“ ist es nicht ihre eigene
Chance, ein bisschen rücksichtslos zu sein, ein wenig
neoliberale Unternehmerin zu werden, ganz so, wie es alle ein
wenig tun müssen?“ Jürgen
Kiontke in der Jungle World
„Erst der Kommunismus hat das historisch einklagbare Anrecht
in die Welt gezwungen, keine Entmündigung hinnehmen, nicht
eine einzige Erniedrigung mehr ertragen zu müssen. Seit dem
ist noch das kleinste Unrecht größer und das größte schmerzt
um ein Vielfaches mehr“.“ Aus:
Bini Adamczak gestern – morgen Über die Einsamkeit
kommunistischer Gespenster und
die Rekonstruktion der Zukunft
Auch mit seinen jüngsten Film „It’
s a free World“ bleibt Ken Loach seinem Thema treu. Mit
liefert der britische Marxist eine Sozialstudie auf der Höhe
der Zeit. Beschrieben wird das Treiben von Angie, die genau
vorexerziert, wie nicht nur die Kapitalisten sich die moderne
Prekäre vorstellen. Die neoliberale Ideologie ist bei ihr im
Kopf fest verankert. Die Devise „Jeder ist seines Glückes
Schmied“ ist ihrer Handlungsmaxime. Das ideale ideologische
Rüstzeug, um sich selbstständig zu machen. Doch Angie versucht
es nicht erst mit einer kleinen Ich-AG. Sie zeigt ins
Zeitarbeitsgeschäft ein, und da sie weiß, wo das meiste Geld
verdient werden kann, vermittelt sie GastarbeiterInnen aus
Osteuropa. Schließlich sind die am Profitabelsten, die wenig
möglich der Gegenwehr haben.
Es sind wie immer bei Ken Loach
sehr lebensechte Bilder, die in dem Film gezeigt werden. Er
zeigt eben die Realität und nicht das, was sich manche Linke
wünschen. Die Wirklichkeit aber ist bekanntlich
widersprüchlich. So zeigt Loach, wie ein junger Arbeiter
voller Dankbarkeit seiner vermeintlichen Retterin Angie ein
selbst gebasteltes Geschen überreicht, das sie abschätzig bei
Seite legt. Kaum denkt man, muss dieser Kitsch denn sein, dass
der fremde Arbeiter als dankbares Opfer gezeigt wird, kommen
schon bald die Szenen, wo osteuropäische Familienväter sich
mit Eigeninitiative ihren ausstehenden Lohn holen.
Nun war die Abbildung der
widersprüchlichen Wirklichkeit schon immer die besondere
Stärke von Ken Loachs Filmen. Die haben uns schon immer den
Mythos des voranschreitenden Proletariers erspart.
So gibt es in dem Film „Bread
and Roses“ Streit innerhalb der Familie der Protagonistin. Ihr
Freund verabschiedet sich zugunsten seines Studiums aus der
Auseinandereinsetzung. Deren Schwester verpfeift sogar
AktivistInnen beim Chef, was zu deren Entlassung führt. Selbst
als alle wieder eingestellt werden, gibt es für die
Protagonistin kein Happy-End, weil sie wegen eines Diebstahls
abgeschoben wird.
Auch Loachs Film „The
Navigators“ zeigt, dass es den KollegInnen nicht gelingt, die
Privatisierung der britischen Bahn zu verhindern. Sie machen
immer mehr Zugeständnisse und helfen am Ende sogar bei der
Vertuschung eines Unfalls, bei dem ein Arbeiter ums Leben
kommt. Wieso manche RezensentInnen dennoch behaupten, bei „It`s
a free World“ habe Loach erstmals die Arbeiterklasse in der
ganzen Widersprüchlichkeit gezeigt, muss dann doch erstaunen.
Da werden wohl die Vorurteile über einen linken Filmemacher zu
Papier gebracht. Aber man kann auch nicht erwarten, dass die
RezensentInnen die alten Ken Loach-Filme kennen.
Sympathie mit Angie
Fast bei kaum einer Besprechung von „It’s a free World“ fehlt
der Hinweis, dass man sich mit der Protagonistin Angie
eigentlich fast identifizieren kann. Da sind sich sogar die
Rezenten von junge Welt und Jungle World einig.
Am Prägnantesten bringt Jürgen
Kiontke in der Jungle World die Sympathie mit Angie auf den
Punkt: „Zunächst baut er (Loach P.N.) Angie zur
Sympathieträgerin auf – die toughe Frau, klar, will die
Karriere machen, sie schlägt sich erfolgreich in der
Männerdomäne durch…“ ist es nicht ihre eigene Chance, ein
bisschen rücksichtslos zu sein, ein wenig neoliberale
Unternehmerin zu werden, ganz so, wie es alle ein wenig tun
müssen?“
Sitzen wir also alle in einem Boot und betrügen osteuropäische
ArbeiterInnen um ihren Lohn?
Ist das der viel zitierte
Neoliberalismus in den Köpfen? Oder ist das einfach das
Eingeständnis, dass Beschäftige im prekären Job des
Journalismus sämtliche Vorstellungen eines anderen Lebens über
Bord geworfen haben. Die Autorin Bini Adamczak vertrat in dem
oben aufgeführten Zitat die These, dass erst mit dem
Kommunismus das kleinste Unrecht umso mehr schmerzt. . Diese
Überlegung hatte der linke Gewerkschafter Willi Bleicher in
dem Satz gefasst: „Du sollst Dich nie vor einem Menschen
bücken“.
Und mit der Austreibung des
Kommunismus fällt die Identifikation mit dem Unrecht und der
Ausbeutung umso leichter, könnte man diese Gedanken erweitern
Die Stimme des alten Arbeiters
Heute, wo niemand mehr
Gewerkschaftskollege und alle eine Ich-AG sein wollen, macht
man den Rücken wieder krumm und wenn sich die Gelegenheit dazu
bietet, lässt er andere den Rücken krumm machen.
Dafür steht in dem Film Angie.
Für Solidarität und einer gemeinsamen Veränderungen bleibt da
wenig Raum. Aber im Film gibt es diese Stimme. In den
bisherigen Rezensionen wird die Rolle von Angies Vater, eines
alten Gewerkschafters, ziemlich konsequent ausgeblendet. Er
ist etwas altmodisch, wahrscheinlich mit den Feinheiten des
Internets ebenso wenig vertraut wie mit der politisch
korrekten Bezeichnung der osteuropäischen Arbeitskräfte. Aber
für ihn ist klar, dass sie zu Tariflöhnen bezahlt werden
müssen, wenn sie hier arbeiten. Auf seine etwas verstaubte Art
und Weise vertritt der alte Mann, einen Standpunkt, der bei
der alten ArbeiterInnenbewegung einmal Konsens war. Heute, wo
die modernen Kreativen, in dieser ArbeiterInnenbewegung fast
schon den Hort der Reaktion und der Dummheit sehen wollen und
sie für alles, was in der Geschichte schlecht gelaufen ist,
verantwortlich machen wollen, lohnt es sich einmal darüber
nachzudenken, welche Regression im politischen und sozialen
Bewegung mit der Zurückdrängung der ArbeiterInnenbewegung
verbunden ist. Die kurzen Filmszenen mit Angies Vater machen
das sehr deutlich. Dass der Vater in vielen Rezensionen
übergangen wird, macht auch deutlich, dass seine Botschaft
vielen unangenehm ist.
Während viele Linke mit Recht
auf die Barrikaden gegangen sind, als Lafontaine 2003 von
Fremdarbeitern sprach, scheint die reale Ausbeutung der
Arbeitskräfte weit weniger zu stören. Solange die
Zeitarbeitsfirmen und ihre ProtagonistInnen nur darauf achten,
dass sie ihr Arbeitsmaterial korrekt bezeichnen, wenn sie es
ausbeuten, ist wenig Widerstand zu erwarten. Es ist Ken Loach
in seinem Film gut gelungen, diese Zusammenhänge deutlich zu
machen und dabei auch noch gute Unterhaltung zu liefern.
Editorische
Anmerkungen
Den Text erhielten wir
vom Autor zur Veröffentlichung
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