wieder im Herrschaftsbereich der Nazis leben. Ihr Tagebuch begann am 1. Januar 1941. Im ersten Eintrag wird vom Wetter und den Freizeitaktivitäten gesprochen. Aber auch die Neujahrsansprachen von Hitler und den US-Präsidenten Roosevelt werden erwähnt. Im ersten Teil bleiben Besuche bei Freunden und Verwandten die dominierenden Themen. Doch immer wieder wird auch die zunehmende Entrechtung der Juden deutlich. So heißt es im Eintrag vom 20. Januar 1941. „Juden können jetzt keine Semmeln mehr kaufen oder sie bekommen kein Mehl“. Am 2. Februar wurde erwähnt, dass Juden nicht mehr im Wald spazieren gehen oder eine Gaststätte besuchen durften. Kurze Zeit später mussten sie ihre Telefone abgeben. Doch das Leben ging für Eva Mändl und ihrer Familie weiter. Als die Juden den gelben Stern tragen mussten, zeigten tschechische Freunde, aber auch völlig Unbekannte, offen ihre Solidarität mit den Verfolgten, was im Tagebuch mehrmals erwähnt wird. Andererseits nutzt die tschechische Hutmacherin, bei der die Autorin arbeitet, die verzweifelte Situation aus, um sie für wenig Lohn viel arbeiten zu lassen.
Mitte Dezember 1941 werden die Prager Juden deportiert. Ein Teil wird direkt in die Vernichtungslager auf dem Polen transportiert. Eva Mändl und ihre Familie werden in die nordböhmische Festungsstadt Theresienstadt gebracht. Dort errichteten die Nazis ein Ghetto und starteten im Ausland Propagandakampagnen über das angeblich so angenehme Leben der Juden im Nazireich. Dafür wurden spezielle Konzerte und Theateraufführungen als Beleg genommen. Eva Mändl beschreibt den Alltag im Theresienstadt knapp und ohne viele Worte. . Sie schildert die Verzweiflung der Menschen, die aus den unterschiedlichsten Regionen zwangsweise nach Theresienstadt verbracht wurden und mit der Situation nicht zurecht kamen. Sie beschreibt aber auch, wie sich die Juden trotz alledem einen einigermaßen normalen Lebensalltag einzurichten versuchten. „Langsam gewöhnen wir uns an das Ghettoleben“. Dieser Untertitel solle nicht suggerieren, dass sich die Bewohner mit den Bedingungen abgefunden haben, betonen die Herausgeber des Tagebuchs Veronika Springmann und Wolfgang Schellenbacher im Nachwort. „Die Autorin verleiht ... diesen „Gewöhnen“ eine andere Bedeutung: herausgestrichen wird hier ein sich aneignen, im Sinne von aktiv kümmern, sich mit den Umständen vertraut machen und diese für sich zu nutzen wissen“. Sehr akribisch beschreibt Mändl, wie in den letzten Monaten die Angst vor den Transporten in die Vernichtungslager auf polnischen Gebiet das Leben immer mehr bestimmte. Einmal gelang es ihr sogar in letzter Minute von der Liste der Deportierten gestrichen zu werden. Nachdem im September 1944 fast all ihrer Freunde und Verwandten in die Waggons verfrachtet waren, verlor auch Mändl ihren Lebenswillen und unterbrach für mehrere Monate die Einträge ins Tagebuch.
Nach der Befreiung war sie monatelang schwer krank und konnte sich nur schwer daran gewöhnen, zu den wenigen Überlebenden zu gehören. Das war auch der Grund, warum das Tagebuch so lange in den hintersten Schrankecken verstaut blieb. Es dauerte lange, bis die Autorin über ihre Erlebnisse sprechen konnte. Heute, wo es kaum mehr Überlebende gibt, sind solche Zeugnisse aus erster Hand besonders wichtig. Schließlich haben die Täter und ihre publizistischen Helfer keine Skrupel, bis heute in modifizierter Form die Legende vom angenehmen Leben der Juden in Theresienstadt zu verbreiten. Für manche der Täter hat es sich ausgezahlt. Wie in einer Fußnote zu erfahren ist, lebte der in Theresienstadt gefürchtete SS-Obersturmführer Anton Burger unter falschen Namen in Westdeutschland, wo er 1991 starb.
Eva Mändl Roubickova
"Langsam gewöhnen wir uns
an das Ghettoleben"
Ein Tagebuch aus Theresienstadt
Konkret Literatur Verlag, Hamburg 2007
19.90 Euro, ISBN-978-3-89458-255-5