Sind wir nicht alle ein bisschen neoliberal?
Einige Anmerkung zum neuesten und die Rezeption des neuesten Film von Ken Loach It`s a free world.

von Peter Nowak

12/08

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“ ist es nicht ihre eigene Chance, ein bisschen rücksichtslos zu sein, ein wenig neoliberale Unternehmerin zu werden, ganz so, wie es alle ein wenig tun müssen?“ Jürgen Kiontke in der Jungle World

„Erst der Kommunismus hat das historisch einklagbare Anrecht in die Welt gezwungen, keine Entmündigung hinnehmen, nicht eine einzige Erniedrigung mehr ertragen zu müssen. Seit dem ist noch das kleinste Unrecht größer und das größte schmerzt um ein Vielfaches mehr“.“
Aus: Bini Adamczak gestern – morgen Über die Einsamkeit kommunistischer Gespenster und die Rekonstruktion der Zukunft

Auch mit seinen jüngsten Film „It’ s a free World“ bleibt Ken Loach seinem Thema treu. Mit liefert der britische Marxist eine Sozialstudie auf der Höhe der Zeit. Beschrieben wird das Treiben von Angie, die genau vorexerziert, wie nicht nur die Kapitalisten sich die moderne Prekäre vorstellen. Die neoliberale Ideologie ist bei ihr im Kopf fest verankert. Die Devise „Jeder ist seines Glückes Schmied“ ist ihrer Handlungsmaxime. Das ideale ideologische Rüstzeug, um sich selbstständig zu machen. Doch Angie versucht es nicht erst mit einer kleinen Ich-AG. Sie zeigt ins Zeitarbeitsgeschäft ein, und da sie weiß, wo das meiste Geld verdient werden kann, vermittelt sie GastarbeiterInnen aus Osteuropa. Schließlich sind die am Profitabelsten, die wenig möglich der Gegenwehr haben.

Es sind wie immer bei Ken Loach sehr lebensechte Bilder, die in dem Film gezeigt werden. Er zeigt eben die Realität und nicht das, was sich manche Linke wünschen. Die Wirklichkeit aber ist bekanntlich widersprüchlich. So zeigt Loach, wie ein junger Arbeiter voller Dankbarkeit seiner vermeintlichen Retterin Angie ein selbst gebasteltes Geschen überreicht, das sie abschätzig bei Seite legt. Kaum denkt man, muss dieser Kitsch denn sein, dass der fremde Arbeiter als dankbares Opfer gezeigt wird, kommen schon bald die Szenen, wo osteuropäische Familienväter sich mit Eigeninitiative ihren ausstehenden Lohn holen.

Nun war die Abbildung der widersprüchlichen Wirklichkeit schon immer die besondere Stärke von Ken Loachs Filmen. Die haben uns schon immer den Mythos des voranschreitenden Proletariers erspart.

So gibt es in dem Film „Bread and Roses“ Streit innerhalb der Familie der Protagonistin. Ihr Freund verabschiedet sich zugunsten seines Studiums aus der Auseinandereinsetzung. Deren Schwester verpfeift sogar AktivistInnen beim Chef, was zu deren Entlassung führt. Selbst als alle wieder eingestellt werden, gibt es für die Protagonistin kein Happy-End, weil sie wegen eines Diebstahls abgeschoben wird.

Auch Loachs Film „The Navigators“ zeigt, dass es den KollegInnen nicht gelingt, die Privatisierung der britischen Bahn zu verhindern. Sie machen immer mehr Zugeständnisse und helfen am Ende sogar bei der Vertuschung eines Unfalls, bei dem ein Arbeiter ums Leben kommt. Wieso manche RezensentInnen dennoch behaupten, bei „It`s a free World“ habe Loach erstmals die Arbeiterklasse in der ganzen Widersprüchlichkeit gezeigt, muss dann doch erstaunen. Da werden wohl die Vorurteile über einen linken Filmemacher zu Papier gebracht. Aber man kann auch nicht erwarten, dass die RezensentInnen die alten Ken Loach-Filme kennen.

Sympathie mit Angie

Fast bei kaum einer Besprechung von „It’s a free World“ fehlt der Hinweis, dass man sich mit der Protagonistin Angie eigentlich fast identifizieren kann. Da sind sich sogar die Rezenten von junge Welt und Jungle World einig.

Am Prägnantesten bringt Jürgen Kiontke in der Jungle World die Sympathie mit Angie auf den Punkt: „Zunächst baut er (Loach P.N.) Angie zur Sympathieträgerin auf – die toughe Frau, klar, will die Karriere machen, sie schlägt sich erfolgreich in der Männerdomäne durch…“ ist es nicht ihre eigene Chance, ein bisschen rücksichtslos zu sein, ein wenig neoliberale Unternehmerin zu werden, ganz so, wie es alle ein wenig tun müssen?“
Sitzen wir also alle in einem Boot und betrügen osteuropäische ArbeiterInnen um ihren Lohn?

Ist das der viel zitierte Neoliberalismus in den Köpfen? Oder ist das einfach das Eingeständnis, dass Beschäftige im prekären Job des Journalismus sämtliche Vorstellungen eines anderen Lebens über Bord geworfen haben. Die Autorin Bini Adamczak vertrat in dem oben aufgeführten Zitat die These, dass erst mit dem Kommunismus das kleinste Unrecht umso mehr schmerzt. . Diese Überlegung hatte der linke Gewerkschafter Willi Bleicher in dem Satz gefasst: „Du sollst Dich nie vor einem Menschen bücken“.

Und mit der Austreibung des Kommunismus fällt die Identifikation mit dem Unrecht und der Ausbeutung umso leichter, könnte man diese Gedanken erweitern

Die Stimme des alten Arbeiters

Heute, wo niemand mehr Gewerkschaftskollege und alle eine Ich-AG sein wollen, macht man den Rücken wieder krumm und wenn sich die Gelegenheit dazu bietet, lässt er andere den Rücken krumm machen.

Dafür steht in dem Film Angie. Für Solidarität und einer gemeinsamen Veränderungen bleibt da wenig Raum. Aber im Film gibt es diese Stimme. In den bisherigen Rezensionen wird die Rolle von Angies Vater, eines alten Gewerkschafters, ziemlich konsequent ausgeblendet. Er ist etwas altmodisch, wahrscheinlich mit den Feinheiten des Internets ebenso wenig vertraut wie mit der politisch korrekten Bezeichnung der osteuropäischen Arbeitskräfte. Aber für ihn ist klar, dass sie zu Tariflöhnen bezahlt werden müssen, wenn sie hier arbeiten. Auf seine etwas verstaubte Art und Weise vertritt der alte Mann, einen Standpunkt, der bei der alten ArbeiterInnenbewegung einmal Konsens war. Heute, wo die modernen Kreativen, in dieser ArbeiterInnenbewegung fast schon den Hort der Reaktion und der Dummheit sehen wollen und sie für alles, was in der Geschichte schlecht gelaufen ist, verantwortlich machen wollen, lohnt es sich einmal darüber nachzudenken, welche Regression im politischen und sozialen Bewegung mit der Zurückdrängung der ArbeiterInnenbewegung verbunden ist. Die kurzen Filmszenen mit Angies Vater machen das sehr deutlich. Dass der Vater in vielen Rezensionen übergangen wird, macht auch deutlich, dass seine Botschaft vielen unangenehm ist.

Während viele Linke mit Recht auf die Barrikaden gegangen sind, als Lafontaine 2003 von Fremdarbeitern sprach, scheint die reale Ausbeutung der Arbeitskräfte weit weniger zu stören. Solange die Zeitarbeitsfirmen und ihre ProtagonistInnen nur darauf achten, dass sie ihr Arbeitsmaterial korrekt bezeichnen, wenn sie es ausbeuten, ist wenig Widerstand zu erwarten. Es ist Ken Loach in seinem Film gut gelungen, diese Zusammenhänge deutlich zu machen und dabei auch noch gute Unterhaltung zu liefern.

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung