Im Zweifel für den Mann
Frauenrechte in der neuen türkischen Verfassung

von Dilek Zaptcioglu

12/07

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In der Türkei mehren sich die kritischen Stimmen von Frauenrechtlerinnen und Feministinnen am Verfassungsentwurf: Die geplante Reform der Regierung erweitere nicht die Rechte der Frauen, sondern beschneide sie fundamental. Dilek Zaptcioglu informiert aus Istanbul.

Hülya Gülbahar, Vorsitzende der größten türkischen Frauenorganisation "Kader", staunte nicht schlecht, als sie in diesem Herbst von höchster Stelle gescholten wurde. Im Beisein des Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan hatte sie es gewagt, eine Frauenquote in der neuen Verfassung zu verlangen.

"Sogar im Grundgesetz von Ruanda gibt es eine Quotenregelung als Maßnahme der positiven Diskriminierung von Frauen", sagte sie zu Erdogan. Worauf dieser lächelnd antwortete: "Wenn du lieber in Ruanda leben willst – niemand hält dich davon ab."

Eines steht schon jetzt fest: Die Türkei wird im Jahre 2008 eine neue Verfassung bekommen. Aber welchen Inhaltes? Darüber scheiden sich noch immer die Geister. Harte Kämpfe zwischen verschiedenen Gesellschaftsgruppen, nicht nur zwischen Arbeiternehmern und Arbeitgebern, sondern auch Frauen und Männern sind zu erwarten.

Verfassungsreform im Kreuzfeuer der Kritik

Dass die Republik ihr 1982 von den Militärs verabschiedetes Grundgesetz grundsätzlich erneuern muss, stellt niemand in Frage. Weil sich aber die politischen Parteien nicht über den Inhalt einigen können, ließ die regierende Partei für Gerechtigkeit und Fortschritt (AKP) durch eine Expertenkommission hinter verschlossenen Türen einen Verfassungsentwurf schreiben.

Kaum waren Einzelheiten des Entwurfs im Frühherbst durchgesickert, geriet dieser auch schon ins Kreuzfeuer der Kritik. Die Hauptstreitpunkte sind: Wie werden der Laizismus, d.h. die Trennung von Religion und Politik, der Kemalismus und der Einheitsstaat in der Präambel formuliert? Wird beispielsweise das Tragen des Kopftuches für Beamtinnen und an den Universitäten freigegeben?

Auf die voreilige Kritik ihrer Widersacher, dass sie den Laizismus und Kemalismus aus der Präambel streichen und aus dem Einheitsstaat eine "föderative Vielvölkerrepublik" machen wolle, antwortete die AKP mit einem prompten Rückzug ihres Entwurfes. Diese Kritik, hieß es aus den Regierungskreisen, sei völlig unberechtigt.

"Wir werden die bestehende Präambel nicht verändern", erklärte schließlich Vizechef der AKP, Dengir Mir Mehmet Firat, und unterstrich, dass es im neuen Grundgesetz auch keine "Freiheit für das Kopftuch" geben würde.

Ob und in welcher Form die neue türkische Verfassung, die mit einer Zweidrittelmehrheit vom Parlament bestätigt werden muss, mit der "Kopftuchfrage" umgeht, bleibt vorerst unklar.

Umstrittene Frauenquote

Aber wofür die Kader-Vorsitzende Gülbahar vom Ministerpräsidenten Erdogan gescholten wurde, nämlich die Frauenquote, gewann inzwischen für die Frauenorganisationen eine größere Dringlichkeit als die leidige Kopftuchfrage.

Frauenaktivistinnen sind der Meinung, dass der Verfassungsentwurf der Regierung die Rechte der Frauen nicht erweitert, sondern gar fundamental beschneidet.

Die Debatte dreht sich um die Änderung des Paragraphen 10 der bestehenden Verfassung – "Die Gleichheit vor dem Gesetz". Darin heißt es: "Alle sind, ungeachtet ihrer Sprache, ihrer Rasse, ihres Geschlechtes, ihrer politischen Gedanken, Weltanschauung, Religion, Ordenszugehörigkeit und anderer Eigenschaften vor dem Gesetz völlig gleich. Frauen und Männer genießen dieselben Rechte. Der Staat ist verpflichtet, für die Umsetzung dieser Gleichheit zu sorgen."

Der Satz zur Gleichheit von Männern und Frauen war erst im Jahre 2004 dank eines zähen Ringens der Frauenorganisationen in der Verfassung aufgenommen worden. Ein Satz, der den Geist der Verfassung – zumindest im Sinne der Frauen – demokratisiert hat.

Frauenplattform für eine neue Verfassung

Diese Ergänzung wird nun aber im neuen Entwurf gestrichen und durch folgende Formulierung ersetzt: "Alle sind….vor dem Gesetz völlig gleich. Maßnahmen zum Schutze besonders schutzbedürftiger Gruppen wie der Frauen, Kinder, Alten und Behinderten dürfen nicht zum Nachteil des Gleichheitsprinzips ausgelegt werden."

Dass die Gleichheit von Mann und Frau, die nach einem Jahrzehnte währenden Kampf im Grundgesetz explizit verankert worden war, nun abgeschafft und die Frau neben "Kindern, Behinderten und Senioren" zu einer "schutzbedürftigen Gruppe" degradiert werden soll, ist für türkische Frauenorganisationen und Feministinnen unakzeptabel.

86 verschiedene Vereine jeglicher politischer Couleur, von kurdisch bis türkisch sowie säkular bis islamisch, kamen im Oktober in Istanbul zusammen und gründeten die "Anayasa Kadin Platformu" (Frauenplattform für eine neue Verfassung). Nach langen Sitzungen einigten sie sich auf eine Umformulierung des Gleichheitsparagraphen.

In der Pflicht internationaler Abkommen

Die Frauen, unter ihnen viele Juristinnen, beschlossen, ihre Forderungen in einem Dossier zusammenzufassen und Ministerpräsidenten Erdogan bis Ende November zu unterbreiten. Darin soll die Regierung auch an die internationalen Abkommen erinnert werden, die die Türkei bereits unterzeichnet hat – darunter die entsprechenden Resolutionen der UN und der EU über den Schutz der Frauenrechte.

In der Türkei mit ihren 80 Millionen Einwohnern, von denen die Hälfte weiblich ist, sitzen nur 48 Frauen in einem Parlament mit insgesamt 550 Sitzen. Doch zumindest in der Expertenkommission, die im Auftrag der Regierung den Verfassungsentwurf schrieb, saß zumindest eine Frau.
 

Editorische Anmerkungen

Der Artikel erschien bei QANTARA - Dialog mit der islamischen Welt.

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