Hauptsache satt und sauber?
Ein Erfahrungsbericht dokumentiert die Missstände im Pflegebereich

Von Peter Nowak

12/08

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Die Zahl der alten Menschen nimmt zu und der Pflegebereich boomt. Eine langjährige Altenpflegerin hat einen erschütternden Bericht aus dem Inneren eines Pflegeheims geliefert.

Brigitte Heinisch begann ihren Job als Altenpflegerin mit großen Idealen. »Es ist mir wichtig, Geld zu verdienen, aber nicht um jeden Preis. Mein Gewissen werde ich versuchen, nicht zu verkaufen«, formuliert sie im Nachhinein ihre Maxime. Doch damit scheiterte sie in einem System, in dem es nur darum geht, in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Pflegebedürftige zu versorgen. Hauptsache Satt und Sauber, so die Devise. Weitere Zuwendungen regelt die Gebührentabelle. Damit wollte sich Heinisch nicht abfinden. Zunächst wechselte sie von der ambulanten in die stationäre Pflege. Als sie auch dort ihre Vorstellungen von menschengerechter Versorgung nicht umsetzen konnte, suchte die Pflegerin zunächst die Schuld bei sich und erkrankte schwer.

Die Autorin  schildert ihren langen Weg hin zur Erkenntnis, dass nicht sie, sondern ein profitorientiertes Pflegesystem für die Missstände verantwortlich ist. Dazu trug der Kontakt mit aktiven Erwerbslosen bei, die Heinisch bei Montagsdemonstrationen traf. Sie gaben ihr Mut, vor Mikrophon über ihre Situation zu sprechen und Mitstreiterinnen zu suchen.

Heute sieht die Altenpflegerin die Auseinandersetzung im größeren gesellschaftlichen Kontext. »Nach den Jahren des Kämpfens bin ich überzeugt, dass grundlegende Veränderungen in der Gesellschaft und auch im Gesundheitswesen erst möglich sind, wenn sich die Menschen auf breiter Basis organisieren und zusammenarbeiten«, lautet ihr Fazit. Zu Heinischs enttäuschenden Erfahrungen gehört der Versuch, auf juristischem Weg Verbesserungen im Pflegebereich zu erstreiten. Trotz akribischer Dokumentation der Missstände bekam sie vor den Arbeitsgerichten kein Recht. Stattdessen musste sie erfahren, dass Kolleginnen, mit denen sie gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen kämpfte, aus Angst um ihren Job ihre Unterschrift unter Erklärungen setzten, in denen die kritische Kollegin zur Zielscheibe des Unmuts gemacht wurde.

Hier wird deutlich, wie im Konkurrenzkapitalismus alle gegeneinander ausgespielt werden und damit ständig im Opferstatus verharren. Dahinter steht immer die Vorstellung, dass man d och nichts ändern kann. Heinisch hat aber deutlich gemacht, dass  Widerstand durchaus möglich ist. Dazu ist es aber notwendig, sich mit Gleichgesinnten zu verbinden. Für Heinisch waren es die MontagsdemonstrantInnen. In dem Buch schildert die Autorin, wie sie sich  immer  mehr politisiert hat, wie sie  mehr und mehr den Zusammenhang von unzumutbaren Arbeitsbedingungen für die Pflegekräfte und die damit verbundene Benachteiligung der Pflegepersonen und der kapitalistischen Verwertungslogik erkannte. Hier steht das Buch durchaus in der besten Tradition einer ArbeiterInnenliteratur, in der  sich die ProtagonistInnen vom zum bewussten Akteur der Geschichte entwickeln.  Eine solche Entwicklung schien einer längst vergangener Zeit anzugehören. Heinisch zeigt, dass sie auch außerhalb der großen Fabriken möglich ist. Hierin  findet sich eine besondere Hoffnung- Denn nur wenn es massenhaft solche Bewusstseinsprozesse gibt, ist eine bewusst geplante Überwindung des Kapitalismus denkbar.  Heute wird auch von den wenigen KommunistInnen eine Überwindung der kapitalistischen Verwertungslogik meistens theoretisch begründet. Heiinisch macht deutlich, dass es auch heute noch möglich ist,   diese  Notwendigkeit auch mit den realen Erfahrungen zu begründen. Eine Gesellschaft, in der in die Pflege alter Menschen vom Geldbeutel abhängt und nicht als soziale Aufgabe  aller begriffen wird, stellt sich selber in Frage. . Bei der demoskopischen Entwicklung unserer Gesellschaft könnte die Frage der optimalen Pflege für Alle durchaus  einmal eine heute noch gar  nicht absehbare Sprengkraft bekommen. Schon heute sollten engagierte Beschäftigte wie Heinisch, PatientInnen und ihre Angehörige kooperieren, um den Pflegebereich der Verwertungslogik möglichst weitgehend zu entziehen,  Am Schluss des Buches finden sich nützliche Adressen für engagierte Pflegekräfte, Patienten und Angehörige.

Brigitte Heinisch
Satt und Sauber?
Eine Altenpflegerin kämpft gegen den Pflegenotstand

224 Seiten, 12 Euro,
Rowohlt Verlag 2008
ISBN: 978-3-499-62338-8