Es gibt Anzeichen für ein Problembewusstsein der Justiz in den USA und in Europa
Ein Interview mit dem Menschenrechtsanwalt Eberhard Schultz
geführt von Peter Nowak

12/07

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Der Bremer Rechtsanwalt Eberhard Schultz  hat am Wochenende auf einem Symposium in Brüssel über die Menschenrechte im Zeitalter des Anti-Terror-Kriegs gesprochen.

1.)  Was ist  für Sie als Menschenrechtsanwalt das besondere neue Merkmal der Freiheitseinschränkungen im Zeitalter des Anti-Terror-Kampfes?

E.S.: Guantanamo und Abu Graib sind die Vorboten einer weltweiten Wiederkehr der mittelalterlichen Vogelfreiheit. Die neue Qualität sehe ich in dem Versuch, Teile der Bevölkerung als „Feinde“ auszugrenzen und ausdrücklich zu rechtlosen Objekten zu machen, wie es die Lehre vom sogenannten Feindstrafrecht ausdrücklich fordert.

2.)  Nun stehen Guantanamo und Abu Ghraib für die Politik der USA nach dem 11.9.2001. Sehen Sie in Europa und speziell auch in Deutschland ähnliche Entwicklungen?

E.S.:  Durchaus, wenn wir an die unsägliche Folterdebatten denken, die regelmäßig bei medienwirksame Entführungen, Geiselnahmen usw. losgetreten wird. Oder an den flächendeckenden Widerruf des Status von Asylberechtigten aus Afghanistan, dem Irak und der Türkei, wo angeblich keine Verfolgung mehr stattfindet. Die ersten Kurden, die seinerzeit wegen ihrer Tätigkeit für die kurdische Bewegung als politisch Verfolgte anerkannt wurden, sind soeben an die Türkei ausgeliefert worden. Erinnert sei auch an das vom Parlament verabschiedete „Luft Verkehrs Sicherheitsgesetz“, das für den Fall einer Kaperung eines Flugzeugs durch mutmaßliche Terroristen den Abschluss des Flugzeuges vorsah,  also den Tod hunderter Unschuldiger vorsah.  Solche Stimmen stehen nicht nur für eine andere Republik sondern auch für ein anderes Europa. Es  war doch  bisher  aufgrund der Europäischen Menschenrechtskonvention Konsens, dass das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ebenso notstandsfest ist wie das Folterverbot. Es darf also auch im Fall von Krieg und Ausnahmezustand nicht außer Kraft gesetzt werden.

3.) Welche Auswirkungen haben die vielzitierten Schwarzen Listen konkret?

E.S.: Für die Betroffenen bedeutet dies zunächst vor allem die Beschlagnahme ihrer Bankkonten und die Abstempelung als „Terrorist“. Auch sah die „EU-Terrorliste“  keine Begründung und keine Anfechtungsmöglichkeit vor. Im Fall von Professor Jose-Maria  Sison (http://www.josemariasison.org/), einem in den Niederlanden anerkannten Flüchtlinge aus den Philippinen, haben wir mithilfe eines internationalen Verteidigerteams erreichen können, dass der europäische Gerichtshof in Luxemburg diese Praxis für konventionswidrig erklärte. Das hatte zur  Folge,  dass Professor Sison von der Liste gestrichen wurde und kurz darauf mit einer floskelhaften und völlig abwegigen Begründung erneut in die Liste aufgenommen wurde. Wir stehen also vor weiteren juristischen Auseinandersetzungen, diesmal mit einer breiteren Unterstützung der kritischen Öffentlichkeit.

4.) Sehen Sei also auch Zeichen für ein Problembewusstsein bei in die Justiz?     

E.S.: Ja. Kürzlich sind in Dänemark Vertreiber von T-Shirts mit dem Emblem der kolumbianischen FARC vom Vorwurf der Terrorismusunterstützung  freigesprochen worden. Solche mutige Entscheidungen gibt es immer wieder, auch bei uns und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Selbst in den USA hat der Supreme Court der Bush Administration bei dem Versuch, mit Guantanamo einen rechtsfreien Raum zu schaffen, eine deutliche Absage erteilt.  Es lohnt sich also, an die juristischen Front zu kämpfen. Mit der weiteren Unterstützung der  Öffentlichkeit kann es dann hoffentlich gelingen, die vom Gericht erkämpften Rechte auch bei den zuständigen Polizei- und Verwaltungsbehörden durchzusetzen.

5.) Fühlt sich nicht die große Mehrheit der Bevölkerung  mit Recht  gar nicht betroffen von den Schwarzen Listen  und  reagiert deshalb darauf nicht?

E.S.:  Derzeit sind davon in erster Linie mutmaßliche »Terroristen« betroffen und alle, die in das »Feindbild Terrorismus« »böser Moslem« passen. Aber es wird versucht, die menschenrechtswidrige Praxis auf die militante soziale Protestbewegung auszudehnen wie das Beispiel der G 8 Proteste und der neuen 129 a Verfahren zeigt. Die große Mehrheit wird derzeit vor allem mit den Mitteln der PC Onlinedurchsuchungen, der Videoüberwachung usw. zum »gläsernen Menschen« gemacht und unter Generalverdacht gestellt. Orwells „1989« hat im neuen Jahrtausend endgültig seinen Einzug gefunden. Einzelne können allerdings schon jetzt bei den zunehmend aggressiveren »Anti-Terrormaßnahmen« Opfer von »Kollateralschäden« werden.

6.) Sie sehen also Möglichkeiten, die  Kritik an  den Schwarzen Listen und dem breit gefächerten Widerstand gegen Vorratsdatenspeicherung zu verbinden?
 

E.S.: Das ist möglich und unbedingt notwendig, damit wir nicht in eine vollkommen unsolidarische Gesellschaft geraten, die dem neoliberalen Projekt von Konkurrenz und Krieg nach außen und innen keinen Widerstand mehr entgegensetzen kann.

Editorische Anmerkungen

Peter Nowak schickte uns diesen Text am 20.12.2007.