Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Frankreich wird durch die International Labour Organisation (ILO) verurteilt – wegen der Aushebelung des Kündigungsschutzes durch den CNE.
Aber der nächste Anlauf zur „Reformierung“ des Kündigungsschutzes, mit anderen Methoden, ist schon im Gange

12/07

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Es war in den vorangegangenen Wochen vielfach erwartet worden, jetzt ist es offiziell: Die International Labour Organisation (ILO) mit Sitz in Genf hat  am Mittwoch, den 14. November 2007 Frankreich offiziell verurteilt. Ursache der Rüge ist die faktische Aushebelung des Kündigungsschutzes, die durch den CNE (Contrat nouvelle embauche) oder „Neueinstellungsvertrag“ bewerkstelligt wird. Eine zweijährige Periode ohne rechtskräftigen Kündigungsschutz sei „nicht angemessen“, befand der Verwaltungsrat der ILO, der für drei Tage in der schweizerischen Stadt zusammentrat.  

Höchstens sechs Monate kündigungsschutzfreier Periode zu Anfang eines Arbeitsverhältnisses (Stichwort Probezeit), wie sie das französische Recht bis zur Einführung des CNE als Maximalwert – und diesen nur für höhere und leitende Angestellte, ‚cadres’ – vorsah, seien noch hinnehmbar. Seitens der drei Führungsgremien der ILO, in denen respektive Gewerkschafts-, Arbeitgeber- und Regierungsvertreter aus den verschiedenen Mitgliedsländern der ILO vertreten sind, verlautbarte, in allen drei Instanzen sei die Annahme einer entsprechenden Resolution zur französischen Situation unproblematisch. Damit erhält die französische Politik - welche den CNE unter der konservativen Vorgängerregierung unter Dominique de Villepin durchgesetzt hatte - einen erheblichen, obwohl erwarteten Dämpfer. 

Der CNE, der durch eine hochsommerliche Notverordnung der Regierung (ordonnance) – gerechtfertigt durch die Dringlichkeit der Beschaffung von Arbeitsplätzen – vom 2. August 2005 geschaffen wurde, ist ein Arbeitsvertrag, der bislang in mittelständischen Unternehmen bis maximal 20 Beschäftigte abgeschlossen werden konnte. Das betrifft aber 90 Prozent der französischen Betriebe. Im Laufe der ersten 24 Monate des Arbeitsverhältnisses kann der Arbeitgeber eine Kündigung OHNE Angabe von Rechtfertigungsgründen aussprechen. Die Lohnabhängigen werden so behandelt, als befänden sie sich während dieser 24 Monate in einer „Super-Probezeit“. 

Der „kleine Bruder“ des CNE, der geplante „Ersteinstellungsvertrag“ oder CPE (Contrat première embauche), konnte im April 2006 durch massive Proteste gekippt werden, nachdem der entsprechende Gesetzesartikel bereits am 31. März desselben Jahres durch die Unterschrift des damaligen Präsidenten Jacques Chirac in Kraft gesetzt worden war. Der CNE blieb hingegen juristisch in Kraft, wurde aber faktisch durch die französische Arbeitsgerichtsbarkeit ausgehebelt. Die ‚Conseils de prud’hommes’, gewählte Laienarbeitsgerichte mit paritätischer Besetzung („Arbeitnehmer-“ und „Arbeitgeber-“Vertreter), aber auch die als Berufungsrichter firmierenden professionellen Richter beharrten zunächst darauf, dass auch die Entlassungen unter dem Regime des CNE zumindest auf den Verdacht einer grundsätzlich rechtswidrigen Diskriminierung hin überprüft werden müssten. Damit stellten sie, ab Februar 2006, einen minimalen Rechtsschutz wieder her. Im Juli 2007 entschied dann ein Berufsgericht in Paris, dass der CNE nicht mit der ILO-Konvention Nr. 158 (die vorschreibt, dass Kündigungen nicht ohne triftiges Motiv ausgesprochen werden dürfen) und damit höherrangigem internationalem Recht vereinbar sei.  

Nächster Versuch zum Herumschrauben am Kündigungsschutz  

Das Arbeitgeberlager rückte im Laufe dieses Prozess seinerseits vom CNE ab,  und führt seit dem 7. September 2007 jetzt – durch die Regierung unter Präsident Nicolass Sarkozy anberaumte - Verhandlungen mit den Gewerkschaften über die „Zukunft des Arbeitsvertrags“, bei denen es insbesondere um den Kündigungsschutz geht. Nunmehr möchte das Arbeitgeberlager bei diesen Verhandlungen vor allem erreichen, dass eine „freundschaftliche Trennung“ (rupture à l’amiable) – unter vermeintlich freiwiligem Einverständnis beider Seiten, „Arbeitnehmer“ und „Arbeitgeber“, und unter ausdrücklichem Ausschluss eines (späteren) Arbeitsgerichtsprozesses – als rechtliche Möglichkeit im Arbeitsrecht verankert werden soll.  

Bislang sind die Verhandlungen jedoch noch nicht richtig vorwärts gekommen, da die Gewerkschaften von den Vorschlägen der anderen Seite nicht hellauf begeistert sind, aber auch weil der Verhandlungsführer der Arbeitgeberseite - der Metall-Arbeitgeberpräsident Denis Gautier-Sauvagnac - infolge des „Schwarze Kassen-Skandals“ beim Metallarbeitgeberverband mitten in der Verhandlungsperiode ausgetauscht werden musste. (Dazu demnächst Ausführlicheres!) Neue Verhandlungsführerin ist jetzt Cathy Kopp von der Hotelkette ACCOR. Ihr Aufstieg zur offiziellen Verhandlungsführerin für den Arbeitgeberverband widerspiegelt auch den Bedeutungsgewinn des Dienstleistungskapitals zu Ungunsten der traditionellen Industriebranchen - den bereits die Wahl von Laurence Parisot, der Direktorin eines Umfrageinstituts (IFOP), zur MEDEF-Präsidentin im Juli 2005 illustrierte. 

Ende November 2007 hat nunmehr Premierminister François Fillon damit gedroht, falls die Verhandlungen zum Kündigungsschutz nicht binnen eines Monats – bis zum Jahreswechsel - zu einem tragfähigen Abschluss kämen, dann werde die konservative Regierung selbst Regeln dazu per Dekret verabschieden und somit durchsetzen. Sowohl die Arbeitgeber- als auch die Gewerkschaftsseite haben sich daraufhin in einem Brief an Präsident Nicolas Sarkozy gewandt und dagegen protestiert, dass ihnen auf diesem Wege die Initiative genommen werde; Allerdings dürften die Kapitalvertreter dennoch froh sein, dass auf diese Weise ein Druck auf die Verhandlungsführer ausgeübt wird, um sie zur Annahme neuer „flexiblerer“ Regeln zu bewegen. Die liberale Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ zeichnete in  ihrer Ausgabe vom 25. 11. eine Karikatur dazu. Darin erblickt man Frankreich (personifiziert in einer Frauenfigur) im Krankenbett, an welches Premierminister Fillon herantritt und die Worte spricht: „Nachdem die Pille der ‚Reform der Régimes Spéciaux’ (= Abschaffung der günstigeren Rentenregelungen in bestimmten öffentlichen Unternehmen wie bei den französischen Eisenbahnern, vgl. dazu nebenstehenden Artikel) durchgegangen ist, rutscht nun auch die nächste Medizin!“ Dabei hält François Fillon ein metergroßes Zäpfchen vor sich hin. Ob das freilich durchgehen wird, das müssen nun die kommenden Wochen und Monate erweisen.

Editorische Anmerkungen

Den Artikel in der vorliegenden Fassung erhielten wir vom Autor am 3.12.2007.