Berlin: Steigende Mieten und Widerstand

von Spreepiratin

12/08

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In Berlin gibt es zur Zeit eine Entwicklung zu beobachten, die so auch in vielen anderen Städten abläuft. Ehemals „alternative“ Viertel werden schicker und teurer. In vielen anderen europäischen Hauptstädten wie London oder Paris ist es kaum noch möglich für Leute mit geringem Einkommen in den Innenstädten zu wohnen. Die horrenden Mieten sind nicht mehr bezahlbar. Die armen Menschen werden derweil in Vorstadtghettos abgedrängt. Berlin stellte mit seinem geringem Preisniveau und den im Vergleich niedrigen Mieten eine Ausnahme dar. Nach der Wende strömten viele Menschen in den Ostteil Berlins um hier unterschiedliche Lebensentwürfe zu verwirklichen. Genauso schnell wie sie kamen, gingen sie in bestimmten Bezirken auch wieder. Die Stadtaufwertung in den Bezirken Prenzlauer Berg und Mitte ist abgeschlossen, in Friedrichshain in vollem Gange. Durch diese Veränderungen ist vielen klar geworden, dass sich das Leben in Berlin in eine falsche Richtung verändern wird. Um diese Stadtumstrukturierung in Richtung „hübsch und sauber“ aufzuhalten und die Entwicklung hin zu etwas ganz anderem zu lenken, muss Widerstand sichtbar werden.

Eine soziale Bewegung gegen (steigende) Mieten ?

Die Miete steigt und steigt

Ein Beispiel für die Mietsteigerungen ist Berlin-Kreuzberg. Die neue TOPOS-Studie hat ergeben, dass die Mieten nun über dem Berliner Mietniveau liegen. Die Mietsteigerungen sind in Kreuzberg sogar durchweg höher als in anderen Berliner Vierteln.
In Kreuzberg wohnen viele Migrant_innen, die Arbeitslosenrate ist hoch. Trotzdem steigen die Mieten stark an, seit 2005 teilweise um 20 Prozent. Das bedeutet für die meisten Menschen, dass sich ihre prekäre Lage noch verschärft. Mittlerweile müssen die Menschen im Durchschnitt 35 Prozent ihres geringen Einkommens für die Miete aufwenden. Selbst Makler beklagen mittlerweile, die große Mietbelastung.
Gleichzeitig steigen die Strom-, Gas- und Lebensmittelpreise während Reallöhne und Sozialleistungen stagnieren bis sinken. Dass es deswegen immer weniger Menschen möglich ist ein lebenswertes Leben zu führen, ist einsichtig.

In einer Gesellschaft, in der die soziale Ungleichheit zunimmt, immer mehr Menschen verarmen und von gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen werden, ist es nur folgerichtig, wenn sich das auch im Stadtbild zeigt. (Bericht im Tagesspiegel )und Neues Deutschland). In der Innenstadt wohnen dann in einer sterilen Umgebung, die wenigen, die noch vom System profitieren und in Vororten ausgegrenzt, die Massen, die sich hier gegenseitig die Köpfe einschlagen können ohne dabei die Profitierenden zu stören.
Denn die steigenden Mieten führen zu Verdrängung der bisherigen Mieter_innen, die sich es nicht mehr leisten können, dort zu wohnen, wo sie seit Jahrzehnten wohnen. Der Wegzug aus dem angestammten Wohnumfeld kann ganz konkret für den einzelnen Menschen eine große Katastrophe bedeuten. Befreundete Nachbar_innen, Stammkneipen und soziale Kontakte gehen verloren. In einer flexibilisierten Gesellschaft ist dies fast schon Normalität, wird nicht mehr als Skandal wahrgenommen.

Steigende Mieten treffen deswegen vor allem diejenigen, denen es sowieso schon schlecht geht. Sie verschärfen bereits bestehende soziale Probleme und führen zu einer finanziellen Selektion: „Du bist es wert hier zu wohnen, du bist es nicht.“ Die FDP freut sich nun,dass sich ein „echter Wohnungsmarkt“ . herausbildet, der den Gesetzen von Angebot und Nachfrage gehorcht. Und für arme Menschen gibt es eben leider kein Angebot.
Die FAZ macht sich Sorgen, wie nun investiert werden soll: „Doch inzwischen übersteigt die Nachfrage das Wohnraumangebot in einigen Bezirken deutlich, mit entsprechenden Folgen für die Mieten.“

Gleichzeitig siedeln sich gutsituierte Neumieter_innen an. Die Preise für Neuviermietungen steigen stark. Diese Neumieter_innen haben ein wesentlich größeres Einkommen, als die anderen Bewohner_innen des Viertels. Manche ziehen in frischsanierte oder neugebaute Luxuslofts und treiben damit die Miete für ihre Nachbar_innen in die Höhe, die in prekären Verhältnissen leben. Hier droht eine Entmischung, eine monotone Gleichausrichtung der Kieze und ein Verlust der Vielfalt unterschiedlicher Lebensentwürfe.
Eine interessante Studie zur Mietentwicklung in Kreuzberg mit vielen Zahlen und Fakten gibt es hier: TOPOS-Studie

Bloß kein Widerstand

Bei Protest gegen Gentrifizierung wird häufig der Ruf nach Toleranz laut: Lasst die Leute wohnen, wo sie wollen ! Auch Yuppies sind Menschen ! Ist doch schön, wenn sich die Stadt verändert und liberal und weltoffen ist !

Es ist die gleiche Toleranz, die von uns fordert, die Abschiebelager zu akzeptieren, Klimawandel und Nazi-Aktivitäten zu ertragen. Jeder Widerstand, der über ein bloßes ohnmächtiges Beschweren hinausgeht, wird von der Mehrheitsgesellschaft notwendig als gefährlich eingestuft.

Soziale Ungerechtigkeit, wie sie sich hier schamlos zeigt und den negativen Effekte einer Marktgesellschaft muss offensiv begegnet werden. Die Zeit der Toleranz für einen wildgewordenen Kapitalismus ist vorbei.

Auch manch Linker möchte lieber nicht an eine Gentrifizierung glauben: hier . Einige wittern eine verkürzte Kapitalismuskritik.

Sterni oder Latte Macchiato

So ist es wichtig zu betonen, dass das Problem nicht die Zugezogenen, die Schwaben oder Touristen sind. Das Problem sind Strukturen, die die Mieten rasant steigen und die Stadt verarmen lassen. In einer Gesellschaft, die so organisiert ist, Wert herzustellen, wird es begrüßt, wenn ein Stadtteil aufgewertet wird. Aufwertung heißt hier, dass mehr Wert herausgepresst werden kann und nicht, dass der Stadtteil wertvoll für seine Bewohner ist.
Der reichere Teil der Bevölkerung kündigt nur an, dass ein Viertel nun verwertbar erscheint. Viele der neu Zugezogenen sind aber Selbstständige, die sich ebenfalls in einer unsicheren Lebenssituation befinden. Finanziell also auch nicht sonderlich reich gesegnet, unterscheidet sich trotzdem ihre Situation von der, des HartzIV-Nachbarn. Ihre Lebensperspektive beinhaltet später einen gut bezahlten Job in der Kreativwirtschaft ergattern zu können und so richten sie sich ihr Leben schon jetzt ein.

Ziel muss es sein eine soziale Bewegung zu schaffen, die alle erfasst, die sich gegen die Zumutungen des Wohnungsmarktes wenden und gegen Lebensstile, die exklusiv sind, die nur für wenige offen sind. Der Kampf gegen Gentrification ist nicht nur ein Kampf gegen politische und wirtschaftliche Entscheidungen, sondern auch ein Kampf um einen anderen Lebensstil, um eine andere Einstellung zu Nachbar_innen und Wohnumfeld. Wir müssen verstehen, dass wir unser Umgebung prägen, dass wir negativen Einfluss haben, aber dass wir eben auch positive Perspektiven eröffnen können. Kommunikation mit Nachbarn, Einmischen in die Planung von Prestigeobjekten und Hilfe für sozial Benachteiligte sollten die Gesellschaft prägen und nicht nur leckere Cocktails, geile Partys und schicke Autos. Deswegen muss gedankenlosen Gewinner_innen einer ungerechten Gesellschaft auch mal in die Suppe gespuckt werden, damit sie merken, was sie tun, wenn sie ganz tolerant in „Lofts im New Yorck-Style“ ziehen.

Verwertung über alles

Manche glauben Gentrification würde nur das Verschwinden von Strandbars und die Errichtung hässlicher Prunkbauten bedeuten. Vielmehr zeigt sich am Wohnungsmarkt eine ebenso alltägliche, wie zu überwindende Eigenschaft der kapitalistischen Totalität: Alles muss Wert erzeugen, ansonsten wandert es ins Klo.

Das Ziel kann es nun aber nicht sein, Mieten auf dem Niveau der 70er Jahre zu erreichen oder eine „kiezige Atmosphäre“ zu bewahren, sondern es muss die überwindung dessen sein, was uns gefangen hält. Die Stadt soll nicht arm bleiben, sondern Armut und Reichtum müssen verschwinden, „Kreuzberg“ soll keine Insel sein, sondern überall sollte eine solidarische Gesellschaft und Organisation entstehen. Die Front ist vorne und nicht hinten.

Die Häuser, in denen wir wohnen und für die wir Miete zahlen müssen, sind im Besitz von anderen. Die Menschen haben somit keine Möglichkeit zu bestimmen, wie sich die Zukunft ihrer Umgebung gestalten sollte. Diese Möglichkeit die Zukunft zu bestimmen, nimmt der Markt wahr. Laut Kapitalismus findet der Markt immer den besten Preis und der beste Preis ist dann auch schlussendlich das beste für die Gesellschaft. Die Finanzkrise zeigt wunderschön wie rational und vernünftig diese Preisfindung auf einem anderen Markt funktioniert.

Auf dem Wohnungsmarkt in Berlin sagt der Preis, denen die sich nach ihm zu richten haben: Sanieren, renovieren, Miete erhöhen. In kapitalistischer Logik ist es unmoralisch weniger Geld zu verlangen, als das Objekt „wert“ ist. Schuld an der Misere sind also nicht einzelne „Spekulanten_innen“ oder „Hausbesitzer_innen“, sondern der gesamtgesellschaftliche Zusammenhang, der alles in Wert setzen will. Das sollte aber nicht den einzelnen Hausbesitzer aus der Verantwortung entlassen, der zumindest geringe Entscheidungsspielräume besitzt.Die Mieterhöhungen sind also die „logische“ Konsequenz, wenn ein Viertel attraktiv erscheint. Und hier kommt der „Flair“ ins Spiel. Beliebt an Kreuzberg ist die „alternative Stimmung“, die Lebensoffenheit und Unkonventionalität. Dies kann und muss wiederum verwurstet, die Wohnung muss teurer werden.

Jetzt läuft die Maschine an und produziert ein „attraktives Wohnumfeld“ für Menschen, die mehr Geld bezahlen können. Die Wohnungen werden schicker, die Straßen sicherer und sauberer. Die Maschine kann allerdings nicht darauf achten, wie es den Menschen in dem neu gestalteten Viertel geht, das ist belanglos, solange alles schön rentabel ist. Dass in der Bergmannstrasse eine Privatschule eröffnen will , dass eine rassistische Großrazzia im Görlitzer Parkdurchgeführt wurde oder am Kottbusser Tor neueste biometrische Sicherheitstechnik ausprobiert werden soll, ist kein Zufall. Der Staat muss notfalls mit Polizeischutz erst das richtige Umfeld für Investitionen schaffen. Guter Standort

Keime breiten sich aus

So fällt diese Entwicklung auch nicht vom Himmel, sondern ist politisch gewollt oder geduldet. Nach dem Ende des keynsianischen Sozialstaats sind sozialer Wohnungsbau, Mietobergrenzen oder Beschränkung von Luxuslofts kein Thema mehr. Alles, was der Stadt Steuern verspricht, was ihr wirtschaftliches Profil schärft, wird nun dankend entgegengenommen. Ob FDP, SPD, Grüne oder Linkspartei, alle gefallen sich in der Förderung von Riesenprojekten wie Mediaspree und dem Fehlen einer sozialen Stadtpolitik. Wie immer werden Sachzwänge angegeben, die entschuldigen sollen, warum die Stadt kapitalistisch umstrukturiert wird, warum Ausgegrenzte noch weiter ausgegrenzt werden. Exemplarisch die Position der Linkspartei zu Mediaspree (Gentrifizierung bedeutet mehr Arbeitsplätze): Linkspartei zu Mediaspree

„Attraktiv für Investoren“ ist in einer globalen Standortdebatte weit wichtiger als die Lage derjenigen, in die nicht investiert wird, die als Humankapital keine gute Anlage bieten. Berlin befindet sich angeblich in einer Konkurrenz mit anderen „Weltmetropolen“ wie London, Paris oder New Yorck. Da ist es nicht möglich, noch auf irgendwelche Interessen der Bewohner_innen dieser Weltmetropole zu achten.

Gekrönt wird diese Politik immer mit der Behauptung, dass Investor_innen, Carlofts und hippe „Reich und schön“-Clubs den Menschen irgendwie wieder zu Gute kommen. „Das Fell muss erst gejagt werden, bevor es verteilt werden kann“ ! Dass die Wohnung schon stehen und eine Jagd auf den Riesenelefanten Carloft vielleicht vergeudete Zeit ist, fällt hierbei scheinbar nicht ins Gewicht. Der Segen des Kapitalismus soll den Menschen so richtig klar werden, wenn sie als Sicherheitspersonal die zerbrochene Gesellschaft vor sich selbst schützen oder als schlecht verdienende Putzkraft den dreckigen Kapitalismus sauber schrubben. Denn das Bestehende hat ihnen einen Arbeitsplatz geschenkt, wo sie für ein paar Euro so richtig schuften dürfen.

Die Hilfe naht nicht

Die Alternative kann natürlich nicht ein starker Staat, eine Art Gegenmacht gegen den „wilden Markt“ sein, der „gezügelt“ werden müsse. Die überwindung der Regelung des menschlichen Lebens und Tätigkeit, durch angeblich rational funktionierende Märkte muss das Ziel sein.

Eine soziale Stadtpolitik von unten könnte partiell ein Anfang sein, wenn nicht pur-revolutionär davon ausgegangen wird, dass die Veränderung plötzlich und unvermittelt in die Gesellschaft hereinbricht. Dieser kapitalistisch durchtränkte Anfang muss nicht von den emanzipatorischen Kräften mitgestaltet, aber eventuell angestoßen werden.
Es ist aber auch wichtig, die Ablehnung antagonistisch darzustellen. Die Stadt wird niemals wirklich lebenswert werden, solange die Menschen nicht die Verfügungsgewalt über sie haben, solange soziale Ungerechtigkeit abseits von hohen Mieten besteht. Einen endgültigen Ausbruch gibt es nur durch den Bruch mit der kapitalistischen Verwertungslogik, die überall dort angegriffen werden muss, wo wir sie treffen können.

Keime breiten sich aus

Dieser ominöse endgültige Ausbruch kann aber nur gelingen, wenn sich Keime bilden, die das Andere gegen die Maschine verteidigen. Die anders leben wollen und es schaffen sich zumindest kurzfristig teilweise den kapitalistischen Zumutungen zu entziehen.
Der Kampf gegen Gentrification könnte also auch angebliche Keime unterstützen, die selbstredend immer in immenser Gefahr der Anpassung, der Eingliederung ins Bestehende stehen. Hausprojekte, eine alternative Kiezstimmung oder eine kleinteilige Ladenstruktur können somit nicht nur attraktiv für Touristen, sondern auch für eine Bewegung hin zu einer anderen Gesellschaft sein.

So können sie dazu führen, dass Menschen tätig sind ohne Wert zu schaffen, dass Zwischenräume entstehen, in der Widerständige sich ansammeln und den Ablauf stören können. Freiräume machen es möglich, eine Infrastruktur jenseits von Staat und Markt aufzubauen, Treffpunkte ohne Eintrittspreise und Politik jenseits von realpoltischen Parteiveranstaltungen. Sie können helfen, dass die Menschen zu einem solidarischen Umgang miteinander finden, sich organisieren und gegen das Bestehende wehren.
Wenn nun die überzeugung vertreten wird unsere Welt muss nicht wohnlicher gestaltet werden, solange das große Gute noch auf sich warten lässt, darauf lässt sich nur entgegnen: Wartezeit verkürzen, tätig werden, zur Praxis schreiten !

Praxis

Das Berliner Stadtmagazin „Zitty“ verkündet schon einen Kampf um Kreuzberg . Die Taz fordert einen forschen Kiez .

In Berlin ist der Kampf um die Stadt in diesem Jahr so richtig eröffnet worden. Begonnen hatte es mit der Bewegung zur Rettung der Köpi, welche schließlich einen ziemlichen Erfolg verkünden konnte.

Daran anschließend wurden die Freiraumtage veranstaltet, die Solidarität mit den bedrohten Hausprojekten ausdrückten. Nach der Räumung des frischbesetzen Hauses in der Michaelskirchstraße, kam es zu vielen Aktionen, die ihren Unmut darüber ausdrückten. Die Presse war schockiert.

Die Wir bleiben Alle ! -Kampagne setzte ihre Aktivitäten auch noch den Freiraumtagen fort.
Der Initiativkreis Mediaspree Versenken startete eine erfolgreichen Bürgerentscheid gegen das Mediaspree-Projekt .

Kiezspaziergänge, Fahrraddemos und eine Wasserblockade fanden statt. Die Eröffnung der O2-World wurde empfindlich gestört.

Viele kleine Aktionen sorgten für Unsicherheit bei Investor_innen:
z.B.:Farbe
Subway
Carloft

Widerstand ist möglich und nötig. Kommt alle zur Demo gegen Mieten am 29.11. auf der Oberbaumbrücke um 14 Uhr. Aufruf unter: Kreuzberg-Info

Die kapitalistische Totalität angreifen – auf dem Wohnungsmarkt und überall !
Städte selber gestalten – Veränderungen vorantreiben – Verweigerung dem Bestehenden !

 

Editorische Anmerkungen
Der Artikel erschien erstmals am 24.11.2008   bei Indymedia.