Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Frankreich zwischen der „Kaufkraft"rede von Nicolas Sarkozy und neuen Angriffen auf das Arbeitsrecht
 

12/07

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„KAUFKRAFT“: Gesetz zur Verarschung des Publikums ist auf dem Weg. Eine mausetote Leiche mit Namen „Arbeitszeitverkürzung" wird weiter gefleddert. Unterdessen bereiten sich die öffentlich Bediensteten auf einen Streik(tag) im Januar für ihre Kaufkraft vor 

Das neue Jahr wird auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet für die Französinnen und Franzosen genau so beginnen, wie das alte endet(e). Das bedeutet: Der Reformterror geht mit unvermindertem Tempo weiter. Anlässlich eines „Sozialgipfels“ mit den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden am Mittwoch, den 19. Dezember 07 kündigte die französische Regierungsspitze ihre Marschroute für 2008 an. An einigen Punkten hielt sie den Kalender dabei allerdings bewusst vage, um über größeren Manövrierspielraum zu verfügen. 

Ein Gesetz vom Januar 2007, das noch unter der alten Regierung (d.h. Präsident Chirac und dem konservativen Premierminister Dominique de Villepin) verabschiedet worden war, sieht vor, dass „Reform“vorhaben der Regierung erst dann im Parlament als Gesetzentwurf präsentiert werden dürfen, wenn die sog. „Sozialpartner“ zuvor darüber verhandelt haben. Dieses „Dialog“geschwafel soll für eine stärkere Einbindung der Gewerkschaften und Interessenverbände, und damit für eine bessere gesellschaftliche Legitimierung der „Reform“projekte sorgen. Unter Nicolas Sarkozy hat der regierende konservativ-wirtschaftsliberale Block allerdings ein neues „Verhandlungsmodell“ erfunden: Die Verhandlung mit aufgesetzter Pistole auf der Brust. Und das geht so: „Entweder, Ihr findet innerhalb von drei Monaten zu einer Einigung, oder aber wir werden von unserer Seite aktiv – mittels eines Regierungsdekrets oder einer Gesetzesvorlage.“ Auf vielen Gebieten ist Sarkozy bislang, mehr oder minder erfolgreich, so verfahren. 

Ein Sonderfall: Die Verhandlungen in den Transportbetrieben SNCF und RATP über die Abschaffung der bisherigen, relativ günstigen Rentenregelungen der Eisenbahner/innen und anderer wurden derzeit bis im Februar 08 verlängert).  

Streik fiel aus
Oder: Das Butterbrot der CGT

Trotz angekündigter neuerlicher  Arbeitskämpfe am 12. Dezember bei der Pariser Verkehrsgesellschaft RATP, und am 13. Dezember (vgl. http://www.trend.infopartisan.net/trd1207/t461207.html ) bei der französischen Eisenbahngesellschaft SNCF fanden in Wirllichkeit dann keine Streiks statt. Im Falle des Pariser  Nahverkehrsstreiks hatte die CGT-RATP 24 Stunden vor dessen geplantem Beginn  verkündet, nun doch keinen Streikaufruf, sondern lediglich einen Aufruf zu Aktionen „wie etwa ein- bis zweistündigen Arbeitsniederlegungen und der Überreichung von Petitionen“ zu lancieren. Kurz, zu Aktiönchen, die zwar die Fahrgäste nerven, wenn dadurch der Verkehr kurzfristig beeinträchtigt wird, aber schlichtweg nichts lahmlegen.    Betreffend den für Donnerstag, 13. 12. geplanten Streik der französischen Eisenbahner/innen kündigten die beiden aufrufenden Gewerkschaften (CGT und die höhere-Angestellten-Vertretung, CFE-CGT) am Dienstag Abend um 20 Uhr an, dass sie den Arbeitskampf abbliesen. Der Grund dafür: Die CGT habe erreicht, dass die Verhandlungen nicht – wie ursprünglich durch die Regierung vorgeschrieben – bis kurz vor Weihnachten 2007, sondern noch bis Februar 2008 fortgeführt werden dürften. Um die nun also fortlaufenden Verhandlungen nicht zu gefährden, pfiff man den Streik ab. Na prima...

Ein paar Meilensteine auf der künftigen Marschroute im kommenden Jahr sind unterdessen schon bekannt. Ab dem 8. Januar wird das französische Parlament über die Reform der Arbeitslosenversicherung, d.h. die Fusion der bislang getrennten Institutionen ANPE (Arbeitsagentur, staatlich) und ASSEDIC (Arbeitslosenkasse, durch Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften paritätisch verwaltet) zwecks höherer Effizienz und besserer Kontrolle der Erwerbslosen, beraten. Die dort vertretenen Gewerkschaften lehnen diese Fusion, und die damit verbundenen Pläne, mehrheitlich rundheraus ab. Bei einem Streiktag am 27. November waren rund 30 Prozent der Beschäftigten der staatlichen Arbeitsagentur ANPE, aber rund 60 Prozent der Mitarbeiter/innen der Arbeitslosenkasse ASSEDIC in den Ausstand getreten. Die „Reform“ wird jedoch kommen, wenn nichts Weiteres passiert. – Am 9./10. Januar werden die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände dann einen 48stündigen „Verhandlungsmarathon“ zum Thema „Zukunft des Arbeitsmarktes“ hinlegen. Dabei geht es um die Aufweichung des Kündigungsschutzes, für den die Arbeitgeberseite bereits präzise Forderungen vorlegt hat (Anhebung der Probezeit auf 6 Monate bzw. bis auf 12 Monate für höhere Angestellte, Einführung einer vertraglich vereinbarten ‚Trennung in gegenseitigem Einvernehmen’ unter Ausschluss der Gerichtsbarkeit, Legalisierung von auf die Durchführung eines thematisch bestimmten Projekts befristeten Arbeitsverträgen). Die Gewerkschaften stehen dabei unter erheblichem Druck. Denn am 15. Januar 08 bereits sind die Verhandlungspartner dann bei der Regierung vorgeladen, um ihre Ergebnisse zu präsentieren. Kommt es bis dahin zu keiner Einigung, so wird die Regierung im Februar 08 eigene Regelungen vorlegen. Und die werden bestimmt nicht im Sinne der Lohnabhängigen ausfallen...  Wir werden an dieser Stelle in naher Zukunft näher darüber berichten. 

Präsident Sarkozy hält Ansprache an die Nation zum Thema „Kaufkraft“  

Unterdessen heißt das Hauptthema der allernächsten Zukunft „die Kaufkraft“ (le pouvoir d’achat). Es handelt sich dabei um die mehr oder minder entpolitisierende, in einen vermeintlich „technischen“ und klassenneutral-„nationalökonomisch“ daherkommenden Begriff gekleidete, Übersetzung der Verteilungsfrage. Insbesondere der Frage der Verteilung der produzierten Reichtümer zwischen Kapital und Arbeit, bzw. des „bisschen“ davon, was auf dem Lohnzettel am Ende übrig bleibt.  

Das Thema an und für sich war durch die gewerkschaftlichen Proteste seit September/Oktober 07 verstärkt auf die Tagesordnung gesetzt worden. Die Begrifflichkeit – als „Kaufkraft“frage – hingegen wurde im jüngsten Wahlkampf durch den Kandidaten der modernisierten Konservativen und jetzigen Präsidenten, Nicolas Sarkozy, selbst vorgegeben. In seiner Rede in den Pariser Messehallen an der Porte de Versailles vom 14. Janiar 2007, dem Tag seiner offiziellen Kür zum Präsidentschaftskandidaten vor mehreren Zehntausend Anhängern, hatte Sarkozy ausgerufen: „Ich will der Präsident der Erhöhung der Kaufkraft sein.“ Dabei hatte er freilich kaum oder nichts Anderes im Sinne als seinen späteren Wahlkampfslogan: „Mehr arbeiten, um mehr zu verdienen“. An Lohnerhöhungen war bei ihm nie gedacht - und am 1. Juli dieses Jahres hat der nunmehrige Präsident Nicolas Sarkozy im übrigen mit einer bisherigen „Tradition“ der letzten Jahrzehnte gebrochen, wonach das frisch gewählte Staatsoberhaupt zum 1. Juli (dem Datum der jährlichen Neufestsetzung des gesetzlichen Mindestlohns SMIC) eine kleine Erhöhung Genehmigung des Mindestlohns „spendiert“. In diesem Jahr genehmigte Sarkozy keine Erhöhung des SMIC, die über die ohnehin gesetzlich erforderliche Angleichung an die Inflationsrate hinausgegangen wäre. Sein Amtsvorgänger Chirac hatte etwa noch eine Anhebung des Mindestlohns um vier Prozent zum 1. Juli 1995 (dem ersten Stichdatum nach seiner Wahl, am 7. Mai 1995) autorisiert, wovon anderthalb Prozent auf die obligatorische Anpassung um die Inflationsrate und 2,5 Prozent auf eine „echte“ Erhöhung entfielen. Bei Sarkozy hingegen: Fehlanzeige.  

Im Laufe des Herbstes wurde die Darstellung der Problematik zu niedriger Löhne daher durch die Medien als „Kaufkraftproblem“ formuliert. Diese Begrifflichkeit wurde, durch die Gewerkschaften akzeptiert, durch das Regierungslager wiedergekäut und durch die sozialdemokratische „Opposition“ (welche eine Gelegenheit erblickte, zur Abwechslung endlich auch mal wieder zu Wort zu kommen) begierig aufgegriffen. Die Spannung wuchs an, bis Präsident Nicolas Sarkozy sich am 29. November genötigt sah, eine Fernseh-Ansprache an die Nation eigens zu dem Thema zu halten. (Zum Inhalt seiner aus diesem Anlass unterbreiteten Vorschlag > siehe ausführlich UNTEN.) Kurz darauf vermeldete die Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’, Präsident Sarkozy und Premierminister François Fillon wollten nun aber schnellstmöglich dieses Thema abgehakt wissen und zu anderen Aufgabenstellungen – namentlich den „Wirtschaftsreformen“ für das jahr 2008 – übergehen. In den Köpfen und in der öffentlichen Meinung bleibt das „Kaufkraft“problem seitdem dennoch sehr präsent. 

Neben den enttäuschten Hoffnungen bzw. Illusionen, die z.T. in die Ankündigungen Nicolas Sarkozys gesetzt worden waren (allerdings kaum von aktiven Gewerkschafter/inne/n) spielt bei der Konjunktur des Themas eine Rolle, dass der Anteil der Lohnabhängigen bei der Verteilung des gesellschaftlichen Mehrprodukts seit Jahren auf konstant niedrigem Niveau geblieben ist. In einem alles in allem höchst enttäuschenden (da gegenüber den Zahlen und Kategorien der Kapitalseite ausgesprochen unkritischen) Titelthema über „Kaufkraft: Die Panne“ schreibt die keynesianisch ausgerichtete Zeitschrift ‚Alternatives économiques’ in ihrer Dezember-Ausgabe: „Allein die höheren und leitenden Angestellten (cadres), mit +  0,7 % jährlich, sowie die Industriearbeiter (ouvriers) mit ebenfalls + 0,7 % pro Jahr“ hätten zwischen 1998 und 2005 an Kaufkraft gewonnen, nicht aber alle anderen Kategorien von Lohn- und Gehaltsempfänger/inne/n. Aber schon im darauffolgenden Halbsatz erfährt man -- ohne dass die sich daraus logisch ergebende Einschränkung auch als solche gekennzeichnet würde -- dass der angebliche Zuwachs bei der Kaufkraft der Industriearbeiterschaft sich mechanisch „aus dem starken Anstieg des gesetzlichen Mindestlohns (SMIC) in den Jahren um 2000 infolge der 35-Stunden-Woche“ ergebe. Dies aber ist Schall und Rauch: Zwar wuchs der gesetzliche Mindestlohn SMIC, der als Stundenlohn kalkuliert wird, tatsächlich NOMINELL in den ersten Jahren ab 2000, da derselbe (gleich bleibende bzw. im Rhythmus des Inflationsausgleichs langsam steigende) Mindestlohn nunmehr auf der Basis einer juristisch geltenden Regelarbeitszeit von 151,66 h pro Monat statt wie zuvor auf der Grundlage von 166 h Stunden monatlich ausbezahlt wurde. Auch ohne dass der Mindestlohn geklettert wäre, wurden die Bezieher/innen von Niedriglöhnen damit THEORETISCH besser bezahlt, da sie weniger Stunden für dasselbe Geld arbeiten mussten. So weit die Theorie. Denn die Praxis sieht anders aus: Zwar sank die jährliche Arbeitszeit (nicht unbedingt die wöchentliche, da die Verkürzung der Regelarbeitszeit von theoretisch 39 auf theoretisch 35 Stunden pro Woche als Arbeitsverkürzung IM JAHRESMASSSTAB durchgeführt und von einer erheblichen Flexibilisierung der Arbeitsrhythmen und –zyklen gemäß den Bedürfnissen des Kapitals begleitet wurde), aber aufgrund der damit einher folgenden Variabilisierung der wöchentlichen Arbeitslänge, der Intensivierung und Verdichtung der täglichen Arbeit werden die Lohnabhängigen mindestens genauso stark wie zuvor „genutzt“. Nur eben in einer insgesamt etwas kürzeren Zeit. Für eine insgesamt in vielen Sektoren nahezu gleich bleibenden Arbeitsmenge (je nach Sektor, denn das Arbeitsvolumen bspw. einer Empfangsdame während einer Arbeitsstunde lässt sich nicht unbedingt steigern, sondern hängt von ihrer Anwesenheitszeit ab -- während für andere Lohnabhängige durchaus mehr Arbeitsleistung in eine Stunde hineingestopft werden kann) beziehen jene, die Niedriglöhne nahe am gesetzlichen Mindestlohn verdienen, also THEORETISCH mehr Geld. Auf dem Papier, da das Salär nicht höher ausfällt, aber einer THEORETISCH geringeren Arbeitsmenge entspricht. 

Streik in den öffentlichen Diensten für die Löhne & Gehälter (November 07 / Januar 08) 

Festzuhalten bleibt also unter dem Strich, dass lediglich die höheren und leitenden Angestellten einerseits, THEORETISCH die Industriearbeiter mit Niedriglöhnen (aufgrund des nominellen Anwachsens des Mindestlohns) anderseits in den Jahren 1998-2005 an Kaufkraft hinzu gewannen. Und zwar je + 0,7 % jährlich, was für die Lohnabhängigen auf Mindestlohn-Niveau – wie aufgezeigt – pure Theorie bleibt. Hingegen ist der Zuwachs für alle anderen Kategorien von Lohnabhängigen (Büroangestellte, Techniker/innen, Krankenschwestern...) „für dieselbe Periode gleich null“. So steht es in dem, unerfreulich unkritisch ausfallenden, o.g. Artikel im Monatsmagazin ‚Alternatives économiques’.  

Bereits im Laufe des Herbstes 2007 hatte sich abgezeichnet, dass es unter Umständen das Bindeglied zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Sektoren, die in Bewegung geraten waren, hätte bilden können. So demonstrierten am 20. November 2007 frankreichweit rund eine halbe Millionen Menschen, darunter zahlreiche öffentlich Bedienstete (Postangestellte, LehrerInnen, Krankenschwestern…). Ihr Protest richtete sich insbesondere gegen den Kaufkraftverlust, den zumindest ein Teil der öffentlich Bediensteten in den Jahren seit 2000 hat hinnehmen müssen.  

Selbst der rechtskonservative Minister für den öffentlichen Dienst, Eric Woerth (UMP), hat nun am Montag, den 17. Dezember eingeräumt, dass – seinen Zahlen zufolge – „17 Prozent der öffentlich Bediensteten“ in den letzten Jahren an Kaufkraft „in Höhe von teilweise über 6 Prozent“ (Originalton) eingebüßt hätten. Ihm zufolge hat allerdings die Mehrheit ihrer Kollegen zugleich an Kaufkraft hinzugewonnen, was jedoch durch die Gewerkschaft explizit angezweifelt wird, da der starke Anstieg der Lebenshaltungskosten (steigende Energiepreise und insbesondere Mieten, ..) nur unzureichend berücksichtigt worden sei. Das Monatsmagazin ‚Alternatives économiques’ schreibt dazu seinerseits in seiner Dezember-Nummer, Seite 10/11: „(Die öffentlich Bediensteten) sind im Hinblick auf die Kaufkraft die großen Verlierer der letzten Jahre. Seit 2002 ihre im Löhne/Gehälter laut dem nationalen Statistikamt INSEE (Anm.: im Schnitt und nominal) um 5,6 %, die Preise jedoch gleichzeitig um 11,3 % gestiegen. Selbst wenn man die Dienstzugehörigkeit und ihre Auswirkungen auf die Gehälter (Anm.: manche Gehälter im öffentlichen Dienst wachsen mit der Dauer der Dienstzugehörigkeit automatisch, da das Dienstalter in Form einer Prämie berücksichtigt wird) hinzu nimmt, hat ihre Kaufkraft seit 1998 total stagniert. Die höheren Angestellten im öffentlichen Dienst haben seit 1998 sogar jährlich 1,1 % an Kaufkraft verloren, die ‚Mittelberufe’ (Anm.: LehrerInnen etwa) 0,1 %. Man versteht also, dass der Streik für die Löhne/Gehälter im öffentlichen Dienst vom 20. November besonders gut befolgt worden ist...“ 

Von einer ausgebliebenen „Konvergenz der Kämpfe“ 

Dieser Protest, der auf dem Höhepunkt des damaligen Ausstands der von ‚Régimes spéciaux’ (Sonderregelungen bei der Rente) betroffenen Lohnabhängigen in den Transportbetrieben, bei den Energieversorgern oder in den Pariser Opernhäusern stattfand, hätte mit Letzterem zusammenfließen können. Denn auch die für ihre Rentenregelungen streikenden abhängig Beschäftigten, von denen zumindest manche Niedriglöhne beziehen (etwa die Bühnenbildner oder Kostumnäherinnen in den Pariser Opernhäusern), drückten ihre Furcht vor einer drohenden Verarmung im Alter aus. Also vor Kaufkraftverlust. „Hätte … können“. Denn die großen Gewerkschaftsverbände, auch die in den jüngsten Streikbewegungen (aufgrund ihrer quantitativen Bedeutung) de facto führende CGT, taten nichts, damit es zu einer „Konvergenz“ zwischen den verschiedenen sozialen Kampffronten kam. Vielmehr unternahmen sie alles in ihrer Macht Stehende, um die jeweiligen Konfliktgegenstände in sauber voneinander abtrennbare Verhandlungsfelder aufzuteilen. 

Am Montag, den 17. Dezember scheiterten nun die Verhandlungen um Lohn- und Gehaltserhöhungen in den öffentlichen Diensten, die am selben Tag eröffnet worden waren. Denn der erwähnte Minister Eric Woerth erklärte sich im Namen der Regierung nur zu individuellen Lohnerhöhungen, im Sinne einer individualisierten Leistungszulage, nicht aber zu einer breiter gestreuten Anhebung der Löhne und Gehälter bereit. Angeblich seien „die Kassen leer“, wie Präsident Nicolas Sarkozy seinerseits tönte, der in diesem Zusammenhang die Gewerkschaften als „unverantwortlich“ bezeichnete, da sie eine kollektive Anhebung der Verdienste im Auge hatten. (Am Donnerstag kam die Entscheidung von Arbeits- und Sozialminister Xavier Bertrand bezüglich der Pensionen hinzu: Der Minister mochte nur eine Erhöhung der Renten unterhalb der Schwelle der diesjährigen Inflationsrate genehmigen. Seit  1994 sinkt die Kaufkraft der Renten konstant, von Jahr zu Jahr unaufhörlich, wie ‚Alternatives économiques’ etwa in ihrer November-Ausgabe nachzeichnete.) 

Am 24. Januar 08 sind die öffentlich Bediensteten, etwa bei der Post und in den Krankenhäusern sowie in die Ministerien und Kommunalverwaltungen, nun erneut zum 24stündigen Arbeitskampf für ihre Löhne & Gehälter aufgerufen. Zu diesem Warnstreik kommt inzwischen ein eigenständiger Streikaufruf für die öffentlichen Schulen hinzu, den vier Gewerkschaften (die Branchenverbände im Bildungssektor von CGT, FO, UNSA und die Bildungsgewerkschaft FSU) zusammen unterschrieben haben. Die bisherige Fassung des Aufrufs – eine Presseerklärung infolge eines gemeinsamen Treffens der vier Gewerkschaftsverbände am 19. Dezember – fällt eher nichtssagend aus. Allerdings könnten die Streikaufrufe im Bildungssektor noch mit wesentlich mehr Leben gefüllt werden, denn hier ist einerseits ein gewisser Druck „von unten“ vorhanden. Andererseits häufen sich die Probleme, die Provokationen und Vorstöße der Regierung in diesem Sektor eklatant. Nicht nur die geplanten und aktuell durchgeführten Stellenstreichungen im Schuldienst (11.500 im laufenden Jahr, darunter ein Abbau von Lehrerposten in hoher Zahl in sozialen Krisenzonen wie der Akademie von Lille, jener von Créteil in der Pariser Banlieue…) stoßen vielen LehrerInnen sauer auf. Die Wohnortbindung bei der Einschulung, die so genannte ‚Carte scolaire’, soll ab dem Beginn des Schuljahres 2008/09 vollständig abgeschafft werden, wie diese Woche bekannt wurde – in diesem Herbst war sie bisher nur reformiert worden. Das bedeutet, dass insbesondere wohlhabende und mit reichlich „kulturellem Kapital“ (frei nach Pierre Bourdieu) ausgestattete Eltern künftig die Schulen ihrer Sprösslingen werden frei wählen können, während die verschiedenen schulischen Etablissements Aufnahmegespräche einführen und selbst über die Aufnahme oder Nichtaufnahme von KandidatInnen außerhalb ihres geographischen Sektors werden entscheiden können. Die Polarisierung zwischen Elite-Etablissements und als „sozialer Mülleimer“ betrachteten Schulen wird damit noch erheblich wachsen. Auch wird die Regierung ab dem kommenden Schuljahr die Lehrkräfte in Grundschulen in einem bestimmten Ausmaß im Streikfalle zum Dienst (‚Service minimum’) verpflichten können, wie Bildungsminister Xavier Darcos ankündigte. Dadurch soll die Offenhaltung der Grundschulen bei Streikbewegungen erzwungen werden. 

Bisher schien sich dennoch keine Chance zu einer größeren Dynamik abzuzeichnen, da die Staatsbediensteten allein (ohne Brückenschlag weder zu den Mitarbeitern der öffentlichen Unternehmen wie den EisenbahnerInnen einerseits, und zu den Privatbeschäftigten andererseits) und für eine von vornherein auf 24 Stunden begrenzte Dauer zum Streik aufgerufen waren. 

Ein (in der Sache guter) Vorschlag von FO 

Inzwischen ruft aber der Gewerkschaftsbund Force Ouvrière (FO) auf eine Ausweitung des Aktionstags vom 24. Januar 2008 auf die Beschäftigten im privaten Industrie- und Dienstleistungsgewerbe auf. (Vgl. http://www.lemonde.fr/web/article/0,1-0@2-3224,36-992108@51-991672,0.html) Diese Initiative ist in der Sache absolut richtig. Allerdings ist zweifelhaft, ob FO – der drittstärkste Französische Gewerkschafts-Dachverband, nach der „ex-kommunistischen“ CGT und der rechtssozialdemokratischen CFDT – dazu wirklich in der Lage ist. Einerseits ist und bleibt FO weitaus stärker im öffentlichen Dienst denn im Privatsektor verankert. Andererseits klaffen bei niemandem so sehr wie bei FO der teilweise praktizierte radikale Diskurs oder Anspruch, und die Praxis auseinander. Das hat auch mit der starken inneren Heterogenität von FO zu tun: Ursprünglich, 1947/48 und damit zu Beginn des Kalten Krieges, wurde dieser Verband vor allem als Anti-CGT-Gewerkschaft gegründet und durch den Kitt des (wahlweise) Antikommunismus oder Antistalinismus zusammengehalten. Bis heute besteht FO sowohl aus eher rechten als auch aus sozialdemokratischen und schließlich auch aus tatsächlich oder angeblich „trotzkistischen“ Kräften. In weiten Teilen des FO-Apparats ist eine autoritäre Politsekte, die eine sehr spezielle Untervariante des französischen Trotzkismus darstellt (die „Partei der Werktätigen“ PT/Parti des travailleurs, die sich in naher Zukunft in „Unabhängige Arbeiterpartei“ – Parti ouvrier indépendant – umbenennen möchte), sehr stark verankert. Dieser Verein zählt zum (mit Abstand) Übelsten an autoritär-mafios auftretendem Gesocks, was die Linke je an Verirrungen hervorgebracht hat. Aus dieser Heterogenität resultierte eine Praxis des Gewerkschaftsapparats von FO, die radikale Sprüche und eine ausgesprochen „umfallfreudige“ Verhandlungs- und Unterschreibpraxis miteinander kombiniert. 

Zu hoffen ist aber, dass die Anregung von FO, die Initiative für den 24. Januar auch auf Lohnabhängige aus (Sektoren der) Privatwirtschaft auszuweiten, auch von anderen gewerkschaftlichen und sozialen Akteuren aufgegriffen wird. 

Neue Vorlage nach der Rede von Präsident Sarkozy 

Denn das „Kaufkraft“thema, das (unter diesem Begriff) derzeit so sehr „in Mode“ gekommen ist, betrifft mindestens ebenso stark auch die Lohnabhängigen in der Privatwirtschaft. Der starke Anstieg von Energiepreisen und Mieten ist hier nicht spurlos vorüber gegangen. Dieses Thema begann im Laufe des Herbstes, sich politisch aufzuladen und explosiv zu werden.  

Präsident Nicolas Sarkozy regierte darauf mit zwei Typen von Maßnahmen: 

Bereichsspezifische Maßnahmen, wie die – Anfang November infolge von Protesten gewährten - Kompensationen der erhöhten Dieselpreise für die Fischermeister in der Bretagne (6 Monate lang werden ihre Sozialabgaben gesenkt), die sich freilich eher an Kleinunternehmer und Selbständige richten oder aber an KonsumentInnen. Nicht aber an Lohnabhängige als solche, im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses. 

Da dies offenkundig nicht ausreichte und der soziale Druck im Laufe des November anwuchs, machte Präsident Sarkozy in seiner Fernsehansprache vom 29. November 2007 eine Ankündigung, die sich dieses Mal ausdrücklich an die Lohnabhängige richtete. Neben winzigen und randständigen Maßnahmen gegen die ständige Erhöhung der Mietpreise (Letztere sollen künftig, im Rahmen eines ungekündigten Mietverhältnisses, an die jährlich Inflationsrate statt an die Entwicklung der Baupreise angepasst werden ; bei neu abgeschlossenen Mietverträgen soll ein Monat statt zwei Monate Kaution erhoben werden) kündigte Sarkozy eine Maßnahme „für die Einkommen“ der Lohnabhängige an. 

Diese besteht aber letztendlich nur darin, eine bereits seit längerem mausetote Leiche namens „35-Stunde-Woche“ oder auch „Arbeitszeitverkürzung“ einmal mehr zu fleddern. Nicolas Sarkozy bietet nämlich, zum wiederholten Male, einen Tauschhandel „Länger arbeiten gegen mehr verdienen“ an: 

A) Bereits im August 2007 war ein Gesetzespaket unter dem Namen „TEPA“ (Arbeit, Beschäftigung, Kaufkraft) angenommen worden, das Überstunden von Steuern – für die Lohnabhängigen – bzw. von Sozialabgaben, für die Unternehmen, befreit. Die nötige Ausführungsverordnung zu diesem Gesetz ist am 1. Oktober dieses Jahres in Kraft getreten. Seitdem wird eine unterschiedliche Handhabung dieser neu eröffneten Möglichkeit durch die Betriebe beobachtet: Laut einer ersten Untersuchung durch das Arbeits- und Sozialministerium, die nur den Monat Oktober 2007 abdeckt, griffen 40 % auf diese Option zurück. Allerdings werden starke sektorielle Ungleichzeitigkeiten beobachtet. Insbesondere der LkW-Transportsektor, das Gastronomiegewerbe und vergleichbare Sektoren, die sich durch überdurchschnittlich lange Arbeitszeiten auszeichnen, machten von der rechtlichen Möglichkeit Gebrauch: Dort konzentrierten sich allein 50 Prozent der beobachteten Überstunden. Dies bedeutet aber, dass einerseits die Lohnabhängigen in diesen Bereichen (die gleichzeitig Niedriglohn-Sektoren sind), um halbwegs über die Runden zu kommen, weiterhin überlange Arbeitszeiten absolvieren müssen – andererseits aber die Beschäftigten in anderen Bereichen ihre „Kaufkraft“ nicht in vergleichbarem Maße durch Überstunden aufpolieren können, obwohl viele unter ihnen dies sichtlich wünschen würden.  

Im Laufe des Herbstes wuchs die Unzufriedenheit mit diesen neuen Bestimmungen sowohl unter den Lohnabhängigen, die zum größeren Teil nicht die versprochenen Früchte ernteten – als auch seitens der Unternehmer, vor allem in den Kleinbetrieben. Letzteres vor allem aufgrund der bürokratischen Kompliziertheit der Bestimmungen, die technische Hürden vor dem Zugang zur Steuer- und Abgabenbefreiung errichten.

B) Nunmehr hat Sarkozy ein neues, zweites Arsenal von neuen Regeln aus dem Hut gezaubert: Lohnabhängige sollen pauschal, im Vorhinein, einen Teil ihrer früheren Arbeitszeitverkürzung „abkaufen“ können. Das bedeutet, dass sie den Betrieben bis zu elf volle zusätzliche Arbeitstage, im Ausgleich gegen eine Lohnerhöhung oder spezifische Lohnzuschläge, pauschal „verkaufen“ können.

Bisher ist aber noch völlig unklar, wie dieses neue, zusätzliche Arsenal funktionieren wird. Denn für die Lohnabhängigen sind bestimmte Vorteile, die mit dem neuen Gesetz vom August 2007 (TEPA) verbunden waren, mit dem am 5. Dezember vorlegten neuen Maßnahmenbündel „für die Kaufkraft“ nicht verknüpft. So war zunächst für die „abgekaufte“ Arbeitszeitpauschale keine Steuerbefreiung vorgesehen, wie sie im Zusammenhang mit dem TEPA-Gesetz zur Begünstigung von Überstunden für Letztere bereits gilt. Daraus ergibt sich ein Widerspruch, da der „Abkauf“ von Arbeitszeitpauschaulen dadurch deutlich unattraktiver wird als das Ableisten von Überstunden, wodurch die neuen Bestimmungen komplett unnütz wären. Voraussichtlich wird eine solche Steuerbefreiung nun aber doch noch in das neue Gesetz, dessen Entwurf ab Anfang nächsten Jahres noch im Parlament diskutiert werden wird und bis März 2008 verabschiedet sein soll, aufgenommen werden. Die (wenigen anwesenden) Abgeordneten der Nationalversammlung hatten dies in der Nacht des Mittwoch, 19. Dezember  - in erster Lesung des Entwurfs - akzeptiert. Nun kommt wiederum Kritik u.a. von bürgerlicher Seite, wonach die Haushaltslöcher nur noch weiter anwachsen würden, wenn so „großzügig“ Steuernachlässe verteilt würden...

Seitens der Opposition und der Gewerkschaften wird unterdessen vor allem befürchtet, dass die neuen Vorschriften als „trojanisches Pferd“ fungieren könnten, um das Konzept einer „gesetzlichen (Regel-)Arbeitszeit“ generell auszuhebeln. Demnach würde es darum gehen, die Gesamt-Ausdehnung der wöchentlichen bzw. jährlichen Arbeitszeit generell zum Verhandlungsgegenstand zu erheben. Der sozialdemokratische Parteichef François Hollande sprach so den Verdacht aus, dass es in naher Zukunft überhaupt keine „gesetzliche Regel-Arbeitszeit“ mehr geben werde.

Die Umsetzung der neuen Bestimmungen wird mutmaßlich Abkommen mit den Mehrheitsgewerkschaften auf Betriebsebene erfordern. Bislang wollen die Gewerkschaften aber erst einmal die neuen Spielregeln für die Festlegung ihrer „Repräsentativität“ (entspricht grob dem deutschen Konzept der „Tariffähigkeit“) kennen, bevor sie sich auf irgend etwas einlassen. Diese sollen Anfang 2008 ebenfalls neu ausgehandelt werden – voraussichtlich als „Zuckerl“ für die stärksten Verbände.

Deutscher Konzern Continental, geh’ Du voran

Unterdessen hat sich ein erster Betrieb zu Wort gemeldet, in dem die Lohnabhängigen (per 75prozentiger Mehrheit in einer Urabstimmung, trotz Opposition der wichtigsten Gewerkschaften) das „Abkaufen“ von vergangenen Arbeitszeitverkürzungen einfordern, um zur 40-Stunden-Woche überzugehen. Es handelt sich um die Niederlassung des deutschen Reifenherstellers Continental im ostfranzösischen Sarreguemines (Saargmünd). Dabei sollen einerseits die „verkauften“, zusätzlichen vollen Arbeitstage mit einem Zuschlag in Höhe von 125 % abgegolten werden. Andererseits sinkt zugleich der Stundenlohn, auf dessen Basis die neuen Zuschläge im Jahresmaßstab errechnet werden. Vor dem Hintergrund der Erpressung mit dem Abwandern von Arbeitsplätze wird es in Zukunft wohl noch zahllose solche „Vereinbarungen“, die mit dem Erhalt der Beschäftigung plus dem Kaufkraft-Argument begründet werden, geben. Der Reifenhersteller Continental hatte geltend gemacht, seine ostfranzösische Niederlassung sei die letzte im Konzern, die einer Verlängerung ihrer Arbeitszeiten zustimme. Statt an 325 Tagen im Jahr soll dort nunmehr künftig an 332 gearbeitet werden.

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel am 22.12.2007 vom Verfasser zur Veröffentlichung.