Es war in den vorangegangenen Wochen vielfach erwartet worden,
jetzt ist es offiziell: Die International Labour Organisation (ILO)
mit Sitz in Genf hat am Mittwoch, den 14. November 2007
Frankreich offiziell verurteilt. Ursache der Rüge ist die
faktische Aushebelung des Kündigungsschutzes, die durch den CNE
(Contrat nouvelle embauche) oder „Neueinstellungsvertrag“
bewerkstelligt wird. Eine zweijährige Periode ohne
rechtskräftigen Kündigungsschutz sei „nicht angemessen“, befand
der Verwaltungsrat der ILO, der für drei Tage in der
schweizerischen Stadt zusammentrat.
Höchstens sechs Monate kündigungsschutzfreier Periode zu Anfang
eines Arbeitsverhältnisses (Stichwort Probezeit), wie sie das
französische Recht bis zur Einführung des CNE als Maximalwert –
und diesen nur für höhere und leitende Angestellte, ‚cadres’ –
vorsah, seien noch hinnehmbar. Seitens der drei Führungsgremien
der ILO, in denen respektive Gewerkschafts-, Arbeitgeber- und
Regierungsvertreter aus den verschiedenen Mitgliedsländern der
ILO vertreten sind, verlautbarte, in allen drei Instanzen sei
die Annahme einer entsprechenden Resolution zur französischen
Situation unproblematisch. Damit erhält die französische Politik
- welche den CNE unter der konservativen Vorgängerregierung
unter Dominique de Villepin durchgesetzt hatte - einen
erheblichen, obwohl erwarteten Dämpfer.
Der CNE, der durch eine hochsommerliche Notverordnung der
Regierung (ordonnance) – gerechtfertigt durch die Dringlichkeit
der Beschaffung von Arbeitsplätzen – vom 2. August 2005
geschaffen wurde, ist ein Arbeitsvertrag, der bislang in
mittelständischen Unternehmen bis maximal 20 Beschäftigte
abgeschlossen werden konnte. Das betrifft aber 90 Prozent der
französischen Betriebe. Im Laufe der ersten 24 Monate des
Arbeitsverhältnisses kann der Arbeitgeber eine Kündigung OHNE
Angabe von Rechtfertigungsgründen aussprechen. Die
Lohnabhängigen werden so behandelt, als befänden sie sich
während dieser 24 Monate in einer „Super-Probezeit“.
Der „kleine Bruder“ des CNE, der geplante „Ersteinstellungsvertrag“
oder CPE (Contrat première embauche), konnte im April 2006 durch
massive Proteste gekippt werden, nachdem der entsprechende
Gesetzesartikel bereits am 31. März desselben Jahres durch die
Unterschrift des damaligen Präsidenten Jacques Chirac in Kraft
gesetzt worden war. Der CNE blieb hingegen juristisch in Kraft,
wurde aber faktisch durch die französische
Arbeitsgerichtsbarkeit ausgehebelt. Die ‚Conseils de prud’hommes’,
gewählte Laienarbeitsgerichte mit paritätischer Besetzung („Arbeitnehmer-“
und „Arbeitgeber-“Vertreter), aber auch die als Berufungsrichter
firmierenden professionellen Richter beharrten zunächst darauf,
dass auch die Entlassungen unter dem Regime des CNE zumindest
auf den Verdacht einer grundsätzlich rechtswidrigen
Diskriminierung hin überprüft werden müssten. Damit stellten sie,
ab Februar 2006, einen minimalen Rechtsschutz wieder her. Im
Juli 2007 entschied dann ein Berufsgericht in Paris, dass der
CNE nicht mit der ILO-Konvention Nr. 158 (die vorschreibt, dass
Kündigungen nicht ohne triftiges Motiv ausgesprochen werden
dürfen) und damit höherrangigem internationalem Recht vereinbar
sei.
Nächster Versuch zum Herumschrauben am Kündigungsschutz
Das Arbeitgeberlager rückte im Laufe dieses Prozess seinerseits
vom CNE ab, und führt seit dem 7. September 2007 jetzt – durch
die Regierung unter Präsident Nicolass Sarkozy anberaumte -
Verhandlungen mit den Gewerkschaften über die „Zukunft des
Arbeitsvertrags“, bei denen es insbesondere um den
Kündigungsschutz geht. Nunmehr möchte das Arbeitgeberlager bei
diesen Verhandlungen vor allem erreichen, dass eine „freundschaftliche
Trennung“ (rupture à l’amiable) – unter vermeintlich freiwiligem
Einverständnis beider Seiten, „Arbeitnehmer“ und „Arbeitgeber“,
und unter ausdrücklichem Ausschluss eines (späteren)
Arbeitsgerichtsprozesses – als rechtliche Möglichkeit im
Arbeitsrecht verankert werden soll.
Bislang sind die Verhandlungen jedoch noch nicht richtig
vorwärts gekommen, da die Gewerkschaften von den Vorschlägen der
anderen Seite nicht hellauf begeistert sind, aber auch weil der
Verhandlungsführer der Arbeitgeberseite - der
Metall-Arbeitgeberpräsident Denis Gautier-Sauvagnac - infolge
des „Schwarze Kassen-Skandals“ beim Metallarbeitgeberverband
mitten in der Verhandlungsperiode ausgetauscht werden musste. (Dazu
demnächst Ausführlicheres!) Neue Verhandlungsführerin ist jetzt
Cathy Kopp von der Hotelkette ACCOR. Ihr Aufstieg zur
offiziellen Verhandlungsführerin für den Arbeitgeberverband
widerspiegelt auch den Bedeutungsgewinn des
Dienstleistungskapitals zu Ungunsten der traditionellen
Industriebranchen - den bereits die Wahl von Laurence Parisot,
der Direktorin eines Umfrageinstituts (IFOP), zur
MEDEF-Präsidentin im Juli 2005 illustrierte.
Ende November 2007 hat nunmehr Premierminister François Fillon
damit gedroht, falls die Verhandlungen zum Kündigungsschutz
nicht binnen eines Monats – bis zum Jahreswechsel - zu einem
tragfähigen Abschluss kämen, dann werde die konservative
Regierung selbst Regeln dazu per Dekret verabschieden und somit
durchsetzen. Sowohl die Arbeitgeber- als auch die
Gewerkschaftsseite haben sich daraufhin in einem Brief an
Präsident Nicolas Sarkozy gewandt und dagegen protestiert, dass
ihnen auf diesem Wege die Initiative genommen werde; Allerdings
dürften die Kapitalvertreter dennoch froh sein, dass auf diese
Weise ein Druck auf die Verhandlungsführer ausgeübt wird, um sie
zur Annahme neuer „flexiblerer“ Regeln zu bewegen. Die liberale
Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ zeichnete in ihrer Ausgabe vom
25. 11. eine Karikatur dazu. Darin erblickt man Frankreich (personifiziert
in einer Frauenfigur) im Krankenbett, an welches Premierminister
Fillon herantritt und die Worte spricht: „Nachdem die Pille der
‚Reform der Régimes Spéciaux’ (= Abschaffung der günstigeren
Rentenregelungen in bestimmten öffentlichen Unternehmen wie bei
den französischen Eisenbahnern, vgl. dazu nebenstehenden Artikel)
durchgegangen ist, rutscht nun auch die nächste Medizin!“ Dabei
hält François Fillon ein metergroßes Zäpfchen vor sich hin. Ob
das freilich durchgehen wird, das müssen nun die kommenden
Wochen und Monate erweisen.
Editorische
Anmerkungen
Den Artikel in der
vorliegenden Fassung erhielten wir vom Autor am 3.12.2007.